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Der durch eine mannshohe Wand von der Feuerbachgasse abgetrennte Neubau, der über eine per Schranke gesicherte Einfahrt zu erreichen war, erschien groß und wirkte gleichermaßen anonym wie unpersönlich. Auch die rund um das Wohnobjekt angesiedelten Bäume und Sträucher konnten daran kaum etwas ändern. Im Gebäude selbst befanden sich unzählige Single-Wohnungen, und die meisten einsamen Herzen darin kannten maximal ihren direkten Nachbarn. Vom unbeleuchteten Innenhof aus war zu sehen, dass im vierten Stock nur in wenigen Wohnungen Licht brannte und keine davon in nächster Nähe zu einer zweiten lag. Es war draußen bereits dunkel, als die Klingel von Türnummer 48 Steffen Tarek aus seiner Lethargie riss. Steffen, der Filialleiter eines sich in der nähe befindlichen Supermarktes war, hatte den ganzen Tag gearbeitet und starrte nach dem Verzehr von einer überbelegten Fertigpizza vollkommen überfressen ins Leere. Im Fernseher lief beiläufig irgendeine Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg, die man über Kabel praktisch rund um die Uhr ansehen konnte. Da er nur mit Boxershorts und Unterhemd bekleidet in seiner Wohnküche saß, kramte er eine Jogginghose aus dem Wäschehaufen neben der Couch hervor, zog sie an und bewegte sich zur Wohnungstür. Der einsame junge Mann hatte kaum Freunde, wenn man von diversen Saufbekanntschaften absah, und sein Erfolg bei Frauen hielt sich aufgrund seiner Unsicherheit in engen Grenzen. Steffens gesellschaftliches Leben spielte sich - wenn überhaupt - am ehesten in seinem Stammlokal ab, weswegen er über den abendlichen Besuch umso überraschter war. Als er die Tür öffnete, stand vor ihm eine schlanke braunhaarige attraktive Frau, die er so auf Mitte 30, wenn nicht vielleicht sogar jünger schätzte. Ihr Haar trug sie offen, ihr braunes enges Kleid hatte oben drei Knöpfe, die allerdings alle geöffnet waren und so die Präsentation eines prächtigen Ausschnittes zuließen.

>>Hallo, ich bin Elli, die neue Nachbarin<<, sagte sie mit ihrem schönstem "Sozial isolierte Männer"-Anbaggerlächeln. Steffen geriet kurz ins Stottern, brachte aber dann doch noch ein schüchternes "Hallo" heraus. >>Eigentlich wollte ich mich nur kurz vorstellen, und gleich so unverschämt sein, dich zu fragen, ob du mir etwas Zucker für meinen Kaffee borgen kannst.<<>>Äh, ja, äh, ja...<<>>Und dann fiel mir ein, dass ich auch keinen Kaffee zuhause habe...<<>>Ja, äh, ja, äh...<<>>In Wahrheit habe ich auch noch keine Kaffeemaschine, ich bin ja gerade erst eingezogen.<<>>Ich Kaffee, ich meine, ich haben Kaffee, äh...<<>>Ach du meinst, du lädst mich auf eine Tasse ein? Das nehme ich gerne an.<<

Steffen wusste nicht, was er davon halten sollte, dass die attraktive Fremde schließlich bei ihm auf der Couch saß und äußerst sexy ihre Beine übereinander schlug. Ihre äußere Erscheinung und ihre Gestik brachten sämtliche Alarmglocken zum Verstummen, die bei einem solch suspekten Auftritt eigentlich zu schrillen begannen. Steffen fing an, ernsthaft darüber zu spekulieren, ob sich vielleicht doch endlich seine billigsten Pornoträume erfüllten und er heute von einer Unbekannten vernascht werden würde. Er befüllte zwei billige Kaffeetassen, die mit "Markenprodukte so günstig" warben und setzte sich in gebührendem Abstand zu ihr. >>Tja, ich bin Steffen. Du bist wohl neu hier in der Stadt?<<

