Читать книгу 13 Extra Urlaubsmorde August 2019 Krimi Sammelband 13002 - Pete Hackett - Страница 8

Die Todesdroge A. F. Morland

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Der Umfang dieses Buchs entspricht 108 Taschenbuchseiten.

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CIA-Agent Mike Borran muss tatenlos zusehen wie sein Kollege Malcolm Quiller entführt wird. Trotz intensiver Suche bleibt dieser verschwunden. Unterdessen wird Quiller von einem gewissenlosen Arzt ein Serum gespritzt, das ihn willen- und gefühllos werden lässt mit dem Ziel, ihn zu einem skrupellosen Handlanger von Doc Alpha zu machen. Erster Auftrag des kriminellen Multimilliardärs, der die Weltherrschaft anstrebt, ist der Mord an einer Staatsanwältin, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Alpha-Agenten hinter Gitter zu bringen. Da sie mit Malcolm Quiller befreundet ist, öffnet sie ihrem Killer arglos die Tür ...

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Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Prolog

Malcolm Quiller drehte sich nervös um. Er blickte durch die Heckscheibe. „Sie sind immer noch hinter uns, Mike!“

„Nur die Ruhe“, erwiderte Mike Borran. „Nicht die Nerven wegschmeißen, Quiller. Wir schlagen in Schuylerville noch einen Haken, und dann gucken die drei Alpha-Typen in die Röhre.“

So stellte er es sich vor. Aber so spielte es sich nicht ab. Der Haken gelang ihm zwar hervorragend, aber die Alpha-Jäger waren keine Dummköpfe. Vor allem ihr Fahrer hatte einiges auf dem Kasten. Er blieb dran, ließ sich nicht abhängen. Jeden raffinierten Trick hatte er bereits gekannt. Er war ein Fuchs. Ein Vollprofi.

Und am Weir Creek passierte es dann: Da trieben die Alpha-Agenten die beiden CIA-Agenten Mike Borran und Malcolm Quiller in die Enge.

Jetzt wurde die Sache haarig ...

1

Sie saßen in einem frisierten weißen Buick: Kirkie Cross, Raf Minelli und Abe Tenneray. Kerle ohne Gewissen. Verbrecherische Agenten, die ihre Seele gewissermaßen dem Teufel verschrieben hatten, der in diesem Fall Doc Alpha hieß.

Doc Alpha - ein größenwahnsinniger Multimilliardär, der die Weltherrschaft anstrebte. Jedes Mittel war ihm recht, um dieses Ziel zu erreichen. Er zettelte Kriege an, sorgte für Seuchen und Hungersnöte, wollte den ganzen Globus in ein furchtbares Chaos stürzen, und aus den Ruinen sollte dann seine brutale Herrschaft erstehen.

Männer, die nicht für Doc Alpha waren, waren automatisch gegen ihn, und wer gegen ihn war, der hatte in der Regel kein langes Leben. Feinde schaffte sich die Alpha-Organisation im Handumdrehen vom Hals, und einer ihrer erbittertsten Feinde war Mike Borran.

Er schlug der Vierten Macht Wunde um Wunde. Er stach in jedes Alpha-Wespennest und räucherte es aus. Viele Alpha-Pläne hatte er schon zunichte gemacht. Deshalb stand sein Name ganz oben auf Doc Alphas Liste. Der Führer der Vierten Macht hätte Mike lieber heute als morgen tot gesehen. Doch bis jetzt war es noch keinem Alpha-Agenten gelungen, Mike für immer auszuschalten.

Es wurde aber immer wieder aufs Neue versucht.

So wie in diesem Augenblick.

Diesmal hießen die Jäger Cross, Minelli und Tenneray, und sie waren nicht ungefährlich.

Die CIA-Agenten saßen in einem fuchsiaroten Chevrolet, den Mike Borran, die „Wunderwaffe“ der Agency, steuerte.

Wunderwaffe deshalb, denn Mike besaß als einziger Mensch die Fähigkeit, sich einmal in vierundzwanzig Stunden für zwei Stunden unsichtbar zu machen. Ein Strahlenunfall in den Kensington Labors von Los Angeles, in denen Mike als Forscher tätig gewesen war, hatte die Molekularstruktur seines Körpers verändert.

Diese außergewöhnliche Fähigkeit war mit ein Grund, weshalb Mike Borran den Gegnern immer wieder ein Schnippchen zu schlagen vermochte. Hinzu kamen Mut, Ehrgeiz, Intelligenz, Einsatzfreudigkeit, Kampfgeist, hohe Moral ... und eine Menge Dinge mehr.

Kirkie Cross knüppelte den Buick hinter dem Chevy her. Raf Minelli saß im Fond des Wagens. Er hatte eine israelische UZI-Maschinenpistole auf seinen Schenkeln liegen, und er war mit dieser Waffe in der Hand ein kleiner Zauberer. Niemand erzielte damit bessere Schussleistungen als er.

Abe Tenneray, ein Bursche mit jettschwarzem Haar, ein Schönling, der bei den Mädchen von siebzehn bis siebzig gut ankam, leckte sich aufgeregt die Lippen: „Jaaa!“, dehnte er. „Großartig, wie du das machst, Kirkie! Wir kriegen sie! Borran schafft es nicht, uns abzuschütteln!“

Cross war das genaue Gegenteil von Tenneray — er war grundsolide hässlich.

In seinem Gesicht passte nichts zusammen. Die Augen waren zu klein, das Kinn zu groß und sprang zu weit nach vorn, die Nase war mehrfach eingeschlagen, und seine Beißerchen hätten einem Krokodil alle Ehre gemacht.

Er grinste breit: „Diesmal hat es Borran mit keinem Trottel zu tun. Die Tricks, die er anwendet, um mich loszuwerden, hat mein Großvater schon in der Pfeife geraucht.“

„Weir Creek! Endstation!“, rief Raf Minelli übermütig. Er sah aus wie Adriano Celentano, hatte aber einen wesentlich mieseren Charakter als dieser.

Mike Borran raste soeben in eine Sackgasse.

„Ihr wisst, wie wir mit den beiden verfahren!“, sagte Abe Tenneray.

Cross nickte. „Borran machen wir fertig. Malcolm Quiller reißen wir uns unter den Nagel.“

„Weil wir mit dem noch Großes vorhaben!“, ergänzte Minelli.

Der CIA-Chevrolet schoss die Sackgasse bis zu ihrem Ende entlang.

Cross lachte. „Möchte wissen, wo Borran jetzt noch hin will.“

„Und wie eilig er’s noch hat“, kicherte Raf „Celentano“ Minelli.

Der fuchsiarote Chevy bog urplötzlich rechts ab. Er stieß in die Einfahrt eines Parkhauses hinein.

„Verdammt!“, sagte Cross, der von dem Parkhaus nichts gewusst hatte.

Tenneray winkte ab. „Lass nur, Kirkie. Borran liegt trotzdem bereits in den letzten Zuckungen.“

Der Chevrolet verschwand aus ihrem Blickfeld. Cross kitzelte die Touren des Buick hoch. Der weiße Wagen fegte durch die schmale Straße wie ein Torpedo durch das Abschussrohr.

„Vorsichtig!“, rief Kirkie Cross und trat kräftig auf die Bremse. Die Pneus quietschten. Das Auto rutschte über den Asphalt. Cross ließ es im engen Bogen auf die Einfahrt zuschlittern und stoppte millimetergenau vor dem Schlagbaum.

„Sag bloß, das hast du gewollt“, stöhnte Minelli, der mit zusammengepressten Zähnen auf den Aufprall gewartet hatte.

„Ich mach’ mit dieser Karre noch ganz andere Dinge“, lachte Cross. „Willst du mal dabei sein, wenn ich mich absichtlich mit 180 Sachen überschlage?“

„Vielen Dank, nein. Ich muss nicht von allem haben.“

Cross zupfte die Parkkarte aus dem Automaten, der Schlagbaum wippte hoch, und der Buick preschte sogleich die Auffahrt hinauf.

„Augen offen halten, Freunde!“, riet Abe Tenneray seinen Komplizen, während er seine Maschinenpistole aus dem Fußraum angelte. Es war auch eine UZI, und auch Cross stand so ein automatisches Feuerzeug zur Verfügung.

Der Buick schraubte sich im Parkhaus hoch.

Die Alpha-Agenten kontrollierten jedes Parkdeck. Die Etagen waren nicht nummeriert, sondern mit Buchstaben versehen: A, B, C, D, E, F, G ... Hier entdeckten die Männer der Vierten Macht das CIA-Fahrzeug.

Ein gemeinsames, triumphierendes Grinsen huschte über Tennerays Gesicht. „Jetzt haben wir die Brüder. Los, Freunde, spicken wir Borran mit Blei. Er hat sich das redlich verdient.“

2

Sie erreichten „G“ und sprangen aus dem Chevrolet. Mike Borran zog seinen Smith & Wesson-Revolver. Er warf seinem Kollegen über das rote Wagendach einen raschen Blick zu. „Alles okay, Malcolm?“

Quiller rümpfte die große gebogene Nase, sein Markenzeichen. Er war ein bulliger Kerl mit breiten Schultern und weißblondem Haar. Sein Hals war ein bisschen zu kurz geraten, aber das störte nicht. Wer ist schon perfekt?

„Wir sitzen ganz schön in der Tinte, Mike.“

„Wir kommen da schon wieder raus“, erwiderte Mike Borran optimistisch.

Der Alpha-Wagen schrillte die Auffahrtsschnecke hoch. Mike und Quiller gingen hinter einem Oldsmobile in Deckung. Sekunden später tauchte der weiße Buick auf.

Cross, Minelli und Tenneray hatten es sehr eilig, aus dem Wagen zu kommen. Quiller gab den ersten Schuss ab und er öffnete damit einen höllischen Feuerzauber, denn die Alpha-Agenten gaben jede Kugel, die in ihre Richtung flog, mehrfach zurück.

Ohrenbetäubend laut hämmerten die UZIs.

Die Alpha-Jäger schwärmten aus.

Mike Borran sah Kirkie Cross davonrennen und schoss sich auf ihn ein. Cross warf sich fluchend auf den Bauch und robbte in Sicherheit. Wenig später flitzte er hinter einem Kastenwagen hoch und ließ seine MPi Feuer und Blei speien.

Seine Kugeln zwangen Mike Borran in Deckung. Die Geschosse zertrümmerten die Heckscheibe des Oldsmobile, sie schrammten über das Wagendach und trommelten gegen die Betonwand.

Mike zog sich zurück.

Kugeln von Kirkie Cross und Raf Minelli rissen Löcher in den Oldsmobile-Tank. Mike hörte das Plätschern des auslaufenden Treibstoffs.

„Wir müssen weg von hier!“, raunte er seinem Kollegen zu.

„Okay. Wohin?“

„Das ist egal. Nur schnell weg. Ein Funke genügt, und wir werden zu Grillwürstchen!“

Mike wies auf das Benzin, das träge über den Boden floss. Als Quiller die rasch größer werdende Pfütze sah, stieß er erschrocken hervor: „Großer Gott!“

„Sag’ ich ja“, brummte Mike.

Sie setzten sich schießend vom Oldsmobile ab. Mit ihren Kugeln trieben sie die Alpha-Leute ein Stück zurück. Mikes Blick fiel auf eine Blechtür.

„Da hinein!“, rief er Quiller hastig zu.

Sie setzten ihren Rückzug fort. Mike erreichte die Tür als Erster. Er öffnete sie, ließ Quiller an sich vorbei, folgte ihm, warf die Tür zu. Malcolm Quiller stöhnte. Mike dachte, er wäre verletzt und drehte sich hastig zu ihm um, und nun sah er auch, was los war. Sie hatten sich selbst ins Aus manövriert. Sie saßen in der Falle. Sie befanden sich in einem schmalen Raum, der nicht einmal ein Fenster hatte, nur Lüftungsschlitze, durch die das Tageslicht fiel. Ein Raum, in dem Werkzeug aufbewahrt wurde.

„Das war’s dann wohl!“, sagte Malcolm Quiller enttäuscht. Er ließ seinen Revolver sinken.

Mike schüttelte hartnäckig den Kopf. „Nein, Malcolm, wir geben noch nicht auf. Noch sind wir nicht geschlagen.“

„Wir können aus diesem Raum nicht mehr raus, Mike!“, sagte Quiller eindringlich. „Der einzige Weg hinaus führt durch diese Tür, und vor der stehen drei Alpha-Killer“

„Die können da nicht ewig stehen bleiben“, sagte Mike. „Immerhin haben sie mit ihren UZIs ganz schön Rabatz gemacht. Das hat man bis weithin gehört. Es wird sich jemand finden, der die Polizei verständigt. Die Zeit ist auf unserer Seite. Wir brauchen nur dafür zu sorgen, dass die Alpha-Leute nicht hereinkommen.“

Sie wollten nicht hinein. Jedenfalls nicht sofort. Sie klopften an, und zwar mit Kugeln. Raf Minellis Geschosse bohrten Löcher in die Blechtür. Mike Borran warf sich augenblicklich zu Boden.

Seine Kopfhaut zog sich schmerzhaft zusammen, als er Quiller aufschreien hörte. Sein Kollege wurde herumgewirbelt, der Revolver entglitt seinen Fingern, knallte gegen die Wand und fiel auf den Boden.

Und Malcolm Quiller fiel wie ein gefällter Baum um.

Abe Tenneray hastete zu Minelli. Er drückte den Lauf von Minellis Maschinenpistole nach unten. „Das war nicht klug, Raf.“

„Wieso nicht? Borran befindet sich dort drinnen. Ich muss ihm nicht unbedingt in die Augen sehen, wenn ich ihn umlege. Hauptsache er ist tot.“

„Und Quiller? Denkst du an ihn nicht?“ Minelli machte eine wegwerfende Handbewegung. „Muss es denn unbedingt Quiller sein? Wenn er draufgeht, spannen wir eben einen anderen CIA-Agenten vor unseren Karren. Es gibt sie zum Schweinefüttern.“

Kirkie Cross gesellte sich zu seinem Komplizen. Er hatte den Schrei hinter der Tür vernommen. „Mindestens einen scheint es erwischt zu haben“, sagte er.

„Hoffentlich Borran“, brummte Minelli.

„Was nun?“, fragte Cross. „Lange können wir nicht hierbleiben. Die Bullen werden bald kommen.“

Abe Tenneray richtete sich vorsichtig auf.

Er lauschte. Nichts war zu hören. Kein Lebenszeichen hinter der zerschossenen Tür.

„Vielleicht hat es beide erwischt“, meinte Cross. „Der eine konnte noch schreien, der andere nicht mehr.“

„Was wirklich los ist, erfahren wir nur, wenn wir nachsehen“, bemerkte Raf Minelli. „Aber das ist nicht ganz ungefährlich. Es wäre theoretisch auch möglich, dass sich beide bester Gesundheit erfreuen und sich bloß tot stellen. Der Schrei dient dazu, um die Sache echter aussehen zu lassen.“

„Kommt“, entschied Abe Tenneray. Sie schlichen auf die durchlöcherte Tür zu. Mit Handzeichen bedeutete Tenneray seinen Komplizen, sich beiderseits der Tür zu postieren. Dann rief er: „Borran!“

Stille.

„Quiller!“

Keine Antwort.

„Kommt mit erhobenen Händen heraus!“, forderte Tenneray die CIA-Agenten auf. „Und ohne Waffen!“

Die Reaktion blieb aus.

„Ihr wisst, dass ihr keine Chance habt!“, rief Tenneray. „Wenn ihr euch ergebt, lassen wir euch euer Leben. Wenn ihr auf stur schaltet, legen wir euch eiskalt um. Habt ihr verstanden?“

Ja? Nein? Es war nicht zu eruieren, den hinter der Tür reagierte weiterhin niemand auf Tennerays Worte.

„Vielleicht sind sie wirklich alle beide hinüber“, sagte Kirkie Cross.

„Borran! Quiller!“, rief Abe Tenneray. „Ich zähle bis drei! Wenn ihr dann nicht herauskommt, holen wir euch!“

Nichts passierte. Kein Geräusch war zu vernehmen. Cross biss sich gespannt auf die Unterlippe. Die UZI lag schussbereit in seiner Hand. Sollten Borran und Quiller wider erwarten die Tür öffnen, so würde er, Cross, sofort Mike Borran unter Beschuss nehmen, und es würde ihm ein teuflisches Vergnügen bereiten, den verhassten Gegner im Kugelhagel zusammenbrechen zu sehen.

„Eins!“, rief Abe Tenneray, der die Angelegenheit lieber schon hinter sich gehabt hätte. Rasch zuschlagen und gleich wieder verschwinden, das war sein Stil, sein Erfolgsrezept. Dadurch war er noch nie in Schwierigkeiten geraten. Er wusste den Tatort stets rechtzeitig zu verlassen.

„Zwei!“, rief er. Seine Stimme wurde lauter.

Raf Minelli musterte Tenneray. Er hätte schon längst drei gesagt. Wozu diese Verzögerung? Wozu Rücksicht nehmen auf Quiller? Wenn beide Agenten starben, war das auch eine gute Lösung. Niemand würde ihnen deswegen Vorhaltungen machen.

Sie konnten sich später statt Quiller einen anderen CIA-Mann holen.

Mike Borrans Freund Johnnie McIntire zum Beispiel. Oder Ben Copley. Die Auswahl war groß.

„Drei!“, rief Tenneray endlich.

Doch hinter der Tür reagierte weiterhin niemand.

„Na schön“, knurrte Abe Tenneray. „Wenn sie’s nicht anders haben wollen ...

3

Mike Borran schluckte trocken. War Quiller tot? Der Kollege lag wie tot auf dem Boden. Mit dem Gesicht nach unten, Arme und Beine ausgestreckt. Wie ein großes X. Reglos. Wo hatte die Kugel Malcolm Quiller getroffen? Oder war er gleich mehrfach verletzt worden?

Mike kroch auf allen vieren zu ihm. Er drehte den Mann behutsam auf den Rücken. Quillers Gesicht war leichenblass, die Lippen fahl, die Augen geschlossen. Mike tastete nach Quillers Halsschlagader. Er spürte nichts. War er zu aufgeregt dazu? Er beugte sich über den Kollegen und legte sein Ohr auf dessen Brust.

Das Herz schlug noch.

Dem Himmel sei Dank, dachte Mike Borran.

Aufgeregt untersuchte er den Bewusstlosen, und er stellte erleichtert fest, dass Malcolm Quiller lediglich eine Schramme abgekriegt hatte, einen Streifschuss an der linken Schläfe. Aber die Kugel hatte ihn immerhin so hart erwischt, dass er die Besinnung verlor.

Draußen forderte einer der Alpha Agenten sie auf, rauszukommen.

Mike reagierte nicht darauf. Er bemühte sich, Quiller wachzukriegen. Er schüttelte ihn und schlug ihn auf die Wangen, doch Malcolm Quiller blieb bewusstlos.

„Mist!“, stieß Mike Borran leise hervor.

Draußen fing der Alpha-Agent zu zählen an. Mike dachte nicht daran, sich zu ergeben. Diese Kerle würde ihn mit Sicherheit nicht ungeschoren lassen, das hatten sie nur so gesagt. Das war kein Versprechen, an das sie sich zu halten gedachten.

Als Tenneray bei zwei anlangte, schaltete Mike Borran für einen Moment ab. Er konzentrierte sich auf den Strahlenunfall von einst, und als der Alpha-Jäger draußen „drei“ sagte, setzte in Mikes Kopf ein kurzer, bohrender Kopfschmerz ein. Das untrügliche Zeichen dafür, dass er nun nicht mehr zu sehen war.

Nach zwei Stunden würde Mike noch mal so einen Schmerz spüren und wieder sichtbar werden.

„Na schön“, hörte der Unsichtbare den Alpha-Mann sagen. „Wenn sie’s nicht anders haben wollen ...“

Mike zog sich zurück. Die Tür wurde aufgerammt, und drei UZIs wiesen in den Raum. Hinter den Waffen standen die Agenten der Vierten Macht. Ihre Mienen drückten grausame Entschlossenheit aus. Sie waren bereit zu töten.

Mike Borran kannte ihre Namen nicht, aber er prägte sich ihre Gesichter ein. Wenn er Glück hatte, war ihre Beschreibung im CIA-Computer gespeichert. Die Daten über die Vierte Macht und deren Mitglieder wurden laufend auf den neuesten Stand gebracht.

Abe Tennerays Augen weiteten sich verwundert. „Verdammt, ich sehe nur Quiller!“

„Ich auch“, sagte Kirkie Cross. „Leider.“

„Wo ist Borran?“, fragte Tenneray wütend. „Er hat sich doch mit Quiller in diesen Raum begeben.“

„Das konnte niemand von uns genau sehen“, bemerkte Raf Minelli. „Wir haben es angenommen. Vielleicht hat Borran vor der Tür die Kurve gekratzt. Er kann unter einen Wagen gekrochen sein.“

Kirkie Cross kreiselte augenblicklich herum. Er und seine UZI suchten Mike Borran, während sich Minelli zu Malcolm Quiller begab.

„Ist er tot?“, fragte Tenneray.

„Nein. Nur ohnmächtig. Streifschuss an der linken Schläfe.“

„Los, wir nehmen ihn mit!“, entschied Abe Tenneray.

„Und Borran?“

„Um den können wir uns jetzt nicht kümmern. Wir werden versuchen, ihn ein andermal zu kriegen.“

Sie packten Malcolm Quiller und schleiften ihn aus dem Raum. Mike hätte keine Mühe gehabt, die drei Alpha Agenten abzuschießen, aber er war kein Mörder. Er tötete nur in Notwehr, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Es widerstrebte ihm, sich mit diesen verbrecherischen Agenten auf dieselbe Stufe zu stellen.

Kirkie Cross sicherte mit seiner Maschinenpistole den Abtransport des CIA-Agenten. Tenneray und Minelli verfrachteten den Bewusstlosen im Fond des Buick.

„Borran ist wahrscheinlich längst über alle Berge“, sagte Minelli.

„Das will ich nicht so recht glauben“, erwiderte Tenneray. „Borran lässt keinen Kollegen im Stich. Es wäre eher sein Stil, wenn er versuchen würde, uns Quiller noch im Parkhaus wieder abzujagen.“

Minelli grinste. „Das soll er mal versuchen. Dann kriegt er die Bleiladung in den Bauch, die er schon lange verdient.“

Mike hatte einen Plan. Sobald die Alpha-Agenten mit Quiller abfuhren, wollte er ihnen folgen. Er würde sie gewissermaßen an der langen Leine traben lassen und sehen, wohin sie Quiller brachten und was sie mit ihm vorhatten.

Doch Kirkie Cross machte diesen Plan auf eine verdammt einfache Weise zunichte. Bevor er sich hinter das Buicksteuer setzte, trat er an die Blechtür. Ordnungsliebend wie er war schloss er die Tür und knallte den Riegel vor — und der Unsichtbare saß fest.

Mike hörte den weißen Buick abfahren. Er warf sich wütend gegen die Tür. Sie blieb zu. Da richtete er seine Waffe auf sie und zertrümmerte den Riegel mit mehreren Kugeln.

Jetzt war er frei.

Aber wertvolle Zeit war vergangen. Mike eilte zum Chevrolet, sprang hinein und raste los. Von G nach F, von F nach E, von E nach D — und so weiter. Den Drehwurm konnte man dabei kriegen. Endlich langte Mike Borran unten an. Er schob eine Münze in den Zahlschlitz. Der Schlagbaum hob sich, und ein Wagen, an dessen Volant niemand zu sitzen schien, verließ das Parkhaus.

Mike flitzte aus der Sackgasse. Hinter ihm bog nur wenige Augenblicke später ein Patrol Car der City Police ein. Mit heulender Sirene und Rotlicht.

Zu spät, dachte Mike Borran. Außer einer Bestandsaufnahme des Schadens gibt es für euch im Parkhaus nichts mehr zu tun. Schade. Wäre schön gewesen, wenn ihr ein paar Minuten früher dran gewesen wärt. Schön für Malcolm Quiller.

Mike sah den weißen Buick nicht mehr.

Das beunruhigte ihn.

An der nächsten Kreuzung musste er sich für eine von drei Straßen entscheiden. Welche Richtung hatten die Alpha-Agenten eingeschlagen?

Mike fuhr geradeaus weiter, und das war falsch. Er musste einsehen, dass es die Agenten der Vierten Macht geschafft hatten. Es war ihm nicht möglich, ihnen Quiller wieder abzujagen, und er hatte keinen blassen Schimmer, wohin sie ihn nun brachten.

Wütend fuhr er an den Fahrbahnrand und stieg aus. Niemand war in der Nähe, der sich darüber wunderte, dass sich die Autotür von selbst öffnete und auch wieder schloss.

An der nächsten Ecke stand eine Telefonbox. Auf die eilte der Unsichtbare zu. Ihre Tür schwang wie von Geisterhand bewegt auf. Mike fütterte den Automaten reichlich mit Geld, denn er wollte kein Ortsgespräch führen, sondern mit Washington telefonieren.

