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HINTERGRUNDAUSSTERBEN

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Wie so oft im Leben sind es die großen, ungewöhnlichen, plötzlichen und zerstörerischen Ereignisse, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, besonders die der Medien. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle anderen Aussterben neben den „großen Fünf“ uninteressant oder unwichtig wären.

Um diese kleineren Stufen-Aussterbeereignisse von den fünf großen Massenaussterben zu unterscheiden, haben Raup und Sepkoski den Begriff „Hintergrundaussterben“ geprägt (siehe unten). Massenaussterbeereignisse werden von den meisten Forschern als außergewöhnliche Phänomene angesehen, die außergewöhnlicher Erklärungen bedürfen. Infolgedessen werden die Hintergrundaussterben oft mit den Aussterben verbunden, die durch den normalen darwinistisch evolutionären Prozess von Wettbewerb und natürlicher Auslese entstehen. Betrachtet man aber die nackten Zahlen, ist das Hintergrundsterben sehr viel bedeutender. Schätzungen zufolge fanden mehr als 95 Prozent aller Artensterben in der Geschichte des Lebens während der Zeitintervalle des Hintergrundaussterbens statt. Diese Tatsache allein macht das Hintergrundaussterben |57|zu einer wichtigen, wenngleich seltsamerweise gern übersehenen Kategorie in der Geschichte des Aussterbens. Darüber hinaus sind die Daten zum Hintergrundaussterben recht bemerkenswerte Beobachtungen, da sie ein ungewöhnliches und etwas unerwartetes Muster aufweisen: einen Gradienten im Hintergrundaussterben.


Aussterbedaten auf der Familienebene mit der linearen Regressionslinie, welche den Trend der abnehmenden Aussterbeintensität im Laufe der Zeit darstellt. Die graue Fläche zeigt eine Zone ± zwei Standardabweichungen von den Daten der linearen Regressionsneigung an. Die Aussterbeereignisse innerhalb dieser Zone sind traditionell als Ereignisse des „Hintergrundsterbens“ betrachtet worden, jene außerhalb dieser Zone als „Massenaussterben“. (Neuzeichnung nach Raup und Sepkoski 1982.)

Dieser Gradient wird in der Regel als eine lineare Rampe mit einer negativen Neigung durch die Zeit dargestellt (siehe links unten). Meist wird diese Rampe mithilfe einer Trendlinie (lineare Regressionsanalyse) beschrieben, manchmal bezogen auf den gesamten Datensatz der Aussterbeintensität, manchmal ohne die fünf großen Massenaussterben. Die Ergebnisse dieser Analyse zeigen, dass die Neigung des Hintergrundsterbens statistisch signifikant ist. Einige Forscher betrachten dieses Phänomen als Artefakt des Fossilbefunds und der geologischen Zeitskala, während andere es als ein Merkmal der Geschichte des Lebens interpretieren.

Gemäß der ersteren Deutung hat unsere Fähigkeit, moderne Arten detaillierter zu erforschen als fossile Arten, dazu geführt, dass Vertreter vieler fossiler Gattungen und Familien in modernen Biota entdeckt worden sind, und das oft recht weit entfernt vom letzten sichtbaren Auftreten von fossilen Vertretern der gleichen Gruppe. Da junge Fossilgruppen im Durchschnitt mit höherer Wahrscheinlichkeit neuere Arten enthalten als ältere, beeinflusst diese Tatsache das Überlebenspotenzial junger Gruppen und verringert gleichzeitig ihr mutmaßliches Aussterbepotenzial im Verhältnis zu den Schätzungen für ältere Gruppen, die mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit moderne Vertreter aufweisen. |58|Mit anderen Worten: Es ist zu erwarten, dass die durchschnittliche Aussterberate im Laufe der Zeit sinkt, weil wir einfach über mehr Beispiele der derzeitigen als der vergangenen Biodiversität verfügen. Dieses Phänomen wird als „Pull of the Recent“ (etwa: „Sog des Neueren“) bezeichnet. Hinzu kommt, dass sich die durchschnittliche Dauer der stratigrafischen Zeitalter verlängert, je weiter man in die Vergangenheit geht. Daher ist die Anzahl der möglichen Arten (und damit Gattungen, Familien usw.), die durchschnittlich in jeder Zeitstufe aussterben können, umso größer, je weiter man zurückgeht. Dieses Phänomen verzerrt auch die Aussterbedaten zugunsten höherer Aussterbeintensitäten in sehr alten Zeitintervallen. Beide Quellen der Verzerrung sind in unseren Aussterbedaten enthalten. Aber ist dies schon die ganze Geschichte des Aussterbegradienten?


