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7. Sündenfall

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Er stammte aus einer bigotten Familie. Seine Eltern verbrachten wesentlich mehr Zeit in der Kirche als alle anderen Gemeindemitglieder. Manchmal fühlten sie sich verpflichtet, ihre Glaubensgenossen zu mehr Engagement zu ermuntern: So organisierten sie beispielsweise nächtliche Anbetungen, bei denen sie dann allerdings häufig ab Mitternacht allein in der Kirche waren.

Und sie konnten sich immer wieder über das sündige Treiben ihrer Mitmenschen erregen: So waren sie der Überzeugung, dass junge Leute, die ohne Trauschein zusammenlebten, demnächst dem göttlichen Strafgericht anheim fallen müssten.

„Ihr werdet schon sehen!“ waren ihre Lieblingsworte. Und wenn dann ein junger Mensch mit seinem Motorrad zu Tode kam, dann sagten sie:

„Wir haben es ja gleich gesagt!“

Ihre Augen, die ständig auf der Suche nach der Sünde waren, beanstandeten sogar jedes etwas freizügigere Dekolleté im Dorf mit entsprechenden Kommentaren wie diesem: „Wenn man schon eine Sünderin ist, muss man das nicht auch noch in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen.“

Diese bigotte Einstellung der Eltern färbte natürlich auch auf ihren Sohn ab. Er machte sich die Sichtweise der Eltern zu eigen und sah in den meisten Frauen typische Nachfolgerinnen der Frau, die den ersten Sündenfall auf ihr Gewissen geladen hatte. Während andere junge Burschen seines Alters irgendwelche Techtelmechtel begannen, entschloss er sich, die Welt zu verbessern und Priester zu werden. Dies gelang ihm auch.

Eine Woche, nachdem seine Priesterweihe mit großem Pomp gefeiert worden war, fuhr er mit der männlichen Pfarrjugend zum Katholikentag. Die jungen Leute waren in einem Zeltlager am Rande der Stadt untergebracht.

Auch die weibliche Pfarrjugend war mit einer Erzieherin, einer Novizin, unterwegs und nistete sich auf einem Platz neben den jungen Männern ein. Als die jungen Mädchen Schwierigkeiten beim Aufbau ihrer Zelte hatten, dachte ihre junge Erzieherin: Wozu gibt es Männer? Sie fühlte sich einsam, obwohl sie von einem Haufen quicklebendiger Teenager umgeben war. Aber so ist es nun einmal: Man fühlt sich vielleicht selten so einsam wie in der Menge. Die Erzieherin sehnte sich nach einem gleichaltrigen Menschen, mit dem sie sich „vernünftig“ unterhalten konnte, und da erschien ihr der junge Pfarrer als Partner für ein Gespräch gerade recht, zumal sie ihn kannte und recht sympathisch fand.

Während die Jugend in riesigen Zelten untergebracht war, hauste der Pfarrer etwas abseits in einer exotischen Art von Wigwam, das größenmäßig eher für ein Liebespaar gedacht gewesen sein dürfte. Die Erzieherin zupfte dreimal an einem der Spannseile, und sagte laut:

„Klopf, klopf, klopf!“

„Hereinspaziert!“ rief der Pfarrer. Der Reißverschluss des Zelts war offen, und so schlüpfte die junge Frau hinein. Sie kam sich schon recht merkwürdig vor, als sie halb liegend hineinkroch, und sie wunderte sich nicht, dass ihre Stimme etwas rau klang:

„Ich habe ein Problem!“

„Wer hat keine?“ fragte der Pfarrer freundlich: „Würden Sie so freundlich sein und die Tür schließen? Hier zieht's!“

Nachdem sie den Reißverschluss mit einem Ratsch betätigt hatte, machte er eine einladende Geste:

„Bitte legen Sie Platz!“

Sie griff sein Wortspiel auf:

„Also Platz nehmen kann man hier ja wirklich nicht“, sagte sie und legte sich – halb aufgerichtet – in die freie Hälfte des Zelts. Da lagen sie nun fast wie ein Liebespaar nebeneinander im Zelt. In den Köpfen beider spukte das Wort „Problem“ herum, das plötzlich eine ganz andere Bedeutung bekommen und nichts mehr mit dem Aufbau der Zelte zu tun hatte. Beide spürten ganz intensiv die erotisierende Nähe des anderen. Er fasste sich ein Herz und sagte:

„Nun habe ich auch ein Problem! Dürfen wir das, was wir hier tun?“

„Wir tun ja nichts. Wir liegen ja nur da.“

„Aber Ihre Nähe...“

„Was ist mit meiner Nähe? Ich bin doch ganz harmlos.“

„Für mich nicht. Ich bekomme plötzlich ganz andere Gedanken, die sich in meiner Position verbieten und frage mich auf einmal, wie es wohl ist, eine Frau in den Armen zu halten.“