Genauer: mit Langley.

Noch genauer: Mit General Benson, seinem unmittelbaren Vorgesetzten.

Sobald die Verbindung zustande kam, nannte Mike Borran den Code, der ihn als CIA-Agenten auswies. Sekunden später hatte er Benson an der Strippe. „Es ist was passiert, Sir“, fiel der Unsichtbare gleich mit der Tür ins Haus. Er hatte keinen Nerv für lange Vorreden.

„Was?“, wollte Benson wissen. Er war ein harter Mann, der einiges vertragen konnte. Den warf nicht so schnell etwas um.

Mike berichtete im Telegrammstil. Als er erwähnte, dass sich die Alpha-Agenten Malcolm Quiller geschnappt hatten, stieß der General scharf hervor: „Und das konnten Sie nicht verhindern?“

Mike ärgerte sich. „Sie können mir glauben, dass ich mir Quiller wiedergeholt hätte, wenn es mir möglich gewesen wäre, Sir“, erwiderte er schneidend. „Aber die Kerle haben mich eingesperrt, ohne es zu wissen. Als ich die Verfolgung aufnahm, war ihr Vorsprung bereits zu groß.“

„Was haben die mit Quiller vor?“

„Keine Ahnung, Sir.“

„Die Sache gefällt mir nicht, Mike.“

„Mir auch nicht, Sir.“

„Können Sie die Männer beschreiben?“

„Ich habe sie mit meinen Augen fotografiert“, sagte Mike Borran und lieferte dem General drei Beschreibungen, mit denen sich sehr viel anfangen ließ.

„Ich lasse damit sofort den Computer füttern“, sagte Benson.

„Darum wollte ich Sie bitten, Sir.“

„Ich rufe Sie an, sobald ein Ergebnis vorliegt. Bleiben Sie in der Nähe des Telefons.“

„Okay, Sir“, sagte Mike und hängte ein. Ein Betrunkener torkelte die Straße entlang. Er brauchte für seine Serpentinen die gesamte Gehsteigbreite und blieb an der vermeintlich leeren Telefonzelle hängen.

„Hoppla ... hicks“, sagte er. „Die müssen doch auch ihre Telefonzellen immer ausgerechnet dorthin stellen, wo ich gehe.“

Er bekam die letzten Worte des Unsichtbaren noch mit. Da er in der Glasbox niemanden sehen konnte, blinzelte er verwirrt.

„Nanu“, sagte er schwerfällig. Er kicherte. „Junge, jetzt geht’s mit dir bergab. Andere sehen kleine grüne Männchen oder weiße Mäuse. Du hörst in ’ner leeren Telefonzelle jemanden telefonieren ... 'Okay, Sir', äffte er nach, was er vernommen hatte.

Verwundert sah er das Telefonkabel, das vom Apparat weghing und sich im Nichts verlor, denn kleinere Gegenstände wurden auch unsichtbar, wenn Mike Borran sie anfasste, und dazu gehörte der Telefonhörer.

Der Betrunkene wischte sich benommen über die Augen. Er sah, wie sich das Kabel bewegte, und gleich darauf hing der Hörer am Haken.

Der verstörte Mann schüttelte den Kopf und wich von der Telefonzelle zurück. „Da geht’s nicht mit rechten Dingen zu!“, keuchte er furchtsam. „In dieser Zelle steckt der Teufel!“

Er wirbelte auf den Hacken herum und suchte bestürzt das Weite. Mike sah den armen Mann, den er so sehr erschreckt hatte, in einer Kneipe verschwinden, und er war sicher, dass der Betrunkene sich jetzt gleich noch einen über die Lampe gießen würde.

4

Malcolm Quiller ächzte leise.

„Er kommt zu sich“, sagte jemand.

Quiller schlug die Augen auf. Er hatte Mühe, sie offen zu halten, und er nahm seine Umgebung nur verschwommen wahr. Seine Zunge lag wie ein dicker alter Boxhandschuh im Mund. In seiner Schläfe pochte ein brennender Schmerz. Er wollte danach greifen, doch etwas hinderte ihn daran, den Arm zu bewegen. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass man ihn gefesselt hatte.

Die gewohnte Sehschärfe stellte sich wieder ein. Quiller erkannte, dass er sich in einem schmucklosen Raum befand. Kahle Wände. Ein Bett, ein Nachttisch, ein Stuhl — und auf den war er gebunden.

Zwei Männer traten in sein Blickfeld: Kirkie Cross und Abe Tenneray. „Wie geht es Ihnen?“, fragte Tenneray.

Quiller erkannte die beiden wieder. Das waren die Kerle, die sie gejagt hatten. Ihr dritter Komplize fehlte, er befand sich nicht im Raum.

„Wo bin ich?“, wollte Quiller wissen.

Tenneray grinste ihn an „Bei guten Freunden.“

„Sie wollen mich wohl zum Lachen reizen.“

„Ist das Köpfchen wieder in Ordnung?“, erkundigte sich Kirkie Cross so, als würde er mit einem kleinen Jungen reden.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte Quiller.

„Wir möchten, dass Sie unsere Gastfreundschaft eine Weile in Anspruch nehmen“, antwortete Tenneray.

„Und wozu?“

Tenneray zuckte mit den Schultern. „Damit wir uns näher kennenlernen.“

„Ich lege darauf keinen Wert!“, sagte Quiller eisig.

„Es wird Ihnen an nichts fehlen“, versprach ihm Tenneray. „Wir werden dafür sorgen, dass Ihnen nichts abgeht. Hegen und pflegen werden wir Sie. Ja geradezu verwöhnt werden Sie von uns werden.“

„Ich warte auf die Pointe“, sagte Quiller ungerührt.

„Sogar eine ärztliche Betreuung werden wir Ihnen angedeihen lassen“, bemerkte Tenneray, ohne auf Quillers Worte einzugehen. „Ich bin sicher, dass wir eines Tages noch sehr gute Freunde werden.“

„In dem Punkt irren Sie sich gewaltig“, erwiderte Quiller furchtlos.

„Sind Sie sicher?“

„Ich wollte, ich wüsste alles so genau wie das.“

„Wir haben viel Zeit. Wir werden uns aneinander gewöhnen“, sagte Tenneray.

Malcolm Quiller kniff die Augen zusammen. „Was habt ihr mit mir vor? Wie lange wollt ihr mich hier festhalten?“

„So lange, wie es nötig ist.“

„Und was bezweckt ihr damit?“

„Sie werden für uns arbeiten.“

Obwohl seine Lage verdammt mies war, lachte Quiller laut auf. „Sie sind verrückt. Das erleben Sie nie!“

Tenneray wiegte den Kopf. „Man soll nie nie sagen, Quiller.“

„Ich will meine Karten offen auf den Tisch legen“, sagte Malcolm Quiller. „Bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bietet, haue ich ab.“

„Geben Sie sich keiner falschen Illusion hin“, entgegnete Tenneray. „Von hier kommen Sie erst weg, wenn wir damit einverstanden sind.“

„Was für eine Art von Arbeit sollte ich für euch erledigen?“, wollte Quiller wissen.

„Das teilen wir Ihnen noch rechtzeitig genug mit“, antwortete Abe Tenneray.

„Sowie ich hier rauskomme, lasse ich euch alle hochgehen!“, versprach Malcolm Quiller giftig. „Ich kann euch nicht riechen. Ihr stinkt. Ihr könnt euch mit der teuersten Seife waschen und in Eau de Cologne baden, ihr werdet trotzdem immer stinken!“

Kirkie Cross fand, dass Quiller frech war. Er schlug ihn mit dem Handrücken ins Gesicht. Der Schlag brannte auf Quillers Wange. Er riss ihm den Kopf zur Seite.

„Aber, aber, Kirkie“, rügte Tenneray grinsend seinen Komplizen. „So behandelt man doch keinen Freund.“

„Es gefiel mir nicht, was er sagte“, gab Cross grimmig zurück. Er starrte Quiller durchdringend an. „Hüte deine Zunge, Kamerad, denn wenn du mich reizt, schneide ich sie dir ab.“

„Das tut er nicht wirklich“, schaltete sich Tenneray ein. „Weil es nämlich nicht nötig sein wird. Sie haben der CIA heute ,Ade!‘ und der Vierten Macht ,Hallo‘ gesagt, Quiller.“

Der CIA-Agent biss die Zähne zusammen. Wenn er jetzt nicht auf den Stuhl gebunden gewesen wäre, wäre er aufgesprungen und hätte sich auf die beiden Gegner gestürzt.

Sie hatten ihn gekidnappt, aber sie hatten ihn deswegen noch lange nicht in ihr Lager hinübergeholt. Es gab nichts, womit sie ihn veranlassen konnten, für die Vierte Macht auch nur einen Finger zu rühren.

Er hasste und verachtete diese Organisation und alle ihr schurkischen Mitglieder, denen nichts heilig war. Niemals würde er mit ihnen gemeinsame Sache machen. Selbst wenn sie ihm drohten, ihn umzubringen, würde er von diesen Leuten keine Befehle entgegennehmen.

„Eure Rechnung geht nicht auf“, behauptete Malcolm Quiller.

„Denken Sie?“

„Mir kann nichts Schlimmeres passieren, als dass ihr mich umlegt. Damit rechne ich. Das ist das Risiko, das jeder CIA-Agent bewusst auf sich nimmt, sobald er in die Dienste der Agency tritt. Der Geheimdienst lässt keinen darüber im Unklaren. Jeder von uns weiß, dass der Job gefährlich ist.“

Abe Tenneray trat einen Schritt näher. Es funkelte böse in seinen Augen. „Sie halten sich wohl für einen verdammt harten Burschen, wie?“

„Ich denke, ich bin hart genug, um euch zu trotzen“, sagte Quiller von oben herab.

Tenneray grinste. „Es stimmt nicht, dass wir bloß dieses eine Druckmittel gegen Sie in der Hand haben, Quiller. Für wie dumm halten Sie uns? Uns ist natürlich klar, dass Sie nötigenfalls zu sterben bereit sind. Aber wir werden Ihnen keinen Heldentod ermöglichen. Die Freude machen wir Ihnen nicht. Sie werden Ihr Leben behalten, und Sie werden für Alpha arbeiten.“

Quiller bleckte die Zähne. „Verraten Sie mir, wie Sie dieses Kunststück fertigbringen?“

„Mein lieber Quiller, wir haben die Möglichkeit, einen Mann zu vernichten, ohne dass er stirbt.“

„Sie machen mich neugierig“, knurrte Malcolm Quiller.

Tenneray schmunzelte. „Bald wird es nicht mehr nötig sein, Sie zu fesseln. Sie werden dann von uns auch nicht mehr eingeschlossen. Sobald wir erkennen, dass Sie auf unserer Seite stehen, können Sie sich in diesem Haus und auf dem gesamten Grundstück frei bewegen.“

Quiller rief sich noch einmal die Schießerei im Parkhaus ins Gedächtnis, und plötzlich fuhr ihm ein Eissplitter ins Herz. „Befindet sich Mike Borran auch in diesem Haus?“

„Nein“, antwortete Kirkie Cross knapp. Malcolm Quiller verstand die Antwort falsch. Er vermutete, dass Mike Borran weniger Glück als er gehabt hatte. Die Alpha-Agenten hatten die Tür durchsiebt. Er, Quiller, hatte nur einen Streifschuss abgekriegt. Und Mike Borran? Hatten ihn die Kugeln voll erwischt?

„Ist ... Borran tot?“, fragte Quiller stockend.

„Noch nicht“, erwiderte Tenneray. „Aber er wird es bald sein.“

„Der gottverdammte Hurensohn ist uns entwischt“, knurrte Kirkie Cross. „Aber er hat keinen Grund, sich darüber zu freuen. Irgendwann kriegen wir ihn wieder vor unsere MPis, und dann geht’s ihm an den Kragen.“

Quiller freute sich für Mike, dass er es geschafft hatte, und in ihm brannte mit einem Mal ein kleines Hoffnungsflämmchen. Mike Borran würde alles daransetzen, um ihm aus der Klemme zu helfen. Mike war ein guter Mann. Der Beste, der für die CIA arbeitete. Früher oder später würde er hier aufkreuzen und reinen Tisch machen.

Tenneray schnippte mit dem Finger. „Geh und hol Dr. Cranston“, sagte er zu Cross. „Ich leiste meinem Freund inzwischen Gesellschaft.“

„Sie können ruhig auch gehen“, sagte Quiller. „Ich vermisse Sie bestimmt nicht.“

Der hässliche Cross verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. „Nein, wie vorlaut der Typ sein kann. Schlag ihm doch aufs Maul, Abe.“

„Nein, das tu’ ich nicht. Wir kriegen ihn auch so klein.“ Tenneray zeigte mit Daumen und Zeigefinger drei Zentimeter. „So klein wirst du bald sein, Malcolm Quiller. Mit Hut!“

„Ich wette dagegen“, sagte der CIA Agent.

„Die Wette gilt.“

„Ihr schafft mich nicht“, zischte Quiller trotzig.

„Du wirst nicht leben und nicht tot sein“, kündigte Abe Tenneray dem Gefangenen an. „Wir befinden uns im Besitz von Psychopharmaka, die jeden Widerstand brechen. Eigens für harte Burschen wie dich in den Alpha-Labors entwickelt. Glaub mir, Quiller, du kannst jetzt noch so große Töne spucken, in Kürze erkennst du dich selbst nicht wieder.“

Die Tür öffnete sich, und Kirkie Cross trat mit Dr. Hoss Cranston ein. Der Mann sah widerlich aus. Er lächelte schmalzig und hatte öliges schwarzes Haar, das an seinem runden Kopf klebte. Er trug eine Bereitschaftstasche in seiner Rechten und eine Hornbrille auf der Nase, die er jetzt mit dem Zeigefinger hochschob.

„Aha“, sagte Malcolm Quiller verächtlich. „Das ist also Dr. Jekyll.“

„Der aus dir Mr. Hyde machen wird“, sagte Tenneray. „Dich wird bald kein Gewissen mehr plagen. Du wirst zwischen Gut und Böse nicht mehr unterscheiden können, wirst alles für richtig halten, was wir dir sagen.“

Quiller versuchte sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen. Er hatte Angst. Er wusste, dass Tenneray nicht bluffte. Was dieser Mann sagte, war garantiert die Wahrheit. Bestimmt war er, Quiller, nicht der Erste, an dem sie ihre Teufelsdroge ausprobierten. Sie hatten Erfahrungswerte. Sie wussten, dass jedermanns Widerstand zusammenbrechen würde, wenn sie ihm ihr Mistzeug in die Ader jagten.

„Doc Cranston“, sagte Tenneray mit einem süffisanten Lächeln. „Ihr neuer Patient möchte Ihre Bekanntschaft machen.“

Hoss Cranston spielte das Theater mit. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Quiller“, sagte er höflich. Er stellte seine Bereitschaftstasche ab.

„Haben Sie auch mal den hippokratischen Eid abgelegt, Cranston?“, fragte Quiller.

„Aber sicher. Jeder Arzt muss das tun“, erwiderte Doc Cranston und öffnete die Bereitschaftstasche.

„Kommen Sie sich nicht verdammt schäbig vor, wenn Sie für die Vierte Macht arbeiten?“, fragte Quiller.

„Warum sollte ich?“, gab der Arzt zurück. „Alpha zahlt gut, und niemand kann von mir verlangen, dass ich meinen Beruf nicht ausübe.“

„Sie haben sich zum Handlanger von Verbrechern gemacht!“

„So sehen Sie das. Ich seh’s anders.“

„Kann man das?“

„Aber ja.“

„Wie denn?“

„Ich stelle der Vierten Macht meine ärztlichen Kenntnisse zur Verfügung und helfe jenen Menschen, die Hilfe brauchen.“

„Zählen Sie mich dazu?“

„Selbstverständlich. Sie haben meine Hilfe dringend nötig, mein Lieber. Sie wissen es nur nicht. Sie haben einen schlimmen Schock erlitten und sind nun psychisch völlig durcheinander, aber seien Sie unbesorgt, ich kriege Sie schon wieder hin. Mir stehen ausgezeichnete Mittel zur Verfügung, die ich Ihnen selbstverständlich kostenlos verabreiche.“

„Wie edel“, spottete Quiller. „Ich krieg’ dafür nicht mal eine Rechnung von Ihnen präsentiert.“

„Es würde sich mit meiner Moral nicht vereinbaren lassen, zweimal zu kassieren“, meinte Doc Cranston trocken. Er füllte vor Malcolm Quillers Augen eine Spritze. „Ärmel hoch“, verlangte er.

Kirkie Cross war es ein Herzensbedürfnis, dies zu tun. Er riss Quillers rechten Ärmel nach oben, Hoss Cranston reinigte mit einem Tupfer, den er mit Wundbenzin getränkt hatte, die Einstichstelle, und dann jagte er dem CIA-Agenten die Kanüle in den Arm.

Quiller zuckte leicht zusammen.

„Der Teufel soll euch alle holen!“, knirschte er, während er spürte, wie ihm warm wurde. Sein Mund trocknete aus. Schweißperlen traten auf seine Stirn. Eine heiße Woge überrollte ihn. Vor seinen Augen verschwammen die verhassten Gesichter. Sie verschwanden in einem blutroten Nebel. Angst krallte sich in Quillers Herz und er hatte das Gefühl zu sterben. Sein Kopf sank auf die Brust. Er wurde wieder ohnmächtig.

„Haben Sie ihm auch nicht zu viel gespritzt?“, fragte Abe Tenneray. „Der Mann wird noch gebraucht.“

„Keine Sorge. Am Anfang reagieren sie immer so heftig. Mit der Zeit wird er das Serum besser vertragen.“

Tenneray lachte. „Und schließlich wird er ein vollwertiges Alpha-Mitglied sein. Ohne Gewissen. Ein gefährliches Tier, das wir nach Belieben loshetzen können.

5

Der Anruf aus Washington erreichte Mike Borran um zwanzig Uhr in seinem Hotelzimmer. Es war aber nicht General Benson am Apparat, sondern Mikes Freund Johnnie McIntire.

„Irgendwas Neues?“, erkundigte sich der rothaarige, sommersprossige Hüne irischer Abstammung. „Versuchten die Alpha-Leute mit dir Kontakt aufzunehmen, Mike?“

„Nein. Nichts“, erwiderte Mike Borran. „Ich wollte, ich wäre dabei gewesen, als es zu der Schießerei kam.“

„Du hättest das Kraut auch nicht fett gemacht“, gab Mike mürrisch zurück. „Es nagt in dir, wie?“

„Kannst du laut sagen. Ich wollte, ich könnte das Ganze noch mal ablaufen lassen.“

„Was würdest du dann anders machen?“

„Ich hatte meine Kanone in der Hand. Vielleicht hätte ich auf die verdammten Kerle schießen sollen.“

„Als Unsichtbarer? Gewissermaßen aus dem Hinterhalt? So etwas kriegst du nicht fertig, Mike.“

„Und weil ich’s nicht kann, sitzt Malcolm Quiller nun in der Tinte — und ich weiß nicht einmal, wo.“

„Du findest es raus, Mike“, sagte McIntire zuversichtlich. „Du stellst Quiller für uns wieder auf die Beine.“

„Das bin ich ihm schuldig.“

„Unsinn, Mike. Schuldig bist du ihm gar nichts. Ihr habt euch beide in derselben Lage befunden. Quiller stand leider deine einmalige Fähigkeit nicht zur Verfügung, das war sein Pech. General Benson hat mir aufgetragen, dich anzurufen. Hör zu, Junge, du kommst gleich wieder ins Spiel. Unser Computer warf drei Namen zu deinen Beschreibungen aufs Papier. Ihr hattet es im Parkhaus mit Kirkie Cross, Raf Minelli und Abe Tenneray zu tun.“

„Wer ist wer?“, wollte Mike Borran wissen.

„Der Schönling ist Tenneray. Der Hässliche ist Cross. Dreimal darfst du raten, wie der heißt, der Celentano so ähnlich sieht.“

„Minelli.“

„Schon gewonnen“, sagte Johnnie McIntire.

„Na schön, jetzt haben wir also die Namen. Ist das alles?“

„Momentchen, Momentchen. Ich bin in der Lage, noch etwas nachzuliefern. Nicht mehr viel, aber der Mensch muss sich auch über Kleinigkeiten freuen können. Hast du was zum Schreiben bei der Hand?“

„Ja“, sagte Mike und zückte seinen Kugelschreiber. Neben dem Telefon lag eine Zeitung. Ihr Rand war bestens geeignet für Notizen.

„Dann notier mal schön“, sagte McIntire. „Die Bar nennt sich ,Valentino‘. Clasons Point. 2534 Lafayette Avenue. Das Mädchen, das da arbeitet, heißt Dolly Dallas.“

„Künstlername?“

„Möglich.“

„Was will ich von der Kleinen?“

„Soviel uns bekannt ist, hat sie ein sehr großes Herz, und einer ihrer Freunde ist Abe Tenneray.“

„Ah, jetzt ist der Groschen gefallen.“

„Such sie auf, mach ihr schöne Augen. Wenn du’s geschickt anstellst, verrät sie dir vielleicht, wo du Tenneray findest. Wenn du ihn hast, hast du wahrscheinlich auch Raf Minelli bald, und von dem zu Kirkie Cross kann es nur noch ein Katzensprung sein.“

„Wie du mir das servierst, steht mir der reinste Spaziergang bevor.“

„Würde ich sagen“, erwiderte McIntire. „Solltest du auf unerwarteten Widerstand stoßen und Hilfe brauchen, weißt du, wo du mich erreichst.“

„Ich werde mich nicht scheuen, dich anzurufen, wenn ich allein nicht mehr klarkomme.“

„Wir verstehen uns.“

„Wie immer.“

„Hals- und Beinbruch, Mike.“

„Bein würde reichen“, erwiderte Mike Borran und legte auf.

6

Er hatte wirre, wahnsinnige Träume. Er flog durch die Unendlichkeit, befand sich in einer violetten Welt, hatte Todesangst und klapperte vor Kälte mit den Zähnen. Kalter Hass brannte in seinem Herzen. Er sah Gesichter von Menschen, die ihm etwas bedeuteten: Vater, Mutter, Bruder, er sah Kollegen, Freunde. Auch Mike Borran sah er. Doch er empfand nichts mehr für all die Leute. Es hätte ihm nichts ausgemacht, sie umzubringen.

Darüber erschrak er so sehr, dass er verzweifelt aufschluchzte.

Davon wurde er wach.

Verstört blickte er sich um.

Er befand sich immer noch in diesem nüchternen Raum. Es war dunkel, er war allein. Sein Hemd war durchgeschwitzt, er hatte Durst, war hungrig. Sein Gleichgewichtssinn war gestört. Der Raum schien zu wackeln und zu schwanken.

Quiller befürchtete, mit dem Stuhl, auf dem er saß, umzufallen.

Er bemerkte, dass er Tränen in den Augen hatte, konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal geweint hatte. Die Arbeit beim amerikanischen Geheimdienst hatte ihn hart gemacht. Er hatte gedacht, er wäre keiner Tränen mehr fähig.

Es musste die Droge gewirkt haben, dass er wieder weinen konnte. Das Teufelsserum, das ihm Doc Cranston gespritzt hatte.

Sie kriegen dich weich, sagte er sich. Sie machen dein Herz hart und gefühllos. Eine Kostprobe hat dir der Alptraum soeben geboten. Sie kriegen dich dorthin, wo sie dich haben wollen.

Sie degradieren dich zum willenlosen Befehlsempfänger, dachte Quiller verzweifelt. Du kannst nicht dagegen ankämpfen. Doc Cranston wird dich so lange mit diesem Satanszeug vollspritzen, bis du deine Identität verlierst und nicht mehr weißt, wer du bist und wohin du gehörst.

Du musst fort von hier!

Er fühlte sich schwach. Die Droge kreiste immer noch in seiner Blutbahn. Aber sein Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen, war noch stärker als sie. Mit wie vielen Injektionen würde man seine Widerstandskraft atomisieren können? Wie nachhaltig wirkte dieses Mittel?

Quiller wollte kein unzurechnungsfähiger, psychisch kranker CIA-Agent werden, auf den sich seine Kollegen nicht mehr verlassen konnten.

Genau das wollten die Alpha-Leute aber aus ihm machen.

Er spannte die Muskeln, versuchte die Fesseln zu sprengen. Es gelang ihm nicht. Die Stricke aus widerstandsfähigem Nylon saßen zu straff. Je mehr er sich anstrengte, desto tiefer und schmerzhafter schnitten sie in sein Fleisch, und umso matter wurde er.

Das Alpha-Serum höhlte ihn aus. Er fühlte sich krank.

Verzweifelt schüttelte er den Kopf. „Ich will nicht!“, keuchte er. „Ich will das nicht!“

Er warf sich zornig hin und her. Der Stuhl wackelte. Und dann fiel Quiller um. Hart landete er auf dem Boden. Er schlug mit dem Kopf auf, und ein dumpfer Schmerz quälte ihn.

