Читать книгу Das Ende - Матс Страндберг - Страница 15

NAME: LUCINDA TELLUS# 0 392 811 002 POST 0006

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Der Spaziergang zum See war anstrengender, als ich gedacht hatte. Schon auf halber Strecke war ich völlig platt und zitterte am ganzen Körper. Ich versuchte mir einzureden, dass ich nur wegen der Schwüle so heftig schwitzte, aber eigentlich wusste ich es besser. Wenn ich vernünftiger gewesen wäre, hätte ich kehrtgemacht und den Rückweg angetreten. Aber ich bin weitergegangen.

Ich habe mich auf den Steg gesetzt und versucht, wieder zu Kräften zu kommen, insgeheim aber schon überlegt, meinen Vater anzurufen, damit er mich abholen kommt. Und dann hat sich auch noch meine schlimmste Befürchtung bewahrheitet: Ich habe jemanden aus meinem alten Leben getroffen. Natürlich nicht irgendwen, sondern Simon, Tildas Ex.

Er kam gerade vom Laufen und roch leicht nach Schweiß und frischer Luft. Er duftete so gesund, dass ich mich unweigerlich fragte, wonach ich selbst wohl roch. Ich hatte in dem T-Shirt geschlafen, das ich unterm Kapuzenpulli trug, und manchmal denke ich, dass mein Körper nach Chemie riecht, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Ich hoffte jedenfalls, dass er gleich wieder gehen würde. Auch weil ich merkte, wie er sich bemühte, mich nicht anzustarren. Und ich versuchte, witzig zu sein, doch irgendwie gelang es mir nicht, denn ich musste die ganze Zeit daran denken, was Tilda ihm wohl über mich erzählt hatte. Sie musste mich bestimmt hassen. Ich an ihrer Stelle würde es jedenfalls tun.

Ich hatte Simon alles Mögliche gefragt, nur um nicht über mich reden zu müssen. Sogar, wie es mit seinen Müttern läuft. Als ich klein war, hatten sie einmal die ganze Klasse zu sich nach Hause eingeladen. Ich weiß noch genau, wie neidisch ich auf ihn war, weil er zwei Mütter hatte und ich keine. Stina hatte uns von Judettes Schwangerschaft erzählt und dass sie sich für einen hellhäutigen Samenspender entschieden hatten, weil Simon beiden ähnlich sehen sollte. Mich beeindruckte es wahnsinnig, dass sie es so bestimmen konnten, und außerdem schienen sie einander wirklich zu mögen. Ich selbst spielte zu der Zeit auch lieber mit Mädchen als mit Jungen und beschloss daraufhin, lesbisch zu werden, wenn ich einmal groß wäre. Daraus ist jedoch nichts geworden. Es ist eben nicht ganz so einfach.

Simon war damals ein schüchterner, zurückgezogener kleiner Junge, der gerne malte. Als Tilda und ich aufs Sportgymnasium kamen und ihn eines Tages im Flur sahen, hatte ich ihn schon total vergessen. Alle Mädels redeten davon, wie toll er aussieht mit seinen markanten Wangenknochen, den dichten Augenbrauen, der kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen und seinem Kussmund. Und wir fragten uns, ob ihm selbst überhaupt bewusst war, wie gut er aussah. Amanda formulierte es irgendwann so: »Seine Lippen erinnern an den Geschmack von Regentropfen«, woraufhin Tilda losprusten musste. Doch in diesem Moment fiel mir etwas in ihrem Blick auf, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Als sie herausbekam, dass Simon und ich in der Grundschule für ein paar Monate in dieselbe Klasse gegangen waren, wollten sie alles über ihn wissen. Sie fanden es voll süß, dass er als kleiner Junge eher schüchtern gewesen war. Und Elin fand es cool, dass er zwei Mütter hatte. Ein Mädchen aus seiner Klasse meinte, dass er noch immer ziemlich schüchtern sei, weil er oft schwieg und nachdenklich wirkte, was sie wiederum superanziehend fand. Es ist nämlich so: Wenn ein Typ gut aussieht, findet man plötzlich alles an ihm genial, rätselhaft und spannend.

Zurück zum Steg. Ich brachte Simon zum Weinen, als er mir erzählte, dass seine Schwester schwanger ist, und ich fragte, in welchem Monat. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings sagen, dass man diese Frage ganz automatisch stellt. Aber ich hätte mich trotzdem zurückhalten sollen, denn derzeit stimmen einen alle denkbaren Antworten traurig. Wer will denn jetzt noch ein Kind in diese Welt setzen? Und welche Frau will wie Simons Schwester schwanger sein, aber ihr Kind nicht mehr zur Welt bringen können?

Ich sah, wie sehr Simon um seine Fassung rang, aber ich glaube nicht, dass er bemerkt hatte, wie auch ich mit den Tränen kämpfte. Ich fand es verdammt traurig, obwohl es mich eigentlich gar nicht betrifft. Doch da ich selbst nur zu gut weiß, wie es sich anfühlt, traurig zu sein oder Angst zu haben und zugleich gezwungen zu sein, auf die Gefühle anderer einzugehen, wollte ich es Simon nicht zumuten. Stattdessen hätte ich das Gespräch auf etwas anderes lenken sollen. Ach, ich bin darin so verdammt mies und denke viel zu lange darüber nach, was ich tun soll, und plötzlich ist es zu spät.

Hinterher war ich jedenfalls völlig groggy. Mein Vater hatte sich Sorgen gemacht, weil ich so lange fort gewesen war, aber nicht nur deshalb war ich so müde. Vielmehr lag es daran, dass ich zum ersten Mal seit meinem Krankenhausaufenthalt mit einem anderen Menschen als meinem Vater oder Miranda gesprochen hatte. Irgendwann hatte ich das Gefühl, als wäre jegliche Energie aus meinem Körper gewichen, und ich musste das Gespräch so abrupt beenden, dass es Simon bestimmt wie eine Flucht vorkam. Als ich wieder zu Hause in meinem Bett lag, schlief ich auf der Stelle ein.

PS: Ich hatte Simon gegenüber erwähnt, dass ich nicht daran glaube, dass irgendwer mein Geschwafel lesen wird. Doch das stimmt nicht ganz. Mittlerweile stelle ich mir dich zunehmend als reales Wesen vor. So, als gäbe es dich wirklich. Denn du bist der einzige Ansprechpartner, zu dem ich ganz ehrlich sein kann.

Vielleicht tue ich es, weil ich an dich glauben möchte. Auch wenn ich mir etwas vormache und letztlich all die anderen auch, die in der TellUs-App etwas posten. Und wenn schon. Es gibt schließlich Leute, die ihr Leben auf einem Glauben an weitaus merkwürdigere Dinge aufbauen.

Das Ende

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