Читать книгу 519 Park Avenue - Peter Stockfisch - Страница 4

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Der Vorhang fällt. Es vergehen noch einige Sekunden nach dem dramatischen Ende und dem Verstummen des Orchesters. Dann der Applaus, zunächst zögerlich, dann stärker und breiter. Die Kronleuchter gehen halb an und senken sich langsam von der Decke. Einige Bravorufe und Beifallspfiffe von den hinteren Reihen und vom Family Circle. Die Sänger verbeugen sich, zuerst die Nebenrollen und schließlich - bei anschwellendem Applaus - die Stars, allen voran Ramon Vargas als Riccardo, Angela Brown als Amelia und Dmitri Hvorostovsky als Renato. Dies wiederholt sich noch ein paar Mal, wobei am Ende auch der Dirigent, Gianandrea Noseda, auf die Bühne geholt wird und für sich und das Orchester den Beifall entgegennimmt.

Es gibt noch eine kleine Überraschung: Das Ensemble stimmt ein ‘Happy Birthday’ für Noseda an. Klingt gut – mehrstimmig von professionellen Sängerinnen und Sängern dargeboten.

Und dann ist es plötzlich vorbei. Volles Licht, leises Stimmengewirr und ein bisschen Gewühle in den Reihen.

Thomas Kirsten geht es auch nach fast 25 Jahren New York immer noch ein wenig auf den Wecker, dass die meisten Menschen ihre Mäntel selbst in der Metropolitan Opera nicht an der Garderobe abgeben, sondern umständlich auf ihrem Sitz oder auf dem Schoß verstauen, manchmal zusammen mit großen Taschen oder Tüten, wenn sie direkt von der Arbeit oder vom Einkaufen kommen. Vielleicht ist es das Tempo der Stadt; wozu nach der Aufführung lange an der Garderobe in der Schlange stehen. Viel wichtiger ist es, schnell die Subway oder den Bus zu erreichen oder den Zug nach New Jersey oder Connecticut. Daher fällt der Beifall in den New Yorker Theatern und Konzertsälen auch eher kurz aus.

Natürlich gibt es auch Leute, die sich hübsch gemacht haben für einen festlichen Abend – ohne Mantel und Regenschirm in den Reihen, wie es in Dresden, Hamburg oder München gang und gäbe ist. Auf die wartet dann allerdings draußen häufig eine Limousine.

Es dauert nur wenige Minuten, bis Thomas Kirsten seinen Mantel hat und auf den weiten Vorplatz mit dem erleuchteten Springbrunnen tritt.

Er war jedes Mal wieder von dem Lincoln Center fasziniert. In einer weiträumigen Architektur waren hier Oper, Philharmonie, Ballett und Theater vereint. Und die besten Sänger und Musiker aus der ganzen Welt gaben sich hier ein Stelldichein. Hier, in diesem Zentrum der Kultur, fühlte man förmlich die Musen atmen.

Gleich daneben die berühmte Juilliard School, aus der schon so viele große Musiker hervorgegangen sind, die heute an den bekannten Opernhäusern oder in den besten Orchestern der Welt wirken.

Als junger Student hatte Thomas Kirsten einen Dokumentarfilm gesehen über den Neubau der Metropolitan Opera im Lincoln Center Mitte der 60er Jahre. Kernstück des Films war ein Interview mit dem damaligen charismatischen General Manager der Met, Sir Rudolf Bing. Er hatte sich damals fest vorgenommen, der Met so bald wie möglich einen Besuch abzustatten. Sein Wunsch erfüllte sich erst siebzehn Jahre später.

Es ist kühl, und er bindet sich seinen Schal etwas fester um den Hals. Er hatte sich auf diesen Abend gefreut. Christina wollte unbedingt Un Ballo In Maschera sehen. Anschliessend wollten sie im “Café des Artistes” essen. Dann kam in letzter Minute wieder etwas dazwischen: Christina arbeitete für Cartwright Lechter & Dornfeld LLP, einer großen Anwaltskanzlei in Manhattan mit Schwerpunkt Gesellschaftsrecht. Da kam es vor, dass sie plötzlich bis in die Nacht arbeiten musste, um kurzfristig für einen Klienten einen Börsenprospekt oder einen Antrag für die Aufsichtsbehörden zu erstellen. Obwohl Verdis Maskenball nicht zu seinen Lieblingsopern gehörte, entschloss er sich, alleine zu gehen und die zweite Karte gegebenenfalls an einen Musikstudenten, die regelmäßig vor der Met auf eine solche Gelegenheit warten, zu verschenken. Er hatte keine Lust, vor dem Fernseher zu sitzen und auf Christina zu warten.

