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NOCH VIER WOCHEN UND VIER TAGE SIMON

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Ich wache von schnaufenden Atemzügen an meinem Ohr auf und eine feuchte Nase presst sich an meine Wange.

»Geh weg, ich will schlafen«, sage ich und versuche, mit meiner Hand die Wand aus warmem Fell wegzuschieben.

Bumbum leckt sich die Schnauze. Ich öffne widerwillig die Augen und schaue direkt in zwei große braune Hundeaugen. Sein Kopf füllt fast mein gesamtes Blickfeld aus. Dann fährt er mit seiner rauen Zunge über mein Handgelenk.

Noch vier Wochen und vier Tage.

Das Gedankenkarussell setzt sich langsam wieder in Gang und die Panik kommt schleichend.

Jetzt bin ich hellwach. Ich muss aufstehen und mich bewegen. Das einzige Mittel, um nicht durchzudrehen.

Als ich mich aufsetze, kommt es mir vor, als würde mein Schädel explodieren. Als wäre der Komet schon in meinen Kopf gerauscht. Bumbum kläfft aufgeregt und dreht sich wild um die eigene Achse. Dabei fegt sein Schwanz das Trinkglas von meinem Nachttisch herunter. Ich kann gerade noch mein Handy aufheben, bevor es nass wird.

»Ganz ruhig«, sage ich und entsperre das Handy, um zu lesen, was ich Tilda heute Nacht nach dem Heimkommen geschrieben habe.

Ich entschuldigte mich für mein jämmerliches Benehmen, was mich natürlich noch jämmerlicher machte. Schon okay, lautete ihre Antwort. Doch im Augenblick fühlt es sich keineswegs okay an und ich kann nicht anders, als mich zu fragen, ob sie die Nachricht womöglich von Saits Bett aus geschickt hat. Ich presse die Handflächen so fest auf meine Augen, bis ich Sterne sehe.

»Judette und ich würden gern mit dir reden.«

Ich lasse meine Hände sinken. Stina steht in Arbeitskleidung im Türrahmen. Die rotblonden Haare sind hochgesteckt, das Beffchen über dem Talar ist akkurat gebunden.

»Beeil dich«, fordert sie mich auf und geht wieder.

Als ich die Bettdecke zur Seite schiebe, schlägt mir der Geruch meiner Jeans nach abgestandenem Rauch und Chlor entgegen. Ich habe in meinen Klamotten geschlafen. Als ich aus dem Bett krieche und dabei Bumbum mit einem Knie zur Seite wegstupse, sehe ich noch immer Sterne.

Meine Mütter sitzen auf einem der beiden Sofas im Wohnzimmer und warten. Ich sehe Stina an, wie sehr sie diesen Moment herbeigesehnt hat. Jetzt wird es also ernst. Judette betrachtet mich kühl. Sie kann mit einem einzigen Blick mehr sagen als Stina mit ihren ellenlangen Monologen.

Eigentlich wollten wir gestern Abend per Video bei Judettes Freunden auf Dominica anrufen. Ich verstehe ja, dass sie enttäuscht sind. Aber dass ich immer nur unterwegs sein und Party machen will, stimmt nicht. So simpel ist es nicht. Ich will nur nicht andauernd hier herumhocken und an den Weltuntergang und den Tod denken müssen. Am liebsten will ich überhaupt nicht denken.

»Wie geht’s dir?«, fragt Stina.

»Beschissen«, antworte ich.

»Was anderes hast du auch nicht verdient«, entgegnet sie und heischt bei Judette nach Zustimmung.

Judette schlägt ein Bein übers andere.

»Begreifst du eigentlich, wie peinlich es für mich war, dass ausgerechnet Maria dich im Streifenwagen heimfahren musste?«, fragt sie.

Stina wirkt enttäuscht.

»Das war ganz sicher nicht das Schlimmste an allem.«

Obwohl mein Gehirn noch ziemlich träge ist, fügen sich die Puzzleteile allmählich zusammen. Die Polizistin mit den kurzen Haaren. Deshalb kam sie mir bekannt vor. Ich bin ihr schon ein paarmal begegnet, als sie in Judettes Floorball-Mannschaft mitgespielt hat.

