Читать книгу 519 Park Avenue - Peter Stockfisch - Страница 9

7.

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Der Verkehr nahm jetzt rapide zu. Vor einer halben Stunde hatte Saidi seine Spätschicht angetreten. In den nächsten sechs Stunden würde er das meiste Geld machen.

Gerade hatte er zwei Damen bei Bergdorf & Goodman aussteigen lassen, als bereits ein neuer Fahrgast die noch offene Wagentür hinter sich schloss.

“West Broadway und Grand Street, bitte”.

So würde es jetzt immer weiter gehen bis etwa elf, halb zwölf, wenn im Theater District und im Lincoln Center die Vorstellungen zu Ende waren. Danach würde es ein wenig ruhiger werden. Jetzt bloß keine Tour nach JFK oder La Guardia. Das ist ein fester Preis und kann um diese Zeit bis zu zwei Stunden dauern. Seine pausenlosen 10 - bis 12- Dollar-Touren waren weit lukrativer. Einige seiner Kollegen fuhren manchmal einfach an Leuten mit Koffern vorbei oder schalteten das “OFF”-Licht ein. Dies konnte allerdings böse Folgen haben, wenn die TLC, die Taxi&Limousine Commission, davon Wind bekam.

Saidi liebte seinen Job. Er war auch ein bisschen stolz auf das, was er in den vergangenen Jahren erreicht hatte. Die erste Hürde, die er seinerzeit nehmen musste, um die Taxifahrerlizenz zu erhalten, war der Sprachtest. Die TLC, die Bewerbungen von Menschen aus der ganzen Welt erhält, wachte darüber, dass die angehenden Taxifahrer in der Lage waren, Englisch zu lesen, zu sprechen und zu verstehen. Die zahlreichen Bewerber aus Pakistan und Bangladesch waren hier im Vorteil, da Englisch in ihren Heimatländern eine zweite Amtssprache war. Allerdings wurden sie selber wegen ihrer eigenwilligen Aussprache nicht immer von ihren Fahrgästen verstanden. Das war aber auch keine TLC-Voraussetzung. Saidi nahm die Sprachhürde ohne große Probleme. Er war als junger Mann von Mosambik nach Amerika gekommen und hatte am Anfang in diversen Jobs gearbeitet. Dabei hatte er die neue Sprache schnell aufgeschnappt. Nach Fitnesstest und polizeilichem Unbedenklichkeitstestat stand seiner Zulassung zur Taxischule nichts mehr im Wege.

Heute hatte er sein eigenes Taxi, einen neuen Ford Escape Hybrid, bereits ausgestattet mit einem Terminal für Kreditkarten, die in diesem Jahr für alle New Yorker Taxen eingeführt worden waren. Und er verdiente gut. Ein Medallion, die Lizenz für ein Taxi, besaß er allerdings nicht. Die kostete bereits über 100.000 Dollar, als er als Taxifahrer anfing. Das war unerschwinglich. Auch wenn er sich mit einem oder zwei Kollegen zusammen getan hätte. Und heute war der Preis auf mehrere hunderttausend Dollar geklettert. Daher musste er sich, wie viele seiner Kollegen, die Lizenz von einem Medallionbesitzer mieten.

Saidi Calhoun konnte mit seinem Leben zufrieden sein. Seit 14 Jahren war er mit Elvira verheiratet, einer Puerto Ricanerin. Sie arbeitete als Krankenschwester im Lenox Hill Hospital. Mit ihren zwei Kindern, Jazmin und Roy wohnten sie in Queens, im Stadtteil Astoria. Obwohl beide Schichtarbeiter waren, hatten sie sich so organisiert, dass sie wenigstens an zwei Tagen in der Woche ein normales Familienleben führten mit gemeinsamen Mahlzeiten, Einkäufen und Freizeitgestaltung. Jazmin, inzwischen 13 Jahre alt, hatte jetzt als Teenager schon ihren eigenen Zeitplan und verbrachte mehr Zeit mit ihren Freundinnen als mit Eltern und Bruder. Elvira, eine typische latinische Madre , legte jedoch Wert darauf, möglichst viel Zeit mit ihrer heranwachsenden Tochter zu verbringen und als Gesprächspartnerin immer für sie da zu sein.

