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8.

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“Noch ein Bier, bitte !“ Werner Rehbein saß in einer Eckkneipe in der Auguststraße. Die Kneipe gab es auch schon vor der Wende an gleicher Stelle. Das hatte einen gewissen Seltenheitswert. Fast überall neue Geschäfte, Restaurants, Cafes, neue Kunstgalerien – die feinen Namen aus dem Westen und sogar ein nobles Hotel. Dieser Teil von Berlin war ’in’ geworden.

Rehbein hatte zur Zeit keinen Job. Dies beunruhigte ihn nicht sonderlich. Er bekam Arbeitslosenunterstützung, hatte eine billige Wohnung um die Ecke und lebte jetzt allein, nachdem sich seine Frau kurz nach der Wende von ihm hatte scheiden lassen. Ein paar Jahre hatte er für eine Sicherheitsfirma gearbeitet. Einen solchen Job konnte er jederzeit wieder bekommen. Trotz seiner fast 48 Jahre und seiner Vergangenheit. Wollte er aber nicht. Jedenfalls nicht zur Zeit. Er hatte ein neues Hobby entdeckt, mit dem er sich täglich ein paar Stunden beschäftigte: Die Börse. Bei einem Online-Broker hatte er sich ein Portfolio eingerichtet, mit dem er sich akribisch beschäftigte. Er las die Analyseberichte der Banken, kaufte sich Anlegermagazine und Finanzzeitungen und surfte im Internet nach allem, was mit dem Aktienmarkt zu tun hatte.

Die Grundlage seines Portfolios waren seine Ersparnisse, die noch aus der DDR-Zeit stammten. Beim MfS verdiente er gut und konnte jeden Monat etwas zurücklegen. Nicht zuletzt wegen der gelegentlichen Prämien bei Sonderaufträgen. Und dann war es wie ein Lotteriegewinn, als seine Ersparnisse nach der Wende eins zu eins in D-Mark getauscht wurden.

Als er anfing, sich mit Aktien zu befassen – so Mitte der 90er – lief es sehr gut. Sein Portfolio wuchs. Dann allerdings musste er auch erfahren, dass die Reise nicht immer nur in eine Richtung läuft , und er verlor eine Menge Geld, insbesondere mit Technologieaktien.

Er hatte jetzt Hunger.

“Otto, machst du mir den Nudelauflauf ?” rief er in Richtung Tresen und wollte seine Zeitung, die ‘Financial Times Deutschland’ gerade beiseite legen, als sein Blick auf einen Artikel fiel: ‘US-Anleger verunsichert’. Rehbein hatte sein Geld überwiegend in deutsche Aktien investiert. Er hatte aber auch gelernt, dass man sich als Anleger diversifizieren sollte und hatte jetzt auch ein paar Dollarwerte in seinem Depot. Daher interessierte er sich auch für den US-Markt. Er las sogar manchmal Analysen auf Englisch. Es war zwar lange her, aber Einiges ist hängen geblieben: In der Hauptabteilung II des MfS gab es für besondere Kader Englischunterricht.

Diesmal richtete sich sein Interesse jedoch nicht in erster Linie auf den Artikel, sondern auf ein Foto daneben, das jetzt halb verdeckt war. Er nahm die rosafarbene Zeitung wieder in die Hand und klappte die Seite mit dem Foto auf. Es zeigte drei Herren im Gespräch am Rande einer Veranstaltung der NASDAQ, dem elektronischen Freiverkehrsmarkt in New York, an dem vor allem Aktien aus dem Technologiesektor gehandelt wurden. Einer der Herren, links im Bild, kam ihm bekannt vor.

“Das gibt es nicht !” murmelte er und wurde ganz rot vor Aufregung.

“Das ist nicht möglich”, wiederholte er sich.

“Stimmt ‘was nicht ?” hörte er Otto neben sich mit dem dampfenden Nudelauflauf in der Hand. “Auch noch ‘n Bier ?”

“Ja, und dazu einen Kurzen !”

Das ist er ! Kutschinski ! Aber es konnte eigentlich nicht sein, Kutschinski war tot. Rehbein erinnerte sich noch genau an den Tag, als in der Hauptabteilung II die Nachricht verbreitet wurde, dass der Leiter der Wirtschaftsabteilung der DDR-Botschaft in Maputo plötzlich verschwunden sei. Zur Aufklärung dieses mysteriösen Verschwindens hatte das MfS damals eine vierköpfige Delegation nach Mosambik geschickt. Deren Recherchen blieben jedoch ergebnislos. So hieß es jedenfalls. Es kursierten seinerzeit jedoch allerlei Gerüchte. Es war von Korruption, von Sexeskapaden und sogar von Mord die Rede. Offiziell wurden diese Gerüchte jedoch zunächst strikt dementiert. Das Verschwinden des Wirtschaftsattachees wurde vielmehr in Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg gebracht, in dem auch kriminelle Gruppen mitmischten. Langsam sickerten dann aber immer mehr Informationen durch und MfS-intern gab es kaum noch Zweifel, dass der Genosse in Maputo ein krimineller Schurke war.