Mühsam versuchte er vorwärtszukriechen. Zentimeter um Zentimeter schob er sich auf die Tür zu. Fingerdick glänzte der Schweiß auf seinem Gesicht, das von der großen Anstrengung verzerrt war.

Als er die Tür erreicht hatte, blieb er einige Minuten liegen, um wieder zu Kräften zu kommen. Dann mühte er sich ab, aufzustehen, doch damit hatte er kein Glück.

Er musste resignieren.

Schritte drangen an sein Ohr. Die Tür wurde aufgeschlossen, Licht flammte auf, und Kirkie Cross versetzte ihm einen schmerzhaften Tritt. Quiller hatte das Gefühl, sein Brustbein würde entzweibrechen, und eine Woge des Hasses stürzte über ihn hinweg, wie er es noch nie erlebt hatte. Daran musste die Alpha-Droge schuld sein. Sie ließ ihn ungemein stark hassen. Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, hätte er Cross in diesem Moment mit bloßen Händen erwürgt. Entsetzt registrierte er, dass er nicht die geringste Hemmung gehabt hätte, diesen Mann zu ermorden.

Cross grinste ihn herausfordernd an. „Dein Gesicht solltest du jetzt sehen, Quiller. Du würdest mich jetzt wohl am liebsten zerfleischen, wie?“

Kirkie Cross packte den CIA-Agenten und stellte ihn mitsamt dem Stuhl auf.

„Hattest du vor, ’nen kleinen Ausflug zu machen?“, höhnte Cross.

„Geh zur Hölle!“

„Halt die Klappe, sonst schlage ich dir die Zähne ein“, erwiderte Cross. Er hatte einen Blechnapf mitgebracht, in dem sich Rindfleisch mit Teigwaren und Soße befanden. „Essen gibt’s.“

„Ich will nichts“, knurrte Quiller, obwohl er hungrig war.

„Du musst essen.“

„Friss den Dreck selbst.“

„Würde ich gern tun, geht aber nicht. Doc Cranston hat mir aufgetragen, darauf zu achten, dass du alles verputzt. Mach’s Maul auf!“

Quiller gehorchte nicht.

Cross schlug ihm den Löffel auf die Lippen, und wieder überwältigte Malcolm Quiller dieses unbändige Hassgefühl. Die Droge wirkte bereits. Er versuchte aufzuspringen, doch Cross rammte ihm die Faust gegen die Rippen und hieb ihm die Luft aus der Lunge.

„Du wirst artig essen, sonst setzt es eine Tracht Prügel!“, sagte Cross. „Ein Löffel für mich, ein Löffel für Abe Tenneray, ein Löffel für Raf Minelli, ein Löffel für Doc Alpha — und im Nu bist du fertig.“

Cross zwang ihm jeden Bissen hinein. In Quillers Brust hatte nur noch ein Gefühl Platz: Hass! Hass! Hass! „Ich bring’ dich um!“, knurrte er wie ein tollwütiges Tier. „Ich schwör’s dir, ich bring’ dich um!“

7

An der Wand hingen Kandelaber aus der Zeit Rodolfo Valentinos. Die ganze Bar war nostalgisch aufgeputzt. Nur die Girls waren nicht von gestern. Mike Borran enterte einen Storchenbeinhocker und winkte dem Keeper.

„Was darf’s sein, Sir?“

„Kräuterbier“, sagte Mike. Er bekam das Gewünschte umgehend. „Netter Laden.“

„Sind Sie zum ersten Mal hier?“

„Ja“, sagte Mike.

„Sie werden von nun an öfter kommen“, sagte der Barkeeper überzeugt.

„Was macht Sie so sicher?“, fragte der Agent.

„Bei uns fühlt sich jeder auf Anhieb wohl. Das Lokal hat Atmosphäre, man kriegt hier alles, was das Herz begehrt ...“

„Alles?“, fragte Mike zwinkernd.

„Nun ja, was eben im Rahmen der Gesetze möglich ist“, schränkte der Keeper ein.

„Ich würde Wert auf eine kurvige Gesellschaft legen“, sagte Mike schmunzelnd und modellierte in der Luft mit seinen Händen etwas, das wie eine Coca-Cola-Flasche aussah.

„Ich verstehe“, erwiderte der Keeper. „Dachten Sie dabei an etwas Bestimmtes? Welche Haarfarbe soll’s denn sein?“

„Dolly Dallas“, sagte Mike.

Der Mann hinter dem Tresen schaute ihn erstaunt an. „Sagten Sie nicht, Sie wären noch nie im 'Valentino' gewesen?“

„Richtig.“

„Aber Sie wissen von Dolly Dallas.“

„Ihr Bekanntheitsgrad reicht über die Grenzen dieses Lokals hinaus“, sagte Mike Borran. „Heißt sie wirklich so?“

„Nein, aber ihr anderer Name ist ein Zungenbrecher, deshalb verwendet ihn niemand. Ihre Ahnen müssen in Belutschistan oder sonst wo gehaust haben.“

„Was tut sie im 'Valentino'?“

„Sie singt, und das nicht einmal schlecht.“

„Werde ich sie heute Abend hören?“

„Sie tritt erst um 23 Uhr auf. Sehen können Sie sie aber jetzt schon. Sie sitzt dort drüben. Mit Lou Crippins. Er ist mit ihr verlobt, aber das hat nichts zu sagen. Dolly ist mit gut einem Dutzend Jungens verlobt.“

„Weiß einer vom anderen?“

Der Keeper zuckte mit den Schultern. „Genaues bestimmt nicht. Aber jeder kann sich ausrechnen, dass er bei diesem Temperamentbündel nicht der Einzige ist. Sehen Sie sich vor Lou Crippins vor. Er war mal ein großes Football-Ass. Der beste Läufer seiner Mannschaft. Seit er ausgeschieden ist, sind seine Freunde ständig im Sinken begriffen.“

Mike warf einen Blick auf den großen, breitschultrigen Mann. „Warum ist er ausgestiegen? Er ist doch noch in den besten Jahren, noch keinesfalls zu alt für den Sport.“

„Alkohol. Weiber ... Als er in die Krise schlitterte, haben sie ihn gefeuert. Ein Profi muss hart zu sich selbst sein, und das war er nicht. Da sie ihn hinausgeworfen haben, trinkt er noch mehr. Es ist ein Teufelskreis. Lou vermasselt sich dadurch sein Comeback. Er weiß das, und weil er es weiß, schielt er noch tiefer ins Glas. Er war früher ein netter Junge. Heute ist er unleidlich geworden. Er macht seine Mitmenschen für seinen Abstieg verantwortlich und ist ständig auf Streit aus. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, warten Sie lieber, bis er nach Hause gegangen ist, nehmen Sie Dolly Dallas erst dann aufs Korn.“

„Ich fürchte, so viel Zeit habe ich nicht.“

„Ich habe Sie gewarnt“, sagte der Keeper und hob die Hände, als wollte er hinzufügen: Wenn dich Lou Crippins jetzt ungespitzt in den Boden rammt, kann ich nichts dafür, dann bist du daran selbst schuld.

Mike sah zu Dolly hinüber. Sie war ein Prachtmädchen mit Idealmaßen, soweit das zu erkennen war. Ihr langes braunes Haar floss in weichen Wellen auf ihre nackten, wohlgerundeten Schultern. Sie hatte einen sinnlichen Mund, große blaue, kindliche Augen, üppige Brüste und eine Wespentaille. Das Dekolletee war so tief, dass man den Nabel als Brosche bezeichnen konnte.

Eines konnte Mike Borran jetzt schon über sie sagen: Geizig war sie nicht. Er trank sein Kräuterbier und musterte über den Rand des Glases den Ex-Footballstar.

Lou Crippins war ein schwerer Brocken. Auf dem Spielfeld musste er ein unbezahlbarer Durchreißer gewesen sein. Ein Bulldozzer, den niemand aufhalten konnte.

Crippins hatte ein Baggerschaufelkinn und Fäuste, die die Größe eines Handkoffers aufwiesen. Sein Blick verriet — erstens: dass er bereits einige Bourbons geschluckt hatte, zweitens: dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war.

Es war ihm bereits aufgefallen, dass Mike zu ihrem Tisch hinüberschaute, und er nahm so etwas wie eine Abwehrhaltung ein.

„Haben Sie schon mal den Namen Abe Tenneray gehört?“, fragte Mike den Keeper.

Der Mann hinter dem Tresen dachte kurz nach. „Nein. Jedenfalls ist das keiner unserer Stammgäste. Sollte ich ihn kennen?“

„Ich will es mal so formulieren: Es zeichnet niemand aus, ihn zu kennen“, meinte Mike, leerte sein Glas und legte einen Schein auf den Tresen. „Den Rest können Sie behalten“, sagte er. „Kaufen Sie sich ein Eigenheim dafür.“ Er rutschte vom Hocker. Die Züge des Keepers strafften sich. Er rechnete damit, dass er gleich Stunk geben würde.

Mike begab sich zu Dolly Dallas und Lou Crippins. Der Ex-Footballstar war gerade dabei, das Mädchen abzuknutschen. Sie kicherte leise, und Mike sah ihre blitzweißen, regelmäßigen Zähne, die wie Zuchtperlen wirkten.

„Kann ich Sie einen Augenblick sprechen, Miss Dallas?“ fragte er freundlich.

Lou Crippins reagierte darauf, als habe ihm der Agent einen Fußtritt gegeben. „Mann, sind Sie noch zu retten?“, bellte er wütend. „Sehen Sie nicht, dass Sie stören?“

„Ich bin gleich wieder weg“, versprach Mike. „Nur ein paar Fragen ...“

„Verschwinden Sie, sonst zerlege ich Sie in Ihre Bestandteile und setze Sie verkehrt wieder zusammen!“

„Nur keine Aufregung“, erwiderte Mike beschwichtigend. „Das schadet Ihrer Galle, Crippins.“

„Meine Galle geht Sie einen verdammten Dreck an!“, herrschte Lou Crippins den Agenten an.

Dolly Dallas schien zu wissen, dass der Krieg nicht mehr zu vermeiden war. Sie rückte ein Stück von Crippins ab und verfolgte gespannt das weitere Geschehen. Crippins rasselte gehörig mit dem Säbel. Aber es waren keine leeren Drohungen, die er ausstieß, und wenn man vom Äußeren her einen Vergleich zwischen Mike Borran und dem Ex-Footballspieler zog, musste man den Agenten auf Platz zwei reihen. Mike war zwar nicht gerade klein und schmächtig, aber Crippins war größer, stärker und bulliger.

Vom Optischen her konnte es nur einen Sieger geben, und der musste Lou Crippins heißen.

Dolly Dallas schien das jetzt schon ein wenig zu bedauern, denn sie hatte an Mike Borran Gefallen gefunden. Er sah besser aus als Crippins, und wenn er sich Mühe gegeben hätte, hätte er wohl auch einer ihrer vielen Verlobten werden können.

Mike rührte sich nicht von der Stelle. „Haben Sie Tomaten auf den Ohren?“, fragte Crippins bissig. „Haben Sie nicht gehört, was ich sagte? Ziehen Sie Leine!“

„Gleich“, erwiderte Mike.

„Sie wollen also nicht hören! Okay, dann musst du eben fühlen!“, blaffte Lou Crippins und sprang auf.

Dolly Dallas hielt den Atem an. Insgeheim drückte sie für Mike Borran die Daumen, obwohl ihr klar war, dass das nicht nützte. Er gibt keine Wunder.

Crippins schlug zu. Er stieß den Schlag aus der Schulter vor und wollte die Angelegenheit gleich damit erledigen. Mike war zwar nicht in der Lage, genauso viel Rohkraft in die Waagschale zu werfen, dafür war er aber wesentlich schneller als sein Gegner. Damit foppte er Crippins. Blitzschnell pendelte er den Faustschlag aus, und auch dem nächsten entging er mit einem Sidestep.

Lou Crippins konnte es nicht fassen. Seine beiden Schläge waren wirkungslos verpufft. Das machte ihn zornig. Ein Schleier legte sich über seine Augen. Er sah Mike nur noch verschwommen, und er setzte ein, was er aufzubieten imstande war, um Mike Borran zu besiegen. Seine Arme drehten sich wie Windmühlenflügel. Der Agent tanzte und wippte zwischen den Fäusten hin und her. Als Crippins ihn an der Schulter erwischte, hatte er das Gefühl, der Blitz habe ihn gestreift.

Er ging zum Gegenangriff über.

Mit sicherem Auge sah er die ungedeckten Stellen des Gegners und stach wie ein Florettfechter zu.

Crippins grunzte.

Mike blockte dessen nächsten Faustschlag ab und hämmerte gegen Crippins Rippenbogen. Der Ex-Footballstar stöhnte auf, und nun zeigte ihm Mike Borran, dass es nicht genügte, groß und stark zu sein. Man konnte mit täglichem Training und einer Menge Kampferfahrung sehr viel wettmachen. Mit Handkantenschlägen und Karate-Tritten bekam Mike Borran den Bullen sehr rasch unter Kontrolle.

Er hoffte, Crippins würde das Handtuch werfen, doch der Ex-Sportler hatte die Absicht, bis zum Ende weiterzumachen. Er dachte wohl, das Steuer des talwärts rasenden Schiffs noch einmal herumreißen zu können, doch diese Chance räumte ihm Mike Borran nicht ein.

Da Crippins so unvernünftig war, bis zur bitteren Neige weitermachen zu wollen, beendete Mike Borran die Auseinandersetzung mit einem abgezirkelten Faustschlag, in den er seine ganze Kraft legte und der an Crippins Kinnspitze explodierte.

Das Wunder war perfekt.

Lou Crippins riss die Arme hoch. Es hatte den Anschein, als wollte er sich in der Luft festkrallen. Das ging natürlich nicht, und er krachte mit großer Wucht auf den Tisch, der umstürzte und auf Crippins drauf fiel. Gläser klirrten. Bourbon und Sherry versauten Crippins Anzug, aber dafür konnte Mike Borran nichts. Er hatte den Streit ja nicht angefangen.

„Donnerwetter“, sagte Dolly Dallas begeistert. „Das war der Fight des Jahrhunderts. So etwas kriegt man nicht mal im Fernsehen geboten. Wie haben Sie es bloß geschafft, mit Lou fertigzuwerden, ohne selbst eine Schramme abzukriegen? Können Sie zaubern?“

Mike lächelte. „Vielleicht.“

Crippins lag auf dem Boden und war immer noch groggy. Der Barkeeper kam, um sich des Ex-Sportlers anzunehmen. „Ich dachte immer, Lou wäre der Größte. Aber es gibt noch einen Größeren.“

„Wie heißen Sie?“, fragte Dolly Dallas interessiert.

„Borran. Mike Borran.“

„Den Namen muss ich mir merken“, sagte das Mädchen.

„Tut mir leid, dass ich Ihren Verlobten so hart anfassen musste“, sagte Mike Borran.

„Sie brauchen sich deswegen nicht zu entschuldigen, Mike. Ehrlich gesagt, es war allmählich Zeit, dass einer kam und Lou seine Grenzen zeigte. Sie wollten mit mir reden?“

„Besser nicht hier“, sagte der Barkeeper. „Wenn Lou auf die Beine kommt, macht er weiter. Er ist unbelehrbar.“

„Wollen wir eine andere Bar aufsuchen?“, fragte Mike.

„Warum gehen wir nicht zu mir nach Hause?“, fragte das sündhaft schöne Mädchen mit einem gekonnten Augenaufschlag. Ihr Blick versprach dem Agenten den Himmel auf Erden. Er wäre verrückt gewesen, dieses Angebot auszuschlagen. „Da sind wir ungestört“, fuhr Dolly Dallas fort, „und die Drinks sind außerdem gratis.“

„Bei solchen Argumenten kann ich unmöglich ablehnen“, sagte Mike schmunzelnd.

„Denke ich auch“, gab das aufregende Mädchen zurück. Sie schob ihre Hand unter Mikes Arm. „Ich bin die Trophäe, die dem Sieger zufällt.“

Mike grinste. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Lou noch fertiger als fertig gemacht.“

Sie verließen das „Valentino“ und Mike erntete von den weiblichen Gästen bewundernde und von den männlichen Gästen neidvolle Blicke.

Dolly wohnte gleich um die Ecke. Sie nahmen trotzdem Mikes Wagen.

In ihrem gemütlich eingerichteten Apartment forderte sie ihn auf, es sich bequem zu machen. Er setzte sich, und sie zog sich zurück. Als sie wieder erschien, trug sie einen hautengen zyklamfarbenen Hausanzug und mit Sicherheit nichts darunter. Mike stellte fest, dass sich das, was sie anhatte, mit einem einzigen Handgriff herunterschälen ließ. Man brauchte bloß den Reißverschluss von ganz oben nach ganz unten zu ziehen, dann war das Girl nackt.

Sie kam mit geschmeidigen, aufreizenden Bewegungen auf ihn zu. Im Vorbeigehen schaltete sie die Stereoanlage ein. Ein Tonband fing an zu laufen, und es war genau die richtige Musik, die zu dieser schwülen Stimmung passte, die aus den Lautsprechern in den Raum floss.

„Einen Drink, Mike?“, erkundigte sich das blonde Weibchen mit einer leicht rauchigen Stimme, die auf Mike Borrans Haut ein angenehmes Prickeln hervorrief.

„Gern“, sagte er.

„Haben Sie einen besonderen Wunsch?“

Sein Blick wieselte an ihr auf und ab. „Das schon, aber ich weiß nicht, ob ich ihn aussprechen soll.“

„Nur zu. Sie dürfen alles, Mike“, machte sie ihm Mut. „Wer Lou Crippins so gekonnt fertigzumachen versteht, von dem möchte ich gern alles wissen, und der kann auch alles von mir haben. Ich gehöre dem schwachen Geschlecht an. Wir Mädchen sind ständig auf der Suche nach einem starken Beschützer.“

„Geben Sie mir einen Whisky Soda.“

„Mit dem größten Vergnügen. Ich hoffe, Sie getrauen sich auch noch Ihre anderen Wünsche zu äußern. Ich glaube nicht, dass ich imstande bin, Ihnen auch nur einen einzigen davon abzuschlagen. Männer wie Sie machen mich schwach, ich kann nichts dafür.“

Sie mixte Mike seinen Drink an der Hausbar, nahm sich selbst einen Sherry und kam mit den beiden Gläsern zu ihm. „Cheers“, sagte sie und stieß mit ihrem Glas gegen das seine. Während sie trank, blickte sie ihm tief in die Augen und glitt langsam neben ihn. Ihre Nähe erregte ihn. Es fiel ihm nicht leicht, im Auge zu behalten, weswegen er mit ihr eigentlich zusammen war.

Es ging um Malcolm Quiller, den die Alpha-Agenten mitgenommen hatten, und Dolly Dallas war mit Abe Tenneray befreundet. Vielleicht sogar verlobt.

„Wer bist du, Mike Borran?“, fragte sie leise, lehnte sich an ihn und kraulte seinen Nacken. Ihre wandlungsfähige Stimme klang jetzt wie das Schnurren eines kleinen, schutzbedürftigen Kätzchens. „Woher kommst du? Erzähl mir von dir.“

Er nahm einen Schluck von seinem Drink. „Meine Person ist nicht so interessant.“

„Oh doch“, widersprach sie. „Das ist sie. Jedenfalls für mich.“

„Du bist mit Lou Crippins verlobt?“

„Wir wollen doch jetzt nicht über diesen Dummkopf reden.“

„Ein Mädchen wie du hat bestimmt viele Freunde und Verehrer.“

„Schon möglich. Soll ich dir ein Geheimnis anvertrauen? Du hast die besten Chancen, mein Top-Favorit zu werden.“

„Wie komme ich zu der Ehre?“

„Du hast Lou Crippins entthront. Ich finde, das muss belohnt werden. Was wolltest du mich im 'Valentino' fragen?“ Mike überlegte, ob er den geraden Weg beschreiten oder noch etwas zuwarten sollte. Wie gut war Dolly Dallas mit Tenneray befreundet? Was wusste sie über Tennerays Engagement bei der Vierten Macht? Gehörte sie etwa auch dazu? Wenn ja, dann war größte Vorsicht geboten.

Während er noch am Überlegen war, schlang Dolly ihre Arme um seinen Nacken und küsste ihn mit einer verzehrenden Leidenschaft. Ihm blieb die Luft weg, und es wurde ihm heiß. Donnerwetter, dieses Girl hatte ein Temperament, das jedem Mann zum Verhängnis werden konnte.

Vorsicht, Mike!, riet sich der Agent. Verlier jetzt bloß nicht den Kopf! Denk an Quiller, der in irgendeinem Alpha Schlupfwinkel schmachtet und da verrottet, wenn du ihm nicht beistehst.

Dolly Dallas legte ihm die Spitze ihres Zeigefingers auf die Lippen. „Möchtest du mehr davon?“

„Wovon?“

„Von dem, was du gerade gekriegt hast.“

„Der Vorschuss war nicht schlecht.“

„Es kann so weitergehen“, hauchte Dolly. „Ich habe nichts dagegen. Komm und bedien dich.“

„Mit wie vielen Männern bist du verlobt, Dolly?“, fragte Mike Borran.

„Ich weiß es nicht. Das ist doch jetzt unwichtig. Wir beide sind hier bei mir, wir sind erwachsen und allein. Ich finde, wir sollten das Beste daraus machen, wozu ein Mann und eine Frau fähig sind.“

„Ist es nicht ein bisschen unmoralisch, mehreren Männern gleichzeitig die Ehe zu versprechen?“

„Das habe ich doch gar nicht getan.“

„Ein Verlöbnis ist ein Eheversprechen.“

„Nicht für mich“, sagte Dolly. „Für mich ist es lediglich die Form einer engeren freundschaftlichen Bindung. Hast du ’nen religiösen Tick oder so was, Mike? Willst du mich bekehren? Das ist nicht nötig. Ich lebe so, wie es mir gefällt, nach meinen eigenen Richtlinien, und ich finde nichts falsch daran.“

Mike trank Whisky Soda.

Sie nahm ihm das Glas aus der Hand. „Ich hoffe, du vergeudest die Zeit nicht mit einer unnützen Moralpredigt.“

„Weißt du, warum ich dich im 'Valentino' aufgesucht habe?“

„Nein, aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du es mir verraten würdest.“

„Ich suche Abe Tenneray. Man sagte mir, dass du ihn kennst.“

„Sicher kenne ich ihn.“

„Du bist mit ihm befreundet.“

„Sehr sogar“, gab Dolly Dallas zu.

„Vielleicht sogar verlobt?“

„Vielleicht. Wenn du weiter über meine Verlobten reden möchtest, machst du mich sauer, Mike. Ich dachte, wir beide würden ...“

„Es ist sehr wichtig für mich, zu erfahren, wo Abe Tenneray wohnt, Dolly“, sagte Mike Borran ehrlich.

Das Mädchen schüttelte die blonde Mähne. „Ich weiß nicht, wo Abe wohnt.“

„Wirklich nicht?“, fragte Mike leicht zweifelnd.

„Wenn ich dir’s sage.“

„Du bist mit ihm immerhin verlobt.“

„Ich sagte vielleicht, mein Freund“, erwiderte die sündhafte Schönheit. Sie leerte ihr Glas, erhob sich, stellte das Glas ab und wiegte sich im sanften Takt der leisen Musik. Wie eine Schlange bewegte sie sich. Ihre Hände liebkosten ihren aufregenden Körper. Sie summte die Melodie mit, drehte sich im Kreis, schwebte leichtfüßig durch den Raum. „Möchtest du tanzen, Mike?“, fragte sie.

„Später. Lass uns zuerst noch über Abe reden.“

„Warum suchst du ihn?“

„Das möchte ich nicht sagen.“

„Kriegt Abe Ärger, wenn du ihn findest?“

„Vielleicht.“

Sie lachte. „Jetzt redest du schon so wie ich.“

Er schmunzelte. „Vielleicht ist ein gutes Wort.“

„Es verrät nichts.“

„Sehr richtig“, sagte Mike.

Dolly Dallas schwebte wieder heran, und als sie Mike Borran erreichte, erlebte dieser eine unangenehme Überraschung: Das Girl richtete nämlich eine entsicherte Beretta auf ihn und sagte ganz leise, aber brandgefährlich: „Hände hoch, Mike Borran!“

8

Quiller war wieder allein. Es erfüllte ihn mit Angst und Sorge, diese merkbare Wesensveränderung an sich festzustellen.

Die Alpha-Droge war gefährlich. Malcolm Quiller fragte sich, wie viele Injektionen wohl nötig sein würden, um ihn umkippen zu lassen.

Wann gehörte er voll und ganz zur Vierten Macht?

Wann konnte ihm die Alpha-Organisation blind vertrauen — ihm, dem umgepolten CIA-Agenten? Das Alpha-Serum zerstörte seine Persönlichkeit. Geschah dies nachhaltig? Oder würde er immer wieder eine Auffrischungsspritze brauchen, um bei der Alpha-Stange zu bleiben?

