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Alte Weisheiten Der Hinduismus

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Eine Sammlung von Geschichten über das Konzept des Liebemachens ohne sexuelle Übersättigung wäre nicht vollständig, würde die Erwähnung des Tantra fehlen. Und doch sind nur wenige Themen verwirrender als das Konzept der wohltuenden Synergie zwischen einem Paar im Hinduismus. Auf der einen Seite gibt es die Überzeugung, dass die Schöpfung selbst aus der göttlichen sexuellen Vereinigung des Männlichen und des Weiblichen entstand.82 Und es gibt auch die Legende von Parvati, einer primären Personifizierung des weiblichen Göttlichen. Sie wählte freiwillig das zermürbende spirituelle Asketentum, um ihren göttlichen Gefährten Shiva zu gewinnen, sich mit ihm zu vereinigen und so die Liebe in eine verlorene Welt zurückzubringen. (Shiva hatte die Welt verlassen, um als Asket ein Einsiedlerdasein zu führen, nachdem Parvati in einer früheren Inkarnation gestorben war.)

Und auf der anderen Seite kann der Begriff Tantra mehr Verwirrung stiften als Klarheit mit sich bringen. Tantra umfasst nämlich sowohl eine zölibatäre Tradition, die als „der Pfad des rechten Weges“ bekannt ist, als auch eine sexuelle Tradition, die als „der Pfad des linken Weges“ bekannt ist. Außerdem gibt es neben dem klassischen hinduistischen Tantra noch das Tantra des tibetischen Buddhismus (worüber wir später sprechen werden). Und zu guter Letzt teilen sich selbst im klassischen Tantra die Strömungen und haben sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Obwohl es heutzutage so viele verschiedene Rezepte für sexuelles Tantra gibt wie Katzenrassen, ging es im hinduistischen sexuellen Tantra ursprünglich nicht um gegenseitige Erleuchtung oder tiefere Verbindung. Trotz der bühnenreifen Darstellungen der Verehrung des männlichen Gottes oder der weiblichen Göttin in einem gemeinsamen Ritual zur Erweckung der Kundalini-Energie (der verfeinerten Lebensenergie) entwickelte sich das Maithuana-Ritual (oder „Zwillings-Ritual“) zur Anwendung für einen einzelnen spirituellen Sucher, und nicht als gegenseitige oder weiterführende Kultivierung sexueller Energie für spirituelle Zwecke.

Der Autor James Powell verfolgt die Wurzeln des Tantra bis zu einer sexuell sehr freien, matriarchalen Gesellschaft in Indien zurück. Eine beliebte Gottheit dieser frühen Gottesverehrer war der lüsterne Krishna – ein dunkelblauer Geselle, der eine Art sexueller Rattenfänger von Hameln war, der wohlerzogene verheiratete Frauen dazu verlockte, aus ihren Betten zu schlüpfen, um an Orgien in der Wildnis teilzunehmen.

„Einige von Krishnas Verehrern bildeten Paare. Sie regten einander zu intensiven, zuweilen auch gewalttätigen, erotischen Emotionen an, indem sie einander die amourösen Abenteuer ihres Gottes vorlasen und vorsangen. Dann übten sie sexuellen Yoga aus, in dem der Mann den Part von Krishna übernahm, und seine Partnerin die Rolle einer seiner Mädchen aus der Kuhherde [aus dem Mythos über Krishna]. In großen Zirkeln wurden Liebesrituale ausgeführt. Man empfand eine intensivere erotische Regung, wenn die Frauen in den Ritualen die Gattinnen anderer Männer waren.“ 83

Später, unter den Brahmanen, entwickelte sich Tantra definitiv in eine mehr patriarchale Richtung. Die Zurückhaltung des Samens wurde mit Licht und Spiritualität gleichgesetzt. Frauen wurden zunehmend misstrauisch beäugt, weil sie Männer dazu verführen konnten, ihren Samen zu vergeuden. Als Folge davon glaubten die Männer, dass ihre Gesundheit und spirituelle Kraft mehr davon abhing, ihren Samen beizubehalten, als von einer synergetischen Vereinigung. Daraus entstand eine starke Betonung auf einer zölibatären spirituellen Praxis. Selbst unter spirituell gesonnenen Haushältern (Männern mit Familie) scheint es das Ziel gewesen zu sein, Ejakulation möglichst zu vermeiden, indem der Geschlechtsverkehr auf Sex zum Zwecke der Fortpflanzung begrenzt wurde. In der Autobiografie eines Yogi84 berichtet der mittlerweile verstorbene Paramahansa ­Yogananda beispielsweise, dass seine Eltern nur einmal im Jahr miteinander Sex hatten, um sich fortzupflanzen. Entsprechend erzählte mir auch ein Anhänger des verstorbenen Baba Muktananda, dass Familienväter sich selbst als zölibatär betrachten dürfen, wenn sie nur einmal im Monat Sex haben.

Einige Yogis suchten nach einem Weg, Sex für spirituelle Zwecke zu ritualisieren (der linke Pfad). Allerdings ging es dem Yogi nicht um gegenseitige Erleuchtung von zwei Partnern, sondern um die Erweckung seines eigenen inneren, weiblichen Prinzips – welches in Form von Kunda­lini-Energie spiralförmig an der Basis seines Rückgrats ruht. Die Erweckung dieser Energie manifestiert sich als psychologische Androgynität. Die mächtigste Methode der Erweckung der Kundalini soll die sexuelle Umarmung gewesen sein – möglichst mit einer jugendlichen Jungfrau. Jungfrauen wurden als Quellen spiritueller Kraft gesehen, die fähig sind, den Partner in den Fluss dieser subtilen Energien zu initialisieren. (Die gleichen Überzeugungen waren um diese Zeit auch in China populär, und die Chinesen handelten am Ende sogar mit vorpubertären Mädchen, um deren Yin-Energie kurz vor ihrer ersten Periode zu ernten, zu welcher Zeit sie am stärksten sein sollte.) Für Yogis hatte diese rituelle Form der Sexualität nichts mit romantischer Liebe zu tun. Die Frau wurde nicht als Frau, sondern als „die Göttin“ betrachtet – und es spielte keine Rolle, dass sie eine völlig Fremde war.