Zunächst galt Kutschinski als verschollen und wurde dann später für tot erklärt.

Wie lange war das her ? Mehr als 20 Jahre. Er schaute sich das Bild noch einmal lange an. Kein Zweifel, das war er. Älter, natürlich, aber unverkennbar: Seine vollen, leicht gewellten Haare nach hinten gekämmt, kaum grau. Sein etwas brutal wirkendes Gesicht mit dem nach vorn ragenden breiten Kinn. Rehbein glaubte sogar, die markante Pockennarbe von der Größe eines Ein-Euro-Stückes unterhalb seines linken Ohres als dunklen Punkt auf dem Foto erkennen zu können. Und unverwechselbar seine etwas gebeugte Haltung, die seine1,87 ein wenig kaschierten. Die Bildunterschrift wies ihn aus als ‘der New Yorker Investmentbanker Lars Bergstraesser mit Kollegen’.

Langsam fasste sich Werner Rehbein wieder. Er kippte seinen Vodka und spülte mit einem großen Schluck Bier nach. Er aß und dachte nach. Gerd Kutschinski, der sich jetzt anscheinend Bergstraesser nannte, war nicht nur ein riesiges Schlitzohr , sondern ein Verbrecher. Und ein Schwein.

Er drückte eine Kurzwahltaste auf seinem Handy:

“Ulf, halt’ dich fest, Kutschinski lebt ! Und offensichtlich nicht schlecht.”

“Wovon redest du ? Wer lebt ? “

“Der Herr Major aus Mosambik !”

“Du spinnst.”

“Lasst uns treffen, wie sieht’s mit heute Nachmittag um fünf aus ?”

“Einverstanden, und wo ?”

“’Maritim pro arte’ in der Friedrichstrasse, okay ?”

*

Ulf Servatzki saß schon in der Hotellobby, als Rehbein durch die Drehtür kam. Sie kannten sich seit 24 Jahren. Sie hatten sich zum ersten Mal bei einer Kaderschulung in Berlin getroffen. Da hatten sie auch Gerd Kutschinski kennengelernt, der bei dieser Schulung über seine Arbeit in Mosambik referierte. Beide waren etwa zum gleichen Zeitpunkt beim MfS angefangen. Als Rehbein 1984 zur Hautabteilung II kam, war Servatzky bereits über ein Jahr dort. Servatzky machte ihn mit den Kollegen und den Abläufen in der Abteilung bekannt. Im Laufe der Zeit freundeten sie sich miteinander an; sie waren beide etwa im gleichen Alter, und beide waren frisch verheiratet. Nach einer Weile luden sie sich auch gegenseitig nach Hause ein. Mitarbeiter des MfS hatten wenig oder überhaupt keinen privaten Kontakt zu anderen. Daher bot es sich gewissermaßen an, mit Kollegen aus dem ‘gleichen Hause’ umzugehen.

“Lasst uns rüber zur Bar gehen”, sagte Rehbein, ohne weitere Begrüßung. Sie setzten sich an einen Tisch und bestellten Bier. Rehbein legte die Zeitung mit dem aufgefalteten Artikel und dem Bild auf den Tisch. Servatzky griff sofort danach.

“Ja, das ist Kutschinski , kein Zweifel. Wie hat er das bloß gemacht. Von einem Tag auf den anderen untergetaucht.”

“Weißt du, Ulf, woran ich jetzt denke ?”

“Nee, aber wie ich dich kenne, ist es etwas Verrücktes. Schieß los.”

“Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass wir für einen Scheißladen gearbeitet haben. Wir haben fiese Aufträge erledigt, ohne aufzumucken. Wir haben idiotische Befehle ausgeführt und Menschen in Bedrängnis gebracht. Wir waren aber damals davon überzeugt, dass wir wichtige Aufgaben für unser Land erledigen würden. Und richtig schwerkriminell sind wir nicht gewesen.“ Werner Rehbein schaute seinen Kumpel Zustimmung erwartend an. Der nickte nur leicht. „ Kutschinski jedoch war ein Krimineller, ein Verbrecher,” fuhr er fort.

“Das kann man wohl sagen”, pflichtete ihm Servatzky bei. “Wenn ich daran denke, was hinterher alles rausgekommen ist. Die Schmiergelder, die er von den Regierungsstellen in Mosambik und den beteiligten Firmen eingestrichen hat. Die gingen in die Millionen. Alles auf die Seite geschafft. Dagegen war Schalck-Golodkowsky ein Waisenknabe.”

“Und wenn es stimmt, was unsere Leute und die Polizei in Maputo damals ermittelt haben, hat er sogar eine junge Frau auf dem Gewissen”.

