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Kapitel 5

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An diesem Punkt seiner Rückschau seufzte Mischa noch einmal tief, denn diese glückliche Zeit schien vorbei zu sein. Und alles fing mit Lars an.

Dieser kam im Frühjahr neu in die Mannschaft – ein von Anfang an schwieriger Junge. Lars war aggressiv gegen jeden, rücksichtslos, egoistisch, nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Er nutzte jede Gelegenheit, einen seiner zahlreichen entwertenden Sprüche loszuwerden. Er war größer als die anderen Jungs, größer auch als alle aus der Viererbande. Er besaß eine grobschlächtige Ausstrahlung, die es schwer machte, ihn zu mögen – kurz: er war das, was innerhalb der Viererbande als Hooliganschubser bezeichnet wurde; sicherlich war das nicht seine Natur und man wusste eigentlich nicht genau, was ihn dazu gemacht hatte. Gerüchte über ihn waren im Umlauf, seine Mutter sei früh an Krebs gestorben, er lebe mit seinem Vater zusammen, der Alkoholiker sei und Ähnliches. Doch keiner wusste wirklich zuverlässig, was die Lebensumstände von Lars waren und wie sie ihn geformt hatten. Die selbstverständlich Mischa als Mannschaftskapitän zufallende Aufgabe, Lars in die Mannschaft zu integrieren und ihn in seinen temperamentvollen Ausbrüchen zu begrenzen, war zwar eine neue Herausforderung für ihn, doch glaubte er oft, damit an den Grenzen seiner Fähigkeiten angekommen zu sein. Zumal Lars ihm – wenn auch noch verdeckt – den Posten als Kapitän streitig machen wollte. Zunehmend verlor Mischa den Spaß am Spiel und an seiner Funktion.

Lars konnte oder wollte sich nicht in die Mannschaft einfügen, obwohl er – das bemerkte man schnell – ein hervorragender Spieler war. Er konnte einem gegnerischen Spieler den Ball auf eine Art und Weise abjagen, dass dieser dann z. B. dermaßen verdutzt stehen blieb, um überhaupt realisieren zu können, dass er von einer Zehntelsekunde auf die andere nicht mehr im Ballbesitz war. Oder Lars war geradezu berühmt für seine langen Pässe, mit denen er aus dem eigenen Feld bis weit hinter die Mittellinie einem Mitspieler den Ball punktgenau vor die Füße legte. Aber Lars konnte auch, besonders dann, wenn er einem Gegner keinen Ball abjagen konnte, gemein sein. Er hatte eine besondere und nur aufmerksamen Blicken wahrnehmbare Art, Spieler zu foulen. Durch seine Größe und unterstützt durch Aussprüche wie: »Hau ab, du Pisser!« gelang es ihm immer wieder, andere so zu verschrecken, dass diese einen Bogen um ihn machten oder aber ihm – wenn es sich nicht vermeiden ließ - nahezu freiwillig den Ball übergaben, bloß um seinen potenziellen Attacken während oder nach dem Spiel zu entgehen. Dennoch war er für die Mannschaft einfach ein Gewinn, und das entging natürlich auch dem Trainer nicht, der sich häufig schützend vor ihn stellte, wenn seine Jungs sich wieder einmal über dessen Ruppigkeit beschwerten. Doch das trug dazu bei, dass Lars glaubte, sich seine Extravaganzen, seine Gemeinheiten und seine Impulsivität leisten zu können. Bei jedem Spiel war sein Beitrag immer in irgendeiner Art und Weise spielentscheidend; den anderen blieb daher nichts anderes übrig, als dies zähneknirschend zur Kenntnis zu nehmen. Alle aber wunderten sich, wieso Lars mit so hervorragenden Fähigkeiten in den Verein eingestiegen war, irgendwo musste er die ja schließlich erworben haben. Nach einer Weile bekam einer der Viererbande heraus, dass Lars aus dem Verein des Nachbarortes, in dem er vorher Mitglied war, auf einstimmigen Beschluss des Vereinsvorstandes ausgeschlossen worden war. Einer der wesentlichen Gründe sei sein häufiges Foulspiel gewesen, ein weiterer der, dass er nach einem verlorenen Spiel den Spieler verprügelt hatte, der das entscheidende Tor geschossen hatte, mit dem die Mannschaft von Lars das Spiel verloren hatte.

Lars ließ es sich nicht nehmen, bei jeder sich während eines Spiels ergebenden Gelegenheit, dicht an dicht mit Mischa über den Rasen zu laufen und diesem zuzuraunen: »Noch bist du der Kapitän, aber nicht mehr lange.« Beim ersten Mal glaubte Mischa sich verhört zu haben, er konnte einfach nicht glauben, dass Lars ihm so offen seinen Rang streitig machen wollte. Bei jedem weiteren Mal musste er jedoch die Ernsthaftigkeit der Drohung für wahrscheinlicher halten und sorgte seinerseits dafür, dass er um Lars einen möglichst großen Bogen machen konnte. Während des Spiels war das natürlich kontraproduktiv und eine Tages nahm der Trainer Mischa für ein vertrauliches Gespräch zur Seite.

»Mischa, darf ich dich mal etwas fragen?«

»Aber sie wissen doch, dass sie mich alles fragen dürfen« entgegnete Micha etwas energischer als ihm lieb war, denn er ahnte, worum es ging.

»Also gut, ich habe den Eindruck, dass du Lars aus dem Weg gehst und dass euer Zusammenspiel so sehr darunter leidet, dass ich befürchte, es könnte sich auf den Mannschaftserfolg auswirken.«

»Wissen sie denn auch, warum das so ist?« fragte Micha zurück.

»Das interessiert mich nicht, das warum ist mir egal, mir ist die Mannschaft wichtig und nur die Mannschaft. Und sowohl du als auch Lars seid Teil dieser Mannschaft. Also: Ich möchte, dass das in Zukunft wieder gut läuft, sonst müsste ich mir andere Konsequenzen überlegen.«

Das war eine herbe Enttäuschung für Mischa, hatte er doch gehofft, dass der Trainer die ihm entgegen gebrachten Gefühle in gleicher Weise erwiderte und sich auf Mischas Seite stellen würde. Noch erfüllt von der gerade eben erlebten Zurückweisung lief er den anderen drei aus der Bande hinterher, um ihnen von dem kurzen Intermezzo mit dem Trainer zu berichten.

Bei den anderen gingen die Wogen der Empörung hoch. »Wenn der Trainer wüsste, was Lars für ein Arschloch ist!« rief Hendrik aus und Tülay setzte hinterher: »Ein Riesenarschloch, wie es im Buche steht.«

»Hast du denn dem Trainer nicht erzählt, was Lars dir öfters androht?« fragte Tom voller Unglauben.

»Nein, das hat ihn nicht interessiert – und das finde ich ja das Gemeine« antwortete Mischa den Tränen nahe.

So konnte das nicht weiter gehen, und so beschloss die Viererbande eine Strategie, mit der sie Lars entweder in seine Schranken verweisen oder sogar eine Situation schaffen konnten, in der Lars nichts anderes übrig blieb, als den Verein zu verlassen. Und in der sie nicht als die Drahtzieher zu identifizieren waren.


Die Schuld

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