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12.

Gut zu leben muss man nicht lernen, mit Reichtum umzugehen schon. Das dachte Oleg Morosow, ehemals Oberst und Leiter des KGB. Dieser unscheinbar kleine, korpulente Mann wurde in Kursk zu Sowjetzeiten gehasst und gefürchtet. Kurz vor dem politischen Umbruch erreichte er sein Rentenalter und ging nur noch seinem Hobby nach. Das war sein Garten, der in den Sommermonaten seine Zeit beanspruchte. Hier, in der Datscha, blieb er in der warmen Jahreszeit und zog Gemüse aller Art.

Seine geräumige Stadtwohnung wurde von einer älteren Frau, die lange Jahre in seinen Diensten stand, in Ordnung gehalten.

Seine Gedanken von Wohlstand und Reichtum kamen nicht von ungefähr. Er stand im ehemaligen Gewerkschaftshaus an der Garderobe und gab seinen Regenmantel ab. Im größten Raum hatte er über Jahrzehnte politische Versammlungen abgehalten. Nun war er zu einem modernen Koferenzraum umgebaut. Alles vom Feinsten, das Beste war gerade gut genug. Die Böden aus weißem, geschliffenem Marmor, gut plazierte Sitzgelegenheiten in schwarzem Leder, verteilten sich passend im Raum. Ein eleganter Tresen beanspruchte eine komplette Wand. Barhocker mit dunkelrotem Bezug passten sich der besonderen Note des Raumes an. Breite Spiegelflächen an den rötlich getönten Wänden, wurden von unzähligen Lichtquellen von der Decke angestrahlt.

Oleg stand unschlüssig am Eingang zum Tempel der Neureichen. Es hatten sich bereits einige Herren eingefunden, die in kleinen Gruppen diskutierend herumstanden. Ein junger Mann im dunklen Anzug kam auf Oleg zu und bat in freundlichem Ton um seine Einladung. Er trug eine silberfarbene Kennkarte mit der Aufschrift ´Security´. Die Herrschaften kennen ihren Wert, dachte Morosow amüsiert und holte sich am Tresen ein Glas Selterwasser. Er war in einem Alter, in dem man mit Alkohol sparsam umgeht.

Der Raum füllte sich, und es dauerte nicht lange, bis eine unauffällige Person auf Morosow zukam, eine leichte Verbeugung machte und ihm die Hand gab. Es war Sergei Guruv, stellvertretender Bereichsleiter der Staatsbahn im Bezirk Kursk. Morosow freute sich, ihn zu sehen. Sergei sollte vor Jahren sein Schwiegersohn werden, die beiden Männer kamen sehr gut miteinander aus. Doch es sollte nicht sein. Olegs Frau hatte auf einer Überlandstraße Probleme mit ihrem alten Lada und musste auf dem Seitenstreifen halten. Ein schwerer, überbreiter Militärlaster rammte den Lada, schleifte und schob den Wagen vor sich her, bis dann der Schrotthaufen die Vorderräder des Lasters blockierte und der LKW zum stehen kam. Seine Frau und die Tochter konnten nur noch in Teilen geborgen werden. Der Fahrer, ein Soldat, hatte seine Müdigkeit mit Alkohol aufgeputscht. Das Unglück lag schon zwanzig Jahre zurück und doch tat es noch weh, vor allem dann, wenn er seinen möglichen Schwiegersohn traf.

Als KGB Offizier hatte Morosow dafür gesorgt, dass das leidliche Thema: ´Alkohol am Steuer´, was in Russland besonders ausgeprägt war, durch die örtliche Presse, die ja letztlich gleichgeschaltet war, den Unfall ungewöhnlich aufbauschte. Die Justiz, ebenfalls nicht unabhängig, übertrieb den Fall enorm. Der unglückliche Verursacher war so verzweifelt, dass er sich am Zellengitter erhängte. Dadurch wurden die Toten auch nicht wieder lebendig und Morosow verlor keine weiteren Gedanken an den jungen Soldaten. Um diese Tragödie zu vergessen, stürzte er sich in seine Arbeit. Seine Arbeitswut verletzte oft gesetzliche Vorgaben. Er entwickelte sich zum menschenverachtenden Apparatschik.

„Was ist das hier für ein seltsamer Herrenclub“, fragte Morosow und sah sich auffällig um. Guruv schwenkte seinen Martini und trank das Glas in einem Zug leer.