Sie kamen. Raf Minelli und Hoss Cranston betraten den Raum. Der Doc grinste den CIA-Agenten schmalzig an. „Na, wie geht’s uns denn so?“, fragte er leutselig.

„Warum bringt ihr mich nicht um?“, fragte Quiller trotzig.

Doc Cranston lächelte mitleidig. „Wir haben Pläne mit Ihnen, mein Lieber. Es wäre nicht klug von uns, Sie zu liquidieren. Sie sind lebend viel wertvoller für uns. Wie vertragen Sie unser Serum?“

„Ausgezeichnet!“, knirschte Quiller. „Ich spür’ nichts davon.“

„Sie lügen. Es frisst Ihre Seele auf. Es nagt Löcher in Ihr Gewissen. Es zersetzt ihren Charakter, und Sie spüren das auch schon.“

Quiller grinste. „Können Sie in mich hineinsehen?“

„Das ist nicht nötig. Ich weiß, was in Ihnen vorgeht, Quiller. Sie können mir nichts vormachen.“

„Sie haben wohl großes Vertrauen zu Ihrem Dreckszeug.“

Man kann sich darauf hundertprozentig verlassen“, versicherte Doc Cranston. „Ich bin gekommen, um Ihnen die nächste Dosis zu verpassen. Es wird diesmal ein bisschen mehr und auch um eine Nuance stärker konzentriert sein, aber Ihr Körper wird trotzdem nicht mehr so heftig darauf reagieren. Das Serum ist sehr gut verträglich. Vor allem einem Mann mit Ihrer robusten Konstitution kann die zweite Spritze nichts mehr anhaben.“

„Wie viel gedenken Sie mir von dieser Schweinejauche noch reinzupumpen?“

„Vier Injektionen reichen.“

„Und die Abstände?“

„Bis morgen früh sind wir damit fertig“, sagte Hoss Cranston. Er gab Raf Minelli ein Zeichen. Dieser schob Quillers Ärmel hoch, und Malcolm Quiller bekam die zweite Ladung verpasst. Diesmal verlor er nicht mehr die Besinnung. Das Serum schwächte ihn auch nicht mehr. Im Gegenteil, er spürte, wie seine verlorenen Kräfte in seinen Körper zurückflossen, und ein angenehmes Gefühl breitete sich in ihm aus.

Er registrierte, dass ihm viele Dinge unwichtig wurden. Vor allem Begriffe wie Liebe und Freundschaft verblassten allmählich, und er wusste, dass sie für ihn bald jegliche Bedeutung verloren haben würden. Seltsamerweise machte ihm aber das kaum noch etwas aus ...

9

Mike Borran blickte entgeistert in das schwarze Mündungsauge. Verflixt, damit hatte er nicht gerechnet. Dolly Dallas’ blaue Augen verengten sich. Sie verloren den kindlich naiven Ausdruck, wurden hart und mitleidlos.

„Wer bist du, Mike Borran?“, fragte sie wieder. Diesmal klang ihre Stimme feindselig und scharf.

„Tu die Waffe weg, Mädchen. Ich glaube nicht, dass du mich wirklich erschießen willst.“

„Keine Bewegung!“, zischte Dolly.

Er kam sich reichlich idiotisch vor. Da saß er nun mit erhobenen Händen, und wenn das Mädchen den Finger krümmte, war er mausetot. Was für ein unrühmliches Ende für einen Agenten, der schon so vielen Gefahren getrotzt hatte.

„Was willst du von Abe Tenneray?“, fragte Dolly Dallas scharf.

„Ich habe ihm ein paar Fragen zu stellen.“

„So wie mir?“

„Ungefähr so.“

„Verdienst du dir mit Fragenstellen deinen Lebensunterhalt?“

„Ja, aber ich arbeite für kein Meinungsforschungsinstitut“, gab Mike Borran zurück.

„Ich kann mir allmählich denken, für wen du arbeitest. Abe Tenneray willst du sehen. Okay, das kann ich arrangieren. Ich bin neugierig, was er mit dir macht.“ Dolly begab sich zum Telefon. Sie nahm den Hörer ab und versuchte während des Wählens den Agenten so wenig wie möglich aus den Augen zu lassen. Mike hätte es vielleicht geschafft, aufzuspringen, aber es wäre ihm unmöglich gewesen, das Mädchen zu erreichen und zu entwaffnen.

Möglicherweise hegte sie nicht die Absicht, ihm wirklich etwas anzutun, aber wenn er sein Schicksal auf diese Weise herausforderte, würde Dolly erschrecken und abdrücken.

Als die Verbindung zustande kam, sagte die Blonde: „Hier ist Dolly Dallas. Ich muss mit Abe Tenneray reden. Es ist dringend ... Ja, ich bin zu Hause.“ Mehr sagte sie nicht. Der Hörer klappte in die Gabel, und Dolly schenkte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit gleich wieder dem Agenten.

„Weißt du, was Abe mit mir tun wird?“, fragte Mike.

Sie zuckte mit den Schultern.

„Er wird mich töten“, sagte Mike.

Sie zuckte wieder mit den Schultern. „Ich glaube nicht, dass dir das egal ist“, behauptete Mike Borran.

„Vielleicht doch“, schnappte das Mädchen.

Mike schüttelte den Kopf. „Du magst mich.“

„Das ist vorbei.“

„Du bist beleidigt und gekränkt, weil mich deine Schönheit nicht so umgehauen hat, wie du’s gewöhnt bist. Das macht dich wütend.“

„Okay, ich bin eine schlechte Verliererin. Na und?“

„Du hast nicht verloren, Dolly. Ich wollte, wir wären uns unter anderen Voraussetzungen begegnet, aber leider ...“

„Was wolltest du von Abe?“

„Er arbeitet für die Vierte Macht, das ist ein internationale verbrecherische Agentenorganisation, die von einem Satan namens Doc Alpha befehligt wird. Ich nehme nicht an, dass du für diese Organisation auch tätig bist. Du bist für dieses Geschäft nicht hart genug.“

„Woher willst du denn wissen, wie hart ich bin?“

„Ich besitze ein bisschen Menschenkenntnis“, erwiderte Mike Borran. „Die Alpha-Leute gehen über Leichen.“

„Abe nicht.“

„Abe jagte meinen Kollegen Malcolm Quiller und mich durch halb New York. Er und seine Komplizen Kirkie Cross und Raf Minelli wollten mich umbringen. Ich konnte ihnen entkommen. Quiller haben sie erwischt und verschleppt. Gott weiß, was sie mit ihm vorhaben. Ich muss Quiller wiederfinden, muss ihm helfen.“

„Und was machst du mit Abe?“

Mike wollte antworten, aber das Läuten des Telefons ließ es nicht zu. Dolly Dallas begab sich an den Apparat. Die Beretta blieb auf den Agenten gerichtet, während sie abhob, ohne auf das Telefon zu sehen.

„Hallo!“, meldete sie sich.

„Du wolltest mich dringend sprechen, Baby?“, sagte Abe Tenneray am anderen Ende des Drahtes. Er lachte. „Ich kann kaum glauben, dass bei dir ein sexueller Notstand ausgebrochen ist.“

„Mike Borran ist bei mir.“

Tenneray brauchte einen Moment, um diese kolossale Nachricht zu verdauen. „Borran bei dir?“, fragte er überrascht. „Er sucht dich.“

„Kann er mithören?“

„Jedes Wort, aber er kann nichts tun. Er sitzt mit hochgestreckten Armen da und starrte in die Mündung meiner Pistole.“

„Mädchen, du bist mit Gold nicht aufzuwiegen“, jubelte Tenneray. „Halt ihn weiter in Schach. Aber sei vorsichtig, dieser Mann ist verdammt gefährlich. Er kennt eine Menge Tricks. Lass dich von ihm nicht überrumpeln.“

„Beeil dich“, verlangte das Mädchen. „Ich fliege“, sagte Tenneray und hängte ein.

Dolly Dallas legte den Hörer auf den Apparat. „Er fliegt“, berichtete sie Mike Borran. „Er ist vor Freude ganz aus dem Häuschen.“

„Das kann ich mir vorstellen“, sagte Mike gallig. „Warum tust du das, Dolly?“

„Abe ist mein Freund.“

„Er ist ein gewissenloser Schurke.“

„Mir gegenüber hat er sich immer anständig benommen. Ich kann von ihm haben, was ich will. Er ist sehr großzügig, tolerant, lässt mir meine Freiheit, ist nicht eifersüchtig. Er ist ein angenehmer Freund. Er ist es wert, ihm einen Gefallen zu tun.“

„Wenn du mich an ihn auslieferst, bist du nicht besser als er“, sagte Mike Borran hart.

„Er wird dich fortbringen. Wie die Geschichte weitergeht, interessiert mich nicht.“

„Mit anderen Worten, du steckst den Kopf in den Sand, aber so einfach darfst du es dir nicht machen, Dolly. Ich habe dir gesagt, was er tun wird. Du weißt, dass er mich eiskalt umbringen wird. Wenn du das zulässt, machst du dich an diesem Mord mitschuldig.“

„Spar dir den Atem, Mike. Ich lasse dich nicht laufen. Abe wäre verdammt böse auf mich, wenn ich das täte.“

„Da spielst du schon lieber die Handlangerin eines Killers. Mit meiner Menschenkenntnis scheint es doch nicht so weit her zu sein. Du bist nichts weiter als ein billiges kleines Flittchen, das jeder Mann haben kann. Wahrscheinlich bist du Abe Tenneray sogar hörig. Er braucht nur mit dem Finger zu schnippen, und du kommst schon angekrochen.“

Mikes Rechnung ging auf. Er reizte Dolly Dallas mit voller Absicht. Und sie fiel darauf herein. Auf die Wirkung ihrer Pistole vertrauend, trat sie vor ihn hin und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.

Er nahm sie in Kauf.

Blitzschnell schnappte er nach ihrer Pistolenhand. Er federte hoch, drehte ihr den Arm um, sie stieß einen heiseren Schrei aus, ihre Finger öffneten sich, und die Beretta rutschte aus ihrer Hand. Mike fing die Waffe auf. Er versetzte dem Mädchen einen Stoß. Dolly landete auf der Sitzbank. Ihre Augen funkelten ihn hasserfüllt an.

„Das kommt dich noch teuer zu stehen, Mike Borran!“, fauchte sie wie eine Wildkatze.

Der Agent lächelte sie ungerührt an. „Jetzt gefällt mir die Situation schon wesentlich besser.“

„Ich wünsche mir, dass Abe dich trotzdem fertigmacht.“

„Das wird er jetzt wohl kaum noch schaffen“, bemerkte der Agent.

„Hast du nun vor, ihn umzubringen?“

„Ich bin kein Killer. Ich will nur meinen Kollegen wiederhaben. Unversehrt, wenn’s geht. Und Abe wird mir helfen.“

„Er kriegt dich, verlass dich drauf!“

„Vielleicht, aber bestimmt nicht heute, denn zurzeit bin ich am Drücker.“ Mike wedelte mit Dolly Dallas’ Beretta. „Ein gutes Stück“, urteilte er über die Waffe. „Aber es passt nicht zu dir. Wenn du gestattest, nehme ich das billige kleine Flittchen zurück. Ich wollte dich damit nur aus der Reserve locken. Wir warten jetzt gemeinsam auf Abe Tenneray. Wenn er hier eintrifft, verhältst du dich nicht nur mucksmäuschenstill, sondern auch neutral, verstanden? Dies ist nur eine Sache zwischen Abe und mir. Es wäre mir lieb, wenn du dich da heraushalten würdest. Ich möchte nichts gegen dich unternehmen müssen.“

Mikes versöhnlicher Ton verfing aber nicht bei Dolly Dallas. Er konnte sie nicht mehr für sich gewinnen. Sie war und blieb seine Feindin.

Die Minuten vertickten langsam.

Endlich war der Fahrstuhl zu hören. Die Lifttür fiel zu. Schritte auf dem Gang. Sie näherten sich der Tür. Mike Borrans Nerven spannten sich. Er hob Dollys Pistole.

„Keinen Laut!“, raunte er dem Mädchen zu.

Jemand klopfte.

Mike nickte dem Mädchen zu. „Sag ihm, er soll reinkommen.“

„Komm rein, Abe!“, rief Dolly.

Die Tür öffnete sich. Mike Borrans Spannung wuchs. Er konzentrierte sich auf den Mann, der gleich eintreten würde.

Da spielte plötzlich Dolly Dallas verrückt. „Vorsicht, Abe!“, kreischte sie und sprang auf. Sie stürzte sich auf Mike. „Borran hat meine Pistole!“, schrie sie. Gleichzeitig wollte sie ihm ihre Fingernägel ins Gesicht schlagen. Sie war wirklich eine gefährliche Wildkatze.

Mike hatte Mühe, sie abzuwehren. Sie trat gegen seine Beine und versuchte ihn zu beißen. Er stieß sie unsanft zurück. Mittlerweile hatte Abe Tenneray die Tür wieder zugeschmettert. Der Alpha-Agent suchte das Weite. Er kehrte zum Fahrstuhl zurück.

Mike Borran stürmte durch das Apartment. Er riss die Tür auf. Als er auf den Gang sprang, fuhr der Aufzug nach unten. Mike jagte im Treppenhaus hinunter. Er sprang immer gleich über zwei, drei Stufen. Wenn er Glück hatte, langte er schneller im Erdgeschoss an als der Fahrstuhl.

Doch das Glück kann manchmal sehr launisch sein. Und ungerecht. Anstatt sich für die gute Sache zu verwenden, stand es dem Alpha-Agenten bei.

Mike blieb mit dem Jackett an einer Geländerverzierung hängen. Der Stoff zerriss mit einem hässlichen Geräusch. Das wäre nicht so schlimm gewesen. Schlimm war, dass Mike durch einen jähen Ruck gestoppt wurde, sich drehte und das Gleichgewicht verlor.

Die Folgen hätten furchtbar sein können, gingen aber relativ glimpflich ab: Mike stürzte. Hart knallte er auf die Stufen, deren Kanten ihm in den Körper hämmerten, während er sich etliche Male überschlug. Stöhnend erhob er sich.

Mensch, das gibt viele blaue Flecken, dachte er und hastete weiter.

Aber er hatte wertvolle Zeit eingebüßt, und so schaffte es Abe Tenneray, den Lift zu verlassen, ehe Mike Borran das Erdgeschoss erreichte. Der Alpha-Agent rannte nicht Richtung Straße, sondern zur Hinterhoftür, denn die war dem Lift näher.

Er rammte die schmale Tür auf und jagte in die Dunkelheit hinein.

Mike langte im Parterre an. Er entdeckte die offene Hinterhoftür und wusste Bescheid.

Tenneray überkletterte die Backsteinmauer. Mike konnte es nicht verhindern. Er konnte dem Gegner nur folgen. Der Sturz hatte ihm so arg zugesetzt, dass er humpelte. Aber er ließ sich von den stechenden Schmerzen nicht unterkriegen, sondern biss die Zähne zusammen und erreichte wenig später atemlos die Mauer.

Ein kraftvoller Sprung.

Mikes Finger klammerten sich an die Mauerkrone.

Ein Klimmzug.

Gleich darauf befand er sich jenseits der Mauer, in einem anderen finsteren Hinterhof. Das weit offenstehende Tor einer breiten Einfahrt fiel ihm auf. Wenn sich Tenneray nicht hier zwischen Kisten und Mülltonnen versteckt hatte, hatte er sich bestimmt durch dieses Tor abgesetzt.

Mike rannte darauf zu.

Er stoppte kurz davor, um nicht in eine Alpha-Kugel zu laufen. Vorsichtig peilte er die Lage. Von Abe Tenneray keine Spur. Das beunruhigte den CIA-Agenten. Sollte er umkehren und den Hof durchstöbern? Hockte Tenneray irgendwo in der Dunkelheit und wartete, bis die Luft rein war?

Mike nahm eher an, dass Tenneray weitergelaufen war.

Der CIA-Agent rannte die schmale Straße entlang. An der nächsten Ecke blieb er abermals stehen. Tenneray schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Mike zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Er hatte so sehr gehofft, mit Tennerays unfreiwilliger Hilfe Malcolm Quiller aus der Klemme helfen zu können, und nun diese Enttäuschung ...

10

Tenneray schwitzte. Er kauerte in einer Telefonzelle. An der Ecke tauchte soeben Mike Borran auf. Der Alpha-Agent machte sich so klein wie möglich. Es war nicht nach seinem Geschmack, allein gegen Mike Borran anzutreten. Es war ihm lieber, diesen gefährlichen Gegner mit einer Übermacht an die Wand zu drücken.

Aufgeregt presste er den Hörer an sein Ohr. Er hatte eine Nummer gewählt und wartete nun mit brennender Ungeduld darauf, dass jemand am anderen Ende der Leitung abhob.

Nervös schielte er immer wieder nach Borran, der sich für keine Richtung entscheiden konnte. Würde er hierherkommen? Noch hatte der CIA-Agent Tenneray nicht entdeckt, aber das konnte sich sehr rasch ändern.

Endlich meldete sich am anderen Ende des Drahtes jemand. „Hallo!“

„Ich bin’s, Abe!“, keuchte der Alpha Agent in die Membrane.

„Abe“, wiederholte Kirkie Cross. „Hast du Borran umgenietet?“

„Ich wollte, es wäre so. Es hat ’ne Panne gegeben. Dolly war nicht vorsichtig genug.“

„Das habe ich befürchtet.“

„Borran hat sie irgendwie ausgetrickst und in der Wohnung des Mädchens auf mich gewartet.“

„Oh, verdammt.“

„Da sagst du was. Ich wäre beinahe in Borrans Falle getappt. Ein Glück, dass Dolly mich warnte. So konnte ich gerade noch rechtzeitig Fersengeld geben, aber ich bin Borran noch nicht los. Er sucht mich. Ich kann ihn sogar sehen. Hör zu, Kirkie, ich habe einen Plan: Ich locke Borran zu der aufgelassenen Lokomotivfabrik in der Randall Ave. Du klemmst dir Raf unter den Arm und kommst schnellstens dorthin, verstanden? Aber beeilt euch. Ich weiß nicht, wie lange ich mir Borran vom Leib halten kann.“

„Wir sind schon unterwegs“, versicherte Cross.

„Hoffentlich“, sagte Tenneray heiser und ließ den Hörer los. Um ihn an den Haken zu hängen, hätte er sich auf richten müssen. Das ließ er aber lieber bleiben, denn in diesem Moment blickte Mike Borran gerade in seine Richtung.

Als der CIA-Agent wieder wegschaute, flitzte Abe Tenneray hoch und aus der Telefonzelle.

Mike entdeckte den Alpha-Agenten.

Der Kerl rannte mit langen Sätzen die Straße entlang und verschwand um die nächste Ecke.

Mike, froh, den Burschen wiedergefunden zu haben, folgte ihm unverzüglich. Die Schmerzen ebbten allmählich ab, er humpelte nicht mehr, und sein Sprint war sehenswert.

Dennoch schaffte es Abe Tenneray, seinen Vorsprung zu halten. Sie hetzten durch ein Gewirr von Gassen, und wenig später tauchte der Alpha-Mann auf einem unkrautbewachsenen Gelände unter. Es gab eine riesige Halle ohne Dach. Sämtliche Fenster waren eingeschlagen. Gras wuchs auf dem mit Schutt bedeckten Fabrikhallenboden. Ringsherum wucherte üppig wilde Natur. Hier gab es Tausende von Möglichkeiten für Tenneray, sich zu verstecken.

Mike Borran tauchte auch in die Finsternis ein. Er wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann begab er sich auf die Pirsch. Selbst kein Geräusch verursachend, lauschte er nach Geräuschen, für die Tenneray verantwortlich war.

Er schlich an einer eingestürzten Wand vorbei. Noch befand er sich außerhalb der großen Fabrikhalle. Doch nun kletterte er hinein. Mit Dolly Dallas’ Beretta in der Hand suchte er jeden düsteren Winkel ab, jederzeit mit einem Angriff rechnend.

Plötzlich ein Geräusch.

Mike Borran vernahm es und kreiselte ohne Verzögerung herum. Er sah eine Gestalt. Es konnte nur Abe Tenneray sein. Der Alpha-Mann hatte seinen Revolver auf ihn angelegt.

Mike warf sich auf den Bauch.

Tennerays Waffe donnerte los. Eine lange Feuerlanze stach aus dem Pistolenlauf, und die Kugel strich sengend heiß an Mike Borrans Wange vorbei. Der CIA-Agent erwiderte das Feuer, kaum dass er auf dem Bauch lag.

Abe Tenneray verschwand hinter einer Mauer.

Mike federte hoch und folgte dem verbrecherischen Agenten, den er um jeden Preis kriegen musste. Aber Tenneray musste ihm lebend in die Hände fallen, denn ein toter Alpha-Agent konnte nicht mehr verraten, wo sich Malcolm Quiller befand.

Tenneray schien sich in der verschachtelten Fabrikhalle auszukennen. Er schien sich nicht zum ersten Mal hier drinnen zu befinden. Diesen Vorteil spielte er geschickt aus. Er spielte mit Mike Borran Katz und Maus, wobei niemals klar herauskam, wer nun eigentlich die Katze und wer die Maus war. Das wechselte ununterbrochen. Mal war Mike der Gejagte, dann wiederum der Jäger.

Aber dann kriegte Mike Oberwasser.

Sie lieferten einander ein erbittertes Feuerduell, und Mike gelang es, Tenneray in die Enge zu treiben. Tenneray wollte aus einem kaputten Fenster springen. Er rutschte von der brüchigen Mauer aber ab und fiel auf den Boden, und ehe er wieder hochschnellen konnte, war der CIA-Agent bei ihm.

Mike richtete Dolly Dallas’ Beretta auf ihn, woraufhin Tenneray seine Waffe wegwarf und liegend ergeben die Arme abspreizte.

„Nicht schießen, Borran!“, keuchte er. „Nicht schießen!“

„Los, steh auf!“, schnarrte Mike. „Und versuch ja nicht, den Helden zu spielen! Ich habe einen verdammt nervösen Zeigefinger, der mich ziemlich juckt!“

Abe Tenneray erhob sich langsam. Er wollte Mike auf keinen Fall einen Grund geben, abzudrücken. Schweiß glänzte auf seinem Gesicht. Er atmete schwer. „Du bist der bessere Mann“, presste er heiser hervor.

„Freut mich, dass du weißt, wann du verloren hast“, sagte Mike. „Im Parkhaus hast du ganz andere Töne gespuckt.“ Tenneray lächelte schief. „Es kommt immer darauf an, auf welcher Seite einer Waffe man steht. Befindet man sich dahinter, wie du jetzt, kann man sich einiges erlauben. Befindet man sich davor, muss man kleine Brötchen backen.“

„Bist du ein gescheiter Junge, Tenneray. Schade um dich. Ich meine, weil du für Alpha arbeitest. Man hätte auch bei uns Verwendung für dich gehabt.“

„Willst du mich bekehren?“

„Nein.Das hätte bei dir wohl keinen Sinn. Was habt ihr mit meinem Kollegen gemacht?“

„Wir nahmen ihn in unsere Obhut.“

„Geht es ihm gut?“

„Aber natürlich.“

„Wo befindet er sich?“

„Das kann ich dir leider nicht verraten, denn damit würde ich den einzigen Trumpf aus der Hand geben, der mir noch geblieben ist. So sehe ich noch eine Chance für mich.“

„Welche?“

„Ein Tausch. Du lässt mich frei, und meine Freunde lassen Quiller laufen.“

„Gar nicht so dumm“, sagte Mike.

„Und durchführbar.“

„Du kannst dir vorstellen, dass ich dich viel lieber ins Zuchthaus schicken würde.“

Tenneray grinste. „Auf irgendetwas müssen wir alle mal verzichten.“

„Na schön“, brummte der CIA-Agent. „Ich bin mit dem Tausch einverstanden. Wie soll er sich abwickeln?“

„Gar nicht!“, schrie Abe Tenneray plötzlich, als hätte er den Verstand verloren. Er hatte Raf Minelli und Kirkie Cross in der Dunkelheit auftauchen sehen und warf sich nun flach auf den Boden, um ihren Kugeln freie Bahn zu verschaffen.

Und die UZIs der Alpha-Leute fingen auch sofort zu hämmern an.

Mike hechtete zur Seite. Sein Instinkt hatte ihn gewarnt. Wenn er eine Sekunde später reagiert hätte, wäre es für ihn zu spät gewesen. Die Garben pflügten den Boden. Erde spritzte hoch. Kugeln klatschten gegen die Mauer. Mike rollte sich mehrmals herum. Brennnesseln entfachten in seinem Gesicht ein höllisches Feuer.

Er sprang auf, schoss, ohne zu zielen, denn dazu war keine Zeit, rannte im Zickzack durch die Halle, warf sich hin, sprang wieder auf, rannte weiter, während um ihn herum die Projektile der Alpha-Agenten pfiffen.

