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10. Die alte Tante und der Kapuziner

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Ich weiß nicht, ob es heute auch noch so ist wie früher: Alte Tanten und Onkel hatten in den Augen der Jugend immer etwas Sonderbares an sich. Und so gab es, wenn sie einmal zu Besuch kamen, immer viel Gesprächsstoff und oft auch manche Gelegenheit zum Lachen.

Ich hatte eine ganze Reihe von Tanten, und ich habe sie alle sehr gern gehabt. Wenn ich Zeit hätte, könnte ich ein ganzes Buch über sie schreiben, aber ich will hier nur eine Episode aus dem Leben von Tante Anna berichten.

Sie war eine fromme Frau und ging jeden Tag in die Kirche, auch wenn sich manchmal – wie sie berichtete – schon frühmorgens der Teufel der Versuchung an ihr Bett schlich und ihr ins Ohr flüsterte:

„Gelt, Anna, heut' bleibst du mal liegen!“

Aber dann sprang sie umso vehementer aus den Federn und eilte in die Kirche. Dort in der ersten Bankreihe traf sie auf Gleichgesinnte, die vor Beginn der Messe über Neuigkeiten tuschelten. Gelegentlich gab es auch einmal eine Sensation wie beispielsweise die, dass Pater Erminold verschwunden war, und die Damen übereinstimmend zu der Überzeugung kamen, dass eine Frau dahinter stecken müsse. Deshalb heckten sie einen Plan aus, wie sie hinter das Geheimnis kommen könnten. Der funktionierte allerdings – sehr zum Leidwesen meiner Tante – nicht.

„Ach!“ seufzte Tante Anna öfter: „Ich wäre so gern ein Mann, dann wäre ich bei der Polizei und wüsste alles!“

Es ist natürlich klar, dass die besondere Frömmigkeit meiner Tante ihrem Pfarrer nicht verborgen geblieben ist. Und so hatte er eines Tages ein „Attentat“ auf sie vor:

Die Osterzeit nahte, und er hatte beschlossen, eine Missionswoche durchzuführen. Die Kirchengemeinde sollte wieder im Glauben gestärkt werden. Das war auch bitter nötig, wenn man am Sonntag sah, wie dünn die Reihen derer geworden waren, die noch die Heilige Messe besuchten. So hatte der Pfarrer einen Kapuziner engagiert, der den Gläubigen einmal so richtig ins Gewissen reden sollte. Kurzum, der Mönch sollte in der Karwoche jeden Tag den Kirchenbesuchern demonstrieren, was es mit dem Begriff „Kapuzinerpredigt“ auf sich hat.

Nun hatte der Pfarrer allerdings ein Problem: Der Mönch wollte nicht bei ihm im Pfarrhaus wohnen, denn er sagte, die Leiden des Herrn in der Karwoche nähmen ihn schon ohnehin sehr mit. Hinzu kämen die Anstrengungen des täglichen Predigens. So müsse er abends abschalten und außerhalb des kirchlichen Bereichs wohnen. Da der Pfarrer damals in der Nachkriegszeit kein Budget zur Verfügung hatte, das ihm gestattet hätte, den Kapuziner in einem Hotel unterzubringen, sprach er meine Tante an, ob sie nicht den frommen Mann beherbergen wolle. Sie tue damit ein gutes Werk, das ihr der Herrgott sicher vergelten würde.

Wer Tante Anna kannte, wusste, dass sie bei einem solchen Ansinnen nicht nein sagen konnte. Und so wohnte denn der Kapuziner bei ihr. Niemand fand daran etwas Anstößiges, denn meine Tante war 76 Jahre alt und eine gottesfürchtige Frau.

Sie verwöhnte den Kapuziner gleich mittags bei seiner Ankunft mit einem Fischgericht, bei dem der Mann so sehr zulangte, dass für sie kaum etwas übrig blieb. Sie hatte sich eigentlich vorgestellt, dass beide ein wenig fasten würden. Stattdessen verlangte der Pater ein Bier zum Essen, denn „der Fisch will schwimmen“, wie er sagte. Meine Tante entgegnete, dass Fische im Wasser schwimmen, jedenfalls in der Fastenzeit. Der Pater aber bestand darauf, dass er zum Mittagessen in Zukunft sein Bier bekäme und abends eine Flasche Wein. Meine Tante erschrak über solche Sitten oder besser gesagt Unsitten und wagte es, nochmals Bedenken wegen der Fastenzeit zu äußern. Der Mönch aber erwiderte, wenn man die Karwoche so intensiv miterlebe wie er, dann könne man das Leiden des Herrn nur mit viel Alkohol ertragen. Und weil meine Tante keinen Streit wollte, kaufte sie halt für das Abendessen Bier und Wein.

Abends vor dem Zu-Bett-Gehen war der Kapuziner total betrunken. Dies war der Zeitpunkt für meine Tante, die Flucht zu ergreifen. Sie sagte dem Mönch, dass es sich wohl doch nicht schicke, wenn sie beide in einer Wohnung übernachteten. Deshalb habe sie mit ihrer Schwester verabredet, dass sie dort schlafen würde. So kam sie zu uns und, obwohl ihr an sich eine gepflegte Ausdrucksweise zu eigen war, berichtete sie uns mit drastischen, ordinären Worten, was sich in ihrer Wohnung abgespielt hatte:

„Der Mönch fraß und soff in geradezu unverfrorener Weise! Dann hat er mich immer mit so blutunterlaufenen Augen angestiert, als ob er gleich über mich herfallen würde.“

Ich machte meine Tante – ungalant, wie Jugendliche nun einmal sein können – darauf aufmerksam, dass sie 76 Jahre alt sei und doch wohl nicht mehr befürchten müsse, dass ein Mann ihr etwas antue. Sie meinte aber, ich sei noch etwas unreif und hätte keine Ahnung, was so alles passieren würde.

Am nächsten Tag stand in der Zeitung, dass ein angetrunkener Mann in einer Straßenunterführung eine 78-jährige Frau angefallen habe. Weiter wurde berichtet, das Schäbige an der Tat sei gewesen, dass der Mann sich als Mönch verkleidet habe. Das Opfer habe einen schweren Schock erlitten und daher keine vernünftige Täterbeschreibung geben können, außer dass er „blutunterlaufene Augen“ gehabt habe.

Meine Tante kam am nächsten Tag wieder zu uns und schwenkte triumphierend die Zeitung:

„Da seht ihr, dass sogar eine 78-jährige überfallen wurde.“

Auf die Idee, dass „ihr“ Kapuziner vielleicht der Täter gewesen sein könnte, ist sie allerdings nie gekommen. Der muss aber wohl ein schlechtes Gewissen gehabt haben, denn der Pfarrer erzählte ihr, der Mönch habe es nun doch besser gefunden, ihr nicht mehr zur Last zu fallen. Er werde daher ab jetzt im Pfarrhaus wohnen.

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