Intensitätsdaten des Hintergrundsterbens für marine wirbellose Gattungen in den Stufen des Phanerozoikums. Der historische Verlauf ist basierend auf der Ausgleichs-Trendlinie und der Beurteilung der Variationsmuster um die Trendlinie herum in Intervalle unterteilt. Die Datenpunkte sind den stratigrafischen Intervallen farblich zugeordnet – rot: Paläozoikum; blau: Mesozoikum; grün: Känozoikum. Erklärungen sind im Text zu finden. (Neuzeichnung nach MacLeod 2004.)

Ausgehend von der Variation der Aussterbeintensitätswerte um die lineare Trendlinie herum kann man die Kurve in mehrere Segmente unterteilen. In den Intensitätsdaten des Hintergrundsterbens, die älter als 350 Millionen Jahre sind (siehe S. 57 unten), gibt es keinen signifikanten Trend. Zwar ist der abnehmende lineare Trend hier bereits vorhanden, doch geht die Variation der Datenpunkte um die Regressionslinie danach stufenweise zurück, wobei das Intervall von vor 350 bis vor 200 Millionen Jahren noch durch eine hohe Variation charakterisiert ist, während im Intervall von vor 200 Millionen Jahren bis heute bedeutend weniger Variationen auftreten. Keines dieser Muster in den Daten zum Hintergrundsterben kann durch den „Pull of the Recent“ oder durch den langfristigen Anstieg in der Dauer der stratigrafischen Zeitalter vorausgesagt werden. Außerdem weist eine Reihe von wichtigen Umweltindikatoren (z.B. Meereszirkulation, Anreicherung mit Sauerstoff, Stabilität), die marine und terrestrische Biota beeinflussen müssten, im Laufe des Phanerozoikums ebenfalls anhaltende lineare Muster auf (Martin 1996, MacLeod 2003). Ebenso wie die langfristigen Verzerrungsquellen in den Aussterbedaten müssen auch diejenigen Daten beachtet und ernst genommen werden, die zeigen, dass die Umwelt auf der Erde ein eigenes dauerhaftes Entwicklungsmuster besitzt, das sich in vielen Aspekten primär durch die Diversifikation des Lebens selbst herausgebildet hat.

Abgesehen von den bereits ausgeführten Faktoren wurden drei weitere Hypothesen vorgebracht, die dieses Charakteristikum der Aussterbegeschichte erklären sollen:

• Ein Trend zur Adaptation von Spezies an Randzonen, wobei Arten, die in diesen Habitaten überleben können, von Natur aus resistent gegenüber dem Aussterbedruck sind, der von einer sich verändernden Umwelt ausgeht.

• |59|Ein scheinbarer Trend zur Zunahme der Artenanzahl pro Abstammungslinie im Laufe der Zeit dank eines größeren für Paläontologen zugänglichen Aufschlussgebiets, wobei jüngeren Linien infolge einer scheinbar breiteren geografischen Verteilung eine Aussterberesistenz zugeschrieben wird.

• Makroevolutionäre Effekte der Invasion neuer Habitate durch ökologisch kritische Gruppen mithilfe der Entwicklung von Schlüsseladaptationen.

Wahrscheinlich haben alle diese Faktoren eine Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung des Gradienten des Hintergrundsterbens im Laufe der erdgeschichtlichen Zeit gespielt. Bevor die direkten Effekte eines jeden Faktors enträtselt und in ihrem eigentlichen Kontext verstanden werden können, sind allerdings viele weitere Forschungen nötig.

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