Er wäre nicht bei Trost gewesen, wenn er geblieben wäre. Das Blatt hatte sich sehr zu seinen Ungunsten gewendet. Also musste er sich absetzen und auf bessere Zeiten warten.

Abe Tenneray grapschte sich wieder seine Waffe und beteiligte sich an der wilden Schießerei.

„Schnappt ihn euch!“, brüllte er hasserfüllt. „Legt ihn um! Lasst ihn nicht entkommen!“

Sie hetzten Mike Borran wie einen Hasen. Er hatte Mühe, aus der Fabrikhalle unbeschadet herauszukommen. Auf dem finsteren Gelände warf er sich dann in eine Mulde, presste sich ganz fest auf den Boden und rührte sich nicht mehr. Sein Atem ging schnell. Sein Herz schien hoch oben im Hals zu schlagen. Schweiß rann ihm in die Augen. Er hörte, wie sich Tenneray und seine Komplizen etwas zuriefen.

Kirkie Cross schwenkte ab und kam auf Mike zu.

Der CIA-Agent schluckte die Aufregung hinunter und hob vorsichtig die Waffe. Wenn ihm Cross keine Chance ließ, würde er schießen müssen.

Der Mann mit der UZI kam näher.

Mike befürchtete, sein Herzklopfen könnte ihn verraten. Wie eine leblose Puppe lag er in der Mulde. Nur seine Augen lebten, waren hellwach, beobachteten den Alpha-Mann gespannt.

„Kirkie!“, rief Raf Minelli.

Cross blieb stehen.

Kehr um!, dachte Mike Borran aufgewühlt. Such woanders!

„Ich glaube, hier ist er!“, rief Minelli. „Hinter diesem Busch.“

Cross fuhr wie von der Natter gebissen herum. Er hastete zu Minelli zurück. Mike Borran atmete erleichtert auf. Die MPi-Agenten feuerten in den Busch. Sie flitzten gemeinsam mit Tenneray darum herum und hofften, Mike Borran dahinter tot liegen zu sehen. Ihre Enttäuschung war groß, als dies nicht der Fall war. Wieder schwärmten sie aus. Diesmal kam Raf Minelli, der Mann, der wie Adriano Celentano aussah, in Mike Borrans Nähe.

Der CIA-Agent fasste den Entschluss, sich den Alpha-Agenten zu schnappen, doch bevor er das tun konnte, rückte Minelli ab.

Sie gaben die Suche auf. Tenneray verließ mit ihnen das Gelände. Mike stand auf. Er huschte hinter ihnen her. Sie stiegen in ihren Buick, und als sie losfuhren, hatte Mike das Nachsehen. Das schmerzte ihn. Wegen Malcolm Quiller.

11

Es war ein logischer Schritt für Mike Borran, dass er zu Dolly Dallas zurückkehrte. Nicht, um ihr die Beretta, für die sie garantiert keinen Waffenschein besaß, wiederzubringen, sondern um von ihr zu erfahren, wo sich das Alpha-Versteck befand, in dem Quiller gefangengehalten wurde. Sie hatte gesagt, sie wisse das nicht, aber er glaubte ihr nicht.

Grimmig machte er sich auf den Rückweg. Er fuhr mit dem Fahrstuhl hoch. Auf sein Läuten und Klopfen öffnete ihm das Mädchen nicht. Er verschaffte sich mit einem Mini-Dietrich, der sich im Stahlband seiner Uhr befand, Einlass. Das Apartment war leer. Dolly Dallas schien es in großer Hast verlassen zu haben.

Darüber konnte sich Mike Borran verständlicherweise nicht gerade riesig freuen.

Er sah sich in der Wohnung gründlich um, entdeckte aber keinen Hinweis auf Alpha. Verdrossen verließ er das Apartment, stieg in seinen Chevrolet und kurvte zum „Valentino“ zurück.

Einige haarsträubende Dinge waren seit seinem ersten Besuch passiert. Lou Crippins befand sich nicht mehr im Lokal. Der war wohl nach Hause gegangen, um sich in aller Stille zu schämen. Auch Dolly Dallas suchte Mike Borran in der Bar vergebens.

„Sie war kurz da“, sagte der Barkeeper. „Mein Gott, was haben Sie mit ihr gemacht, Mister? Sie war ganz verstört.“ Mike öffnete das Jackett seines ziemlich ramponiert aussehenden Anzugs. Der Keeper sah die Beretta, die in Mikes Gürtel steckte.

„Haben Sie das Feuerzeug schon mal gesehen?“, fragte der CIA-Agent.

„Nein.“

„Es gehörte Dolly Dallas. Sie hat mich damit bedroht.“

„Ist sie denn verrückt geworden? Was hatte sie denn für einen Grund dafür?“

„Keine Sorge, ich wurde nicht zudringlich. Dolly wollte mich einem Killer übergeben.“

„Das glaube ich nicht.“

„Es ist leider so, und nun möchte ich von Ihnen hören, wo ich Dolly finde.“

„Sie ist mit Lou Crippins weggegangen.“

„Hat er ihr denn keine geknallt?“

„Wo denken Sie hin. Der ist froh, wenn ihm Dolly ihre Freundschaft nicht auf kündigt.“

„Wo wohnt er?“

Der Keeper nannte die Adresse, sagte aber sofort dazu: „Die haben Sie aber nicht von mir. Ich bin kein so routinierter Fighter wie Sie und möchte nicht, dass Lou mich durch die Mangel dreht. Ich mach’ mich nicht besonders gut als Hackfleisch.“

„Ich hab schon vergessen, wer mir seine Adresse gab“, versicherte Mike.

„Zufrieden?“

Der Keeper nickte, und Mike ging.

Mike läutete, und Lou Crippins öffnete. Der Ex-Footballstar zuckte zurück, als hätte ihm Mike Borran schon wieder eine gelangt. Das war seine erste Reaktion. Die zweite war ...

„Du verfluchter Hund!“, knurrte das Ass von einst. Er dachte, in der zweiten Runde besser aussehen zu können. Die Schmach der Niederlage war noch nicht verdaut, der Hass auf Mike noch groß. Er schlug zu. Mike nahm den Kopf zur Seite, und wiederum stieß die handkoffergroße Faust des streitsüchtigen Sportlers knapp am Ziel vorbei.

Mike hatte keine Lust, sich mit dem Kerl noch einmal herumzuschlagen. Er riss blitzschnell Dollys Beretta aus dem Gürtel und stieß sie gegen Crippins.

„Sei friedlich, sonst kriegst du Magenbluten!“, zischte er. Er hätte nicht wirklich abgedrückt, aber das konnte Crippins nicht wissen.

Der Mann erstarrte zur Salzsäule.

„Leg den Rückwärtsgang ein!“, befahl ihm der CIA-Agent. Fahl im Gesicht wich Crippins Schritt um Schritt zurück. Bis ins Wohnzimmer, wo Dolly Dallas saß. Sie trug einen weißen Pulli und schwarze Jeans und war ebenso blass wie Crippins. „Setzen!“, kommandierte Mike.

Da Dolly schon saß, konnte das nur Crippins angehen. Er begriff das auch sofort und ließ sich in einen Sessel fallen. Jemand ächzte. Ob es der Sessel war oder Lou Crippins, vermochte Mike nicht zu sagen. Es war auch von zweitrangiger Bedeutung.

Dolly Dallas starrte Mike entgeistert an. Sie schien nicht damit gerechnet zu haben, ihn in diesem Leben noch einmal wiederzusehen.

Mike wies auf Crippins und fragte das Mädchen: „Hat er dir verziehen?“

„Was verziehen?“, fragte sie zurück. „Dass du dich mir als Wanderpokal zur Verfügung gestellt hast.“

„Lou verzeiht mir alles.“

„Auch Beihilfe zum Mord?“

Lou Crippins riss die Augen auf. „Was sagen Sie da, Borran?“

„Sie wollte mich ohne mit der Wimper zu zucken einem Killer übergeben“, erklärte der Agent.

Crippins Blick richtete sich ungläubig auf das Mädchen. „Ist das wahr, Dolly? Er lügt. Nicht wahr, er lügt!“

Dolly Dallas blieb ihm die Antwort schuldig, und das war ihm Antwort genug. Er wusste, dass Mike Borran die Wahrheit gesagt hatte.

„Dolly!“, stieß er entrüstet hervor. „Wie konntest du ...?“

„Zum Glück ging die Sache in die Hose“, sagte Mike Borran, das Mädchen scharf ansehend. „Aber Abe Tenneray konnte sich dünnmachen, und nun bin ich hier, um von dir zu erfahren, wo ich ihn finde. Die Zeit der netten Spiele ist vorbei, Dolly. Sag mir nicht wieder, du weißt nicht, wo Tenneray steckt. Ich müsste dich sonst, so leid es mir täte, härter anfassen.“

Das Mädchen klemmte die Hände zwischen die Knie. „Ich weiß trotzdem nicht, wo Abe ist.“

„Verdammt, sag’s ihm!“, bellte Lou Crippins. Dass er sich auf Mikes Seite stellen würde, hätte dieser am allerwenigsten erwartet. „Du hast etwas wiedergutzumachen, Dolly!“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich sage die Wahrheit.“

„Gehörst du ebenfalls der Vierten Macht an?“, fragte Mike schneidend.

„Nein“, antwortete das Mädchen mit offenem Blick.

„Wusstest du, dass Abe für die Alpha-Organisation tätig ist?“

„Ich hab’s geahnt. Er hat es mir nie gesagt.“

„Warum wolltest du mich ans Messer liefern, Dolly?“

„Weil ich eine Stinkwut auf dich hatte!“, ereiferte sich das Mädchen. „Du hast dich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in meine Wohnung eingeschlichen. Dir lag überhaupt nichts an mir. Du wolltest mich nur als Mittel zum Zweck benutzen. Über mich wolltest du an Abe Tenneray herankommen, und darüber habe ich mich geärgert.“

„Ich habe immer noch dieselbe Absicht“, sagte Mike. „Und diesmal wirst du mir helfen.“

„Das kann ich nicht.“

„Na schön, dann wirst du mich begleiten.“

„Wohin?“

„Zur Polizei. Wir werden denen eine schöne Geschichte erzählen, und ich bin sicher, dass man dich eine ganze Weile dabehalten wird.“

„Ich kann dir nicht sagen, wo Abe steckt, weil ich seinen Aufenthaltsort nicht kenne“, behauptete Dolly Dallas wieder.

„Du hast ihn angerufen.“

„Das stimmt nicht“, sagte Dolly. „Es gibt eine Nummer, die rufe ich an, wenn ich etwas von Abe will. Und Abe ruft dann irgendwann zurück.“

„Gib mir die Nummer“, verlangte Mike Borran.

„2333465.“

„Nimmst du von jemandem, der nicht nachtragend ist, einen Rat an?“, fragte der Agent.

„Kommt auf den Rat an.“

„Lass den Dingen ihren Lauf. Misch dich nicht mehr ein. Lass die Sache Abe und mich austragen. Das ist kein Geschäft für ein Mädchen wie dich. Wenn du Abe warnst, zwingst du mich, dich ins Gefängnis zu bringen. Sei dankbar, dass ich ein Auge zudrücke, und halte dich aus der Angelegenheit raus.“

Lou Crippins nickte. „Das wird sie, Mr. Borran. Ich werde persönlich darauf achten.“

Mike grinste. „Wer hätte gedacht, dass wir beide uns noch einmal so gut verstehen würden?“

12

Gelassen blickte Malcolm Quiller zur Tür, als sie aufschwang.

„Es ist wieder mal Zeit“, sagte Hoss Cranston. Diesmal kam er allein. „Wie fühlen Sie sich, Quiller?“

„Gut“, sagte der CIA-Agent.

„Keine Beschwerden?“

„Keine. Nur Durst.“

Doc Cranston nickte. „Das ist normal. Ich schicke Ihnen nachher Kirkie Cross mit einem in Wasser aufgelösten Vitaminpräparat. Das wird Sie topfit machen.“ Quiller schaute den Alpha-Arzt ergeben an. Ihm war alles recht. Die Persönlichkeitsveränderung schritt ziemlich rasch vorwärts. Das Serum hatte Quillers trotzigen Widerstand unterhöhlt und bereits größtenteils zum Einsturz gebracht. Es war vorbei mit Quillers unbändigem Freiheitsdrang. Es machte ihm nichts mehr aus, hier von seinen Feinden gefangengehalten zu werden. Und überhaupt — Feinde, das waren diese Leute nicht mehr für ihn. Hoss Cranston bereitete alles für die dritte Injektion vor. „Ich bin mit Ihnen sehr zufrieden“, lobt er. „Sie sprechen auf das Serum hervorragend an. Besser, als ich erwartet habe.“

„Wann wird man mir die Fesseln abnehmen?“, fragte Malcolm Quiller.

„Gleich“, sagte Doc Hoss Cranston. „Sobald Sie Ihre dritte Spritze gekriegt haben.“

Cranston trat an den Gefangenen heran. Quillers Inneres lehnte sich nicht gegen die Injektion auf. Er war innerlich seltsam leer geworden. Ein hohler Mensch, der nur noch von diesem Serum ausgefüllt war.

Der Arzt stach ihm die Kanüle in den Arm, seine Lider zuckten kurz, und mit dem nächsten Herzschlag setzte ein dumpfes Brausen in seinen Ohren ein.

Aber das hielt nicht lange an. Gleichgültigkeit stieg ihm in den Kopf. Er wusste zwar noch, wer er war, aber zwischen Recht und Unrecht konnte er nicht mehr unterscheiden. Er fand alles richtig, was mit ihm passierte.

Nach der vierten Spritze würde er völlig umkippen, das stand für Doc Cranston jetzt schon fest.

Quillers Herz wurde kalt und gefühllos. Wenn sie ihn losgeschickt hätten, damit er einen seiner Familienangehörigen umbrachte, hätte er es getan.

Hoss Cranston band ihn vom Stuhl los. Er sprang nicht auf, versuchte nicht zu fliehen. Er sagte nur: „Danke.“ Und massierte seine schmerzenden Handgelenke.

Das Serum machte ihn zum Alpha-Roboter.

Die vierte Injektion würde seinen gefährlichen Zustand nachhaltig vertiefen.

Cranston verließ den Raum. Quiller blickte ihm ohne Groll nach. Noch sperrte der Arzt die Tür zu, aber nach der letzten Spritze würde auch das nicht mehr nötig sein.

Quiller war zehn Minuten allein. Er stand auf und vertrat sich ein wenig die Beine. Er machte sich keine Gedanken. Es interessierte ihn nicht, wo er war, und der Umstand, wie er hierhergekommen war, regte ihn nicht mehr auf.

Kirkie Cross brachte ihm das Vitaminpräparat. „Hallo, Kumpel“, sagte der hässliche Alpha-Agent grinsend. „Doc Cranston singt die schönsten Lobeshymnen über dich. Hier, trink, damit du groß und stark wirst.“

Quiller leerte das Glas auf einen Zug.

Cross lachte. „Als ob du einen Marsch durch die Wüste hinter dir hättest. Wie ist’s um dein Gedächtnis bestellt?“

Quiller zuckte mit den Achseln. „Weiß nicht.“

„Ist dir noch der Name Mike Borran geläufig?“

„Natürlich. Er ist mein Freund.“

„Das war er mal. Jetzt ist er dein Todfeind.“

„In Ordnung.“

„Der Bursche hatte verdammt viel Schwein. Wir hätten ihn in ’ner aufgelassenen Lokomotivfabrik beinahe erwischt. Tut es dir leid, dass wir’s nicht geschafft haben?“

„Ja“

„Nun, vielleicht kriegst du schon bald die Gelegenheit, ihn für uns umzunieten. Wenn er dich sieht, wird er an keine Gegenwehr denken, und wenn er daran denkt, ist es für ihn schon zu spät. Würdest du Borran für uns töten?“

„Wann immer ihr wollt“, sagte Malcolm Quiller emotionslos.

Kirkie Cross lachte zufrieden. „Gut, Kamerad.“ Er klopfte anerkennend auf Quillers Schulter. „Das ist sehr gut.“

13

Es ließ sich unschwer feststellen, dass es sich bei der Telefonnummer, die Mike Borran von Dolly Dallas bekommen hatte, um ein vornehmes Freizeitcenter handelte. Stressgeplagte Manager konnten hier etwas für ihre angegriffenen Nerven tun. Es gab Bodybuilding-Geräte, Tennisplätze, Sauna, Solarium, ein riesiges Schwimmbecken mit Sprungturm, man konnte Golf spielen und reiten — es gab kaum etwas, das man hier nicht tun konnte.

Da es sich um einen Clubbetrieb handelte, war der Zutritt nicht jedem möglich, aber man konnte sich für teures Geld eine Gastkarte kaufen, die jedoch nur an Personen ausgegeben wurden, von denen man annahm, dass sie in diesen erlesenen Rahmen passten.

Mike Borran hatte sich rasch umgezogen, bevor er losging, und er hatte keine Schwierigkeiten, eine Gastkarte zu kriegen.

Er steuerte auf die große Restaurant-Terrasse zu und setzte sich an einen freien Tisch. Der Kellner — weißes Jackett mit Goldknöpfen und schwarze Hosen — kam zu ihm, und er bestellte einen trockenen Martini.

Nachdem er seinen Drink vor sich stehen hatte, ließ er seinen Blick schweifen. Hier also war der Alpha-Agent Abe Tenneray bekannt. Steckte die Vierte Macht unter diesem vornehmen Deckmäntelchen?

Hier trafen sie sich konzentriert, die reichen, einflussreichen Persönlichkeiten von New York. An so manchem Tisch war wohl schon Politik gemacht, waren schon große Geschäfte abgeschlossen worden. War Alpha mit Abhörgeräten dabei? Belauschte sie ihre ahnungslosen Clubmitglieder hier? Bestimmt ließ sich die Vierte Macht eine solche Gelegenheit nicht entgehen. So erfuhr sie aus erster Hand Dinge, die offiziell nie zur Sprache kamen — und konnte ihre entsprechenden Dispositionen treffen.

Das Freizeitparadies — ein Alpha-Nest.

Das hätte zu den hinterlistigen Machenschaften der Vierten Macht gepasst.

Mikes Blick wanderte zu den Tennisplätzen hinüber. Auf Platz eins spielte ein stadtbekannter Bankier mit einem ebenso bekannten Kommunalpolitiker. Der Bankier, mittelgroß, schwerfällig und ehrgeizig, gab sich redlich Mühe, vermochte sich aber gegen den jüngeren, schlankeren, schnelleren Politiker in keiner Phase des Matches zu behaupten.

Mike sah den beiden eine Weile zu. Der Bankier rackerte sich ab. Ihm hing die Zunge aus dem Hals. Sein Gegner ließ ihm keine Chance und besiegte ihn mit 6:0.

Die beiden reichten einander anschließend die Hand und verließen den Platz. Mikes Augen begaben sich auf die Suche nach weiteren bekannten Gesichtern, und plötzlich stutzte er.

In der Nähe der Umkleidekabinen stand ein drahtiger Mann, der große Ähnlichkeit mit einem Fuchs hatte.

Ein Alpha-Unterläufer. Joe Rassendyll war sein Name. Kein großes Licht. Die Vierte Macht setzte ihn nicht gern in vorderster Front ein, weil Gefahr bestand, dass er da Mist baute. Aber es gab auch hinter den Linien genügend Jobs, mit denen man Rassendyll betrauen konnte.

Da Rassendyll sich hier herumtrieb, konnte das Freizeitcenter nur der Vierten Macht gehören. Joe Rassendyll war für Mike Borran gewissermaßen der Beweis für seine Vermutung.

Mike ließ sein noch fast volles Glas stehen. Er erhob sich.

Joe Rassendyll unterhielt sich mit einer rothaarigen, attraktiven Frau, die stramme Reitkleidung trug.

Mike war sicher, dass der Alpha-Mann wusste, wo Abe Tenneray zu finden war. Und wo Tenneray steckte, befand sich auch Malcolm Quiller, der arme Hund, der sich selbst nicht helfen konnte. Mikes Miene verfinsterte sich. Joe Rassendyll würde ihm sagen müssen, welcher Weg zu Tenneray führte.

Wenn er nicht redet, dachte der CIA Agent, ziehe ich ihm spanische Stiefel an und drehte ihm die Daumenschrauben zu.

Joe Rassendyll lachte herzlich. Er verabschiedete sich von der Rothaarigen, die sich Richtung Reitstall entfernte.

Mike Borran verließ die Restaurant-Terrasse, nachdem er eine Banknote unter das Martiniglas geklemmt hatte. Er wollte nicht als Zechpreller hinausgeworfen werden.

Rassendyll drehte sich um und ging an den Kabinen vorbei. Mike Borran folgte ihm. Lautlos schlich er hinter dem Mann her. Sie erreichten einen Teil des Freizeitcenters, wohin sich kein Clubmitglied verirrte.

Hier war die Verwaltung untergebracht.

Hier war Mike Borran mit dem Alpha Mann allein. Der CIA-Agent zog seinen Smith & Wesson, damit Joe Rassendyll auf Anhieb den Ernst der Lage erkannte. Mit großen Schritten holte Mike den Burschen ein.

Rassendyll spürte plötzlich jemandes Nähe hinter sich.

Er fuhr herum — und blickte in die Mündung von Mike Borrans Revolver.

„Vorsicht“, sagte Mike grinsend. „Gleich entgleisen deine Gesichtszüge!“

„Borran!“ presste Joe Rassendyll heiser hervor. Seine Lider flatterten aufgeregt. Die Situation war ihm schrecklich unangenehm. Sein unsteter Blick suchte einen Ausweg, vermochte aber keinen zu finden.

„Mitglied hier?“, fragte Mike Borran.

„Was geht dich das an?“

„Warum bist du denn so unfreundlich?“, fragte Mike schmunzelnd.

„Immerhin bedrohst du mich mit einer Waffe!“

„Ich bedrohe dich damit nicht, ich zeige sie dir nur“, erwiderte der CIA-Agent. „Damit du auf keine dummen Gedanken kommst.“

„Was willst du hier, Borran?“

,,Ich sag’s dir gleich. Erst muss ich dir noch eine Gewissensfrage stellen: Bist du sauber?“

„Sauber?“

„Du weißt, was ich damit meine. Trägst du eine Kanone bei dir?“

„Nein.“

„Darf ich mich überzeugen?“

„Meinetwegen.“ Rassendyll spreizte die Arme ab. Mike trat auf ihn zu. Er setzte ihm den Revolver an die Brust und tastete ihn ab. Es stimmte. Joe Rassendyll war unbewaffnet. Sobald sich das herausgestellt hatte, steckte Mike sein Schießeisen weg. Er machte Joe Rassendyll aber darauf aufmerksam, dass er schneller als ein Westernheld ziehen konnte.

„Also lass dir keine Dummheiten einfallen“, warnte er den Alpha-Mann.

„Was suchst du hier, Borran?“

„Wem gehört dieses Freizeitcenter? Der Vierten Macht?“

„Der Besitzer heißt Mike Kendall.“

„Das ist bloß ein Name. Wer steht hinter Kendall? Komm schon, Joe, sag es mir. Wieso treibst du dich hier herum?“

„Darf ich nicht auch mal was für meine Gesundheit tun?“

„Dafür würdest du am meisten tun, wenn du dich von Alpha verabschieden würdest“, sagte Mike. „Wer für die Vierte Macht arbeitet, riskiert Kopf und Kragen. Das kann auf die Dauer nicht gutgehen. Es besteht die Gefahr, dass man dich eines Tages zum Krüppel oder gar totschießt.“ Joe Rassendyll bleckte die Zähne. „Direkt rührend, wie du um mich besorgt bist.“

„Ich bin eben ein Philanthrop — ein Menschenfreund.“

„Was du nicht sagst.“

„Sauer werde ich nur, wenn man sich an meinen Freunden vergreift.“

„Ist das denn passiert?“

„Allerdings“, bestätigte Mike. „Und du weißt es.“

Rassendyll versuchte eine Unschuldsmiene aufzusetzen. „Ich schwöre dir, ich habe keine Ahnung.“

„Ich weiß, dein Name ist Hase. Rassendyll ist bloß dein Pseudonym. Ich könnte mir vorstellen, dass du mir furchtbar gern einen Gefallen erweisen würdest, damit ich dir gewogen bleibe. Weil du es dir nicht leisten kannst, mich zu verärgern.“

„Sag bloß, du bist meinetwegen hergekommen.“

„Nein, unser Zusammentreffen hat sich rein zufällig ergeben.“ Mike lachte. „Wenn du könntest, würdest du dich beim Zufall jetzt dafür mit einem Fußtritt bedanken, stimmt’s?“

„Nun, ich bin über diese Begegnung nicht gerade besonders erfreut, wie du dir denken kannst.“

„Ich weiß, wie sehr du mich ins Herz geschlossen hast“, sagte Mike zynisch. „Du würdest mich am liebsten zum Mond schießen. Mir geht’s mit dir genauso, aber wir wollen einen Moment nicht an das denken, was wir gern tun würden, sondern wie zwei vernünftige Menschen miteinander reden. Das wird dir vermutlich sehr schwerfallen, aber ich bitte dich dennoch, es wenigstens zu versuchen. Ich werde dir jetzt einen Namen nennen, und dann singst du mir die dazugehörige Arie vor, okay? Also: Malcolm Quiller.“

Joe Rassendyll nagte an seiner Unterlippe.

