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Britt Schilling: »Wir glauben nur, was wir auch sehen« Thema: Den Menschen sehen

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Stell dir vor, du fährst mit dem Auto an einer Gefängnismauer vorbei. Daran befestigt sind großformatige Porträts von Insassen. Sie sitzen auf einem Stuhl, mit dem Rücken zum Betrachter, die Gesichter bleiben verborgen. Was du nicht siehst: Innen an der Mauer hängen dieselben Porträts, diesmal von vorne aufgenommen. Dieses Projekt von Britt Schilling nennt sich »Absitzen in Freiburg«.

Britt, warum interessierst du dich für Leute im Gefängnis?

Ich bin neugierig auf Menschen, und ich finde, dass Gefängnisinsassen genauso zur Gesellschaft gehören wie alle anderen auch. Nur weil jemand hinter Mauern lebt, ist er ja nicht verschwunden. Ich finde, es gibt da eine Verantwortung der Gesellschaft, hinzugucken und im besten Fall auch zu vermeiden, dass es so weit kommt, dass Menschen hinter Mauern sitzen.

Was wolltest du mit deinem Projekt erreichen?

Ich wollte einen Diskurs auslösen. Ist das eigentlich der richtige Weg, Menschen einfach hinter Mauern zu sperren? Wir wissen ja: Da kommen die irgendwann wieder raus, und wir erwarten, dass sie dann bessere Menschen sind. Mich zu fragen: »Wie funktioniert das eigentlich?«, das hat mich interessiert. Da kam mir das Stadtjubiläum von Freiburg zugute, denn zu diesem Anlass konnte ich mich mit dem Projekt bewerben.

Es kommt ja nicht jeder als Besucher in eine Justizvollzugsanstalt (JVA) und darf eine Kamera mitnehmen. Du hast mir erzählt, dass du lange vorher schon ehrenamtlich in einem Gesprächskreis mitgearbeitet hast. Wie ist das alles entstanden?

Ja, seit vier Jahren bin ich in einem Gesprächskreis, der von dem Gefängnis-Seelsorger Michael Philippi geleitet wird. Er war überhaupt erst der Türöffner für mich. Dabei habe ich gemerkt: Das Wichtigste ist, das Vertrauen der Häftlinge zu gewinnen. Wenn man von außen kommt, wird man erst einmal mit Skepsis betrachtet.

Und ich habe die Idee dann mit den Insassen zusammen erarbeitet. Nachdem ich ein Jahr dort war und mir ein Häftling erzählte, dass er gerne schreibt, habe ich ein Tagebuchprojekt mit ihnen angefangen. Immer um 17 Uhr kehren sie zurück in ihre Zelle und konnten schreiben. Ich selbst habe mir auch einen Wecker gestellt und immer um 17.15 Uhr ein Foto gemacht, dort, wo ich gerade war. Wir haben dann beim nächsten Gesprächskreistreffen die täglichen Texte und meine Fotos zusammengefügt.

Ungefähr zehn Männer haben mitgemacht, und es hat ihnen wirklich gefallen, zu wissen, dass draußen jemand an sie denkt. Wir haben mit dem Projekt auch die Idee umgesetzt, etwas zu kreieren, das aus dem Gefängnis nach außen dringt. Ein Insasse schrieb, er finde mein Experiment interessant, weil er sich zum ersten Mal intensiv mit seinen Gedanken auseinandersetzte.

Es war auch für mich ein spannender Prozess, der sich über ein Jahr erstreckte. Es interessierte mich, was über diese lange Zeit hinweg passiert – über den Sommer, den Winter, die Feiertage und die Weihnachtszeit. Am Ende haben wir alles zusammengefügt, und es sind drei dicke Ordner geworden.

Als es vorbei war, bin ich bin fast in ein Loch gefallen. Die Häftlinge erzählten mir dann von den genormten Plastikstühlen, auf denen sie in der JVA sitzen. So kam mir die Idee zum Projekt »Absitzen«, denn man spricht ja auch davon, dass Häftlinge die Zeit im Knast absitzen.

