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Exkurs: Begriffsklärung Antijudaismus und Antisemitismus

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Erscheinungen von Judenfeindschaft gibt es seit dem Altertum, die beiden Begriffe „Antijudaismus“ und „Antisemitismus“ stammen jedoch erst aus dem 19. Jahrhundert. Auch wenn Antijudaismus und Antisemitismus unterschieden werden, gibt es fließende Übergänge und Zusammenhänge. Eine strikte Trennung zwischen einem in der christlichen Tradition begründeten Antijudaismus einerseits und einem rassisch begründeten Antisemitismus andererseits ist zu einfach.

ANTIJUDAISMUS „Der Begriff Antijudaismus ist in neuerer Zeit eingeführt worden, um eine aus der christlichen Tradition begründete Judenfeindschaft vom allgemeinen Antisemitismus abzugrenzen. Antijudaismus nennt man judenfeindliche Einstellungen und die jüdische Glaubensweise herabsetzende Äußerungen im Verlauf der Geschichte der christlichen Kirche. Antijudaismus trägt ohne Zweifel zur religiösen Begründung des Antisemitismus bei.“46

Der Antijudaismus hat seine Wurzeln bereits in den ersten Jahrhunderten nach Christus, als eine zunehmend scharfe Trennung zwischen christlicher und jüdischer Gemeinde erfolgte und durch eine wechselseitige polemische Abgrenzung verstärkt wurde.

Das findet auch seinen Niederschlag in den späteren Schriften des Neuen Testaments wie beispielsweise dem Johannesevangelium. Diese antijüdischen Tendenzen im Neuen Testament dürfen aber nicht aus diesem historischen Zusammenhang herausgelöst und als Fundament eines christlichen Antijudaismus missbraucht werden. Auch die früheren Aussagen des Neuen Testaments, die wie der Römerbrief des Paulus frei sind von dieser Judenfeindschaft, müssen gesehen werden. Und die Streitgespräche Jesu mit den Schriftgelehrten sind nicht antijüdisch, sondern spiegeln innerjüdische Auseinandersetzungen.47

Der Antijudaismus ist eine Erscheinung, die sich durch die ganze Kirchengeschichte hindurchzieht. Man wirft denJuden vor, schuld zu sein amTod Jesu, die Christen zu hassen und Gott zu lästern, dem Teufel nahe zu stehen und verstockt zu sein. Nach den Kreuzzügen verschärft sich die Hetze gegen die Juden, man bezichtigt sie des Ritualmords und der Hostienschändung. Den Juden werden von Kirchenleuten aber auch Vorwürfe gemacht, die über den religiösen Bereich hinausgehen, wenn diese von „Wucherjuden“ sprechen oder Juden beschuldigen, Brunnen vergiftet und damit die Pest verursacht zu haben.

Nicht zuletzt tragen Passionsspiele und Predigten dazu bei, diese Vorurteile zu verbreiten. Und: „Laut den spätmittelalterlichen Vorstellungen musste der Böse auch äußerlich erkennbar sein, und deshalb wurden die Juden immer als hässliche Wesen gezeigt.“48

ANTISEMITISMUS „Antisemitismus ist ein Begriff des späten 19. Jahrhunderts, mit dem der Judenhass in ein pseudowissenschaftliches Gewand gekleidet und salonfähig gemacht wurde.“49 Antisemitismus als Denkweise und Verhalten der Verachtung, der Feindseligkeit und des Hasses gegenüber Juden, nur weil sie Juden sind, gab es schon lange und war bisher vor allem religiös, ökonomisch und sozialpsychologisch motiviert. Neu ist infolge einer biologistischen Weltsicht die Rassenlehre, welche die arische Rasse gegenüber der semitischen zur überlegenen erklärt. Daraus entwickelt sich der rassisch begründete Antisemitismus, der sich aber nicht gegen alle semitischen Völker, sondern allein gegen die Juden wendet.

Nachdem die Juden in Deutschland schrittweise die Gleichberechtigung erhalten haben und in der Reichsverfassung von 1871 alle Einschränkungen aufgehoben worden sind, verstärkt sich im 19. Jahrhundert auch noch das sozialpsychologische Motiv. „Als Reaktion auf den Eintritt der Juden in die deutsche Gesellschaft als gleichberechtigte Staatsbürger entstanden unter der Führung demagogisch agierender Wortführer bald judenfeindliche Organisationen, Vereine, Zeitschriften und sogar politische Parteien. Sie fanden Anhänger und Leser sowohl bei enttäuschten Intellektuellen, bei der protestantischen Geistlichkeit und dem katholischen Klerus, beim traditionellen Feudaladel und vor allem beim konservativen Mittelstand, kleinen Geschäftsleuten und Handwerkern, die sich von Kapitalismus und neuen Wirtschaftsformen bedroht fühlten. Denn unter dem Feindbild des Juden‘ bündelten die Antisemiten eben nicht nur judenfeindliche, sondern zugleich alle zeitgenössischen Bestrebungen, die ihnen bedrohlich erschienen, darunter vor allem die kulturellen und zivilisatorischen Entwicklungen der Moderne, zu denen u. a. die Politik der Sozialdemokratie gezählt wurde.“50

Nach dem 1. Weltkrieg müssen gerade Sozialdemokraten und damit zum Teil auch wieder Juden als Schuldige für den verlorenen Krieg herhalten, weil sie angeblich mit ihrer Politik den Militärs in den Rücken gefallen seien (sogenannte „Dolchstoßlegende“). Selbst nach dem 2. Weltkrieg war der Antisemitismus nicht überwunden, auch wenn nur noch wenige Juden in Deutschland lebten.

„Insgesamt ist Antisemitismus eine Einstellung, die auch unabhängig von eigenen Erfahrungen auftritt. Dies legt die Deutung im Sinne einer sozialpsychologischen gesellschaftlichen Krankheit nahe (Sündenbockdenken).“51

FAZIT Es gibt eine enge Beziehung zwischen Antijudaismus und Antisemitismus. „Die theologische Abwertung des Judentums hat wenigstens teilweise auch dem modernen Antisemitismus den Weg geebnet […] Man darf sich der Tatsache nicht verschließen, dass in möglichen praktischen Konsequenzen die theologische Parole, die Juden seien verworfen, oft nicht von einem biologisch begründeten Antisemitismus unterschieden wird.“52

Es ist bezeichnend, dass auch Hitler seinen unerbittlichen Judenhass sowohl rassistisch als auch verbrämt christlich begründete. Wenn Hitler in „Mein Kampf“ schreibt: „So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers: indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn“, dann folgt daraus für Günther van Norden, dass die Behauptung, der rassistische Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts habe nichts mit dem christlichen Antijudaismus der vorherigen Zeiten zu tun, falsch ist. „Vielmehr sind beide ursprünglich unterschiedlichen Motivationsstränge in den Empfindungen und Argumentationen der breiten Bevölkerungsmehrheiten eine enge, kaum lösliche Verbindung eingegangen.“53

An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen

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