„Was ist?“, fragte Mike ungeduldig.. „Ich höre nichts. Hast du mich nicht verstanden? Ihr habt Malcolm Quiller entführt!“

„Wir?“

„Abe Tenneray und seine Komplizen. Für mich ist das kein Unterschied. Ich werfe euch Verbrechergesindel alle in einen Topf. Dich auch, und ich rate dir, jetzt gleich die Zähne auseinanderzunehmen, sonst werde ich ungemütlich. Hier sind wir ungestört, und es wäre mir nicht gerade angenehm, aus dir herauszuprügeln, was ich wissen möchte. Wo befindet sich mein Freund Quiller?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Kirkie Cross, Raf Minelli, Abe Tenneray — wo stecken die?“

„Das weiß ich nicht.“

„Gleich knallt’s!“, knurrte Mike Borran.

„Richtig“, sagte Joe Rassendyll, und in seinen Augen erschien ein Ausdruck, der Mike Borran nicht gefiel: Erleichterung, Hohn, Triumph ... Mike wusste sofort, wieso sich Joe Rassendyll auf einmal so großartig fühlte. Die Hand des CIA-Agenten zuckte zur Waffe. Gleichzeitig schraubte er sich herum. Der Mann, der mit seinem Totschläger auf ihn einschlug, war für ihn nicht mehr als ein dunkler Schatten. Volltreffer. Für Mike gingen alle Lampen aus. Er brach zusammen. Den Smith & Wesson hatte er nicht einmal zur Hälfte aus dem Leder gebracht.

14

Mist!, dachte Mike, als er die Augen aufschlug. Er konnte sich sofort wieder an sein Pech erinnern. Joe Rassendyll hatte ihn hingehalten, hoffend, dass jemand von Alpha sie beide sehen und eingreifen würde, und genau dazu war es gekommen.

Der CIA-Agent hob den Kopf. Als ersten erblickte er Rassendyll. Wurde ihm seinetwegen plötzlich übel?

Mike setzte sich auf. Er hatte halb schräg in einem klobigen Sessel gelegen. Jetzt hielt Rassendyll auf einmal eine Waffe in der Hand. Einen Smith & Wesson. Mikes Smith & Wesson.

„Ist ein verdammt mieses Gefühl, in die Mündung einer Kanone zu sehen, wie?“, sagte Rassendyll spöttisch.

„Fast ebenso mies, wie dir ins Gesicht zu sehen“, erwiderte Mike Borran. Er befand sich in einem Raum, der mit Mooreichenholz getäfelt war. Mike und Rassendyll waren nicht allein.

Hinter einem großformatigen antiken Schreibtisch saß ein gutaussehender Mann mit grauen Schläfen, im eleganten Nadelstreifenanzug, typisch Manager. Mike vermutete, dass er Mike Kendall hieß und hier im Sinne der Vierten Macht aktiv war.

Neben dem Schreibtisch stand ein vierschrötiger Bursche, dem Mike wahrscheinlich den leichten Kopfschmerz verdankte, der ihn quälte.

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Borran“, sagte Mike Kendall.

„Ganz meinerseits“, gab Mike bitter grinsend zurück.

„Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“

„Ich von Ihnen leider noch gar nichts. Sind Sie ein Strohmann von Alpha, oder gehören Sie der Organisation als vollwertiges Mitglied an?“

„Warum interessiert Sie das?“

„Man möchte doch wissen, mit wem man es zu tun hat.“

„Das ist für Sie jetzt doch ohne Bedeutung. Wenn wir Sie von hier fortbringen, werden Sie tot sein.“

„Schade“, sagte Mike trocken. „Wo ich doch noch so viel vorhatte.“

„Was zum Beispiel?“

„Euch alle zur Hölle zu schicken.“ Kendall sprang auf. Es funkelte gefährlich in seinen Augen. Einen Moment hatte es den Anschein, der Alpha-Mann würde um den Schreibtisch herumeilen und Mike Borran einen Faustschlag versetzen. Aber Kendall beruhigte sich gleich wieder.

„Ihre Zeit ist um, Borran. Der Countdown läuft bereits. Es wird mir ein besonderes Vergnügen bereiten, Sie umzubringen. Kommen Sie, ich möchte Ihnen mein Spielzeug zeigen.“

Rassendyll und der Vierschrötige flankierten Mike Borran. Von zwei Seiten wurden ihm Waffen an den Körper gesetzt. Mike erhob sich. Er hatte keine andere Wahl. Seine Knie waren noch ein bisschen weich, aber die würden sich bald wieder festigen — vorausgesetzt die Alpha-Agenten schickten ihn nicht zuvor ins Jenseits.

Kendall warf einen ungeduldigen Blick auf seine Digitaluhr. „Beeilen Sie sich, Borran. Ich bin in Eile.“

„Ich nicht“, erwiderte der CIA-Agent trocken. Joe Rassendyll versetzte ihm einen derben Stoß. Mike hätte sich dafür gern mit einer schallenden Ohrfeige revanchiert, aber er durfte Joe Rassendyll nicht reizen, sonst legte der ihn mit seiner eigenen Waffe um.

Kendall ging voraus. Sie begaben sich in den Keller.

„Jeder Mensch hat so seine kleinen Spleens“, sagte Mike Kendall im Plauderton. „Mich fasziniert es ungemein, mit Laserstrahlen zu experimentieren. Die Alpha-Organisation war so freundlich, mir eine Laserkanone zur Verfügung zu stellen. Ich kann mich damit stundenlang beschäftigen: Mäuse töten, Ratten sezieren ... Ich sage Ihnen, in diesen gebündelten Lichtstrahlen steckt eine ungeheure Energie.“

Sie gelangten in einen Raum, der als Laboratorium eingerichtet war.

Und das Prachtstück hier drinnen stellte die Laserkanone dar, ein klotziges, stahlummanteltes Ding, das Strahlen produzieren konnte, die für einen Menschen tödlich waren.

„Leider fehlt mir die Zeit, Ihnen das Gerät jetzt vorzuführen“, sagte Mike Kendall und streichelte den Stahlmantel fast liebevoll. „Ich muss dringend weg. Aber morgen werden wir beide uns für die Kanone soviel Zeit nehmen, wie wir brauchen, Borran, nicht wahr?“

„Ganz, wie Sie meinen“, sagte Mike. Kendall trat einen Schritt näher. Seine Augen verengten sich. „Wir werden hier unten allein sein, Borran. Sie, ich und die Kanone, und ich werde Ihnen demonstrieren, was dieses Wunderding alles kann. Ich werde Sie mit bloßem Licht in Stücke schneiden. Ist das nicht fantastisch?“

„Ich könnte mich dafür mehr begeistern, wenn Sie bereit wären, mit mir Platz zu tauschen“, erwiderte Mike.

Mike Kendall lachte gepresst. Er war aufgeregt. Das kam wohl von der Vorfreude. „Morgen, Borran“, sagte er heiser. „Morgen ist unser großer Tag.“ Er trat einen Schritt zurück. „Bringt ihn nach oben!“, befahl er Rassendyll und dem Vierschrötigen. „Versuchen Sie in den paar Stunden, die Ihnen noch bleiben, so intensiv wie möglich zu leben, Borran.“

„Ich werd’ mir Mühe geben“, versprach Mike.

„Da lang“, sagte Rassendyll und versetzte dem CIA-Agenten wieder einen derben Stoß.

„Warum bist du denn so unfreundlich zu mir?“, fragte ihn Mike Borran rügend. „Ich verhelfe deinem Boss zu einem noch nie dagewesenen Erlebnis. Da kann ich doch wohl eine zuvorkommende Behandlung verlangen.“

Die beiden Alpha-Leute führten Mike zu einem Transportfahrzeug. Mike Kendall kam nicht mehr mit. Er hatte es wirklich eilig, verließ den Keller, lief zu seinem Wagen, stieg ein und fuhr fort.

Während er das große Areal des Freizeitcenters verließ, gondelte Mike mit seinen Bewachern im Transportlift bis zum Dachgeschoss hoch. Dort oben betraten sie mit ihm eine fensterlose Kammer, in der nichts weiter als ein Stahlrohrbett stand. Auf dieses warfen sie ihn, banden ihm Arme und Beine zusammen, knebelten ihn und wünschten ihm eine gute Nacht.

Sie sperrten ihn ein und vergaßen ihn.

Da lag er nun und war mit sich und der Welt unzufrieden. Er wusste immer noch nicht, wo sich Malcolm Quiller befand, und zu allem Überfluss wartete auf ihn auch noch ein außergewöhnliches Ende.

Kendall, dieser Sadist, würde sich sehr viel Mühe mit der Laserkanone geben. Er würde bestimmt danach trachten, Mike nicht zu rasch sterben zu lassen.

Da es kein Vergnügen war, vom Laserstrahl zerteilt zu werden, bemühte sich Mike Borran, so rasch wie möglich freizukommen.

Doch die Nylonfesseln saßen verdammt stramm und ließen sich kaum dehnen. Musik schwebte zu Mike Borran hoch. Sie kam aus dem Restaurant. Er vernahm die typischen Tennisgeräusche: popppopppopp ... Aber allmählich wurde es ruhiger. Wagen fuhren ab. Um Mitternacht wurde das Restaurant geschlossen. Die letzten Fahrzeuge verließen das Gelände des Freizeitcenters. Stille kehrte ein. Wachhunde wurden aus dem Zwinger gelassen. Sie bellten ab und zu. Und Mike Borran lag auf dem Stahlrohrbett und konnte sich nicht helfen.

Die Stunden rasten dahin.

Mike unternahm immer wieder einen neuen Versuch, sich zu befreien. Bald brach der neue Tag an. Kendall würde zurückkehren, und eine Menge Zeit für sein grausames Spiel haben. Mike war klar, dass er nicht mehr hier sein durfte, wenn Kendall eintraf. Aber im Moment sah es nicht danach aus, als würde er es schaffen, lebend von hier fortzukommen.

Der Schweiß rann ihm in breiten Bächen über das Gesicht. Seine Handgelenke warten dick geschwollen und blutig gescheuert. Mike biss die Zähne zusammen. Aufgeben kam für ihn nicht infrage. Er durfte nicht resignieren. Wenn es ihm gelang, mit seinen Fingerspitzen das Stahlband seiner Uhr zu erreichen, gab es für ihn noch einen kleinen Hoffnungsschimmer.

Das Band hatte es im wahrsten Sinne des Wortes in sich: Man konnte es als Schlagringersatz verwenden, die Glieder enthielten Thermitpatronen, eine Rasierklinge, ein Mini-Messer, Schlüssel, Schraubenzieher, Säge, Feile ...

Eines von diesen Werkzeugen benötigte Mike.

Aber er kam nicht richtig ran.

Draußen graute schon der Morgen. Mike Borran trug immer noch seinen aussichtslos scheinenden Kampf um die Freiheit aus. Beharrlichkeit führt zum Ziel, sagte er sich immer wieder, und das stimmte auch.

Nach vielstündigem Bemühen gelang es ihm endlich, das Mini-Messer herauszuklappen. Unermüdlich zog er die kleine scharfe Klinge über die Nylonfessel. Da er die Hände kaum bewegen konnte, dauerte es sehr lange, bis sich der Erfolg einstellte.

Mikes Herz machte einen Freudensprung, als der Strick endlich riss. Er atmete erleichtert auf, schleuderte die Fessel auf den Boden und widmete sich mit tauben Fingern den Fußfesseln. Erst danach riss er sich den Knebel aus dem Mund, stand auf und schlich zur Tür. Er hätte das Schloss knacken können, aber da er nicht wusste, ob sich draußen ein Wachtposten befand, beschloss er, lieber dort auszurücken, wo es niemand vermutete.

Er schnitt eine Öffnung in die Trockenputzplatte, die groß genug war, um hindurchschlüpfen zu können. Anschließend riss er die Isolierwolle herunter, die sich vor den Dachziegeln befand. Und dann ging er daran, einen Ziegel nach dem anderen vom hölzernen Lattenrost des Dachstuhls abzuheben.

Der Himmel über ihm war bleigrau. Er kroch durch die Öffnung auf das Dach und blickte in die Tiefe. Zwei Etagen. Keine weltbewegende Höhe. Bei einem Absturz konnte man sich aber dennoch das Genick brechen, deshalb ließ es Mike nicht an der nötigen Vorsicht mangeln.

Das Dach hatte eine steile Neigung. Sitzend arbeitete sich der CIA-Agent auf die Dachrinne zu.

Nur nicht ins Rutschen kommen!, dachte Mike Borran. Sonst fliegst du wie ein Skispringer durch die Luft.

Unter einer Trauerweide bewegte sich jemand. Der Vierschrötige. Ein Frühaufsteher. Oder war er noch gar nicht im Bett gewesen? Der Mann führte einen deutschen Schäferhund an der Leine. Ein prächtiges Tier. Mike hatte dennoch nicht den Wunsch, von ihm gebissen zu werden.

Der Hund wandte den Kopf und blickte in Mikes Richtung. Er fing zu bellen an und zerrte an der Leine.

Mike legte sich blitzschnell auf den Rücken. Der Vierschrötige schaute zum Dach hoch, ohne den CIA-Agenten zu sehen.

„Was hast du denn?“, fragte der Alpha Mann ärgerlich. „Was ist denn mit dir los, du blödes Vieh? Dort oben ist doch nichts. Komm. Komm weiter!“ Er zerrte den Hund mit sich, und Mikes Brust entrang sich ein tiefer Atemzug. Er setzte sich vorsichtig wieder auf und schob sich weiter auf die Dachrinne zu. Diese kroch er dann entlang, bis er das senkrecht verlaufende Rohr erreichte. Daran kletterte er hinunter, und er war froh, als er endlich wieder festen Boden unter seinen Füßen hatte.

Einsam und verlassen stand sein Wagen auf dem Parkplatz.

Mike rannte los.

Und plötzlich war der Teufel los. Hunde jagten kläffend hinter ihm her. Vier, fünf kräftige Tiere. Der Vierschrötige brüllte Rassendylls Namen, und Joe Rassendyll stieß im Erdgeschoss ein Fenster auf. Er hielt ein Schnellfeuergewehr in seinen Händen und versuchte Mike Borrans Sturmlauf damit zu stoppen.

Der CIA-Agent hetzte im Zickzack auf den Chevrolet zu. Er erreichte das Fahrzeug wenige Augenblicke vor den Hunden. Die Zeit reichte gerade noch für ihn, einzusteigen und die Tür zuzuwerfen. Dann war das erste Tier heran. Es sprang seitlich am Fahrzeug hoch. Mit scharfen Krallen kratzte es über das Blech. Seine Lefzen waren hochgezogen, die gefährlichen Reißzähne gefletscht.

Mike startete und raste los.

Rassendyll sprang schießend aus dem Fenster.

Der Vierschrötige hatte seinen Hund von der Leine gelassen und zum Revolver gegriffen. Auch er versuchte Mikes Flucht zu verhindern. Kugeln hämmerten gegen das Wagenblech, zertrümmerten das Glas eines Scheinwerfers, hieben in den Kühlergrill.

Mike hoffte, dass die Geschosse den Chevy nicht so schwer „verletzten“, dass er seinen Geist aufgab. Er kurbelte kraftvoll am Lenkrad.

Joe Rassendyll und sein Komplize hörten zu schießen auf. Sie rannten zur Garage und holten einen schwarzen Mustang heraus. Der Vierschrötige knallte die Tür zu, und Rassendyll jagte hinter dem fuchsiaroten Chevrolet her.

Mike ließ das Gelände des Freizeitcenters hinter sich. Der Ford Mustang war schneller als der Chevy. Er holte auf, und als er auf Schussweite herangekommen war, feuerte der Vierschrötige aus allen Knopflöchern.

Plötzlich gab es einen harten Ruck in der Lenkung, Mikes Wagen kam von der Fahrbahn ab und kugelte einen Hang hinunter. Hohe Büsche fingen den Chevrolet auf. Die Tür auf der Fahrerseite platzte auf, und Mike wurde in hohem Bogen hinausgeschleudert.

Blätter und Zweige bremsten seinen Sturz.

Oben tauchten Joe Rassendyll und dessen Komplize auf. Sie sahen Mike Borran nicht, vermuteten ihn noch in seinem Wagen.

„Komm, Junge!“, schnarrte Rassendyll. „Jetzt geben wir ihm den Rest.“

Sie hasteten den Hang runter. Mike zog sich zurück. Er entdeckte hinter den Büschen ein Haus. Darauf eilte er zu. In dem kleinen scheunenähnlichen Anbau konnte er sich bestimmt verstecken.

Er erreichte eine schmale Holztür. Sie ächzte, als er sie öffnete. Der Anbau war bis obenhin voll mit Gerümpel. Mike suchte nach einem geeigneten Versteck.

Da wurde rechts eine Tür aufgerissen, und Mike Borran erblickte einen kleinen Mann. Schlafrock, Nachthemd, nackte Beine, Filzpantoffel, Zipfelmütze. Er sah ulkig aus, aber Mike konnte nicht über ihn lachen, denn der Mann hielt eine doppelläufige Schrotflinte in seinen Händen.

15

Die vierte Spritze nahm Malcolm Quiller wie die größte Selbstverständlichkeit hin. „Ärmel hoch!“, befahl ihm Doc Hoss Cranston, und er gehorchte. „Legen Sie sich aufs Bett“, verlangte der Arzt von ihm. „Öffnen Sie Ihr Hemd.“

Quiller gehorchte. Es gab nichts anderes mehr für ihn. Er konnte nur noch Befehle entgegennehmen und ausführen, egal ob sie sinnlos, grausam oder sonst was waren.

Cranston untersuchte den CIA-Agenten gründlich.

„Ich bin mit Ihnen sehr zufrieden“, lobte er. „Sie können sich wieder anziehen. Kommen Sie mit mir. Es gibt Frühstück.“

Quiller folgte dem Arzt. Er erinnerte sich an seinen Job beim amerikanischen Geheimdienst. Das schien endlos lange zurückzuliegen. Er gehörte nicht mehr zu diesen Leuten, aber das erfüllte ihn nicht mit Trauer. Er war überhaupt keiner Gefühlsregung mehr fähig.

Als Doc Cranston mit Quiller auftauchte, blickte Kirkie Cross erwartungsvoll hoch. „Ist er bereits total umgepolt, Doc?“

„Ich lege für ihn meine Hand ins Feuer“, sagte Cranston. „Gebt ihm was zu essen, er hat Hunger.“

„Setz dich, Quiller“, sagte Raf Minelli und rückte für den CIA-Agenten einen Stuhl zurück.

Malcolm Quiller nahm Platz. „Was möchtest du haben?“, fragte ihn Abe Tenneray.

„Egal“, sagte Quiller. „Nur viel soll es sein.“

Er bekam Kaffee, Schinken mit Ei, Toast, Butter und Marmelade, und er aß wie ein Drescher.

„Ist er in Form, Doc?“, erkundigte sich Tenneray.

„Er ist in bester Verfassung.“

„Kann ich ihn testen?“

„Sicher.“

„Steh auf, Quiller!“, sagte Tenneray.

Der CIA-Agent erhob sich. Abe Tenneray ballte die Hände zu Fäusten. „Greif mich an!“, verlangte er.

Und Quiller, der Roboter, gehorchte. Er stürzte sich auf den Alpha-Agenten. Tenneray duckte sich, rammte Quiller die Schulter in den Bauch und versuchte ihn auszuheben. Doch Quiller wusste das zu verhindern, und ehe sich’s Tenneray versah, flog er durch die Luft und krachte hart auf den Teppich.

„Verdammt!“, knurrte er und sprang benommen auf.

Quiller wollte sich gleich wieder auf ihn zu katapultieren. Tenneray streckte ihm abwehrend die Hände entgegen. „Stopp! Das reicht! Du hast den Test bestanden!“

Malcolm Quiller entspannte sich. Tenneray trat näher an ihn heran. Listig kniff er die Augen zusammen.

„Was würdest du tun, wenn ich sagte, du sollst Mike Borran umlegen?“

„Ich würde es tun“, antwortete Quiller.

„Warum?“

„Weil du es verlangst.“

Tenneray grinste. „Aber Borran ist dein Freund.“

Quiller zuckte gleichgültig mit den Schultern. Freundschaft war für ihn nur noch ein bedeutungsloses Wort, das ihn nicht davon abhalten konnte, einen Befehl auszuführen.

„Er ist großartig, Doc!“, rief Tenneray begeistert aus. „Du kriegst Borran“, sagte er zu Quiller. „Das verspreche ich dir. Und du wirst den Hundesohn in Stücke reißen!“

Quiller nickte ungerührt. „Jederzeit. Wann immer du möchtest.“

„Na wunderbar. Setz dich. — Raf, gib ihm eine Kanone.“

Minelli holte einen Ballermann und drückte ihn dem CIA-Agenten in die Hand. Seine gespannte Miene veranlasste Doc Cranston zu sagen: „Keine Sorge, er wird die Waffe auf keinen von uns richten. Du kannst ihm genauso vertrauen wie mir oder dir selbst.“

Quiller betrachtete den Revolver in seiner Hand. Er drehte prüfend die Trommel und steckte die Waffe ein.

„Er ist jetzt einer von uns“, sagte Hoss Cranston. „Wöchentlich eine Auffrischungsinjektion, und er bleibt uns erhalten, solange wir wollen.“

„Was ist, wenn er diese Auffrischungsspritze nicht kriegt, Doc?“, erkundigte sich Kirkie Cross. „Wird er dann wieder rückfällig?“

„Tja, das ist der einzige Haken an unserem Serum. Es ist damit keine Langzeitwirkung zu erzielen. Aber wenn wir ihn regelmäßig dopen, kann überhaupt nichts schiefgehen.“

„Setz dich, Quiller“, sagte Abe Tenneray.

Der CIA-Agent nahm Platz.

„Ich nenne dir jetzt einen Namen, und du sagst mir, was dir dazu einfällt“, sagte Tenneray. „Okay?“

„Okay“, erwiderte Quiller.

„Karen Mackey“, sagte Tenneray.

„Sie ist der schärfste weibliche Staatsanwalt in diesem District“, sagte Malcolm Quiller. „Fünfunddreißig Jahre alt, verheiratet mit einem reichen Anlageberater, zwei Kinder. Sie ist besonders versessen darauf, Verbrechen der Vierten Macht zu ahnden. Ihre Erfolge haben in den letzten Monaten Schlagzeilen gemacht.“

„Sie ist uns ein Dorn im Auge.“

„Das ist zu verstehen.“

„Wie stehst du zu Karen Mackey?“

„Ich bin mit ihr befreundet.“

„Sie lässt niemanden an sich heran.“

„Ihr Haus ist mit Alarmanlagen abgesichert“, sagte Malcolm Quiller. „Zeitweise lässt sich Karen auch von Leibwächtern abschirmen. Zumeist dann, wenn ein Fall sie in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückt.“

„Es ist verdammt schwierig, an sie heranzukommen.“

„Oh ja, das ist es.“

„Du hättest diesbezüglich keine Schwierigkeiten.“

„Karen würde sich freuen, mich zu sehen.“

„Angenommen“, sagte Abe Tenneray. „Angenommen ich würde von dir verlangen, dass du sie umlegst, würdest du es tun?“

„Ohne zu zögern.“

„Glaubst du, du kannst sie täuschen?“

„Ich denke, dass ich das schaffe.“

„Sie darf nicht vorzeitig misstrauisch werden, sonst kann sie ihre Haut retten. Du müsstest so sein wie immer.“

„Kein Problem“, sagte Malcolm Quiller zuversichtlich. Er schaute Abe Tenneray voll ins Gesicht. „Wann soll ich’s machen?“

„Heute“, entgegnete dieser. „Kirkie, gib ihm die Wagenschlüssel.“

Cross warf sie dem CIA-Agenten zu.

Der fing sie auf und ließ sie in seiner Handfläche hüpfen.

„Du legst sie um und kommst hierher zurück“, sagte Abe Tenneray.

„Ich habe verstanden“, sagte Quiller.

„Aber sieh zu, dass dir niemand folgt.“

„Ich werde jeden Verfolger abhängen.“

„Solltest du es nicht schaffen, rufst du uns an, dann kommen wir dir zu Hilfe, klar?“

„Ja.“

„Wenn dich die Bullen zu fassen kriegen — über uns kein Wort. Niemand hat dir aufgetragen, die Staatsanwältin umzulegen, kapiert?“

Quiller nickte. „Niemand.“

Tenneray nickte ebenfalls. „Dann mach mal. Zeig, dass die CIA einen guten Mann aus dir gemacht hat.“

Quiller erhob sich und verließ das Haus. Er fuhr los.

