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STRATIGRAFIE UND DIE GEOLOGISCHE ZEITSKALA

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Um Aussterbeereignisse im fossilen Befund zu erforschen, ist es notwendig, den relativen Zeitpunkt des Erscheinens und Verschwindens einer Art bestimmen zu können. Dies erfolgt mit Bezug auf die geologische Zeitskala, ein von Geologen entwickeltes System, das die Abfolge geologischer Ereignisse im Laufe der Zeit zusammenfasst. Das Grundprinzip der geologischen Zeitskala wurde von dem dänischen katholischen Bischof Niels Stensen, auch Nicolas Steno genannt, etabliert. In seiner Studie über Gesteine in der italienischen Toskana argumentierte er, dass die Gesteinsschichten am Boden einer Schichtfolge schon existiert haben mussten, bevor die darüber liegenden Schichten abgelagert werden konnten, und dass somit diese unteren Gesteinsschichten älter als die oberen sein mussten. Wendet man dieses „Superpositionsprinzip“ auf eine hypothetische Abfolge an (siehe unten), so verhält sich die Anordnung der Gesteinstypen nach ihrem Alter umgekehrt zur Anordnung nach ihrer Entfernung zur untersten Schicht der Abfolge, wobei die jüngsten Schichten ganz oben und die ältesten ganz unten liegen. Nach derselben Argumentation müssen Fossilien, die sich in Gesteinsschichten am Grund einer Abfolge von Sedimentgesteinen befinden, älter sein als jene, die in den oberen Gesteinsschichten vorkommen.


Stenos stratigrafisches Prinzip wird zur Bestimmung des relativen Alters von sedimentären Gesteinsschichten genutzt. In diesem Diagramm ist Schicht E (unten) am ältesten und Schicht A (oben) am jüngsten.


|33|Abgebildet sind zwei Diagramme, die das Konzept der fossilen Biozone erläutern. Das linke zeigt das Konzept der Biozone, die aus dem Vorkommen der Fossilien (Punkte) in den Sedimenten eines geologischen Schnitts oder Bohrkerns rekonstruiert wird. Rechts ist die Biozone einer ganzen Spezies dargestellt, die (theoretisch) Informationen aus allen geografischen Regionen und aus allen Schnitten/Bohrkernen zusammenfasst, in denen die betreffende Spezies vorkommt. Einzelne Schnitte/Bohrkerne können nur einen Teil der komplex strukturierten raum-zeitlichen Region abbilden, welche die gesamte Zone des Auftretens einer Art absteckt.

Fossilien erscheinen nur selten kontinuierlich durch alle Schichten von Sedimentgesteinen hindurch. In den meisten Schichtenfolgen ist das Auffinden eines Fossils ein seltenes – und somit sehr besonderes – Ereignis. Paläontologen suchen die Sedimentgesteinskörper nach Fossilien ab und wenn sie eines finden, bergen sie es für gewöhnlich, um es im Vergleich mit anderen Fossilien in Museumssammlungen zu identifizieren. Unabhängig davon, ob das Fossil noch im Aufschluss identifiziert werden kann oder nicht, notiert der Paläontologe gewissenhaft seine Lage in der Gesteinsfolge meist als Distanz von der Basis oder der Oberfläche des Aufschlusses beziehungsweise des Bohrkerns. Dies ist die stratigrafische Position oder Distanz des Fossils.

Mit immer weiteren Entdeckungen formt sich allmählich ein Bild davon, wie die fossile Spezies innerhalb des Gesteinskörpers (siehe oben links) verteilt ist, wie tief und wie hoch die fossile Art innerhalb der Schichtenfolge vorkommt, wie oft das Fossil auftritt und wie sich seine Verteilung zu der anderer Arten in derselben und anderen sedimentären Gesteinsfolgen verhält.