“Und dann wie vom Erdboden verschwunden,” sinnierte Servatzky. Sein Blick fiel auf eine sehr attraktive Mittvierzigerin in schwarzen engen Satinhosen, Stöckelschuhen und kurzer grauer Lammfelljacke, die auf die Rezeption zusteuerte.

“Dies ist die Chance unseres Lebens,” hörte er leicht abwesend Rehbein.

“Der Herr – wie heißt er jetzt ? – Bergstraesser ist offensichtlich heute ein erfolgreicher und sehr wohlhabender Geschäftsmann an der Wall Street. Ich habe Mr. Bergstraesser vorhin noch gegoogelt. Laut seiner Biografie kommt er aus Halle, Ingenieurausbildung an der Bergakademie Freiberg. Über verschiedene berufliche Stationen im Ausland kam er 1987 in die USA und kaufte dort 1988 die Investmentfirma Engelhard Capital. Über die 18 Jahre von seiner Ausbildung bis zu seiner Ankunft in Amerika findet sich allerdings nichts Konkretes. Auch nichts darüber, wie er vom Osten in den Westen gelangte. Er muss offensichtlich recht vermögend in die USA gekommen sein.“ Rehbein nahm einen Schluck aus seinem Bierglas. „Und wurde dort noch reicher”.

“Fast hätten wir ihn damals überführt,” sagte Servatzky und starrte ins Leere. Er dachte daran, wie er zusammen mit Werner Rehbein Mitte der Achtziger den Auftrag bekam, Kutschinski in Maputo auf die Finger zu schauen. Beide waren verheiratet, stramme SEDler und erfüllten somit die Verlässlichkeitskriterien für einen solchen Auslandseinsatz. Kutschinski war seit einiger Zeit in Verdacht geraten. Man sagte ihm zu enge Kontakte zu den Geschäftspartnern und Regierungsstellen in Mosambik, die für den Warenaustausch mit der DDR verantwortlich waren, nach. Und da ging es nicht um Kleingeld. Die DDR lieferte damals LKWs und Waffen nach Mosambik gegen Öl, Kohle und landwirtschaftliche Produkte. Sie stellten damals die ganze Botschaft auf den Kopf, filzten alle Akten und Dokumente und durchforsteten die Computer. Die Interviews mit den Botschaftsangehörigen ergaben zwar hier und da einen Hinweis, aber nichts Konkretes. Der Herr Major war zu smart gewesen, um Spuren zu hinterlassen. Und die Kollegen von Kutschinski äußerten sich sehr zurückhaltend, als ob sie Angst vor ihm hätten.

Es wurde auch über bizarre Sexgeschichten mit einheimischen Mädchen gemunkelt. Da seine Frau in Berlin bleiben musste – er konnte sie allerdings relativ häufig besuchen – und ansonsten die Geschäfte gut liefen, ließ man ihn diesbezüglich in Ruhe.

“Heute ist er ein respektables Mitglied der New Yorker Finanzszene. Und ich denke, er möchte dies unter allen Umständen auch bleiben.“ Rehbein hielt einen Moment inne und fuhr dann etwas leiser, mit verschwörerischer Miene fort: „Wir sollten dem Herrn einmal auf die Pelle rücken.”

Servatzky machte grosse Augen.

“Ich weiß nicht,” sagte er. Dabei schielte er nach links, wo die Frau in den Satinhosen sich jetzt hörbar auf ihren Stöckelschuhen in Richtung Fahrstühle bewegte, einen silberglänzenden Rollkoffer hinter sich her ziehend. Vielleicht war es seine mecklenburgische Herkunft - Ulf Servatzky kam urspruenglich aus Schwerin – aber er besaß nicht die Härte und Rücksichtslosigkeit seiner damaligen MfS-Kollegen aus Sachsen, Brandenburg und Berlin. Dies bewegte seine Vorgesetzten in der Normannenstrasse bisweilen dazu, ihn vorzugsweise für Aufgaben heranzuziehen, bei denen der Schein der Harmlosigkeit sehr wichtig war. Einem Typen wie Rehbein hingegen sah man den Stasi-Mann schon von Weitem an.

“Vielleicht wäre dies eine gute Story für den ‚Spiegel‘, und wir streichen ein saftiges Honorar ein.” Ihm gefiel seine Idee, und er sah seinen Kumpel selbstzufrieden an.

“Ach was, Ulf ! Überleg doch mal. Dies ist die Gelegenheit unseres Lebens. Ich denke an das ganz große Geld. Millionen ! Wir könnten ein für alle Male ausgesorgt haben und brauchten uns nicht bei jeder Jobbewerbung anhören müssen, was für Arschlöcher wir waren. Wir, die Buhmänner der Nation. Und Kutschinski wird zahlen, glaub’ mir”. Rehbeins Gesicht drückte grimmige Entschlossenheit aus - wie einst in der Normannenstrasse beim Verhör eines Bürgers, der sich ‘Spiegel’ und ‘Stern’ aus dem Westen hatte schicken lassen.

519 Park Avenue

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