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Land in Sicht

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Im Januar und Februar 2007 standen die ersten Treffen mit Fiete und Rüdi an. Wir trafen uns mal nach Feierabend, mal am Wochenende zu kleinen Exkursionen, bei denen ich ganz neue Ecken von Hamburg kennenlernte. Es hatte fast konspirativen Charakter, in meinem Arbeitsumfeld sollte niemand etwas mitbekommen. Wohin diese Treffen führen würden, das wusste ich nicht, aber meine Neugier war geweckt.

Mit Fiete und Rüdi überquerte ich die ersten Male ganz bewusst die Norderelbe, um den Hafen und die größte Elbinsel, also den Stadtteil Wilhelmsburg, mitten in Hamburg kennenzulernen. Bisher war ich immer nur mit dem Auto oder der Bahn durch den Hafen und über die Insel gerauscht. Überhaupt hatte ich die Insellage und die Spaltung der Elbe in Norder- und Süderelbe bis dahin gar nicht realisiert.

Ich liebe den imposanten Hafenblick, der sich bietet, wenn man mit dem Auto auf der Südseite des Elbtunnels inmitten von Massen von Containern wieder ans Tageslicht kommt. Zur Linken spannt sich die Köhlbrandbrücke über Hafenbetriebe unterschiedlichster Art, während zur Rechten die großen Pötte im Waltershofer Hafen unter den Containerbrücken festmachen. Ich hatte keine Ahnung, dass das Hafenbecken nahe dem Elbtunnel Waltershofer Hafen heißt, geschweige denn wusste ich irgendetwas über die Abläufe dort oder was sich in der großen Halle links unter der Köhlbrandbrücke befand. Alles, was über den ersten oberflächlichen Sichtkontakt hinausging, war Neuland für mich.

Wir fuhren zu den Terminals, die beiden erklärten mir grob die Grundlagen und die Aufteilung des Hafens und nahmen mich mit zu einem beeindruckenden Hafen der ganz anderen Art, dem Seemannsclub Duckdalben. Hier haben Seeleute seit gut 35 Jahren die Chance auf ein wenig Sozialleben, das im harten, eintönigen Alltag auf den Schiffen immer mehr verkümmert. Sie finden ein Gegenüber zum Reden, haben Gelegenheit, per Telefon oder Internet Kontakt nach Hause aufzunehmen, an einem Kiosk die nötigen Dinge des Alltags zu kaufen, Arztsprechstunden zu besuchen und sich sportlich zu betätigen. Ich hätte es schon damals bei meiner Mitfahrt auf dem kleinen Containerschiff in der Nordsee bemerken können, aber ich realisierte erst bei diesem Besuch im Duckdalben zum ersten Mal wirklich die schwierige Situation der Seeleute. Monatelang auf See, getrennt von Familie und Freunden, mit immer kleiner werdenden Crews und immer kürzeren Liegezeiten in den Häfen. Mit der Romantik der Zeit der Hans-Albers-Filme hat das Seefahrerdasein von heute nichts gemein. Meist fehlt sogar die Zeit, das Hafengebiet überhaupt zu verlassen, geschweige denn die Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Stadt zu bewundern. Grundsätzlich steht der Seemannsclub jedem Besucher offen, zumeist finden aber nur Eingeweihte den Weg an diesen versteckten Ort. Man muss im Klub kein Mitglied sein, die Seeleute freuen sich über persönliche Kontakte, und man kommt sehr schnell ins Gespräch.

Wir standen in der zentralen Halle. Unmittelbar neben dem Eingang befinden sich einige Telefonkabinen, die aus der Zeit gefallen scheinen, aber doch so wichtig sind. Sie bieten ein wenig Privatsphäre für den Kontakt nach Hause. Eine Treppe führt ins Obergeschoss, das Geländer zieren Rettungsringe. Die Halle ist geschmückt mit vielen persönlichen Porträts und Geschichten von Seeleuten aus aller Welt, es finden sich Zeitungsausschnitte, Fotos, Schiffsmodelle, Mitbringsel, Informationen über die Arbeit des Klubs und seiner Hilfsangebote. Auf einer Karte kann man sehen, woher die Seeleute stammen, die den Klub besuchen: Der überwiegende Teil kommt von den Philippinen, gefolgt von Indern, Chinesen und Ukrainern.

Aus einem von der Halle abzweigenden Büro kam ein junger Mann auf uns zu. Er trug eine eng anliegende dunkelblaue Mütze, eine dick wattierte Weste und hielt eine Tasse mit dampfendem Kaffee in der Hand, als er uns lächelnd begrüßte.

»Moin, Fiete, lang nich sehn, wo geiht di dat?«

»Allns bestens, min Jung, ick hebb veel to dohn.«

Die beiden kannten sich, und Fiete stellte mich vor.