Es überrascht uns nicht, dass der linke Pfad des sexuellen Tantra in seinem Ursprungsland in Verruf geriet und sich nur noch im Untergrund hielt. Aus Sicht des Yoga-Gelehrten Georg Feuerstein hatte ein großer Teil des sexuellen Tantra Ähnlichkeiten mit Schwarzer Magie (oder Sexualmagie) angenommen. Es geht dabei um die Ausübung von Macht über andere, ohne Rücksicht auf deren Wohlergehen, auf der Suche nach persönlicher Befriedigung. Der selbstsüchtige Fokus vieler tantrischer Praktiken, so Feuerstein, wird ersichtlich durch die Verfolgung des Orgasmus, den man zu erreichen sucht, zuweilen, nachdem die Partner einander erregt haben, um einen erhöhten Bewusstseinszustand zu erlangen.85 Feuerstein sagt, dass wirkliches Tantra (des rechten oder des linken Pfades) ein Mysterium ist, das das illusorische Selbst (Ego) zu transzendieren sucht, indem das erotische Potential des Körpers erweckt wird, während man die Energie hält. Das Ziel ist Glückseligkeit, ein Zustand der Kommunion mit dem Göttlichen, jenseits des Körpers, nicht ein erhöhter Zustand von sinnlichem Vergnügen. Klassisches Tantra empfiehlt Techniken zur Transformierung der Leidenschaft, Techniken, um darüber hinauszugehen. Im Gegensatz dazu adaptieren westliche Tantralehrer die Methoden häufig, um die Intensität der Leidenschaft noch zu steigern und damit die Begierden des Ego zu befriedigen.

Wie Feuerstein erklärt, geht die kreative Spannung, die als Brücke zur Ekstase dienen könnte, beim Orgasmus verloren. Der ganze Sinn, den Orgasmus zu vermeiden, liegt darin, die subtile Kraft oder Nervenenergie, Ojas genannt, zu sammeln, die in dem Moment vergeudet wird, wenn das Nervensystem während der sexuellen Stimulierung sein Feuerwerk entfacht.

„[Es ist nicht der Samenverlust, der problematisch ist,] sondern das Abfeuern des Nervensystems während der sexuellen Stimulierung. Das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen.“

Georg Feuerstein

In seinem Buch Sacred Sexuality schreibt Feuerstein, dass offenherzige Liebende, ob Tantriker oder nicht, spontan über das Erlebnis der Kommunion stolpern:

„[Nach einer Liebesnacht] fühlte ich mich, als sei ich auf einer höheren Ebene konstant wach bzw. bewusst. Ich erinnere mich, mich den ganzen Tag völlig entspannt gefühlt zu haben. In dieser völligen Entspannung befand ich mich außerhalb der Zeit. Zu sagen, dass es keinen Anfang oder Ende der Zeit gab, wäre irrelevant gewesen. Es gab schlicht keine Zeit. … [Ich war mir bewusst, dass alles Materielle] ganz spontan und spielerisch aus einer einzigen großen Quelle entstand. …Ich war auf eine Art zur Unendlichkeit mit Augen geworden. Ich fühlte mich, als wäre ich in eben diesem Moment geboren worden, oder, als hätte ich mein Leben lang geschlafen und wäre gerade erst erwacht. Ich entsinne mich außerdem, dass ich wusste, dass dies der wahre Zustand von jedem ist und dass jeder dies wissen könnte. … Ich blieb ungefähr drei Wochen in diesem Zustand der Unschärfe, und das Leben war um ein Vielfaches intensiver. …Ich habe während dieser Zeit fast nichts gegessen. …Ich erinnere mich daran, meiner Freundin gesagt zu haben, dass es sich anfühlte, als sei mein Rückgrat an die „universelle Steckdose“ angeschlossen, und dass es eine Quelle unerschöpflicher Energie war. …Während dieser Phase war ich kreativer als jemals zuvor (oder jemals danach), sowohl während der Arbeit als auch außerhalb meiner Arbeit. …Ich wurde hellsichtig, konnte in die Zukunft sehen und dann später die Szenen durchleben, die ich bis ins kleinste Detail vorhergesehen hatte. …Ich liebte jeden, inklusive meiner Freundin, auf die gleiche Art, unendlich. Eigentlich gab es niemanden getrennt von mir, den ich hätte lieben können.“ 86

* Diamond weist vorsorglich darauf hin, dass niemand Flexibilität (die Fähigkeit, dass sich die sexuelle Orientierung ändern kann) mit der freien Wahl (der Fähigkeit, dies willentlich zu tun) verwechselt. Auf jeden Fall jedoch ist die Tatsache, dass die persönliche sexuelle Identität möglicherweise eher etwas Fließendes als etwas Festes ist, also mehr wie eine Religion ist als wie eine Rassenzugehörigkeit, in der Diskussion von gleichen Rechten für sexuelle Minderheiten irrelevant.

Das Gift an Amors Pfeil

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