Roy war nur anderthalb Jahre jünger, aber noch recht kindlich. Er freute sich immer riesig, wenn sein Vater ihn an Wochenenden zu lokalen Baseballspielen mitnahm oder – seltener - gar zu Ligaspielen der Mets. Manchmal kickten sie auch selber im nahegelegenen Astoria Park.

Saidi war heute unkonzentriert. Zu aufgewühlt war er noch nach dem, was er gestern erlebt hatte. Es war wie ein Alptraum. Es schien, als würde sein Leben erneut an einem Wendepunkt stehen.

Was war geschehen.

Er hatte gegen Abend gerade Fahrgäste am Hilton in der Avenue of the Americas abgeliefert und fädelte sich in den Verkehr Richtung Norden ein. An der Ecke 56. Straße auf der rechten Seite standen zwei Herren, die in ihren dunklen Anzügen und Krawatte ohne Mantel wie Geschäftsleute aussahen. Es konnten auch Banker oder Anwälte sein. Der eine von ihnen winkte mit der einen Hand sein Taxi zum Halten, mit der anderen zeigte er in die 56. Straße, um die gewünschte Fahrtrichtung anzuzeigen. Saidi kreuzte drei Fahrspuren nach rechts, was trotz Blinker ziemlich riskant war. Da aber jeder in New York mit solchen erratischen Manövern rechnet – insbesondere bei Taxis – passiert kaum etwas.

“Pine Street, bitte !” Thomas Kirsten schaute auf die Uhr.

“Lars, wir sind spät dran, aber auf unsere Limousine hätten wir bestimmt noch eine Viertelstunde warten müssen.”

“Übernimm du bitte die Gesprächsführung am Anfang, ich melde mich, wenn es zu den Knackpunkten kommt”.

Saidi bog gerade in die Fifth Avenue Richtung downtown ein, als es ihn wie ein Keulenschlag traf. Das Blut wich aus seinem Kopf. Er fühlte sich plötzlich hundeelend. Die Stimme kannte er doch ! Sie gehörte zu dem Mann, den der andere Lars nannte. Eine Stimme, die er nie vergessen würde. Er blickte in den Rückspiegel. Der Mann in dem feinen Businessanzug, den gewellten, nach hinten gekämmten Haaren, dem etwas brutalen Gesicht – das war doch … Nein, unmöglich ! Sowas gibt es nicht. Und doch: Es war Gerd Kutschinski. Obwohl sein Gesicht durch die Plexiglastrennwand mit den Aufschriften und Stickern etwas verdeckt war, war er fast sicher. Es war der Ostdeutsche aus Maputo, der Verbrecher, der so viel Leid über ihn und seine Familie gebracht hatte.

Oder war es nur eine Täuschung ? Ein Albtraum, wie er ihn noch bis vor ein paar Jahren regelmäßig hatte. Träume, in denen er mit diesem Mann wild gerungen hatte. Gekämpft bis zur völligen Erschöpfung. Er wollte ihn töten, wusste aber nie genau, ob ihm dies gelungen war. Meistens wachte er vorher schweißgebadet auf.

Dies war heute jedoch kein Traum. Es war Wirklichkeit.

Durch die Öffnung der Trennwand versuchte er, noch mehr von der Unterhaltung seiner Fahrgäste aufzuschnappen. Die wechselten vom Englischen zwischendurch in eine andere Sprache, die Saidi zwar nicht verstand, aber an deren Klang er sich nur zu gut erinnerte. Es war Deutsch. Insbesondere lauschte er auf die Stimme des einen. Dabei schaute er immer wieder in den Rückspiegel – soweit es der dichte Verkehr erlaubte.

Ja, er war es ! Ein Mörder !

Saidi war eigentlich immer ein friedlicher Mensch gewesen, aber Kutschinski hatte er bittere Rache geschworen. Daran hatte sich auch in den vergangenen 20 Jahren nichts geändert. Sein Schmerz und seine Rachegefühle hatten sich zwar etwas abgeschwächt, nachdem seine Nachforschungen über das deutsche Generalkonsulat ergeben hatten, dass Kutschinski verschollen und für tot erklärt worden war. Aber der Zorn und der tiefe Schmerz saßen wie ein Stachel in seiner Seele. Und jetzt hatte das Schicksal eine nie erwartete neue Situation geschaffen.

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