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1.5 Untersuchungen zur baukulturellen Bildung

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Baukulturelle Bildung als bildungspolitische Aufgabe hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Seit der Jahrtausendwende wurden in europäischen Ländern wie England, Frankreich, Deutschland und Österreich Studien zur Förderung dieses Bildungsbereichs durchgeführt. Dennoch wird baukulturelle Bildung im Forschungszusammenhang zu wenig diskutiert (Million, Heinrich & Coelen, 2016). Angela Million und ihr Team kamen im Rahmen einer Untersuchung von mehreren baukulturellen Projekten im städtischen Umfeld und Interviews mit Kindern und Jugendlichen von acht bis 18 Jahren zum Schluss, dass die Diskussion über eine allgemeinbildende Baukultur notwendig sei, um junge Menschen für Stadtplanungsprozesse interessieren zu können. Die Forderung mündet in Umsetzungsvorschlägen wie «vielfältige Settings baukultureller Bildung kultivieren», «baukulturelle Bildung in der Schule verankern», den «gesamten (Stadt-)Raum als Bildungsraum nutzen», «familiäres Lernen berücksichtigen», «Zugänge über Materialien und Werkzeuge eröffnen», «digitale Lernwelten erschliessen», «baukulturelle Bildung mit Beteiligung verbinden», «Anleiterinnen weiterqualifizieren» (d. h. Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen und weitere Interessierte) oder «baukulturelle Bildungsangebote politisch fördern» (Million et al., 2019, S. 209 ff.). Insgesamt definiert die Studie vielseitige Handlungsfelder, die auch für andere Länder von Bedeutung sind.

Mit ihrer an der Natur orientierten Architektur und organischen Formensprache haben die Architekten Eliel Sarinnen (1873–1950) und Alvar Aalto (1898–1976) wesentlich zur finnischen Identität und dem damit verbundenen hohen Stellenwert der baukulturellen Qualität beigetragen. «Der Schlüssel zum Architekturverständnis», so zitiert Turit Fröbe aus dem architekturpolitischen Programm, «liegt vorrangig bei der Kunsterziehung sowie bei den umweltbezogenen Fächern, die die Belange der gebauten Umwelt einbeziehen» (ebd., S. 45). Die Architekturhistorikerin untersuchte 2018 im Rahmen einer Feldstudie an der Universität der Künste in Berlin die Auswirkungen der architekturpolitischen Massnahmen von 1998 in finnischen Bildungsinstitutionen beziehungsweise inwiefern diese Form der «Architecture Education» für andere Länder wegweisend sein könnte. Fröbe stellte fest, dass baukulturelle Bildung – nach einer anfänglichen Euphorie vor gut 20 Jahren – heute in den öffentlichen Schulen nicht mehr gelehrt wird als anderswo in Europa. Obgleich es in Finnland diese Programme gab, wurde offensichtlich zu wenig in die Koordination der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen investiert. Ein Problem besteht auch in der «Streichung des obligatorischen Architekturkurses», der im Rahmen des Kunstunterrichts in der Klassenstufe 1–7 stattgefunden hat (ebd., S. 65). Fröbe hält fest, «dass der Architekturunterricht an den Schulen auch aufgrund des Mangels an Lehrmitteln unzureichend sei» und kommt zum Schluss, schulische Projekte bedürften in der Vermittlung «einer gewissen Sinnlichkeit […], damit sie nicht abschreckend wirken» (ebd., S. 45). Deshalb empfiehlt sie baukulturelle Bildung für die Lehrenden «einfach» zu machen, weil Lehrpersonen sonst baukulturelle Inhalte nicht unterrichten würden (ebd., S. 156). Auf strategischer Ebene sollen darüber hinaus, «baukulturelle Leitlinien» entwickelt werden, die als «zentrale Bestandteile von Kunst und Kultur» gelten (ebd., S. 177). Es müsse ein Netzwerk aufgebaut werden beziehungsweise «es bedarf Akteurinnen und Akteure nach dem Vorbild des finnischen Special Advisors for Architecture im National Council for Architecture, welche die architekturpolitischen Massnahmen kommunizieren und als Ansprechpartnerinnen und -partner sowie Beraterinnen und Berater fungieren» (ebd., S. 67). Eine Implementierung der Vermittlung von Baukultur in den Schulen brauche zudem – etwa alle drei oder vier Jahre – einen Evaluationsprozess, um die Leitlinien einer regelmässigen Revision zu unterziehen (ebd., S. 178).

Der Verein Archijeunes fördert und koordiniert die baukulturelle Bildung in der Schweiz. Wie anfangs erwähnt hat er eine Analyse zum Bestand und Bedarf der baukulturellen Bildung in der Schweiz in Auftrag gegeben, um den Stand und die Bedürfnislage von Lehrerinnen und Lehrern an Schweizer Schulen zu ermitteln (Archijeunes, 2019). Insgesamt wurden 59 Dozierende an pädagogischen Hochschulen, 21 Lehrpersonen und 100 Schülerinnen und Schüler interviewt. Obwohl Baukultur nicht explizit unterrichtet wird, erkennen die Befragten bezüglich der Lerninhalte in bestimmten Fachbereichen Übereinstimmungen mit baukulturellen Inhalten. Diese betreffen insbesondere die Fähigkeiten zur Raumwahrnehmung, die Vorstellungsbildung, die Vermittlung von Strategien zur Entwicklung von Ideen, Entwurfstechniken und Ablauf von Gestaltungsprozessen (BG) sowie Fragen der Raumnutzung und Raumveränderung, Kartografie, menschliche Lebensräume und Lebensweisen, Kultur- und Siedlungsgeschichte (NMG), Konstruktion, Statik, Bauen und Wohnen sowie Handwerk und Verfahrenstechniken (TTG) (ebd., S. 45ff.). Ergebnis der Studie sind Empfehlungen zu folgenden Handlungsfeldern:

1Sensibilisierung für baukulturelle Bildung

2systemische Verankerung an Schweizer Schulen

3Kommunikation

4Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen

5Forschung und Entwicklung

6Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und Lehrmitteln

7Schulraum und Partizipation

8Rahmenbedingungen (ebd., S. 23ff.)

Zusammenfassend lassen die erwähnten Studien den Schluss zu, dass bis heute, zumindest in den genannten Ländern, geeignete, an die bildungspolitischen Gegebenheiten anschlussfähige Unterrichtskonzepte fehlen.

Kinder erkunden die lokale Baukultur (E-Book)

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