»Moin, Maike, ich bin der Klaas, herzlich willkommen bei uns.«

»Danke, ich freue mich. So viel zu entdecken hier. Ich bin ganz überwältigt vom ersten Eindruck.«

»Jo. Schau dich in Ruhe um, und wenn du Fragen hast, immer her damit.«

Da fiel mir direkt was ein.

»Woher kommt eigentlich das Wort Duckdalben? Das sind doch die dicken Pfähle in der Elbe, oder?«

»Richtig«, erklärte Klaas, »Duckdalben geht angeblich zurück auf den spanischen Herzog von Alba, den Duc d’Albe, der aus Platzmangel mit dem Einrammen von Pfählen im Hafen zusätzliche Liegeplätze für Schiffe schaffen wollte. Heute sagt man meist nur noch Dalben.«

Und schon hatte ich wieder was gelernt.

Duckdalben sind also große, dicke Holzpfähle, an denen Schiffe festmachen können, mehrere davon finden sich zum Beispiel in der Norderelbe westlich der Elbbrücken. Heute werden sie meist von Schiffen genutzt, wenn diese auf den nächsten Auftrag warten und Zeit überbrücken müssen, da Liegeplätze am Kai teuer sind. Früher haben die großen Schiffe meist an den Dalben mitten im Elbstrom festgemacht, dann wurden die Waren auf kleinere Schiffe oder Schuten – Lastkähne ohne eigenen Motor – umgeladen und dann mit Schleppern oder Muskelkraft zu den Lagerhäusern, in die Speicherstadt oder zu den Umschlagplätzen verbracht.

Wir gingen weiter in den gemütlichen Loungebereich. Er ist mit Holz ausgekleidet, unter der Decke hängen unzählige Rettungsringe, meist in leuchtendem Orange mit gut lesbaren Namen der Schiffe, auf dem diese Rettungsmittel einst für Sicherheit sorgten. Der Tresen dient gleichzeitig als Kiosk und hat neben Telefonkarten und Süßigkeiten auch Rasierschaum, Zahnpasta, Batterien und Ladekabel im Angebot. Gerade ging wieder ein Verkaufsschlager über den Tresen. Über die Schulter von Rüdi hinweg sah ich, wie ein Mitarbeiter vier Tafeln Schokolade in eine Tüte packte und sie einem asiatischen Seemann reichte. Dass Schokolade der meistverkaufte Artikel im Kiosk ist, hatte ich vorab von meinen Begleitern erfahren.

Die Seemannsmission Duckdalben ist immer einen Besuch wert, man kommt schnell mit Seeleuten aus den entferntesten Ländern oder den engagierten Mitarbeitern ins Gespräch. Ein sehr beeindruckender Ort findet sich im Obergeschoss: der Raum der Stille. Hier sind alle großen Religionen mit einer eigenen Gebetsstätte vertreten, alle in einem Zimmer, nur durch Blumenkübel voneinander getrennt. Jeder Abschnitt ist liebevoll dekoriert, immer wieder lassen Seeleute religiöse Devotionalien dort. Es funktioniert wunderbar, die Seeleute respektieren einander in ihren unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Der Raum ist auch für Besucher zugänglich. Ich bin jedes Mal sehr bewegt, welche Ruhe dieser Ort ausstrahlt.

Im Rahmen der Erkundungstouren mit Fiete und Rüdi machte ich so manch unerwartete Entdeckung. Einmal ging es mitten hinein in den bunten Trubel des internationalen Marktes auf dem Stübenplatz auf der Elbinsel Wilhelmsburg, an einem anderen Tag fuhren wir zu Hamburgs kleinstem Leuchtturm an der Bunthäuser Spitze, und ich lernte das Elbe-Tideauenzentrum kennen. Überrascht hatten mich ein idyllischer Biergarten direkt am Ernst-August-Kanal, der historische Dorfkern von Kirchdorf mit der knuffigen über vierhundert Jahre alten Kreuzkirche und der schmucke Galerieholländer Johanna, eine restaurierte Windmühle. Ich saugte alle Informationen und Neuigkeiten wissbegierig auf und schrieb zahlreiche Stichpunkte in mein Notizbuch. Diese für mich neuen Welten faszinierten mich. Ich interessierte mich plötzlich für Geschichte, wirtschaftliche Zusammenhänge, soziale Themen und Umweltfragen. Der Hafen und die Elbinsel boten von alldem reichlich.

Gemeinsam mit Fiete und Rüdi entwickelte ich Ideen für das Projekt, das wir Elbinsel-Tour getauft hatten. Es sollte eine kombinierte Schiffs- und Bustour über die Elbinsel Wilhelmsburg werden, wir hatten jedoch noch keine feste Route und keine thematischen Schwerpunkte festgelegt. Alles war recht vage und ohne Struktur. Unklar war auch, wo unsere Gäste herkommen sollten. Wir hofften, unser Enthusiasmus würde sich bald auch auf zahlende Kundschaft übertragen.

Meine große Freiheit

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