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Veröffentlichungen innerhalb der Kirche

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Judenfeindliches Denken war unter protestantischen Theologen und in der evangelischen Kirche weit verbreitet – und das nicht erst seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Dieses Denken mag verschiedene Motive gehabt haben (siehe Exkurs: „Antijudaismus und Antisemitismus“ S.39ff.). Es hat sich aber auch von Luther und der lutherischen Tradition genährt.

Unmissverständlich heißt es im Heft der ACK (Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen) zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht:

„Die Nazis und ihre Helfer konnten auf eine lange und reiche Tradition der christlichen Judenfeindschaft zurückgreifen. Die meisten Kirchenväter, viele Theologen des Mittelalters, auch viele Reformatoren, allen voran Martin Luther, hatten ihren Judenhass freimütig, teils hemmungslos gepredigt.

Großen Einfluss hatte der Hofprediger Kaiser Wilhelms II, Adolf Stöcker. Viele Pfarrer der Nazizeit waren von seinem Antisemitismus geprägt worden. Sie beklagten den zersetzenden Einfluss‘ der Juden und gestanden dem Staat das Recht auf eine diskriminierende Sondergesetzgebung gegen die Juden zu.“72

Der Berliner Hofprediger Adolf Stöcker73 war einer der wichtigsten lutherischen Kirchenleute und galt mit seiner national-konservativen und religiös geprägten Judenfeindschaft als der „prominenteste protestantische Propagandist des Antisemitismus im ausgehenden 19. Jahrhundert“. Er wurde von seinen antisemitischen Anhängern als „zweiter Luther“ verehrt. Auch Männer der Bekennenden Kirche, nicht zuletzt Theophil Wurm, sind noch von Stöcker beeinflusst. Dieser hebt den Kampf gegen das Judentum und seine Übermacht als erster auch auf die Ebene der Parteipolitik, denn eine der Forderungen der von ihm gegründeten christlich-sozialen Partei lautet:

„Die christlich-soziale Partei erblickt in dem Judentum und dem jüdischen Geiste die größten Gefahren, welche das deutsche Volk in nationaler, geistiger, sittlicher und wirtschaftlicher Hinsicht bedrohen. Die Partei erstrebt deshalb die Verdrängung des jüdischen Einflusses auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens und fordert darum die Beschränkung der Zulassung der Juden zu den höheren Lehranstalten, zu öffentlichen Ämtern […] auf jene Zahl, welche der Zahl der Juden im Verhältnis zu der Gesamtheit der Bevölkerung entspricht.“

In einem Brief Stöckers an Bodelschwingh aus dem Jahre 1885 heißt es:

„Ich habe gegen die Juden nicht einmal eine Antipathie, ich habe sie als Volk der Verheißung lieb […] Aber im ganzen ist es doch so, dass das moderne Reformjudentum ‚unser Unglück‘ ist, wie Treitschke einmal sagte […]. Die Juden mögen unter uns wohnen, aber sie dürfen unser Volk nicht um seine Königstreue und um seinen Glauben betrügen.“

Wie tief die judenfeindliche Prägung im deutschen Luthertum verwurzelt ist, zeigen folgende Äußerungen von protestantischen Theologen zur Zeit des Nationalsozialismus, auch von Theologen der Bekennenden Kirche (siehe Exkurs: Bekennende Kirche im Überblick, S.77ff.).

Walter Künneth74, der Leiter der Apologetischen Zentrale des Johannesstifts in Berlin-Spandau, ist im Frühjahr 1933 Mitbegründer der Jungreformatorischen Bewegung. Diese bejaht den neuen Staat ausdrücklich, fordert aber die Freiheit der Kirche gegen alle politische Beeinflussung – wie später auch die Bekennende Kirche. Künneth spricht 1933 von einem Beitrag der Kirchen zur Lösung des sogenannten „Judenproblems“, und zwar durch die Taufe von Juden:

„Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass das, was den Juden zu dem das Volkstum zersetzenden Element macht, letztlich seinen Grund in dem Fluch hat, der seit der Kreuzigung Jesu über der jüdischen Rasse lastet. Den messianischen Anspruch auf Weltherrschaft können die Juden nur solange erheben, als sie die Messianität Jesu von Nazareth leugnen. Bekennt sich ein Jude wirklich zu Christus, dann wird er von diesem Fluch befreit, dann gibt er seinen Weltherrschaftsanspuch auf, dann erkennt er die volkshaften Ordnungen Gottes und wird befähigt, in neuer Weise Glied auch eines rassisch-fremden Volkes zu werden. So hängen Not und Fluch des Judentums und ihr zersetzender Einfluss aufs engste mit der Stellung zum christlichen Glauben zusammen. Auch an dieser Stelle ergibt sich, dass die christliche Kirche einen wesentlichen Beitrag zum Judenproblem zu geben hat.“

Nachdem sich auch Niemöllers Pfarrernotbund der Auffassung Künneths anschließt, erwacht die Judenmission in Deutschland zu neuem Leben – allerdings rät Künneth seiner Kirche, die kirchlichen „Führerstellen“ mit „Deutschrassigen“ und nicht mit sogenannten „Judenchristen“ zu besetzen.

