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SIMON

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Es ist heiß, viel zu heiß, und es stinkt nach Chlor und Zigarettenrauch, nach Alkohol und Schweiß. Lautes Gekreische und Lachen hallt von den gefliesten Wänden, den Fensterscheiben und der hohen Decke wider und übertönt die Musik aus den Lautsprechern. Mir fällt auf, dass sie eine von Tildas Playlists spielen. Es war ihre Idee, die Party hier zu feiern. Sie hat noch immer die Hallenschlüssel.

Eigentlich hätte heute die Schule wieder begonnen. Deshalb die Party. Wir tun so, als wäre dies ein Grund zum Feiern. Wäre alles wie immer, würde ich jetzt in die Elfte gehen.

Ich werfe einen Blick auf die große Uhr über der Schmalseite des Beckens und bemerke, dass ich über eine Stunde besoffen auf der Toilette gehockt und einen Großteil der uns noch verbleibenden Zeit sinnlos habe verstreichen lassen. Der Sekundenzeiger rast unerbittlich übers Zifferblatt.

Noch vier Wochen und fünf Tage.

Unsere Tage sind gezählt. Heute ist auch das letzte Fünkchen Hoffnung verpufft. Bye-bye, grausame Welt.

Ich nehme einen Schluck selbst gebrannten Fusel. Das Zeug schmeckt ekelhaft, egal womit man es mischt, aber es ist fast der einzige Alkohol, den man jetzt noch bekommen kann.

Ich suche die Oberfläche des türkisfarbenen Wassers mit all den auf und ab hüpfenden Köpfen nach Tilda ab. Das hier ist ihre Welt. Ihr Lieblingsort, an dem all ihre Freunde versammelt sind. Ich dagegen weiß nicht mehr recht, zu wem ich noch gehöre. Ich weiß nur, dass ich nicht länger hierbleiben will, aber ich kann auch nicht einfach nach Hause gehen.

Überall um mich herum rutschen die Leute auf dem nassen Boden aus. Hampus springt gerade mit einem Salto ins Wasser, wobei sein Nacken haarscharf am Beckenrand vorbeischrammt. Als ich selbst vorhin getaucht bin, kam ich kaum wieder an die Wasseroberfläche. Das Becken ist voller Jugendlicher. Ein Gewimmel aus Armen und Beinen. Bestimmt wird irgendwann ein Unfall passieren. Es liegt geradezu in der Luft.

Ich leere die Plastikflasche, als mir jemand freundschaftlich auf den Rücken klopft. Ali. Er lacht und sagt etwas, das ich nicht verstehe.

»Was?«

»Ich hab gefragt, wo du warst.«

»Hast du Tilda gesehen?«

Ich höre selbst, dass ich lalle. Haschutillagsehn?

»Ach, scheiß doch einfach auf sie«, ruft Ali und flitzt zum Beckenrand, wo er im Sprung die Beine zum Bauch heranzieht, um eine Arschbombe zu machen.

Ich torkele weiter und komme an der Tribüne vorbei, auf der ich bei ihren Wettkämpfen schon oft gesessen habe. Auf den Rängen hängen massenweise Leute in Grüppchen herum, einige von ihnen sind schon weggedämmert, allein oder eng umschlungen, andere haben gerade Sex. Eines der Mädels in der untersten Reihe hat sich ein Badetuch übergeworfen und reitet gerade einen Typen. Als ich an ihnen vorbeitorkele, stoße ich aus Versehen gegen sein Knie.

Auf Höhe der Schmalseite des Beckens kommt mir Johannes entgegen. Seine lockigen Haare sind tropfnass und er hat die Schultern hochgezogen, als würde er frieren. Er grüßt im Vorbeigehen jemanden, lässt mich dabei aber nicht aus den Augen. Mein bester Freund. Ich merke, dass er sich Sorgen um mich macht. Seine Freundin Amanda sitzt gemeinsam mit ein paar anderen Typen vor der niedrigen gefliesten Trennwand. Elin sagt gerade etwas und alle lachen auf, doch Amanda schaut zu mir rüber, während sie ihre Haare zusammenrafft und auswringt.

Johannes legt mir seine kalten Hände auf die Schultern. Seine Fingerkuppen sind schon ganz verschrumpelt.

»Alles in Ordnung?«

»Hast du Tilda gesehen?«

Diesmal gelingt es mir, nicht zu lallen. Johannes ringt sich ein Lächeln ab.

»Ich glaub, sie ist schon gegangen.«

»Johannes«, entgegne ich. »Ich hab dich echt lieb, aber du bist ’n verdammt schlechter Lügner.«

Er streicht sich die an der Stirn klebenden Haare aus dem Gesicht.