„Wenn er zurückkommt“, sagte Tenneray, „hat die Vierte Macht eine große Sorge weniger.“

16

Der Mann mit der Schrotflinte hielt Mike Borran offensichtlich für einen Dieb. „Dein Pech, dass ich einen so leichten Schlaf habe, Freundchen!“, blaffte der Kleine.

Mike hob die Hände, damit der wütende Mann ihn nicht in ein Sieb verwandelte.

„Sie verkennen die Situation“, sagte Mike Borran.

Der Mann zog die Mundwinkel nach unten. „Was gibt’s denn da zu verkennen? Du befindest dich ohne meine Erlaubnis hier drinnen, wolltest mich bestehlen, aber ich habe dich erwischt.“

„Sehe ich aus wie ein Dieb?“

„Gibt es eine bestimmte Vorschrift, wie Diebe auszusehen haben? Sah Arsène Lupin wie ein Dieb aus? Nein. Und trotzdem hat er sich alles, was nicht angenagelt war, unter den Nagel gerissen. Du behältst deine Flossen brav oben und kommst mit mir ins Haus.“

„Hören Sie, zwei Kerle sind hinter mir her. Sie wollen mich umbringen.“

Der Mann grinste. „Was ihr Gauner euch für dämliche Geschichten einfallen lasst. Glaubst du wirklich, wir anständigen Leute fallen auf so einen ausgemachten Blödsinn herein.“

„Sie befinden sich in großer Gefahr!“, sagte Mike eindringlich. „Die Kerle werden in wenigen Augenblicken hier sein. Sie täten gut daran, mir zu vertrauen.“

„Bin ich verrückt?“

„Ich stehe auf Ihrer Seite.“

„Du denkst wohl, einen vollkommenen Trottel vor dir zu haben“, sagte der Mann ärgerlich.

„Niemand ist vollkommen“, ärgerte sich auch Mike.

„Hierher!“, verlangte der Mann. „Setz dich in Bewegung. Aber erschreck mich nicht. Du weißt, dass ich das Recht habe, mein Hab und Gut mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Kein Mensch würde mir einen Vorwurf machen, wenn ich dich mit Blei spickte. Weil das Recht auf meiner Seite ist.“

Mike ging auf den Mann zu. Er dachte an Joe Rassendyll und dessen Komplizen, und dass die Gefahr für diesen misstrauischen, ungläubigen Mann von Minute zu Minute größer wurde.

Die Alpha-Leute schreckten garantiert nicht davor zurück, nicht nur ihn, Mike, sondern auch diesen Augenzeugen zu erledigen. Damit es dazu nicht kommen konnte, brauchte Mike dringend eine Waffe. Die Schrotflinte wäre ihm recht gewesen, aber freiwillig würde sich der Mann davon nicht trennen, und ihm das Gewehr gewaltsam abzunehmen, barg ein großes Risiko in sich.

Mike gelangte mit dem Flintenmann in eine Diele. Kleidungsstücke hingen an Wandhaken. Unter anderen auch ein Arbeitsmantel.

Ihn ergriff Mike Borran im nächsten Moment. Der Stoff flatterte über den Kopf des Hausbesitzers und nahm ihm die Sicht. Er war darüber so perplex, dass er zu reagieren vergaß.

Mike griff nach dem Schrotflintenlauf und drückte ihn nach oben, und dann schickte er den Mann zu Boden. Die Waffe ließ er nicht mehr los.

Benommen fegte sich der Niedergeschlagene den Arbeitsmantel vom Gesicht. Mike klemmte sich gerade die Flinte unter den Arm. Dadurch wies der Doppellauf auf den auf dem Boden Liegenden.

Der Hausbesitzer riss entsetzt die Augen auf. „Sie ... Sie werden doch nicht ... Das können Sie nicht tun ... Ich flehe Sie an ...“

„Seien Sie still!“, fuhr ihn Mike Borran an. „Hören Sie auf, unvollständige Sätze zu produzieren! Ich sagte Ihnen, ich stehe auf Ihrer Seite, und das stimmt. Auch, dass zwei Killer hinter mir her sind, entspricht der Wahrheit. Es tut mir leid, Sie niedergeschlagen zu haben, aber Sie ließen mir keine andere Wahl.“

„Wer sind Sie?“, fragte der Mann verdattert.

„Ich arbeite für die Regierung“, umschrieb Mike Borran seine Tätigkeit. „Wer ist hinter Ihnen her?“

„Agenten der Vierten Macht. Stehen Sie auf.“

Der Mann erhob sich.

„Ist außer uns beiden noch jemand in diesem Haus?“, wollte Mike wissen.

„Nein, ich wohne allein hier. Deshalb habe ich mir die Schrotflinte ja zugelegt. Aus Angst vor Einbrechern. Dabei wusste ich, dass ich sowieso nie den Mumm haben würde, auf einen Menschen zu schießen.“

„Darüber bin ich froh“, sagte Mike. „Haben Sie noch ein paar Patronen für mich?“

„Ja, im Wohnzimmer, in der Kommode.“

Sie begaben sich in diesen Raum. Der Mann — er hieß Matt Landon — übergab dem CIA-Agenten eine Schachtel mit Schrotpatronen.

Landon wies auf das Telefon. „Wollen Sie nicht die Polizei anrufen?“

Mike schüttelte den Kopf. „Das erledige ich lieber selbst.“ Er trat ans Fenster, zuckte aber gleich wieder zurück, denn er hatte Joe Rassendyll gesehen.

„Kann sein, dass die Luft gleich gefährlich bleihaltig wird“, bemerkte der Agent. „Ich glaube nicht, dass Sie scharf auf eine Bleivergiftung sind.“

„Gott bewahre.“

„Dann tauchen Sie unter.“

Matt Landons Blick irrlichterte durch den Raum. Er fegte die Schlafmütze vom Kopf, weil ihm heiß geworden war, und er stellte sich die unausgesprochene Frage: Wo bin ich sicher?

Die Antwort kleidete er in Worte: „Im Keller“, stieß er aufgeregt hervor. „Ich ziehe mich in den Keller zurück.“

„Okay, aber bleiben Sie da. Egal, was Sie hören, kommen Sie nicht rauf. Verbarrikadieren Sie sich, und bleiben Sie so lange auf Tauchstation, bis alles vorbei ist.“

„Wie weiß ich, dass alles vorbei ist?“

„Ich denke, das werden Sie merken“, sagte Mike.

Matt Landon drückte Mike Borran nicht nur die Daumen, er sagte es ihm und zeigte es ihm. Der Agent nickte dankend. Er empfahl dem Hausbesitzer, schleunigst zu verschwinden. Landon ließ sich das nicht noch einmal sagen. Er wandte sich um und hastete aus dem Raum. Er öffnete die Kellertür und polterte in großer Eile die Holztreppe hinunter. Unten verschwand er in seinem kleinen Labyrinth.

Und Mike Borran konzentrierte sich auf seine Verfolger.

17

„Verdammt“, sagte Will Harrison, der Vierschrötige, zu Joe Rassendyll. „Dieser Borran ist ein Teufelskerl.“

„Stimm bloß keine Lobeshymne an, sonst kriege ich Sodbrennen!“, knurrte Rassendyll. „Wir müssen ihn uns wiederholen. Kannst du dir vorstellen, was Mike Kendall in seiner Wut mit uns macht, wenn wir Borran nicht zurückbringen? Ich habe keine Lust, vor seine Laserkanone gestellt zu werden.“

Harrison schluckte. „Ich auch nicht.“

„Das kann uns aber blühen, wenn wir Borran nicht wiederfinden. Kendall wird die Sache so drehen, dass wir nicht genügend auf den CIA-Agenten aufgepasst haben. Er wird uns das Prädikat 'Versager' verleihen, und wie die Alpha-Organisation mit Versagern umspringt, brauche ich dir wohl nicht zu erklären. Erinnerst du dich an Alan Leyland?“

„Klar, er hatte den Auftrag, diesen Wasserspeicher in Boston in die Luft zu jagen.“

„Hat er’s getan?“

„Nein, man hat ihn entdeckt, und er konnte mit Mühe seine Haut retten.“

„Und wie ging’s weiter?“

„Man hat ihn in einer alten Wäscherei gefunden.“

Rassendyll nickte. „Ertränkt von den eigenen Leuten. Mit ’ner Tafel um den Hals, auf der stand: 'Ich bin ein Versager!'“

Die Alpha-Männer blieben kurz stehen. Der Morgen war still. Von Mike Borran war keine Spur zu entdecken. Rassendyll nahm an, dass der CIA-Agent Zuflucht in jenem Haus gesucht hatte, das dort drüben stand. Er hoffte, dass Borran nicht auf die Idee kam, die Polizei zu alarmieren, denn wenn die Bullen hier ankamen, würden er und Harrison gehörig Fersengeld geben müssen.

Sie pirschten sich vorsichtig an das Haus heran. Kurz davor trennten sie sich, und jeder der beiden hoffte, dass er derjenige sein würde, dem es gelang, Mike Borran zu schnappen.

18

Mike sah sie. Matt Landon war und blieb untergetaucht. Dadurch hatte der Agent die Bewegungsfreiheit, die er brauchte. Er musste auf niemanden Rücksicht nehmen, musste nur auf die eigene Gesundheit achten.

Rassendyll und Harrison trennten sich. Das war Mike Borran sehr recht. So konnte er sich zuerst den einen und dann den anderen kaufen und brauchte nicht gleichzeitig gegen beide Gegner zu kämpfen.

Er verließ das Zimmer, huschte einen Gang entlang und erreichte die Haustür. Sie war abgeschlossen. Mike drehte den Schlüssel im Schloss herum. Es klackte zweimal leise. Nun war offen.

Seine Hand legte sich auf die Klinke, blieb darauf aber nicht liegen, sondern schnellte gleich wieder zurück, denn draußen waren knirschende Schritte zu vernehmen.

Mikes Züge verkanteten. Er lauschte gespannt. Die leise knirschenden Schritte näherten sich der Tür, verharrten davor. Der CIA-Agent postierte sich rechts davon. Er wartete. Sein Blick war auf die Klinke gerichtet, die sich in diesem Moment langsam nach unten bewegte.

Und dann schwang die Tür auf.

Sie verdeckte Mike Borran. Er konnte nicht sehen, wer eintrat. Aber das würde sich in wenigen Augenblicken ändern. Mit beiden Händen umklammerte er fest die Schrotflinte.

Der Alpha-Mann machte einen Schritt, noch einen, den dritten ...

Und nun sah Mike Borran den breiten Rücken des Vierschrötigen. Er drehte die Schrotflinte um und holte damit aus. Will Harrison schien die Gefahr plötzlich hinter sich zu spüren. Vielleicht besaß er einen sechsten Sinn, der ihn warnte.

Er fuhr herum, doch ehe er etwas tun konnte, was Mike gefährdete, landete der Gewehrschaft auf seinem Schädel, und er brach erledigt zusammen. Mike entwaffnete den Gegner rasch und schleifte ihn ins Wohnzimmer. Dort ließ er ihn liegen, verließ den Raum wieder und ging daran, sich Joe Rassendyll zu holen.

Der CIA-Agent trat aus dem Haus und lief darum herum. Er entdeckte Rassendyll beim Anbau. Der Alpha-Mann kehrte ihm den Rücken zu. Mike näherte sich ihm, die Schrotflinte im Anschlag.

Rassendyll hörte ihn nicht kommen, und als er wusste, dass er Mike Borran hinter sich hatte, gab es für ihn keinen Blumentopf mehr zu gewinnen. Mike rammte ihm die Flinte ins Kreuz.

Joe Rassendyll stöhnte erschrocken auf. Er versteifte.

„Lass fallen!“, kommandierte der CIA Agent.

Mikes Smith & Wesson fiel auf den Boden. Rassendyll hob die Hände.

„Schieb die Waffe mit dem Fuß zu mir!“, verlangte Mike.

Der Alpha-Mann gehorchte. Mike hob die Waffe auf und steckte sie ein. „Umdrehen!“, kommandierte er dann.

Joe Rassendyll wandte sich langsam um. Sein Gesicht war fahl. Mike spielte ihm den wilden Mann vor. Er setzte ihm den Doppellauf der Schrotflinte an die Kehle und zischte: „Soll ich dir verraten, was ich jetzt gern tun würde?“

Der Alpha-Unterläufer zitterte heftig. Er schien damit zu rechnen, dass Mike abdrückte. Sein Blick suchte Harrison.

„Mit Hilfe brauchst du nicht zu rechnen“, sagte Mike. „Dein Komplize ist bereits erledigt.“

Das konnte auch heißen, dass Will Harrison tot war. Rassendyll schluckte trocken. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab.

„Lass mir mein Leben, Borran!“, stöhnte er.

„Warum soll ich dich verschonen?“

„Ich bin doch nur ein kleines Licht.“

„Du wolltest mich umlegen.“ Rassendyll schüttelte den Kopf. „Nur zurückbringen.“

„Damit dieser perverse Kendall mich mit seiner Laserkanone zersäbelt!“

„Ich kann doch nichts für das, was Kendall mit dir vorhat.“

„Erinnerst du dich an unsere gestrige Begegnung?“

„Natürlich“, sagte Rassendyll heiser. „Du warst darüber nicht gerade sehr erbaut.“

„Wundert dich das?“

„Erinnerst du dich noch an die Frage, die ich dir stellte? Die Antwort interessiert mich immer noch. Wo finde ich Abe Tenneray.“

„Lässt du mich laufen, wenn ich es dir sage?“

„Kann ich nicht.“

„Aber du drückst nicht ab.“

„Versprochen“, sagte Mike, und dann erfuhr er endlich, was ihn so brennend interessierte. Er befahl Rassendyll, vor ihm her ins Haus zu gehen. Drinnen gingen dem Alpha-Mann die Nerven durch. Nur so war es zu erklären, dass er Mike Borran angriff, ohne eine echte Chance zu haben. Mike erkannte die Attacke im Ansatz und vereitelte sie mit einem harten, kompromisslosen Schlag, der Rassendyll die Besinnung raubte.

Mike eilte zur Kellertür. „Mr. Landon!“, rief er.

Unten blieb es still.

„Entwarnung, Mr. Landon!“, rief Mike. „Sie können wieder hochkommen!“

Matt Landon schlurfte auf die Kellertreppe zu. Gespannt und neugierig schaute er den CIA-Agenten an, während er die Holzstufen hochstieg. Mike drückte ihm die Schrotflinte in die Hand. Er bedankte sich für die Waffe und sagte, sie habe ihm wertvolle Dienste geleistet.

Landon blickte ihn ungläubig an. „Ist wirklich schon alles vorbei?“

„Ja.“

„Ich habe keinen einzigen Schuss gehört.“

„Es war nicht nötig, zu schießen.“

„Und Sie haben die beiden Killer ... unschädlich gemacht?“

Mike nickte. „Sie liegen in Ihrem Wohnzimmer.“

„Großer Gott! Tot?“

„Nur ohnmächtig. Würden Sie mir einen Gefallen erweisen, Mr. Landon?“

„Welchen?“

„Übergeben Sie die beiden Kerle der Polizei.“

„Was soll ich den Cops erzählen?“

„Die Wahrheit. Mein Name ist Borran. Mike Borran. Teilen Sie der Polizei mit, dass ich mich bei Gelegenheit mit ihr in Verbindung setzen werde. Jetzt muss ich gehen. Ein guter Freund wartet auf mich.“ Mit dem guten Freund meinte Mike Borran Malcolm Quiller.

19

Aber Quiller wartete nicht auf ihn, er war mit einem Mordauftrag unterwegs. Gelassen lenkte er den weißen Buick, den ihm die Alpha-Agenten zur Verfügung gestellt hatten.

Es schien für ihn die selbstverständlichste Sache von der Welt zu sein, dass er für die Vierte Macht arbeitete. Vor wenigen Stunden noch wäre für ihn so etwas undenkbar gewesen. Er war ein lauterer, zuverlässiger CIA-Agent gewesen, der seinen Job liebte und für seine Freunde durchs Feuer ging.

Darauf, dass sich das so schlagartig ändern könnte, wäre beim ganzen amerikanischen Geheimdienst niemand gekommen.

Eine Ampel. Sie zeigte Rot. Quiller stoppte den Wagen. Neben ihm hielt ein Impala, an dessen Steuer ein hübsches schwarzhaariges Mädchen saß. Sie blickte zu ihm herüber und lächelte ihn an. Er lächelte automatisch zurück, empfand aber gar nichts. In seiner Brust befand sich ein Herz aus Stein. Diese Erfahrung würde die Staatsanwältin Karen Mackey in Kürze machen.

Sobald die Ampel auf Grün sprang, fuhr Quiller weiter, ohne das Mädchen im Impala weiter zu beachten. Er dachte an Karen, und an seinen Auftrag. Er würde nicht gleich schießen, sondern auf den günstigsten Moment warten.

Seine Kugel würde die junge Frau wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen. Wie hätte Karen Mackey auch ahnen sollen, dass aus dem guten Freund ein gefährlicher, kaltschnäuziger Todfeind geworden war?

Sie wohnte auf City Island, nahe Beiden Point. Das Haus war ein schöner Bungalow, von einem gepflegten Garten umgeben.

Quiller erreichte Baychester. Auf der City Island Road näherte er sich der City Island Bridge, und weiter ging es über die City Island Avenue bis Beiden Point.

Der Alpha-Killer, der ein CIA-Agent war, hatte sein Ziel schon fast erreicht.

20

Mike stieg in den schwarzen Mustang, in dem ihn Joe Rassendyll und Will Harrison verfolgt hatten. Seinem Chevrolet, der am Fuße der Böschung lag, schenkte er keine weitere Beachtung. Sobald er Zeit hatte, würde er veranlassen, dass man das Fahrzeug abholte.

Das Haus, in dem Kirkie Cross, Raf Minelli und Abe Tenneray zu finden sein würden, stand an der Bowery Bay. Ein altes Gebäude mit schiefen Fensterläden, von denen der Lack abblätterte. Das Grundstück war verwildert. Riesige Büsche und Bäume schirmten das Gebäude vor neugierigen Blicken ab. Ein ideales unscheinbares Versteck für Alpha-Agenten.

Mike Borran überkletterte den Zaun und schlich auf den dicken Stamm einer knorrigen Eiche zu. Er peilte die Lage. Hier also wurde sein Freund und Kollege festgehalten.

Nicht mehr lange, dachte der CIA Agent.

Er lief von Baum zu Baum. Sein Alleingang war nicht ungefährlich, aber er liebte keine Massenaufmärsche. Und er ließ auch nicht gern andere für sich die Kastanien aus dem Feuer holen. Dies war sein Fall, und er würde ihn tunlichst allein zu Ende bringen.

Mike zog seinen Smith & Wesson. Er schaute auf seine Handgelenke. Die Schwellungen gingen allmählich zurück. Das Blut hatte sich verkrustet. Er pirschte sich an eines der Fenster heran und warf vorsichtig einen Blick ins Haus. Drinnen saß Raf Minelli an einem runden Tisch und reinigte sein Schießeisen. Mike erblickte Abe Tenneray, der Zeitung las. Und dann war da noch ein Mann, von dessen Anwesenheit er nichts gewusst hatte. Er kannte die ölige Figur. Das war Doc Hoss Cranston. Ein Arzt, der für Geld alles machte.

Kirkie Cross sah der CIA-Agent nicht. Auch Malcolm Quiller befand sich nicht in diesem Raum. Mike nahm aber mit Sicherheit an, dass sich Quiller in diesem Haus befand.

Er schlich weiter und erreichte die Garage, deren Kipptor offenstand. Drinnen hantierte jemand. Mike linste vorsichtig um die Ecke.

Es war Kirkie Cross, der an einer hölzernen Werkbank stand und an einem Schlüsselrohling herumfeilte. Die Geräusche, die er mit seiner Arbeit verursachte, waren so laut, dass er Mike Borran nicht eintreten hörte.

Er bemerkte den CIA-Agenten erst, als dessen Schatten auf die Werkbank fiel. Wie ein Kreisel fuhr er herum. Sein Tritt traf Mike Borran schmerzhaft. Der CIA-Agent wankte zwei Schritte zurück. Cross riss einen der an der Wand hängenden Winterreifen herunter und schleuderte den Pneu nach Mike.

Mike Borran duckte sich. Der Autoreifen flog über ihn drüber, landete auf dem Terrazzo-Boden, stellte sich auf und rollte aus der Garage.

Nun versuchte Cross an seine Kanone zu kommen, doch das ließ Mike Borran nicht mehr zu. Mit einem wohldosierten Schlag schickte der CIA-Agent seinen Gegner schlafen, und dann eilte er auf die Verbindungstür zu, durch die man von der Garage ins Haus gelangte.

Langsam öffnete er sie. Er vernahm Stimmen und Schritte. Abe Tenneray begab sich in die Küche, und Raf Minelli zog sich ins Bad zurück. Da dieses auf Mike Borrans Weg lag, beschloss er, Minelli als nächsten auszuschalten. Er schlich durch das Vorzimmer. Im Bad rauschte die Dusche. Raf Minelli versuchte Paul McCartneys „Ebony and Ivory“ nachzupfeifen. Jeder zweite Ton war falsch.

Mike erreichte die Badezimmertür.

Unbemerkt öffnete er sie. Minelli war einer von der geschwinden Truppe. Er stand bereits unter der Dusche und goss über seinem Kopf blauen Badeschaum aus Meeresalgen aus.

Ein Nylonvorhang, mit glitzernden Wassertropfen übersät, ließ den Alpha-Agenten nicht sehen, dass jemand zu ihm ins Bad kam.

Als Mike den Vorhang zur Seite fegte, riss der nackte Mann entgeistert die Augen auf, und so nahm er den Schlag hin, der ihm die Besinnung raubte. Ohne jede Reaktion.

Nummer zwei, sagte sich Mike Borran.

Er verließ das Bad. Die Dusche ließ er laufen, damit Minellis Komplizen meinten, es wäre alles in Ordnung.

Nummer drei sollte Hoss Cranston werden. Mike fragte sich, welchen Grund Cranstons Anwesenheit hier wohl haben mochte. Ging es Malcolm Quiller so schlecht, dass er einen Arzt brauchte? Bei diesem Gedanken machte sich in Mikes Magengrube ein flaues Gefühl breit.

Wie mochte es Malcolm im Augenblick gehen? Was hatten die Alpha-Agenten mit ihm angestellt? Hatten sie ihn gefoltert? Mike Borran presste die Kiefer zusammen. Er litt mit Quiller, obwohl er nicht wusste, wie es um ihn stand. Für ihn stand fest, dass die Alpha-Agenten ihren Gefangenen nicht mit Samthandschuhen angefasst hatten.

Diese Kerle waren in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich.

Als Mike Borran das Wohnzimmer betrat, goss sich Doc Cranston gerade einen Bourbon ein.

„Morgenstund hat Bourbon im Mund“, sagte Mike in einer Lautstärke, die nicht bis in die Küche reichte.

Doc Cranston drehte sich erschrocken um. „Borran!“

„Gut beobachtet“, höhnte der CIA Agent.

„Wie kommen Sie hierher?“

„Jemand hat mir die Adresse gegeben. Wo ist Quiller?“, fragte Mike, dessen Smith & Wesson auf den Arzt wies. „Nicht hier.“

„Sie lügen. Ich bin sicher, Cross, Minelli und Tenneray verstecken ihn in diesem Haus. Was habt ihr mit meinem Freund vor?“ Mike trat ein. Er machte zwei Schritte zur Seite, damit Tenneray ihn nicht sah, wenn er aus der Küche kam. „Brauchte Quiller Ihre Hilfe?“

„Quiller ist nicht mehr hier“, sagte Cranson. „Wir haben ihn laufenlassen.“ Mike schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht.“

„Sie können das Haus auf den Kopf stellen. Sie werden Quiller hier nicht mehr finden.“

Mikes Augen verengten sich argwöhnisch. „Ihr lasst ihn doch nicht laufen und bleibt seelenruhig in eurem Versteck. Ihr müsstet doch damit rechnen, dass er mit ein paar Leuten wiederkommt, um euch zu kassieren. Wo ist der Haken, Cranston?“

In diesem Augenblick verließ Abe Tenneray die Küche.

„Keinen Mucks!“, zischte Mike Borran dem Arzt zu.

Tenneray kam — und dann ging es rund ...

21

Quiller saß in seinem Wagen und beobachtete das Haus der Staatsanwältin. Er sah einen Leibwächter mit Karen Mackeys beiden Kindern herauskommen. Sie stiegen in einen schwarzen Lincoln und wurden von ihrem Beschützer zur Schule gebracht. Karen Mackey erschien kurz in der Tür. Sie winkte ihren Kindern, einem Mädchen und einem Jungen. Taufrisch war ihr Lächeln.