„Was du hier siehst, nennt sich neuerdings ´Businessclass´. Alle diese Herren besitzen fast die Hälfte der ehemaligen Staatsbetriebe. Heute sind sie Aktionäre und steinreich. Über Seilschaften und ungesetzliche Machenschaften sind sie zu Geld gekommen und haben die Aktien, die der Staat anbot, gekauft. Im Ausland suchen sie entsprechende Partner, um ihre Unternehmen nach kapitalistischen und modernen Gesichtspunkten auszubauen und zu sichern.“

Morosow schüttelte den Kopf, steckte sich eine Papirossi an, blies den Rauch zur Decke und sagte: „Wer hätte das gedacht, aus Sowjetfunktionären werden über Nacht Wirtschaftsfunktionäre. Eine tolle Sache, das muss ich schon sagen.“

Er wandte sich an Guruv, schaute ihn mit seinen wässrigen Augen fragend an und sagte: „Nun erkläre du mir mal, warum ich eine Einladung erhalten habe?“

„In diesem erlesenen Club bekommt nur der eine Einladung, an dem ein tatsächliches Interesse besteht“, meinte Guruv.

Das war schon seltsam. Morosow hatte sich mit Haut und Haaren dem Kommunismus verschrieben. Sein Vater, Arbeiter im Stahlwerk, hatte ihn schon als Kind mit den Grundlagen des Marxismus-Leninismus vertraut gemacht. Auch die Mutter war überzeugte Kommunistin. Während seiner Militärzeit wurde er vom KGB angesprochen und verpflichtet. Eine lange und gründliche Ausbildung folgten. Es entwickelte sich ein Korpsgeist, der jedem das Gefühl vermittelte, einer elitäten Institution anzugehören, die jedem Bürger Angst einflößte. Sein Vater verlor sein Leben im Kampf gegen die deutschen Soldaten vor Moskau. Er starb nicht den Heldentod, er lag erfroren in einer Schüt-zenmulde, mit einer leeren Wodkaflasche in der Hand. Einzelheiten kannte Morosow nicht.

Die Gäste waren eingetroffen. Es gab kein Podium, es wurden keine Reden gehalten. Jeder fand seinen Partner, um mit ihm seine Interessen zu erörtern. Morosow kamen einige Gesichter sehr bekannt vor. Das wunderte ihn nicht, die Jahre hatten gezeigt, wie schnell die meisten Menschen ihre politische Überzeugung über Bord warfen. Sieben Jahrzehnte Indoktrination waren vergessen. Er konnte das als KGB Oberst nicht verstehen.

An der Bar war es voll. Jemand tippte ihm auf die Schulter. Als er sich umdrehte, stand Boris Dubin vor ihm.

„Boris, was treibt dich hierher“, fragte Morosow und gab ihm die Hand.

„Das könnte ich dich auch fragen“, erwiderte Boris Dubin. Er fand noch einen Platz am Tresen und bestellte sich ein Bier. Sergei Guruv verschwand und Morosow sah, wie er sich unter die übrigen Männer mischte.

Guruv und Morosow hatten sich lange nicht gesehen und Morosow fiel auf, wie stark Guruv gealtert war. Wahrscheinlich ist er krank, dachte er und wollte ihn nicht fragen. Boris war in diesem Haus Gewerkschaftssekretär gewesen. Das Gebäude war in den zwanziger Jahren gebaut worden und galt seitdem als historische Pilgerstätte. Lenin hatte hier große Reden gehalten. Wenn man wollte, spürte man noch den Hauch geschichtlicher Ereignisse.

„Ich muss mit dir reden, ich denke du kannst mir helfen“, sagte Dubin. „Es gibt Bestrebungen, den Ausverkauf der Staatsbetriebe einzuschränken. Es wird an Unternehmen gedacht, die im öffentlichen Interesse stehen und nicht verramscht werden dürfen. Unter anderem denkt man an die Staatsbahn der russischen Förderation.“

Morosow merkte, wie dieser alte, hagere Mann nervös mit den Händen versuchte, seinen Argumenten das nötige Gewicht zu geben.

„Oleg, dieser Ausverkauf unserer Werte ist unmoralisch, zumal dann, wenn sich geschäftstüchtige Gauner die Taschen füllen.“

„Boris, ich bin grundsätzlich deiner Meinung, aber was ist zu tun? Du weißt, ich bin seit Jahren nicht mehr im Dienst.“

„Ja ja, wir wissen das, aber wir wissen, dass du noch immer entsprechenden Einfluss hast“, sagte Dubin.

Morosow winkte ab, er hatte seit Jahren kaum noch Kontakt zum KGB, der jetzt FSB hieß. Er wusste, so eine Einrichtung, wie den Geheimdienst, kann man nicht einfach umkrempeln, selbst wenn man es wollte. Die Strukturen waren über Jahre so verfestigt, dass nur eine demokratische Institution von Außen den Laden auflösen könnte. So etwas gab es nicht und so etwas wollte man nicht. Diese Herren taten ihr Bestes, Angst und Schrecken zu verbreiten. Den Namen hatte die Geheimpolizei schon oft gewechselt, es hatte nichts zu bedeuten.

„Nun, sage mir, wie ich dir behilflich sein kann, ich werde es versuchen. Versprechen kann ich nichts“, sagte Morosow und war gespannt, was da auf ihn zukam.