Daraus entstand das Konzept, Porträts zu machen, wie die Inhaftierten auf diesen Stühlen sitzen und wir die Mauer transparent machen, indem man alle Bilder, die man von außen als Rückenansicht sieht, innen exakt an der gleichen Stelle von vorne, also als Vorderansicht zeigt. Die Insassen können das Außen nicht sehen, wir können das Innen nicht sehen. Das ist auch Teil des Projektes, weil alle immer fragen: Kann man die Porträts auch von innen sehen? – Nein, das soll man auch nicht, denn das ist ja die Realität. Die Insassen waren davon sehr angetan.

Welche Reaktionen habt ihr erhalten?

Ich habe bisher nur Positives gehört. Auch Anwohner sagen, es ist schön, dass sie mal ein wenig »hinter die Mauern« gucken können. Wenn man sich vorstellt, dass man so lange eingeschlossen ist und kein Fenster hat, aus dem man herausschauen kann, ohne sich dazu auf einen Stuhl zu stellen. Das war damals so gedacht, klappt aber nicht. Der Grundgedanke war wohl, dass sich die Häftlinge, wenn sie keine Ablenkung haben und nur in den Himmel schauen können, dann mehr mit ihrer Tat auseinandersetzen und vielleicht noch gläubig werden. Aber tatsächlich ist es so, dass sie sich so eher selbst als Opfer sehen.

Leider hatte die Veröffentlichung des Buches auch negative Folgen für die Häftlinge: Alle Fotos, alle Texte – alles, was man im Buch von den Zellen, den Werkstätten, der Essensausgabe usw. sieht – wurden vorher abgenommen und kontrolliert. Ich musste sehr viel verpixeln, von nackten Brüsten, die in den Hafträumen hängen, bis zu Markennamen auf Safttüten. Merkwürdigerweise gab es danach verstärkt Kontrollen in den Zellen. Dann mussten zum Beispiel Pflanzen oder Wandschmuck raus. Und das war genau das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollten. Mir wurde zwar versichert, dass die Kontrollen sowieso einmal im Jahr üblich seien, aber ich bin mir nicht sicher, dass es nicht doch mit dem Projekt zu tun hat. Das hat sich übel angefühlt.

Du hast vorhin gesagt, du möchtest etwas vermitteln. Was bedeutet es für dich, in deiner Fotografie etwas Sinnhaftes zu machen, und wodurch zeichnet sich diese Herangehensweise aus?

Du musst ein gutes Konzept haben, und du musst es denen, mit denen du das Projekt machst, gut vermitteln. Wir haben hochwertige Mock-ups erstellt und Animationen, die zeigen, wie es aussehen sollte – und das ist sehr wichtig. Denn vieles lässt sich einfach unfassbar schlecht erklären, deshalb musst du es zeigen, damit das alle verstehen. Erst wenn ich das Mock-up gezeigt habe, sprang der Funke bei den meisten über. Auch für einen selber ist das wichtig, denn dann siehst du, ob es funktioniert.

Wo geht die Fotografie in Deutschland hin? Was könnte Fotografie heute gesellschaftlich bedeuten?

Fotografie kann sehr zeitkritisch sein. Unsere Gesellschaft ist so schnelllebig geworden, da können Fotos die Probleme unserer Gesellschaft bebildern. Zu wenige Menschen lesen sich lange Texte durch. Du kannst mit Bildern Dinge darstellen, die Relevanz haben, die wichtig sind, Dinge sichtbar machen, die vielleicht nicht jeder so auf dem Schirm hat.

Bei welchen Themen fällt dir auf, dass sie wichtig sind, aber zu wenig gesehen werden? Womit beschäftigst du dich als Nächstes?

Wenn wir es auf Deutschland beziehen, würde ich an die Umwelt denken, den Klimawandel. Ich glaube, das müssen Leute auch sehen, um es zu glauben.

Du meinst also, wir glauben und verstehen letztlich nur das, was wir auch sehen können?

Ja, ich denke, das ist so. Deshalb ist die Fotografie ja auch ein tolles Medium. In Bonn gibt es beispielsweise das Projekt »Ohrenkuss« – ein Magazin, dessen Texte ausschließlich von Menschen mit Down-Syndrom verfasst werden. Das widerlegt die früher vorherrschende Meinung, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht lesen und schreiben könnten. Das sind Themen, mit denen ich mich beschäftige – und das treibt mich an.

Herzlichen Dank für diese Einblicke!

Website: www.strafraum-freiburg.de

Zum Projekt ist auch ein Buch4 erschienen.


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