»Komm«, fordert er mich auf. »Du bist schon viel zu breit. Lass uns irgendwo hingehen und reden.«

Das wäre besser gewesen, das weiß ich. Doch plötzlich höre ich Tildas Lachen. Hinter der Trennwand liegt das Kinderbecken mit der roten Kunststoffrutsche. Johannes folgt meinem Blick dorthin.

»Simon«, meint er. »Komm jetzt lieber. Wenn du willst, können wir abhauen.«

Doch ich antworte nicht. Es ist zu spät. Ich will es unbedingt wissen.

Als ich an der Trennwand bin, ruft Johannes mir noch einmal hinterher. Dahinter befinden sich nicht ganz so viele Leute und ich entdecke Tilda sofort. Sie liegt mitten im Becken bäuchlings auf einer Luftmatratze. Selbst aus der Entfernung sehe ich, dass sie high ist. Ihre Pupillen sind groß und dunkel. Sie trägt einen der Badeanzüge, die sie auch bei Wettkämpfen benutzt. Mit dem Logo des Schwimmvereins auf der Brust und ihrem Namen in Schreibschrift auf dem Hintern.

Sait kniet neben ihr. Ihm reicht das Wasser nur bis zur Mitte seines Sixpacks. Als er Tilda von der Luftmatratze herunterzieht, kreischt sie auf. Im Schein der Unterwasserbeleuchtung strahlen ihre Zähne ganz weiß.

Ich liebe dich noch immer, hatte Tilda Anfang Juni zu mir gesagt. Nur wenige Tage nach der Nachricht vom Kometen.

Sie liebt mich zwar, aber das reicht nicht aus.

Die verbleibende Zeit meines Lebens will ich in vollen Zügen genießen.

Auch das hat sie gesagt.

Genau das will ich auch. Aber ich will es gemeinsam mit ihr, denn für mich ist Tilda das Leben. Und mit ihr möchte ich auch zusammen sein, wenn der Himmel weiß wird.

Sait zieht sie im Wasser zu sich heran. Ich kenne ihn kaum, da er ein paar Jahre älter ist als wir. Jetzt hat er seine Hand unter Tildas Badeanzug geschoben und seine Fingerknöchel zeichnen sich unter dem dünnen Stoff ab. Als er sie seitlich auf den Hals küsst, schließt sie die Augen.

Ich sollte besser gehen und bleibe stattdessen wie versteinert stehen.

Eigentlich will ich nicht noch mehr sehen, doch ich kann einfach nicht wegschauen.

Plötzlich schreit hinter mir jemand auf und Tilda schaut hoch. Dabei begegnen sich unsere Blicke. Sait wischt sich ein paar Wassertropfen aus den Augen und sieht mich ebenfalls.

Endlich gelingt es mir, meinen Blick von den beiden loszureißen. Ich bewege mich, so schnell es der nasse Boden zulässt, fort von ihnen, vorbei am geschlossenen Café und hinein in die Umkleide, wobei mir vage bewusst wird, dass mich mehrere Mädels vom Beckenrand aus beobachten. Als die Tür hinter mir zugleitet, ebben die Musik und das Stimmengewirr ab und ich kann meine eigenen keuchenden Atemzüge hören.

Hier drinnen stinkt’s. Irgendwer hat versucht, in einer der Duschkabinen Erbrochenes wegzuspülen. Doch ein Teil der halb verdauten Essensreste ist am Abflussgitter hängen geblieben. Mir geht es beschissen und ich taumele zwischen den Spindreihen hindurch, kann mich aber kaum noch auf den Beinen halten. Es ist, als hätte mich schlagartig jegliche Kraft verlassen. Unter meiner Haut kribbelt es und mir brummt der Schädel. Schließlich lasse ich mich auf eine der Bänke sinken und denke, dass ich besser Johannes hätte folgen sollen. Jetzt will ich nur noch weg.

Plötzlich wird die Tür vom Bad zur Umkleide geöffnet und ich höre, wie jemand über die Kunststoffmatten herantapst. Als ich aufschaue, steht Tilda vor mir, die Arme um den Oberkörper geschlungen. Sie hat ihre dunklen Haare aus dem Gesicht gestrichen. Wasser tropft von ihnen herab und landet neben ihren Fersen. Ihre Augen sind glasig wie die einer Puppe. Wenn mir vor ein paar Monaten jemand gesagt hätte, dass Tilda Drogen nimmt, hätte ich ihn ausgelacht. Doch seither hat sich viel verändert.