Aus der Forschung zu modernen Spezies ist bekannt, dass einige Arten auf spezielle Lebensräume beschränkt sind, während sich andere über viele verschiedene Lebensräume verbreiten. Beispielsweise tauchen die Überreste eines lakustrischen Fisches nur in Seesedimenten auf, während der Pollen einer am Seeufer wachsenden Kiefer prinzipiell in vielen verschiedenen Lebensräumen vorkommen kann, darunter auch in ebenjenem See. Da die unterschiedlichen Lebensräume durch unterschiedliche Sedimenttypen gekennzeichnet sind (die schließlich zu |34|unterschiedlichen Sedimentgesteinen werden), sind einige Fossilien auf bestimmte Formen von Sedimentgesteinen beschränkt, während andere sich in verschiedenen Gesteinstypen finden, die jeweils einen anderen Lebensraum widerspiegeln. Diejenigen Organismengruppen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Fossilien werden und eine große Umwelttoleranz besitzen, sind besonders wichtig für die Feststellung der zeitlichen Beziehungen zwischen den Gesteinsfolgen. Geologen nennen diese Fossilien Leitfossilien.

Mittels Leitfossilien werden die Zeitintervalle von Gesteinsschichten miteinander abgeglichen, die sich an unterschiedlichen Orten der Erdoberfläche befinden. Man kann sich das so vorstellen, dass die Verteilung einer fossilen Art in Raum und Zeit eine unregelmäßige Zone im Gestein bildet (siehe S. 33 oben rechts). Der unterste Punkt dieser Zone repräsentiert die Entstehung der Art, der oberste Punkt ihr Verschwinden. Die Form der Zone wird vom Muster der geografischen Ausdehnung und Schrumpfung der betreffenden Art bestimmt, welches die unterschiedlichen Zeiten des Erscheinens (Migration) und Verschwindens (lokales Aussterben) in lokalen Lebensräumen wiedergibt.

Leitfossilien sind Arten, deren Zonen – auch Biozonen genannt – geografisch weit verbreitet, zeitlich jedoch eng begrenzt sind und damit relativ kleine geologische Zeitintervalle markieren. Idealerweise sind Leitfossilien zudem durch eine schnelle Migration ausgehend vom Ort ihrer Entstehung charakterisiert, gefolgt von einem omnipräsenten Auftreten in vielen verschiedenen Lebensräumen und schließlich einem raschen Aussterben in allen lokalen Gebieten. Obwohl keine fossile Art in allen Punkten diesem Ideal eines Leitfossils entspricht, kann doch die Verteilung einiger Leitfossilien so betrachtet werden, als würden sie tatsächlich aufeinanderfolgende Zeitzonen im fossilen Befund markieren. Diese Biozonen bilden einen der grundlegenden Bausteine der geologischen Zeitskala.

Tabelle 2. Stratigrafische Klassifikation des obersten Zeitintervalls der Kreide.


Ein Zeitintervall aus der Oberkreide soll hier als Beispiel dienen. Die obersten drei Biozonen der Kreidezeit sind in Tabelle 2 dargestellt.

|35|Alle Sedimentgesteinsschichten, die in dem Zeitintervall abgelagert wurden, als die Ammonitenart Anapachydiscus terminus existierte, fallen in die Anapachydiscus-terminus-Biozone. Diese Biozone ist die oberste Einheit eines umfassenderen geologischen Zeitabschnitts namens Maastrichtium. Geologen ordnen alle während dieses größeren Zeitabschnitts abgelagerten Gesteine dem Zeitalter des Maastrichtiums zu. Den stratigrafischen (= Gesteins-)Abschnitt, der von den zum Maastrichtium gehörenden Gesteinen gebildet wird, nennt man die Maastricht-Stufe.

Das Maastrichtium ist die oberste Stufe einer umfassenderen Serie namens Oberkreide, die selbst die obere Serie des Systems der Kreide darstellt, welches wiederum das oberste System der Ära oder des Ärathems des Mesozoikums ist. Das Mesozoikum ist ein Teilabschnitt des Äons oder Äonothems des Phanerozoikums.