>>Naja nicht wirklich, ich war nur fast 85 Jahre, äh, ich meine Monate, woanders. Ich fange morgen einen neuen Job als Sekretärin an.<<

Aus dem anfänglichen Small Talk entwickelte sich in den nächsten drei Stunden immer mehr ein Gespräch über Gott und die Welt. Aus der Tasse Kaffee wurde noch eine und zum Schluss hin war man bereits inmitten der zweiten Flasche Billigwein, die Steffen irgendwann einmal bei seinem Arbeitgeber mitgehen hatte lassen. Während er aufgrund des Alkohols immer lockerer wurde, rutschte sein Gast kontinuierlich näher an ihn heran. Enthemmt von gut einem Liter Welschriesling legte er vorsichtig seine Hand auf ihren Rücken. Sieh an, sieh an, dachte er - sie lässt es sich gefallen. Zehn Minuten später waren sie bereits wild am Knutschen, wobei sie Steffen klipp und klar zeigte, dass sie die Zügel in der Hand hatte. Als er schon fast glaubte, frühzeitig zu ejakulieren, stand sie auf und zeigte auf sein Bett, das in der quer gegenüberliegenden Zimmerecke stand.

>>Steh auf, ich will, dass du dich da drüben auf den Rücken legst<<, befahl sie und Steffen gehorchte fast willenlos. >>Hast du irgendwo Schnüre?<<

>>Was??<<>>Ich will dich fesseln. Hast du irgendwo Schnüre?<<

>>In der obersten linken Lade des Küchenkästchen<<, antwortete der bereits im Bett am Rücken liegende Wohnungsbesitzer. Seine billigsten Pornofantasien schienen sich tatsächlich zu erfüllen. Sie stand vorm Küchenkästchen und kramte eine Rolle festeren Garns hervor, der durchaus den Zweck erfüllen sollte. >>Was zum Abschneiden<<, sagte sie mehr befehlend als fragend. >>In der Lade daneben<< antwortete Steffen schon fast in Trance. Sie wurde immer unwiderstehlicher und zog ihn immer mehr in seinen Bann. Der auch im gewöhnlichen Leben eher passive Steffen war inzwischen äußerst dankbar, dass ihm das sexuelle Heft aus der Hand genommen wurde. Es war fast eins zu eins, wie er es sich immer vorgestellt hatte. >>Du bist ja immer noch angezogen<<, sagte sie fast abfällig, nachdem sie sich kurz zu Steffen hingedreht hatte. Längst hatte sie beschlossen, dass sich das große Küchenmesser in der rechten obersten Lade am besten zum Durchschneiden eignen würde. Steffen hätte auch Superman sein können, so schnell wie er sich seiner Kleider entledigt hatte und wieder in seine Ausgangsposition überging. Wäre Steffen gestanden: Man hätte einen Sombrero zwischen seinen Beinen aufhängen können. Langsam und verführerisch ging sie auf ihn zu. Die Rolle Garn hatte sie in der rechten Hand, das Küchenmesser in der linken. >>Streck deine Arme nach hinten<<, befahl sie. Irgendwo in Steffens Hinterkopf trat eine kleine Gestalt mit Namen Vernunft gegen ihre abgesperrte Zimmertür und brüllte um ihr Leben. Wie schon zu oft war es auch hier der Fall, dass das menschliche Los, gewisse Sachen einfach nicht hören zu wollen, erbarmungslos zuschlug. Am Bett angekommen begann sie, sich in kniender Position über sein Becken zu schieben.

