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OZEANBODENSPREIZUNG UND KONTINENTALVERSCHIEBUNG

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Schon im Jahr 1596 waren Geografen von der wechselseitigen Ähnlichkeit der Küstenlinien Ostsüdamerikas und Westafrikas fasziniert. Die detaillierte Übereinstimmung führte einige Menschen zu der Annahme, dass diese zwei Kontinente, und andere vielleicht ebenso, irgendwann im Laufe der Erdgeschichte einmal miteinander verbunden waren. Am vollständigsten wurde diese Theorie durch den Meteorologen und Polarforscher Alfred Wegener im Jahr 1912 entwickelt, doch ging seiner Arbeit eine ganze Reihe ähnlicher Publikationen anderer Autoren voraus. Neben den kartografischen Ähnlichkeiten verwies Wegener zum Beweis seiner Theorie der Kontinentalverschiebung (S. 29) auch auf Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Ränder der Kontinentalschelfe, der Gesteinstypen, der geologischen Strukturen sowie der Fossilien.

Heutige Veröffentlichungen über die Fachgeschichte der Geologie behaupten, dass Wegeners Vorstellungen zur Kontinentaldrift an mechanistischen Problemen scheiterten. Wegener war der Meinung, dass die Kontinente in einem See aus dichter, basaltischer Ozeankruste schwammen, die sich über lange Zeiträume wie eine zähe Flüssigkeit verhielt. Er glaubte, |29|dass sich die Kontinente aufgrund von Gezeitenkräften und/oder der Schwerkraft ihren Weg durch diese Flüssigkeit bahnten und sich ihre Ränder im Zuge dieser Bewegung zu Gebirgszügen verformten. Andere waren der Ansicht, dass sich die Kontinente aufgrund regionalen Auftriebs seitlich durch die basaltische Flüssigkeit schoben. Bemerkenswert ist die Theorie des britischen Geologen Arthur Holmes aus den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren, der zufolge die sich als Nebenprodukt radioaktiver Spaltung im Erdmantel entwickelnde Hitze Konvektionsströme im Mantel erzeugt, die vom Erdkern aus aufsteigen und sich lateral über die Manteloberfläche unseres Planeten ausbreiten. Nach diesem Modell saßen die Kontinente passiv auf dem seitwärts wandernden Mantel. Interessanterweise entspricht dies im Grunde dem Mechanismus, der heute für den Nachfolger von Wegeners Theorie der Kontinentalverschiebung angenommen wird, für die Theorie der Plattentektonik. Dennoch lehnten die meisten Geologen die Ozeanbodenspreizung bis in die 1960er-Jahre hinein ab. Dies bedeutet allerdings, dass die traditionelle Fachgeschichte irrt: Ein plausibler – und, soweit wir wissen, sogar der korrekte – Mechanismus war bereits Mitte der 1930er-Jahre vorgeschlagen worden. Doch zu jener Zeit war die Kontinentaldrift, wie auch der Katastrophismus, von den meisten aktiven westlichen Geologen, Geografen und Physikern in die Kategorie der „widerlegten“ Ideen verbannt worden.


Die Abbildung zeigt einen Teil von Alfred Wegeners Beweisen für seine Theorie der Kontinentalverschiebung. Erläuterungen sind im Text zu finden.

Wie Oreskes (1988, 1999) zeigte, kam die Lösung, wie so oft in der Wissenschaft, nicht durch das Postulieren eines neuen Mechanismus, in diesem Fall eines, der die Kontinente lateral über die Erdoberfläche treibt. |30|Vielmehr traten neue Entdeckungen hinzu, die selbst die größten Skeptiker dazu zwangen, die Neubewertung der Kontinentaldrift und die bereits entwickelten Mechanismen zu akzeptieren. Im Nachhall des Zweiten Weltkrieges wurden bei ozeanografischen Untersuchungen neue Beobachtungen gemacht, die die Theorie der Kontinentaldrift stützten. Forschungen zur Orientierung magnetischer Mineralien in Gesteinen zeigten, dass die magnetischen Pole der Erde im Laufe der Zeit ihre Position wechselten. Tiefenecholote der Ozeanböden erwiesen zudem, dass es in allen größeren Meeresbecken unterseeische Gebirgsketten gab, die ein einziges weltumspannendes Netz bildeten. Außer diesen Bergrücken mitten im Ozean existierte auch ein System aus sehr tiefen Unterseegräben, die sich oft neben großen Vulkaninseln befanden (z.B. Japan) oder neben hohen Gebirgsketten, zu denen kontinentale Vulkane gehörten (z.B. die Anden). Besonders überzeugend waren zwei Argumente: (1) Die Gesteine des Meeresbodens wiesen ein regelmäßig wiederkehrendes Muster aus einander abwechselnden Zonen normaler magnetischer Polarität und umgekehrter Polarität auf, die symmetrisch auf beiden Seiten des Meeresrückensystems verliefen. (2) Sowohl die vulkanischen wie die seismischen Aktivitäten konzentrierten sich vornehmlich auf die Meeresrücken und die Tiefseegräben. Diese Beobachtungen machten deutlich, dass die neue ozeanische Kruste an den mittelozeanischen Rücken entstand, sich im Laufe der Zeit von diesen Rücken wegbewegte und schließlich in den Tiefseegräben wieder verschwand. Diese |31|Informationen wurden Mitte bis Ende der 1950er-Jahre gesammelt, um Wegeners Theorie der Kontinentalverschiebung zu aktualisieren, die nun einen neuen Namen erhielt: die Theorie der Ozeanbodenspreizung – ein Name, der ironischerweise an Holmes’ Mechanismus erinnert, der mehr als ein Vierteljahrhundert zuvor erstmals vorgestellt wurde.