»Ich wollte eigentlich nicht, dass du es mitkriegst«, sagt sie. »Ich dachte, du wärst schon weg.«

»Können wir nicht zusammen weggehen?«, frage ich. »Einfach abhauen? Ich vermisse dich so wahnsinnig.«

Tilda schüttelt den Kopf, wobei mehrere Haarsträhnen an ihrer Schulter kleben bleiben. Ich hätte besser den Mund halten sollen. Aber was habe ich jetzt noch zu verlieren?

»Ich will nicht allein sein«, sage ich und höre selbst, dass ich schon wieder lalle.

»Das ist kein guter Grund, um zusammen zu sein.«

»Es ist nicht nur deswegen.«

Ich ziehe am Gummiband an meinem Handgelenk, sodass der Spindschlüssel gegen das Nummernmärkchen flutscht. Als ich das Gummi loslasse, schnellt es gegen die Haut zurück. Ich wiederhole die Bewegung ein ums andere Mal, um wieder klar im Kopf zu werden. Doch ich spüre es kaum.

»Ich liebe dich«, sage ich. »Warum liebst du mich nicht mehr?«

»Ich will in den letzten Wochen mit niemandem mehr zusammen sein. Und das weißt du auch. Ich will tun und lassen, was ich will.«

»Wir können doch ein offenes Verhältnis haben.«

Tilda lächelt schief. Sie glaubt mir nicht. Ich glaube mir ja selbst nicht mal.

»Wir könnten es ausprobieren«, versuche ich es weiter.

Tilda setzt sich neben mich. Sie wirkt irgendwie traurig, ohne dass ich es verstehen könnte. Vielleicht vermisst sie mich ja auch. Oder vielleicht tue ich ihr auch nur leid.

»Nein«, entgegnet sie. »Wir beide werden nie mehr ein Paar sein. Diejenige, mit der du zusammen warst … gibt es nicht mehr. Vielleicht gab es sie überhaupt nie.«

»Was soll das denn bedeuten?«

»Dass du aufgeben musst.«

Jetzt bin ich mir sicher, in ihrem Blick Mitleid zu erkennen. Der Raum beginnt sich vor meinen Augen zu drehen und der Schnapsgeschmack steigt mir wieder in die Kehle.

»Du musst endlich loslassen«, sagt Tilda. »Oder willst du etwa die ganze restliche Zeit so weitermachen?«

Auf einmal will ich nur noch, dass sie geht. Es tut zu sehr weh, wenn sie mir so nah ist und zugleich so weit weg.

»Du wirst es noch bereuen, wenn es so weit ist«, entgegne ich. »Und weißt du, was? Dann kannst du es nicht mehr zurücknehmen, denn es wird kein Danach mehr geben.«

Sie blinzelt mit ihren Puppenaugen.

Dann ruft jemand unvermittelt ihren Namen und wir schauen beide auf. Vor uns stehen Elin und Amanda. Ich weiß nicht, wie lange sie schon dastehen und wie viel sie mitgehört haben.

»Wir müssen hier weg«, kreischt Amanda.

Plötzlich wird die Tür zur Umkleide erneut aufgerissen und vom Duschraum her sind Stimmen zu hören. Jemand schreit angeekelt auf. Kurz darauf nähern sich Stiefelschritte und zwei Polizisten tauchen zwischen den Spinden auf. Ein Mann mit Bart und eine Frau mit Kurzhaarfrisur, die mir irgendwie bekannt vorkommt.

»So, ihr Lieben«, sagt der Bärtige. »Zeit, die Party zu beenden.«

Ich springe etwas zu rasch auf und rutsche aus. Doch Tilda fängt mich auf.

»Wir haben die Ehre, euch heimzufahren«, ergänzt die Polizistin und ich versuche zu protestieren.

»Du schaffst es doch gar nicht allein bis nach Hause«, wendet Tilda ein.

»Doch, doch, geht schon.«

Die beiden Polizisten haken mich unter. Ich versuche mich loszureißen, doch ihre Griffe werden fester.

»Simon, wo sind deine Klamotten?«, fragt die Frau.

»Woher kennen Sie meinen Namen?«

»Dazu kommen wir später.«

Sie wirft einen Blick auf das Nummernmärkchen an meinem Handgelenk und schleift mich zu meinem Spind.

Als immer mehr Leute in die Umkleide strömen, um nach ihren Spinden zu suchen, verliere ich Tilda aus den Augen. Ein weiterer Polizist schiebt alle anderen vor sich her und fordert sie auf, sich zu beeilen. Doch im Gegensatz zu früher folgt keiner seiner Anweisung.

Das alles wird keinerlei Konsequenzen haben. Denn dafür bleibt keine Zeit mehr. Schon bald geht die Welt unter. Die Polizisten können allein dafür sorgen, dass wir uns nicht schon vorher das Leben nehmen.

Das Ende

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