>>Oh ja, Baby, so machst du das ausgezeichnet...<<Auch das "Baby" war fester Bestandteil seines persönlichen "Ab 18"-Filmes. Sie griff zu seinem linken Handgelenk, drückte es gegen den Bettpfosten und begann es an diesem festzubinden. Dies geschah nicht, ohne dass sie dabei rhythmisch auf seinem Gemächt hin und her rutschte. >>Oh Gott, bitte mach weiter Süße, ich bin dein Daddy!<< Da Steffens Fantasien meist an dieser Stelle schon wieder zu Ende waren, musste er ein bisschen improvisieren. Inzwischen ging sie zum rechten Handgelenk über, band es fest und schnitt den Garn von der Rolle ab. Sie legte das Messer neben ihn auf die Matratze und ließ sich auf seine Brust fallen. >>Oh ja Baby! Wer ist dein Daddy?<< Sie fing an, ihn am Hals zu küssen und ließ dabei ihre Brüste über seinen Oberkörper streichen. Genau so hatte sie ihren Gatten und diese kleine Sekretariatsschlampe angetroffen. >>Mach weiter, du kleines Miststück!<< Sie musste grinsen und es war ein schelmisch bis bösartiges Grinsen. Ein Grinsen, das zum Ausdruck brachte, dass solche verbalen Erniedrigungen nicht ohne Folge bleiben würden. Langsam kniete sie sich wieder auf und griff nach dem Messer. Steffen öffnete seine Augen und sah sie an. In dem Moment schaffte es auch die kleine Gestalt in seinem Hinterkopf, die Zimmertür aufzutreten. Es war zu spät. >>Ich brauche für die nächste Zeit eine Wohnung. Ich denke, du wirst wohl außer deinem Arbeitgeber keinem abgehen.<< Sie hielt das Messer nun in beiden Händen und stach damit zu.

Nummer Vierzehn hatte ihr Opfer schon bei ihrem letzten Ausflug ins metamorphorische „Oben“ beobachtet. Es war reiner Zufall, doch er war perfekt. Die Wohnung, die sie sich das letzte Mal beschafft hatte, war inzwischen von der Polizei entdeckt worden. Für unbestimmte Zeit auf der Straße zu schlafen war keine wirkliche Alternative und sie hoffte, dass es diesmal länger dauern würde, bis jemand eine Vermisstenanzeige aufgeben würde. Nachdem sie damit fertig war, ihren Mantel und ihr restliches Zeug, welches sie einstweilen im Stiegenhaus deponiert gehabt hatte, in die Wohnung zu bringen, begann sie den Dreck weg zu machen. Der Trick dabei war, zuerst die Wunde des Toten zu verschließen, bevor man ihn zum Zerstückeln ins Bad schleppte. Die Einzelteile würde sie in Alufolie und Plastik verpacken und der Reihe nach nachts in irgendwelchen Grazer Müllcontainern verschwinden lassen. Bloß Kopf und Hände kamen in den Kühlschrank, um eine Identifizierung zu verhindern. Steffen hatte weder auffällige Tätowierungen, Narben, noch Muttermale; das sollte die Polizei ausreichend lange beschäftigen. Für ihre Mission hatte sie maximal eine Woche eingeplant. Nummer Vierzehn war sich recht sicher, dass sie dieses Muttersöhnchen von Bürgermeister bis dahin geknackt hatte. Auch er würde ihren Verführungskünsten nicht ewig standhalten können. Nachdem sie die Leiche zerteilt, fein säuberlich verpackt und die blutigen Bettlaken entfernt hatte, durchsuchte sie die Wohnung nach Geld, Kreditkarten und einem neuen Handy. Normalerweise konnte man beim Übertritt ins Jenseits alles behalten, was man am Körper trug. Dies betraf interessanterweise nicht ihr letztes Mobiltelefon: Die jenseitigen Betreiber im toten Graz mussten wohl eine unglaublich starke Lobby haben. Als sie schließlich fündig wurde, freute sie sich doppelt. Der Idiot hatte nicht nur ein nagelneues Smartphone, sondern bewahrte auch den Geldautomatencode seiner Mastercard mit selbiger gemeinsam auf.

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