Diagramm der wichtigsten Abschnitte der Plattentektonik. Erläuterungen sind im Text zu finden.

Anschließende geophysikalische Studien des Meeresbodens und des tiefen Erdmantels führten zusammen mit theoretischen Studien zum Erdinneren zu einer Aktualisierung und Verfeinerung von Holmes’ Originalszenario, das heute unter dem Namen „Plattentektonik“ bekannt ist. Dieser Begriff bezeichnet eine Gruppe von Prozessen und Phänomenen, die mit der Tatsache in Verbindung stehen, dass die Erdoberfläche in ständiger Bewegung ist, wobei die Kruste der kontinentalen Landmassen auf der Oberfläche des Mantels schwimmt, der durch den vom Erdkern ausgehenden Hitzefluss in langsam fließende Konvektionszellen unterteilt ist. Aufgrund ihrer geringeren Dichte sitzen die relativ starren Kontinente passiv als Platten auf der schwereren, dichteren ozeanischen Kruste, die durch vulkanische Eruptionen an den divergierenden Plattengrenzen (= mittelozeanische Rücken, S. 30) entsteht und an den konvergierenden Plattengrenzen (= Tiefseegräben) wieder zerstört wird. Diese konvergierenden Plattengrenzen sind oft Schauplatz ungewöhnlich häufiger und starker Erdbeben, und auch Vulkane finden sich hier, wo die ozeanische Kruste zusammen mit den oberen Schichten des Mantels in die tieferen Mantelschichten hinabsinkt und die mitgerissenen Fragmente der kontinentalen Kruste mit den dazugehörigen Sedimenten von geringer Dichte eingeschmolzen werden und als Magma wieder an die Erdoberfläche aufsteigen.

Wegeners Spekulationen sowie die seiner Vorgänger, seiner Kollegen und seiner Schüler, die über viele Jahre in die „verrückte Ecke“ der Geologie gestellt wurden, erwiesen sich schlussendlich als korrekt. Die Formulierung der Theorie der Plattentektonik jedoch, ebenso wie die Formulierung von Darwins Theorie der natürlichen Selektion, war lediglich das Ende vom Anfang der Geschichte. Als die Plattentektonik erst einmal von der wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannt war, mussten so gut wie alle bisherigen geografischen Beobachtungen, die von Geologen und Paläontologen im Laufe des vorangegangenen Jahrhunderts gemacht worden waren, im Lichte dieser neuen Theorie erneut interpretiert werden, um eine detaillierte Einsicht in die Erdgeschichte zu erhalten. Dieser Prozess dauert bis zum heutigen Tag an. In der gegenwärtigen Forschung werden große Anstrengungen unternommen, um die ehemalige Position der Kontinente und die Gestalt der Ozeanbecken zu kartieren und mithilfe der daraus resultierenden paläogeografischen Karten zahlreiche Untersuchungen anzustellen, die von der Erkundung |32|der Wanderungsbewegungen verschiedener Tierarten bis zur Kartierung der Auswirkungen des Klimawandels in der fernen Vergangenheit reichen. Diese Bemühungen haben zu einem so detaillierten Verständnis der Erdgeschichte geführt, dass heutige Paläontologen die Position fast jedes Ortes auf der Erde in der geologischen Vergangenheit bis auf ± 10° geografischer Länge und Breite bestimmen können – unter der Voraussetzung, dass sich der Ort in einer stabilen Region der größeren Kontinentalplatten befindet.

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