„Ach, bedienen Sie sich doch“, lachte sie und legte zurück, wobei sie ihre Arme hinter ihrem Kopf verschränkte und sagte: „Ich glaube, der Liebe Gott hätte wirklich nichts dagegen. Das Im-Arm-Halten ist doch noch keine Sünde.“

Und dann lagen sich in den Armen, und es passierte das, was eigentlich nicht hätte sein dürfen – schon gar nicht beim ersten, flüchtigen Kennenlernen. Zuviel Erotik hatte sich in diesen beiden jungen Menschen aufgestaut.

Als die Novizin ein Kind erwartete, verhielt sich die Kirche entgegen ihren sonstigen Gepflogenheiten großzügig. Sie entließ den jungen Pfarrer aus seinem Zölibatsgelübde und beschäftigte ihn als Religionslehrer weiter. Bald läuteten die Hochzeitsglocken gerade noch so rechtzeitig, dass der Zustand der Braut den Trauungsgästen verborgen blieb. Alle wunderten sich, wie es denn möglich war, dass die Kirche in diesem Ausnahmefall dem Glück der beiden jungen Menschen nicht im Wege stand, sondern es noch in jeder Beziehung förderte. Als Hochzeitsgeschenk legte sie nämlich ein großzügiges Darlehen auf den Gabentisch, damit sich das Paar ein Haus bauen konnte. Die Hochzeitsgäste waren sich schließlich einig: Eine so große Liebe wie zwischen diesem Paar hatten sie noch nie gesehen, da konnte die Kirche einfach nicht im Wege stehen, denn sonst wären die beiden jungen Menschen tatsächlich wahnsinnig geworden.

Nach der Hochzeit sah man das Paar eng umschlungen wie in Trance durch die Kleinstadt wandeln, verfolgt von den neidischen Blicken derer, die es mit ihrer Partnerwahl nicht so gut getroffen hatten.

Nachdem das erste Kind zur Welt gekommen war, folgten in den nächsten vier Jahren weitere vier Kinder, wie es sich für eine gut-katholische Ehe gehört, in der ja eine echte Verhütung praktisch nicht erlaubt ist.

Man könnte glauben, dass eine solche Liebe unerschütterlich sei. Doch eines Tages schlich die junge Frau in das Kloster, in dem sie als Novizin gewesen war. Sie besuchte dort ihre Freundin, eine ältere Nonne.

„Na, wie geht's denn dem jungen Glück?“ fragte diese.

„Von wegen junges Glück!“ antwortete die ehemalige Novizin und fügte hinzu:

„Wäre ich doch damals ins Kloster geblieben! Ich liege Nacht für Nacht neben meinem schnarchenden Mann im Bett und bete: ‚Hilf mir lieber Gott, dass ich meinen Mann noch länger ertragen kann!‘ Und dann muss ich mich in den Schlaf weinen. Kannst du mir nicht helfen? Mit einem Rat oder so?“

„Ja, wer kann da helfen?“ antwortete die Nonne und nahm ihre Freundin in den Arm. „Du musst dein Schicksal durchstehen wie ich das Meinige. Glaub' mir, auch ich habe es nicht leicht. Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Jesus hat es uns vorgemacht. Das Leben ist nun mal kein Honiglecken, sondern es ist – wie die Bibel sagt – Müh' und Plag', und wenn es lang währt, sind es 80 Jahre.“

„Solange halt' ich das nicht aus!“

„Ich glaube, hier hättest du es auch nicht leichter. Du warst zu kurz im Kloster, um das richtig beurteilen zu können. Ich sage mir immer: Man gewöhnt sich an alles!“

„Aber nie an das, was ich jetzt habe! Aber ich werde es jetzt halt doch weiter versuchen – der Kinder wegen.“

Irgendwie getröstet verließ die ehemalige Novizin wieder die Klostermauern, die für sie ein Hort des ewigen Friedens zu sein schienen.

Und für die zurück gebliebene Nonne sah das Dunkel der alten Abtei auf einmal wieder etwas heller und freundlicher aus.

Aber die Kirche, der nichts verborgen bleibt, bleibt nun wieder beim alten, ganz strengen Kurs gegenüber Liebesverhältnissen von Priestern und den daraus entstehenden Folgen, denn sie betrachtet den Zölibat weniger als ein Opfer der Priester, sondern vielmehr als ein Gottesgeschenk, und das darf man nicht wegen einer Frau verschmähen.

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