Der Verlauf der Zeit innerhalb des Phanerozoikums, das die letzten 540 Millionen Jahre der Erdgeschichte umspannt, wird hauptsächlich mit der Hilfe von Biozonen bestimmt. Davor scheint die Vielfalt des Lebens recht übersichtlich gewesen zu sein und war von Organismen geprägt, die sich auf dem Organisationsgrad von Sub-Eukaryoten (nackte DNS/RNS; Archaikum) oder Eukaryoten (von einer Lipid-Membran umschlossene DNS/RNS; Proterozoikum) befanden. Alle auf der Erde existierenden Gesteine und somit die gesamte Geschichte unseres Planeten kann in Zeitabschnitte eingeordnet werden, die zusammengenommen die geologische Zeitskala bilden. Wie die Periodentafel der chemischen Elemente ist auch die geologische Zeitskala ein grundlegendes Instrument der Wissenschaft. Sie ist das Ergebnis der Arbeiten unzähliger Geologen und Paläontologen, die mehr als 200 Jahre lang primäre stratigrafische Beobachtungen zusammentrugen. Eine komplette Aufstellung der aktuellen geologischen Zeitskala ist auf Seite 36 abgebildet.

Es ist wichtig, im Auge zu behalten, dass die geologische Zeitskala eine relative Zeitskala ist. Dank der Logik des Superpositionsprinzips ist die Existenz, die Genauigkeit und der Nutzen dieser Zeitskala davon unabhängig, ob den Grenzen der Zeitabschnitte absolute Daten zugeordnet werden. In einigen Fällen – zumeist wenn Schichten aus vulkanischen Sedimenten mit radioaktiven Materialien an oder in der Nähe von Abschnittsgrenzen deponiert wurden – ist es möglich, das absolute Alter einer Abschnittsgrenze mit radiometrischen Methoden zu bestimmen. Dem Großteil der wichtigen Abschnittsgrenzen wurden auf diese Weise absolute Daten zugewiesen. Dennoch besteht bei vielen dieser absoluten Datierungen ein beträchtlicher Fehlerspielraum. Während die Datierung der meisten Zeitalter-/Stufengrenzen im Allgemeinen mit der Zeit präziser geworden ist, haben sich die Daten, die diesen Grenzen zugeschrieben werden, verändert und werden sich auch in absehbarer Zukunft wieder ändern, da Proben an |37|neuen Lokalitäten entnommen und alte Lokalitäten neu beprobt werden und die Instrumente, die den Gehalt an Radioisotopen und die Produkte des radioaktiven Verfalls in diesen Proben messen, immer sensibler werden. Doch die relative Abfolge von Zeitintervallen ist im Vergleich zu den absoluten Daten ihrer Grenzen stabil geblieben, bemerkenswerte Beispiele sind das Mesozoikum und das Känozoikum. Wie wir noch sehen werden, wurden Aussterbeereignisse häufig für die Definition geologischer Zeitabschnitte herangezogen. Dabei diente das Aussterben einzelner Spezies zur Bestimmung vieler Biozonengrenzen, kleinere Aussterbeereignisse definierten Zeitalter-/Stufengrenzen und größere Aussterbeereignisse System-/Seriengrenzen und Ära-/Ärathemgrenzen.


Die geologische Zeitskala, veröffentlicht 2012 durch die Internationale Kommission für Stratigrafie. Um einen Eindruck davon zu erhalten, welchem Wandel die Zeitskala innerhalb von nur wenigen Jahren unterliegt, kann man dieses Diagramm mit der 2010 veröffentlichten Zeitskala vergleichen (http://www.stratigraphy.org/index.php/ics-chart-timescale). Ein Vergleich ist auch auf der Webseite der Amerikanischen Geologischen Gesellschaft möglich (http://www.geosociety.org/science/timescale/). Die fundamentalen Veränderungen betreffen eher das Alter der Grenzschichten, weniger die Namen und Abfolgen der wichtigsten Zeitalter und Epochen.

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