Sie war eine attraktive Frau, blond, schlank, groß, mit unwahrscheinlich langen Beinen. In ihrer Jugend hatte sie mal an einer Miss-Wahl teilgenommen und war zur Miss Westchester gekürt worden. Heute wollte sie nichts mehr von dieser Jugendtorheit wissen. Sie passte nicht zu ihrem seriösen Habitus, den sie sich im Laufe der Jahre zugelegt hatte.

Zehn Minuten später verabschiedete sie Melvyn, ihren Mann, vor der Garage. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr zur Arbeit.

Nun war Karen Mackey allein.

Allein mit einem schwergewichtigen Leibwächter, den Quiller kurz zu Gesicht kriegte.

Der Mann würde kein ernst zu nehmendes Hindernis für ihn sein, denn wenn ihm Karen sagte, er, Quiller, wäre ein guter Freund des Hauses, würde sich der Schutzengel der Staatsanwältin diskret zurückziehen.

Quiller startete den Motor. Er fuhr an Karen Mackeys Haus vorbei. Von der nächsten öffentlichen Fernsprechzelle aus rief er sie an. Sie meldete sich mit einer glockenhellen Stimme.

Er lächelte kalt. „Hallo, Schatz, hier spricht Malcolm Quiller.“

„Malcolm!“ Es war ein freudiger Aufschrei. „Malcolm, du treulose Seele. Freut mich, dass du mal wieder etwas von dir hören lässt. Wo treibst du dich denn herum?“

„Heute hier, morgen vielleicht schon in Melbourne, Bombay oder Paris. Hör mal, ich bin gerade in der Nähe und würde gern einen Sprung bei euch reinschauen. Sind Melvyn und die Kinder noch da?“

„Leider nein, die haben vor wenigen Minuten das Haus verlassen.“

„Oh, das ist aber schade.“

„Ja, aber du darfst trotzdem kommen.“

„Wirklich?"

Karen Mackey lachte. „Einen Hausfreund erlaubt mir Melvyn. Du weißt doch, wir führen eine moderne Ehe.“

„Ich bin in fünf Minuten da.“

„Ich freue mich riesig“, sagte Karen aufgekratzt.

Sie ahnte nicht, worauf sie sich freute.

22

Doc Hoss Cranston wagte den Alpha Agenten nicht zu warnen, aber sein fahles Gesicht sprach Bände. Abe Tenneray roch die Gefahr sofort, ließ sich das aber nicht anmerken. Statt draußen zu bleiben, betrat er das Wohnzimmer trotzdem, und er versetzte der Tür, hinter der Mike Borran stand, einen kraftvollen Tritt. Sie knallte gegen den CIA-Agenten.

Cranston ließ das Bourbon-Glas fallen und griff zu seiner Derringer-Pistole, die er in der Jacketttasche trug.

Mike gab der Tür ebenfalls einen Tritt. Sie schwang wieder zurück, aber sie traf Tenneray nicht, da dieser zwei schnelle Schritte vorwärts gemacht hatte. Während dieser beiden Schritte hatte der Alpha-Agent seine Kanone gezogen, aber nicht er eröffnete das Feuer auf Mike Borran, sondern Doc Hoss Cranston.

Die Derringer kläffte ekelhaft.

Mike federte in Combat-Stellung und schoss zurück.

Cranston schrie auf. Mikes Kugel riss ihn herum, er stürzte und krachte mit dem Kopf gegen eine Kommode. Das bedeutete für ihn: Blackout.

Mikes Revolver schwang sogleich in Tennerays Richtung. Das Gesicht des Alpha-Agenten war wut- und hassverzerrt. Die beiden Männer drückten gleichzeitig ab. Vielleicht war Mike Borran um den lebenserhaltenden Sekundenbruchteil schneller als Abe Tenneray.

Trotz der Eile, in der Mike den Schuss abfeuerte, versuchte er seinen Gegner lediglich kampfunfähig zu schießen. Das hätte auch hingehauen, wenn Tenneray nicht im Schießen vorwärtsgeschnellt wäre. Damit warf er sich direkt in die Flugbahn von Mike Borrans Kugel, und das Projektil verletzte ihn tödlich.

Röchelnd landete Tenneray auf dem Boden.

Sein Hass zwang ihn, die Waffe noch einmal auf Mike Borran zu richten. Da seine erste Kugel den CIA-Agenten knapp verfehlt hatte, wollte er eine zweite, besser platzierte, hinterherschicken, doch seine Kraft reichte nicht mehr aus, den Finger zu krümmen. Zitternd hielt er den Revolver.

Mike eilte zu ihm und nahm ihm die Waffe aus den schlaffen Fingern. „Wo ist Quiller?“, wollte er wissen.

Obwohl Tenneray wusste, wie es um ihn stand, obwohl ihn höllische Schmerzen peinigten, grinste er höhnisch. „Quiller ... Dein Freund Quiller ... Er war hier.“

„Wo ist er jetzt?“

„Unterwegs. Wir haben ihm einen Auftrag erteilt.“

„Er würde von euch niemals einen Auftrag annehmen!“, sagte Mike Borran überzeugt.

„Gestern noch nicht. Heute schon“, sagte Tenneray triumphierend. „Du hast den Wettlauf verloren, Borran. Wir haben Quiller umgedreht. Er gehört jetzt zu uns.“

„Was habt ihr mit ihm gemacht?“

„Cranston hat ihm eine Wunderdroge gespritzt.“

„Was bewirkt die?“

„Sie macht aus Quiller einen Mann ohne Gewissen, machte ihn zum herzlosen Befehlsempfänger, zum mitleidlosen Mord-Roboter.“

Mike Borran schauderte. Quiller, sein Freund und Kollege, ein Alpha-Mörder. Das war wiederum eine Teufelei, die der Vierten Macht ähnlich sah. Kalte Wut packte Mike Borran.

„Auf wen habt ihr Quiller angesetzt?“, fragte er scharf.

Tenneray lachte krächzend. „Auf seine Freundin Karen Mackey.“

„Auf die Staatsanwältin?“

„Genau, Borran. Sie wird ihn ahnungslos in ihr Haus einlassen, und er wird keine Schwierigkeiten haben, sie umzulegen. Und du, Borran, kannst diesen Mord nicht mehr verhindern, das freut mich am allermeisten ...“ Tennerays Gesicht zuckte, sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, und dann brach sein Blick. Spott lag selbst im Tod noch auf seinen Zügen.

23

„Malcolm“, sagte Karen Mackey und umarmte den Agenten. „Was für eine Freude, dich wiederzusehen. Wenn du ein paar Minuten früher angerufen hättest, wären Melvyn und die Kinder noch zu Hause gewesen. Vor allem Melvyn wird sich ärgern, dich verpasst zu haben.“

„Das tut mir leid“, sagte Quiller und küsste die Staatsanwältin auf beide Wangen. „Ich hätte aber auch wirklich daran denken können, dass andere Leute ein geregelteres Leben führen als ich.“

„Komm doch rein“, sagte die junge Frau.

Im Hintergrund erschien ihr Leibwächter mit misstrauischer Miene. „Alles in Ordnung, Mrs. Mackey?“

„Ja, Mr. Kincaid. Mr. Malcolm Quiller ist ein guter Freund der Familie.“ Sie führte Quiller in den großen Livingroom. „Bleibst du länger in New York?“, fragte sie. „Dann könnten Melvyn, du und ich heute Abend zusammen irgendwo nett essen gehen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin gewissermaßen auf der Durchreise. Meine Maschine geht in zwei Stunden, und da dachte ich, ich nütz’ die Zeit und komme bei euch auf einen Sprung vorbei. Entschuldige, wenn ich dich so überfalle.“

„Aber das macht doch nichts“, sagte Karen lachend. „Du weißt, dass du bei uns immer willkommen bist. Setz dich. Möchtest du einen Drink?“

„Ist noch zu früh dafür“, sagte er.

„Etwas Alkoholfreies vielleicht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nichts. Vielen Dank.“ Er setzte sich. Sie nahm auch Platz.

„Ich rechne gerade nach, wie lange du nichts von dir hast hören lassen. Das müssen an die vier Monate sein.“

„Ich bin viel unterwegs.“

„Wenigstens mal anrufen hättest du können.“

Er lächelte. „Ich verspreche dir, mich zu bessern.“

Auf der Terrasse erschien Kincaid, der Leibwächter.

Quiller wies auf ihn. „Du lässt dich schon wieder bewachen?“

Sie nickte. „Ich bin gerade dabei, ein großes Alpha-Tier fertigzumachen. Da muss man auf der Hut sein. Du kennst die Methoden der Vierten Macht. Diese Leute schrecken vor nichts zurück.“

Kincaid nahm draußen in einem Korbsessel Platz.

„Was erwartet den Mann, den du vor Gericht gebracht hast?“, fragte Quiller.

„Ich bin nicht der Richter“, erwiderte Karen, „aber zweimal lebenslänglich müsste bei Nachsicht aller Taxen herausschauen. Dieser Verbrecher wird sitzen, bis er schwarz ist.“ Triumph funkelte in Karen Mackeys dunklen Augen. „Du weißt, wie sehr ich die Mitglieder der Vierten Macht verachte. Ich lasse keine Gelegenheit aus, sie zu Fall zu bringen. Kein anderer Staatsanwalt hat so viele Verurteilungen erwirkt wie ich. Darauf bin ich stolz.“

„Das kannst du auch sein. Du bist ein sehr tüchtiges Mädchen.“

Karen schmunzelte. „Ich gebe mir Mühe.“

„Musst du heute zum Gericht?“

„Nein, heute habe ich keine Verhandlung, du hältst mich also nicht auf. Ich habe jede Menge Zeit für dich.“

Er blickte sich im Raum um. „Habt ihr wieder etwas Neues gekauft? Nicht verraten, ich möchte es selbst finden.“ Es vergingen zwanzig Sekunden. Dann sagte Quiller: „Die antike Uhr auf dem Kaminsims. Die ist neu, hab’ ich recht?“

Karen lachte. „Ja, wir haben sie bei einem Trödler in der Madison Avenue entdeckt. Sie war ziemlich vergammelt, aber ein Freund von Melvyn ist Uhrmacher, und der brachte sie wieder in Schuss.“

Das Telefon schlug an. Kincaid zündete sich auf der Terrasse eine Zigarette an und ließ den Rauch durch die Nasenlöcher sickern.

Du solltest argwöhnischer sein, Junge, dachte Malcolm Quiller.

„Entschuldige“, sagte die Staatsanwältin und erhob sich, um an den Apparat zu gehen.

Quiller wollte es nach dem Telefonat tun. Seine Hand glitt unbemerkt ins Jackett. Er würde zuerst Karen erschießen und dann den Leibwächter. Er glaubte nicht, mit den beiden nennenswerte Schwierigkeiten zu haben.

Der Anrufer war Mike Borran. Er stand auf Nadeln. Als sich die Staatsanwältin mit „Hallo!“, meldete, platzte es aus ihm heraus: „Mrs. Mackey?“

„Am Apparat.“

„Hier spricht Mike Borran, CIA. Ich bin ein Freund und Kollege von Malcolm Quiller. Hören Sie zu, Sie sind in großer Gefahr. Malcolm wird Sie aufsuchen. Oder ist er etwa schon bei Ihnen?“

„Ja.“

„Großer Gott! Er will Sie umbringen! Ich beschwöre Sie, denken Sie jetzt nicht, ich spinne. Ich weiß leider nur zu gut, wie verrückt das klingt, was ich Ihnen sage. Malcolm, der gute Freund Ihrer Familie, dem Sie blind vertrauen, kann so etwas Schreckliches nicht vorhaben, und doch ist es so. Er fiel gestern der Alpha Organisation in die Hände. Man hat ihm ein Serum gespritzt, das seine Persönlichkeit total umgekrempelt hat. Er ist nicht mehr Ihr Freund, Mrs. Mackey. Er ist ein Mann ohne Gewissen, der alles tut, was ihm Alpha befiehlt. Sie haben ihn mit einem Mordauftrag losgeschickt, und er wird ihn bedenkenlos ausführen. Das Alpha-Serum hat ihn unzurechnungsfähig gemacht. Er ist für seine Handlungen nicht mehr verantwortlich. Verantwortlich ist die Vierte Macht, die aus ihm einen gefährlichen Mord-Roboter gemacht hat. Ist Malcolm in Ihrer Nähe?“

„Ja.“

„Sie müssen den Raum sofort verlassen.“

„Aber ...“

„Lassen Sie sich nicht anmerken, dass Sie Bescheid wissen, sonst bringt er Sie auf der Stelle um. Gehen Sie raus aus dem Zimmer. Laufen Sie aus dem Haus. Schwindeln Sie Malcolm irgendetwas vor, damit er nicht merkt, was Sie vorhaben. Veranlassen Sie ihn, auf Ihre Rückkehr zu warten. Ich komme, so schnell ich kann. Der Himmel möge Sie beschützen!“

Karen Mackey stand unter Strom. Malcolm — ein gefährlicher Killer! Ihr Leben war in größer Gefahr! Kincaid saß auf der Terrasse und ahnte es nicht. Sie bezahlte einen Leibwächter, der nichts für sie tun konnte. Sie selbst hatte ihm gesagt, es wäre alles in Ordnung. Aber das war es nicht!

Quiller erhob sich.

Karen sah sein Spiegelbild im Glas einer Vitrine. Sie legte den Hörer langsam auf. Da hatte sie versucht, alles Erdenkliche für ihre Sicherheit zu tun, und dann schickte ihr die Vierte Macht einen umgepolten Freund ins Haus. Wie hätte sie darauf kommen sollen? Kein Trick war der Alpha-Organisation zu schäbig.

Die Staatsanwältin sah, wie Quiller seinen Revolver zog.

Ihr war, als würde sie jemand mit Eiswasser übergießen. Angst drückte zentnerschwer auf ihre Brust. Sie wirbelte herum. Gnadenlos war Quillers Gesichtsausdruck. Karen schleuderte ihm das Telefon entgegen.

„Kincaid!“, schrie sie gleichzeitig.

Der schrille Klang ihrer Stimme alarmierte den Leibwächter. Kincaid sprang auf und schnappte sich seinen Ballermann.

Mit dieser Entwicklung hatte Quiller nicht gerechnet. Er disponierte blitzartig um. Jetzt war es wichtig, zuerst den Leibwächter auszuschalten. Kincaid rammte die halb offen stehende Terrassentür mit der Schulter auf. Sein Revolver donnerte los. Auch Quiller schoss. Die Kugel des Leibwächters strich knapp an seinem Hals vorbei, während sein Projektil den schwergewichtigen Mann niederstreckte.

Karen Mackey hatte längst die Flucht ergriffen. Sie stürzte aus dem Livingroom. In gerader Richtung ging es zur Haustür. Das wäre aber auch Quillers Schussrichtung gewesen. Das begriff die Staatsanwältin zum Glück trotz ihrer Panik, und sie wandte sich nach rechts.

Quiller kümmerte sich nicht mehr um den schwerverletzten Leibwächter. Der Mann war keine Gefahr mehr für ihn. Nun wollte er sich Karen holen.

Die junge Frau jagte die Treppe hoch. Die Todesangst schnürte ihr die Kehle zu. Eine wahnsinnige Situation war das. Völlig irreal. Malcolm Quiller jagte in mörderischer Absicht hinter ihr her!

Karen erreichte das Schlafzimmer. Verstört schloss sie sich darin ein. Quiller langte keuchend vor der Tür an. Er trat mit dem Fuß dagegen. „Mach auf, Karen!“

Sie stemmte sich verzweifelt gegen einen Schrank, wollte das schwere Stück vor die Tür schieben.

„Du hast keine Chance, Karen!“, rief Quiller. „Ich krieg’ dich! Kincaid kann dir nicht mehr helfen! Niemand weiß, in was für einer Lage du dich befindest! Ich habe Zeit, dich zu holen!“

Die junge Frau bot alle ihre Kräfte auf, um den Schrank vom Fleck zu bewegen.

Malcolm Quiller wuchtete sich kraftvoll gegen die Tür. Das Holz knackte, und Karen Mackey fragte sich, wie lange die Tür den Mörder noch aufhalten konnte.

Wieder warf er sich dagegen. Karens Augen schwammen in Tränen. Sie setzte alles ein, was sie an Kräften zu bieten hatte, um den Schrank vor die Tür zu kriegen, und sie flehte zum Himmel, Mike Borran möge noch rechtzeitig ein treffen.

Da brach das Schloss, und die junge Frau, die vor Gericht so kühl und überlegt agierte, war einer Ohnmacht nahe.

24

Ein Telefonat genügte. Mike konnte sich darauf verlassen, dass sich jemand um die Alpha-Agenten kümmerte. Er blieb keine Minute länger in diesem Versteck, sondern eilte zum Mustang zurück und gab ihm tüchtig die Sporen. Er überschritt das Speedlimit und riskierte eine Anzeige wegen Zutieffliegens. Er raste Richtung City Island, als wäre der Teufel hinter seiner Seele her, denn er musste um jeden Preis diesen hinterlistigen Mord verhindern. Er hoffte, dass die Staatsanwältin mit seiner Warnung noch etwas anfangen konnte.

Malcolm Quiller durfte nicht zum Mörder werden.

Mike erreichte die City Island Avenue. Er las die Schilder der Querstraßen: Horton Street, Rochelle Street, Beiden Street ...

Dann kam Beiden Point. Vor dem Haus der Staatsanwältin trat Mike Borran scharf auf die Bremse. Der schwarze Mustang rutschte über den Asphalt. Ehe der Wagen noch ganz zum Stehen gekommen war, federte Mike schon nach draußen. Er überkletterte die Gartentür.

Im Haus schrie Karen Mackey.

Ihr Schrei trieb Mike Borran zu noch größerer Eile an. Zum Glück lebte sie noch. Malcolm Quiller hatte sein Ziel demnach noch nicht erreicht. Aber er war wohl schon nahe daran. Aus irgendeinem Grund hatte es die Staatsanwältin nicht geschafft, aus dem Haus rauszukommen.

Okay, dann musste Mike Borran hinein.

Da ihm die Haustür bestimmt niemand aufgemacht hätte, jagte er um das Gebäude herum, erreichte die Terrasse und stürmte durch die offene Terrassentür in den Livingroom.

Seine Kopfhaut zog sich schmerzhaft zusammen, als er Kincaid in einer Blutlache liegen sah. Er beugte sich über den Leibwächter.

„Oben ...“, röchelte der Schwerverletzte. „Sie ist im Schlafzimmer! Sie müssen ihr helfen!“

„Nicht bewegen“, riet Mike Borran dem pflichtbewussten Mann. „Bleiben Sie ruhig liegen. Ich sorge dafür, dass Sie so rasch wie möglich ins Krankenhaus kommen.“

„Mrs. Mackey ...“

„Ja.“ Mike eilte mit schussbereiter Waffe weiter. Oben versuchte Malcolm Quiller, die aufgebrochene, verbarrikadierte Schlafzimmertür aufzurammen. Drinnen stemmte sich die junge Frau verzweifelt dagegen. Sie war nahe daran, schlappzumachen. Tränen glänzten auf ihren Wangen. Ihr hübsches Gesicht war von Todesangst gezeichnet.

Mike keuchte die Stufen hinauf. Er sah Quiller, der wie ein Berserker wütete. Es fiel ihm schwer, den Smith & Wesson auf den Freund und Kollegen zu richten, aber er durfte sich von Quillers Äußerem nicht täuschen lassen. Das Alpha-Serum hatte aus ihm eine reißende Bestie gemacht. „Malcolm!“, brüllte Mike Borran.

Sein Schrei riss den Mord-Roboter der Vierten Macht herum. Quillers Revolver schwang mit. Eiseskälte glitzerte in seinen Augen. Er war entschlossen, auch Mike fertigzumachen. Er hatte keine Freunde mehr.

Ehe Quiller den Stecher durchziehen konnte, krachte Mike Borrans Waffe. Seine Kugel stieß Quiller gegen die Wand. Er verlor seinen Revolver und brach zusammen. Mike eilte auf ihn zu. Er hielt den Smith & Wesson auf den Verletzten gerichtet, während er den Revolver aufhob und Quiller nach weiteren Waffen durchsuchte.

„Aufstehen!“, befahl er dem Mann ohne Gewissen.

Quiller biss die Zähne zusammen und erhob sich schwerfällig.

Durch die Tür fragte Mike: „Sind Sie okay, Mrs. Mackey?“

„Ja“, kam eine dünne Stimme zurück.

„Bleiben Sie, wo Sie sind.“

„Was ist mit Malcolm?“

„Er ist verletzt, aber er wird’s überleben.“

„Und Kincaid?“

„Ist das Ihr Leibwächter?“

„Ja.“

„Der ist schlimmer dran.“

Mike befahl Quiller, vor ihm herzugehen. Sie kehrten in den Livingroom zurück. Quiller musste sich setzen. Kincaid hatte das Bewusstsein verloren. Quiller betrachtete den reglos daliegenden Leibwächter ungerührt. Es hätte ihn nicht gestört, wenn der Mann gestorben wäre.

Mike hob das Telefon auf, lauschte kurz in den Hörer, ob der Apparat noch funktionierte, und bestellte dann einen Krankenwagen zu Karen Mackeys Haus. Auch die Polizei informierte er. Die Cops trafen gleichzeitig mit der Ambulanz ein. Sie befreiten die Staatsanwältin.

Die junge Frau kam erledigt die Stufen herunter.

Kincaid wurde auf einer Bahre hinausgefahren. Quiller ging selbst. Der Blick, den er Karen zuwarf, erschütterte sie zutiefst. In seinen Augen war die Wut zu sehen, die er darüber empfand, nicht geschafft zu haben, weswegen er gekommen war.

Mike Borran war froh, dass die verdammte Alpha-Rechnung nicht aufgegangen war. Er dachte an Kendall, um den sich die CIA auch noch in dieser Stunde kümmern würde. Eigentlich hätte er zufrieden sein können ...

25

Von Doc Hoss Cranston erfuhr man, dass das Serum keine Langzeitwirkung hatte. Da Malcolm Quiller keine Auffrischungsspritze bekam, sondern in einem CIA-Sanatorium gehegt und gepflegt wurde, baute er das gefährliche Gift, das seine Wesensänderung ausgelöst hatte, zusehends ab.

Zwei Wochen nach seiner Einlieferung wusste er wieder genau, wohin er gehörte, und die CIA konnte sich auf ihn wieder hundertprozentig verlassen. Als sich die Sanatoriumstore für ihn öffneten, war Mike Borran zur Stelle, um ihn abzuholen. Quiller trug den linken Arm in einer schwarzen Stoffschlinge.

„Hallo, Malcolm“, sagte Mike und streckte dem Mann, der nun wieder sein Freund und Kollege war, die Hand lächelnd entgegen.

„Mike.“ Quiller drückte seine Hand fest. Schatten lagen um seine Augen. Er war ernster geworden. Das grausame Spiel, das die Vierte Macht mit ihm getrieben hatte, ließ ihn reifen.

„Wie geht es dir?“, fragte Mike Borran.

„Die Ärzte sagen, ich bin psychisch wieder okay.“ Er wies auf die Armschlinge. „Und das hier wird auch bald verheilt sein.“

„Tut mir leid, dass ich dir das antun musste.“

„Ist schon in Ordnung, Mike. Wenn sich jemand entschuldigen muss, bin ich das.“

Mike schüttelte den Kopf. „Du konntest nichts für das, was du getan hast. Kein Mensch kann dir einen Vorwurf machen. Jedem von uns wäre es genauso ergangen, wenn man uns dieses verfluchte Zeug injiziert hätte. Übrigens, mit Doc Cranstons Aussage konnten unsere Leute das Alpha-Labor hochgehen lassen, in dem die Droge hergestellt wurde. Das Zeug wurde restlos vernichtet. Der Chemiker, der es herstellte, verlor sein Leben, seine Unterlagen verbrannten. Alpha wird diese Schweinerei nicht wiederholen können.“

„Dem Himmel sei Dank“, sagte Quiller und atmete erleichtert auf.

„Ich soll dir Grüße von Karen Mackey bestellen“, sagte Mike.

Quiller sah ihn wie ein geprügelter Hund an. „Da wage ich mich nicht mehr hin.“

„Karen trägt dir nichts nach“, sagte Mike Borran. „Sie hat mich gebeten, dich zu ihr zu bringen.“

„Wie geht’s ihrem Leibwächter?“

„Er ist über den Berg.“

Quiller seufzte. „Ich kann dir nicht sagen, wie sehr mich das erleichtert.“

Mike führte Quiller zu seinem Wagen. Sie fuhren los und erreichten 45 Minuten später City Island.

Diesmal war die ganze Familie zu Hause. Karen nahm Quiller behutsam in ihre Arme, und ein Blick in ihre Augen verriet ihm, dass alles, was er unter dem schrecklichen Einfluss der Alpha-Droge getan hatte, vergeben und vergessen war ...

––––––––


ENDE

13 Extra Urlaubsmorde August 2019 Krimi Sammelband 13002

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