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11.

Es war ein Wochentag um die Mittagszeit. Lew Rabitschew lag noch im Bett, als er von Nina Gudsowski, die gerade Kaffee kochte, energisch geweckt wurde. Lew hatte kein Telefon. Um erreichbar zu sein, gab er in dringenden Fällen die Nummer seiner Nachbarin an. Grigori Moskwin war am Apparat.

„Rabitschew, bist du am Apparat?“, fragte Moskwin.

„Ja sicher“, erwiderte der und war plötzlich hellwach.

„Hör zu, komm heute Abend zu mir. Du weißt, wo ich wohne?“

„Ja, klar“, sagte Rabitschew. Zurück in seiner Wohnung strahlte er, nahm Nina in den Arm und tanzte mit ihr um den Tisch. Auf den Gefühlsausbruch war sie nicht vorbereitet und versuchte, sich von ihm zu lösen. Seit einigen Wochen lebte sie mit Lew zusammen, was nicht immer einfach war. Sie versuchte in diese kleine Einzimmerwohnung Ordnung zu bringen, Rabitschew machte jedoch keine Anstalten, seine schlampige Lebensweise zu ändern. Lew beruhigte sich und sagte zu Nina: „Ich soll heute Abend bei Moskwin vorbei kommen.“

„Das war alles, was er gesagt hat?“, fragte Nina irritiert.

„Ja, das war alles. Wenn es um große Geschäfte geht, wird darüber am Telefon nicht gesprochen.“

Nina war davon überzeugt, dass dieser Grigori Moskwin ein großer Schaumschläger war und weiter nichts.

„Es wäre besser, du würdest dich hier in der Stadt um Arbeit kümmern, als diesem Moskwin nachzulaufen.“

Sie wollte keinen Streit vom Zaun brechen und ging nicht weiter auf das Thema ein. Was ihr aber im Nacken saß, dass waren ihre Geldnöte. Beide lebten von Ninas Arbeitslosengeld. Rabitschew hatte sich nicht die Mühe gemacht, Arbeitslosengeld zu beantragen. Er glaubte, mit wenig Arbeit das große Geld zu machen. Sie bekam nur einen Bruchteil ihres Verdienstes, davon konnte keiner leben, denn alles war teurer geworden und der Rubel befand sich im freien Fall. Der Sowjetstaat lag auf dem Müllhaufen der Geschichte. Was blieb, war ein riesiges Chaos.

Es waren hilflose Versuche, die Privatisierung voran zu treiben. Es war die Zeit der Glücksritter, die Zeit der Volkovs. Rabitschew musste den alten klapprigen BMW, den er für ein paar Tage von Moskwin erhalten hatte, wieder abgeben. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Fuß bis ans andere Ende der Stadt zu gehen, um seinen vermeintlichen Gönner zu treffen. Das war ein langer Marsch im Regen. Der Bus fuhr nicht und Moskwin wohnte in einer Datscha, am Rande der Stadt. Sein Kapital war der alte BMW.

Um vor Nina und Wasil Saizew Anerkennung zu finden, hatte er Moskwin zum Großunternehmer gemacht. Moskwin wiederum hatte dem jungen Mann Flausen in den Kopf gesetzt. Jetzt brauchte er aber jemanden, den er kannte und dem er vertrauen konnte.

Moskwins Datscha war sein Eigentum, sie war Teil seines früheren Lebens. Viele seiner Kollegen in führenden Positionen hatten eine Datscha, doch kaum einer pflegte diese alte russische Tradition noch. Heute besaßen sie Wochenendhäuser und die kleinen Gartenhäuschen verfielen oder wurden von Leuten genutzt, die am Rande der Gesellschaft lebten.

Moskwins Datscha stand auf einem recht großen Gar-tengrundstück. Es gab nur einen Raum mit Kochecke, die Toilette war draußen.

So lebte also ein großer Macher, ein reicher Russe? Rabitschew war von dem, was er sah, mehr als ernüchtert. Seine Neugier und die Hoffnung, doch noch einen lukrativen Job zu ergattern, ließ ihn eintreten.

Moskwin holte gleich eine Wodkaflasche und normale Trinkgläser.

„Komm, lass uns erst ein Gläschen heben“, meinte Moskwin und setzte sich an den wackligen Tisch mit zwei Stühlen, der mitten im Raum stand.

„Hör zu, ich fliege morgen nach Berlin, um drei schwere Baufahrzeuge zu kaufen und zu begleiten, die auf Tiefladern nach Kursk gebracht werden. Ich rufe dich in zirka zwei Wochen über deine Nachbarin an. Dann bringst du meinen Wagen zur russischen Grenze, der Ort heißt Sutza, da bin ich dann mit den Tiefladern. Du übernimmst dann die Leitung des Transports, während ich in der Ukraine noch einiges erledigen muss. Tank den BMW voll und noch zusätzlich zwei Kanister in den Kofferraum. Schreib dir alles auf, ich gehe davon aus, dass ich meinen Wagen fahrtüchtig wieder bekomme.“

Rabitschew fühlte sich in seinem Element, endlich durfte er eine große Aufgabe übernehmen. In Gedanken war er schon ein stinkreicher Kapitalist und konnte Nina mächtig imponieren. Da fiel ihm ein, dass er keine Kopeke besaß.

„Grigori, ich brauche Geld“, sagte er kleinlaut.

„Ja sicher brauchst du Geld“, erwiderte Moskwin, ging an ein kleines Schränkchen, holte ein Kuvert und legte es vor Rabitschew.

„Das sind zweihundert Dollar, ich denke, dass du damit gut auskommst. Mehr gibt es nicht.“

Er betonte den letzten Satz und gab zu verstehen, dass über diesen Punkt nicht mehr gesprochen würde.

„Machst du Scheiße, war das dein letzter Auftrag. Halte dich genau an die Vereinbarung!“

Er gab ihm Autoschlüssel und Papiere und Rabitschew fuhr Richtung Innenstadt. Hinterm Steuer sah er herablassend auf einen Lada, der ihm zu nahe kam, betätigte mal eben das Gaspedal und rauschte durch eine große Pfütze vor einem Bäckerladen, so dass die Menschen, die nach Brot anstanden, ordentlich nass wurden. Sie schimpften laut, aber das hörte er nicht. Er war furchtbar in sich selbst verliebt.

Wende auf Russisch

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