»Ich hab etwas zu viel getrunken«, gestehe ich. »Sorry.«

Stina schnaubt laut auf und macht eine resignierte Geste in Richtung Judette. Aber ich sehe ihr an, wie froh sie über die Gelegenheit ist, gemeinsame Front gegen mich machen zu können. Ich erweise ihr sogar einen Dienst, anstrengend wie ich bin.

Die beiden sind seit einem halben Jahr geschieden. Stina hat im Frühjahr endlich ihren Ehering abgenommen, aber ich weiß, dass sie ihn noch immer im Portemonnaie bei sich trägt. Sie hat mir zwar geraten, Tilda endlich ziehen zu lassen, aber im Grunde ist sie genauso armselig dran wie ich.

»Du kannst nicht einfach jede Nacht unterwegs sein«, sagt Judette.

»Aber was spielt das denn noch für ’ne Rolle?«

»Es spielt eine verdammt große Rolle!«, brüllt Stina und schlägt aufgebracht mit der Handfläche auf die Sofalehne, sodass der Staub aus dem Polster aufwirbelt und im Sonnenlicht, das durchs Fenster kommt, zu glitzern beginnt.

»Und warum?«, frage ich. »Es ist ja nicht grad so, dass ich mir meine Zukunft verbauen könnte.«

»Du weißt genau, was in der Stadt neuerdings alles passiert«, kontert Judette.

»Ich bin ja vorsichtig.«

Stina wird puterrot vor Wut.

»Vielleicht versetzt du dich mal in unsere Lage«, schnaubt sie. »Du weißt ganz genau, dass wir nicht wieder zusammengezogen sind, weil eine von uns jetzt die Ersatzmutter spielen wollte. Aber jetzt sehen wir dich immer seltener.«

»Ich hab euch nie gebeten, meinetwegen wieder zusammenzuziehen.«

Sobald ich die Worte ausgesprochen habe, bereue ich sie auch schon. Denn ich kann die beiden verstehen. Aber sie mich offenbar nicht.

Sie kapieren nicht, dass ich sie eigentlich vermisse und wirklich gern mit ihnen reden würde. Aber ich halte es in dieser künstlichen Stimmung, die sie zu Hause geschaffen haben, einfach nicht aus. Wir können überhaupt nicht mehr normal miteinander reden, weil alles immer gleich so innig sein muss. Wir müssen jede Erinnerung von allen Seiten ausleuchten, einander tiefgründige Fragen stellen und noch lauter wichtige Dinge von uns geben, bevor wir sterben werden. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Sie verlangen Übermenschliches von mir.

»Jedenfalls wird damit jetzt Schluss sein«, sagt Stina mit unerwartet ruhiger Stimme. »Emma kommt nämlich bereits in ein paar Tagen zu uns.«

Emma. Meine Schwester, die seit der Sache mit dem Kometen nicht mehr zurechnungsfähig ist.

»Micke besucht derweil seine Eltern in Överkalix«, fährt Stina fort. »Sie benötigt jetzt jede Hilfe, die sie kriegen kann. Und außerdem braucht sie Ruhe.«

Ich nicke und schaue weg. Dabei bleibt mein Blick an der dunkelgrauen Wand in der Küche hängen, die ich mit angestrichen habe. Einige Tage, nachdem wir vom Kometen erfahren hatten. Damals saß ich genau hier und schaute auf die Wand. Sie roch noch nach frischer Malerfarbe und ich dachte, wie unnötig, sie zu streichen, wo wir doch schon bald nicht mehr da sind. In dem Augenblick hatte ich es zum ersten Mal wirklich begriffen. Damals bin ich in Tränen ausgebrochen und jetzt auch wieder.

»Alles wird gut werden«, sagt Stina sanft.

»Und bitte wie?«, frage ich und wische die Tränen weg.

Sie wirkt enttäuscht. Irgendwie enttäusche ich derzeit offenbar alle.

»Ich meine, dass es gut ist, wenn Emma für eine Weile nach Hause kommt. Wir sollten diese Zeit sinnvoll nutzen.«

»Also denk bitte daran«, sagt Judette.

Das Ende

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