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Was macht ein gutes Foto aus?

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Auf die Frage, ob es sich bei einem Foto um ein gutes Foto handelt, gibt es wahrscheinlich 80 Millionen Antworten – das ist die Anzahl an Fotos, die im Durchschnitt täglich (Stand 2021) auf Instagram geteilt werden.

Warum zieht uns ein bestimmtes Foto in seinen Bann, während uns ein anderes kalt lässt? Was macht den Unterschied aus? Welche Gestaltungsmittel sind es, die ein Foto interessant machen? Wie kann ich sie nutzen?

Vielleicht hast du selbst schon erlebt, dass Freunde oder Kunden positiv auf ein Foto reagieren, das du selbst gar nicht zu deinen Favoriten gezählt hattest. Natürlich ist die Wahrnehmung immer vom Kontext abhängig, von persönlichen Erfahrungen und Präferenzen, vom Zeitgeist und nicht zuletzt vom fotografischen Vorwissen des Betrachters. Auf der anderen Seite: Gäbe es nicht so etwas wie eine universelle visuelle Sprache, auf die sich die meisten Menschen verständigen könnten, würde nie ein einzelnes Foto mehr Menschen erreichen als ein anderes. Und weil ich ein neugieriger Mensch bin und gern hinter die Dinge schauen möchte, habe ich eine Liste von Merkmalen erstellt, die mir aufgefallen sind.

Man kann sich fragen: Was bringt mir eine Liste, wenn ich die einzelnen Einträge nicht konkret umsetzen kann, während ich fotografiere, sondern mir nur die Analyse in der Rückschau bleibt? Dazu kann ich nur sagen, dass mir die Liste sehr geholfen hat. Sie hat Einfluss darauf, wonach ich suche, worauf ich achte, auf die Fragen, die ich mir stelle, und darauf, wie ich mich vorbereite (oder nicht). Die Liste bestimmt, wie gut es mir gelingt, zu klären, worauf es für mich persönlich beim Fotografieren ankommt und wo ich hinwill.

Ein gutes Foto erfüllt für mich zumindest zwei der folgenden Merkmale:

 •Es fängt einen bedeutenden oder einzigartigen Moment ein.

 •Es zeigt etwas, das vorher (so) noch nie gesehen wurde.

 •Es berührt den Betrachter emotional (mit Freude, Trauer, Angst oder Ärger) oder lädt zum Mitfühlen ein.

 •Es transportiert eine Botschaft, einen Appell oder eine starke Aussage.

 •Es erzählt eine außergewöhnliche Geschichte.

 •Es stellt einen bestimmten und ungewohnten Kontext her oder zeigt ein Muster auf, das mir sonst nicht aufgefallen wäre.

 •Es irritiert oder überrascht den Betrachter mit etwas Unerwartetem, einem Konflikt, einem Witz, einem Widerspruch, einem Gegensatz oder einem ironischen Augenzwinkern.


Zuwendung, Vertrauen und Geborgenheit: Manche Fotos dokumentieren bedeutende Momente unseres Lebens.

 •Es zeigt etwas, mit dem ich mich als Betrachter persönlich identifizieren kann, oder etwas, das ich gerne selbst tun würde, oder etwas, das ich selbst gerne sein würde.

 •Es zeigt eine starke Symbolik oder Metapher mit klarem Kontext oder sozialem Bezug.

 •Es zeigt etwas auf durch Abwesenheit und Reduktion – also indem es etwas Wesentliches weglässt, etwas, dessen Fehlen dem Betrachter auffallen muss, das ihn auf den Mangel hinweist.

 •Es zeigt etwas sehr Ästhetisches oder das Gegenteil davon und fordert unsere vertrauten Vorstellungen und akzeptierten Kategorien heraus.

Sehr wahrscheinlich lässt sich diese Liste fortsetzen. Vielleicht findest du selbst Antworten auf die Frage, was ein gutes Foto für dich ausmacht. Und ja, auch auf die technische Ausführung kommt es an. Man könnte kritisieren, dass diese Merkmale hier fehlen, wie z. B. »ganz tolles Streiflicht«, »irre gute Komposition«, »geniale Farben« oder »toller Kontrast« – denn häufig spielen solche Merkmale eine wichtige Rolle.


Aber auch das Gegenteil lässt sich belegen. Wenn wir etwa an die Fotos von Robert Capa denken, die er vom D-Day in der Normandie am 6. Juni 1944 machte: Praktisch alle zeigen grobes Filmkorn, und die meisten sind verwackelt. Auf der Reise wurde das Filmmaterial so stark beansprucht, dass die Negative meist über- oder unterbelichtet sind, wie wir auf den Kontaktbögen sehen können, die im Archiv des Life Magazine liegen.

Capas Reportage ging – trotz technischer Schwächen – um die Welt und wurde zum Inbegriff für die Landung der Alliierten in der Normandie. Wir könnten sogar so weit gehen und sagen: Sie waren genau deshalb so gut, weil sie nicht perfekt waren und damit das Gefühl von Gefahr, Chaos und Ungewissheit zum Ausdruck bringen, das während der heiklen Militäraktion geherrscht haben muss.

Was wir von Capa lernen können: Wie gut wir die technischen Gestaltungsmittel auch beherrschen mögen, sie ersetzen nicht das fotografische Sehen, sie verleihen diesem nur mehr Ausdruck. Wo immer wir unsere handwerklichen Fähigkeiten einsetzen können, um die Bildaussage auf den Punkt zu bringen, sollten wir es tun.

Und wir sollten niemals vergessen, was ein gutes Bild im Kern ausmacht.

[the scope +1]

Mach’ die Probe aufs Exempel mit den Fotos, die dich persönlich am stärksten beeindruckt haben: Suche zehn deiner Lieblingsfotos heraus und gehe meine Checkliste durch. Wie viele der genannten Merkmale treffen auf das jeweilige Bild zu? Was fehlt auf der Liste? Welches Merkmal ist dir persönlich am wichtigsten?


Manche Porträts vermögen es, ein Lebensgefühl zu transportieren.

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