Inzwischen war der Debattierclub in vollem Gang. Kellner nahmen Bestellungen entgegen und servierten Getränke. Es fiel auf, dass keine Frauen zu sehen waren. Geschäfte wurden in einer Männergesellschaft gemacht. Wo war die emanzipierte Frau, wo war sie geblieben? Morosow registrierte das, aber es interessierte ihn nur am Rande.

Lew Rabitschew hatte von Grigori Moskwin per Telefon Bescheid bekommen, sich wie vereinbart auf den Weg zur Grenze zu machen. Von Kursk bis Sutza war er zirka zwei Stunden unterwegs. Er hoffte, ohne Probleme mit dem alten BMW zur russischen Grenze zu kommen. Es regnete, schlechte Sicht und die Straße eine einzige Katastrophe. Ein so großes Land braucht vernünftige Straßen, dachte Rabitschew, aber sie waren so viele Jahre von Dummschwätzern regiert worden, dachte er weiter und versuchte langsam durch eine riesige Pfütze zu fahren. Es war schon dunkel, als er in Sutza ankam. Ein verlassener, schmutziger Grenzort. Der Übergang zur Ukraine bestand aus einer Holzbaracke, einem Schlagbaum, dem Fahnenmast und einer dürftigen Straßenlampe. Es sah trostlos aus. Am Schlagbaum hing ein weißes Schild mit schwarzer, russischer Schrift: ´Diese Grenze bleibt von 22 bis 6 Uhr geschlossen´.

Rabitschew fuhr an den Schlagbaum, stieg aus, um die Beine zu vertreten und sich umzuschauen. Er stand auf einem Schotterplatz, der wohl als Parkplatz diente. Einige Laternen warfen schummriges Licht. Im Halbdunkel konnte Rabitschew drei große Tieflader ausmachen, die mit Baufahrzeugen beladen waren. Die Zugwagen hatten russische Kennzeichen. Alles war dunkel und Rabitschew saß ratlos im Auto und wusste nicht weiter. Wo war Moskwin? Schliefen die Fahrer etwa in den Kabinen? Er sah auf seine Uhr, es war kurz nach Mitternacht. Rabitschew wollte bis Tagesanbruch warten und ein bisschen schlafen.

Auch auf der ukrainischen Seite war nichts zu hören und zu sehen. Hinter dem Niemandsstreifen sah er die Umrisse einer Baracke, auch der ukrainische Posten war nicht besetzt. Das gleichmäßige Trommelgeräusch des Regens ließ Rabitschew einschlafen.

Durch gleissendes Scheinwerferlicht wurde er aus seinem unruhigen Schlaf gerissen. Zwei Gestalten in langen Regenmänteln kamen auf ihn zu. Trotz Regenschutz konnte er eine Uniform und eine russische MP erkennen. Die Militärmützen, mit Nässeschutz versehen, zeigten die Hoheitszeichen der Grenztruppen. Einer öffnete die Wagentür und Rabitschew musste aussteigen. Der zweite Grenzer stand weiter weg und sicherte mit seiner Waffe den Vorgang. Rabitschew musste sich ausweisen und wurde registriert.

„Was machst du hier, mitten in der Nacht?“, wurde er gefragt.

„Ich soll den Transport der drei Fahrzeuge begleiten und sie nach Kursk überführen.“

„Du überführst gar nichts, die Schwerlaster werden beschlagnahmt, denn sie sind Diebesgut.“

„Das kann doch nicht sein“, empörte sich Rabitschew.

„Bist du taub?“

Er bekam einen Tritt in den Unterleib und ging zu Boden. Er wälzte sich auf dem nassen Schotter.

„Das Gesicht in den Dreck“, befahl der Grenzsoldat. „Du bleibst so lange liegen, bis wir dir Bescheid geben.“

Rabitschew merkte, dass die Fahrzeuge von russischen Grenzern kurzerhand übernommen wurden. Die Fahrer wurden unsanft aus den Schlafkabinen gezerrt, sie wurden gezwungen, hinter einem Militärjeep mit Blaulicht herzufahren. Hinter der Kolonne fuhren noch zwei weitere Wagen der Grenztruppe. Die ganze Aktion verlief mit viel Geschrei und Protesten und doch ging alles zügig.

Rabitschew zogen die Nässe und Kälte in die Glieder. Der Parkplatz lag wieder im Dunkel, von Ferne hörte er Hundegebell. Er rappelte sich auf, setzte sich in den alten BMW und fragte sich, was das sollte und wie es weiterging.

Von Grigori Moskwin war nichts zu hören oder zu sehen. Sollte der noch in der Ukraine sein, konnte er vor sechs Uhr nicht über die Grenze. Warum überhaupt dieser gottverlassene, selten benutzte Übergang, fragte sich Rabitschew. Er hatte sich peinlich genau an die Vereinbarung gehalten. Seine Hoffnung, schnelles Geld zu verdienen, war geplatzt. Zum Glück reichte das Benzin, um nach Hause zu kommen. Nichts wie weg hier.

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