Thomas Kirsten ging in Richtung Columbus Circle. Er liebte diese Stadt, die sein Leben in so mannigfaltiger Weise bereichert hatte. Trotz seiner 62 Jahre hatte er immer noch den gleichen Tatendrang wie vor 25 Jahren als die Dresdner Bank ihn von Frankfurt nach New York geschickt hatte.

Wahrscheinlich lag es an der Dynamik dieser Metropole, die ihn beflügelte, beruflich wie privat. Beruflich hatte man immer das Gefühl, neue Ideen entwickeln und dann auch sofort umsetzten zu müssen. Und privat war es das unglaubliche Angebot an kulturellen Ereignissen, politökonomischen Veranstaltungen und Entertainment auf höchstem Niveau, bei dem man sich ständig entscheiden musste, welchen Event man zugunsten eines anderen auslassen wollte.

Und dann die Menschen. Die Mischung aus Europäern, Süd- und Mittelamerikanern, Asiaten und Afrikanern war eine permanente Augenweide. Wenn man durch die Straßen ging, waren eigentlich alle Sinne stimuliert. Und das lag nicht nur an den rassigen jungen Menschen in frecher Kleidung. Alter spielte fast keine Rolle. Jeder war akzeptiert.

Thomas Kirsten war ein sportlicher Typ, groß und schlank, mit fast grauen Haaren und immer etwas sonnengebräunt. Daher wirkte er auch vielleicht jünger, als er war. Seine Garderobe war cool. Seine Boss-Anzüge und -Hemden kaufte er seit über 30 Jahren in Deutschland. Dort wurde einfach chicer und enger geschnitten. Das fiel auf inmitten der amerikanischen Geschäftsleute oder Banker, von denen kaum einer einen gut sitzenden Anzug trug, konnte der Stoff noch so kostbar sein.

Es war frisch, aber irgendwie lag ein Hauch von Frühling in der Luft. Er beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen. Er ging gerne zu Fuß in Manhattan. Immer viele Menschen auf den Strassen. Zu jeder Tag- und Nachtzeit. Und es gab ständig etwas Interessantes zu sehen.

Sein Appartment lag in der Upper East Side, in der 69. Straße zwischen Lexington und Third Avenue. Die Wohnung von Christina lag nur 6 Strassen weiter nördlich. Er würde etwa eine halbe Stunde brauchen.

Inzwischen war er an Central Park South angekommen. Dies war zwar ein Umweg, aber er konnte schlecht nachts um halb zwölf quer durch den Park laufen. Dabei gab es immer einige Unerschrockene, die selbst um diese Zeit noch im Park joggten.

“Hallo, hast Du Lust ?” hörte er eine angenehme Frauenstimme kurz vor dem Essex House neben sich.

“Nee, danke, ich hatte gerade volles Programm”, flapste er zurück und lächelte die dunkelhäutige Schöne an.

Trotz Verbot traf man sie überall: In den Hotels, auf der Straße, in Restaurants und Bars. Nur sahen sie hier – gewissermaßen als ‘Tarnung’ - irgendwie neutraler aus, wie die attraktive Frau von nebenan – was nicht ganz ohne Reiz war.

Christina würde nicht vor Mitternacht kommen.

Er dachte gerade daran, wie sie sich vor 6 Jahren bei einer Vernissage im German House kennengelernt hatten, als es in seiner Jackettasche vibrierte.

“Hallo ?”

“Ich bin’s, wie war’s ?”

“Magnifico ! Du wärst begeistert gewesen. Super Amelia. Ich hatte Angela Brown vor ein paar Jahren in Hamburg in der gleichen Rolle gesehen; sie ist noch besser geworden. Tolle Stimme, super Frau, große Bühnenpräsenz. Es tut mir leid, aber du hast etwas verpasst. Wie sieht’s bei Dir aus ?”

“Wir kommen nicht weiter. Wir benötigen ein paar Angaben von den Wirtschaftsprüfern. Die sind jetzt natürlich alle weg. Wir brauchen noch etwa eine halbe Stunde und dann komme ich. Bist Du dann bei mir in der Wohnung ? Bitte ! ich brauche eine Massage.”

Diese Bitte konnte und wollte er ihr nicht abschlagen, und er beeilte sich mit der Antwort, Vorfreude in der Stimme.

“O.k., Ich warte bei Dir auf Dich”.

519 Park Avenue

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