In dem bekenntniskirchlichen Bestseller „Antwort auf den Mythus“ von 1935 widerspricht Walter Künneth Rosenbergs Antisemitismus nur insofern, als dieser keinen Unterschied mache zwischen den Juden der vorchristlichen und nachchristlichen Zeit, also dem Volk Israel und dem heutigen in der Zerstreuung lebenden Judentum. Ansonsten habe Rosenberg, so Künneth, in der Charakterisierung des zersetzenden Einflusses des dekadenten Weltjudentums und seiner Gefährdung des deutschen Kulturlebens Wesentliches erkannt. Auch sei verständlich, dass er das deutsche Wesen vor der Vergiftung durch diesen jüdischen Geist bewahren wolle. „Am Kreuze Jesu zerbricht das Volk als Volk, ist seine Volksgeschichte zu Ende […]. Was der ‚Fluchcharakter‘ der Juden bedeute, hat Rosenberg richtig gesehen, aber er weiß nichts von der Ursache dieses Fluches.“

Es sind zwei Frauen aus der Bekennenden Kirche in Berlin, die Künneths antisemitische Ausfälle kritisch sehen: die Naturwissenschaftlerin Elisabeth Schiemann in einem Brief an Niemöller und die Studienrätin Elisabeth Schmitz (s.S. 132ff.) allerdings nur in einem Briefentwurf an Künneth, in dem es heißt:

„Wer derartige Dinge schreibt, muss wissen, dass er sich damit an die Seite einer gewissen, heute sehr verbreiteten Presse stellt … Wenn das aber in der Bekennenden Kirche geschieht, dann geht mich das etwas an, und ich halte mich – erlauben Sie, dass ich das sage – vor Gott für verpflichtet, […] dagegen mit letztem Ernst Verwahrung einzulegen.“75

Der Dahlemer Pfarrer Martin Niemöller ist bis zu seiner Verhaftung im Juli 1937 ein führender Kopf in der Bekennenden Kirche. Selbst er hält noch in seiner Predigt zum Judensonntag 1935 an der traditionellen antijudaistischen Theologie fest – auch wenn er den Juden gegenüber das Liebesgebot anmahnt:

„Wir sprechen vom ‚ewigen Juden‘ und schauen das Bild eines ewigen Wanderers, der keine Heimat hat und keinen Frieden findet; und wir schauen das Bild eines hochbegabten Volkes, das Ideen über Ideen hervorbringt, um die Welt damit zu beglücken; aber was es auch beginnt, es verwandelt sich in Gift; und was es erntet, ist immer wieder Verachtung und Hass.“

Und trotzdem:

„Wir wissen wohl, dass es keinen Freibrief gibt, der uns ermächtigte, dem Fluch Gottes mit unserem Hass nachzuhelfen.“76

Wenige Wochen später, auf der Synode im September 1935, fordert Niemöller allerdings ein deutliches Wort der Solidarität mit den Juden (s.S. 119).

Der Hallenser Pfarrer Walter Gabriel77 ist Mitglied des provinzsächsischen Bruderrats der Bekennenden Kirche und Delegierter bei allen Bekenntnissynoden. In den Jahren 1941/1942 durchlebt er eine zweijährige Leidenszeit im sogenannten „Pfarrerblock“ des KZ Dachau. Dort werden im Dritten Reich Tausende evangelische und (überwiegend) katholische Geistliche, darunter viele polnische, interniert. Als erklärter Stöcker-Anhänger ist auch er antijüdischen Denkmustern verhaftet.

In seiner 1936 erschienenen Schrift „D. Martin Luther: Von den Jüden. Luthers christlicher Antisemitismus nach seinen Schriften“ vertritt er durchaus den Standpunkt einer breiten Mehrheit auch in der Bekennenden Kirche, wenn auch seine Schrift dort keine uneingeschränkte Zustimmung erfahren hat.

Gabriel grenzt sich zwar gegen den „Radau-Antisemitismus“ etwa eines „Stürmer“ ab. Dennoch ist Luther für ihn ein Antisemit, ein christlicher Antisemit. Seiner Meinung nach könnten die meisten von Luthers Grundsätzen – ins Moderne übertragen – „noch heute Klarheit und Segen bringen“. Die „rassischen und sozialen Einzelheiten“ sollte die Kirche „der Weisheit des Staates“ überlassen: „Er hat voll verantwortlich zu beurteilen, was staatsgefährlich ist, und was nicht.“

Zwar müsse ein Christ die Juden als „Blutsbrüder Jesu“ lieben, aber der Staat müsse mit „scharfer Barmherzigkeit“ gegen das unter dem Gericht Gottes stehende christus- und christenfeindliche Volk, das dem Geld ergeben sei, einschreiten. Nur wenige Juden seien noch vor ihrem schrecklichen Ende zu retten durch Judenmission.

Der Tübinger Neutestamentler Gerhard Kittel78 ist keineswegs der einzige bekannte protestantische Theologieprofessor, der den Nationalsozialisten nahesteht, auch Paul Althaus und Emanuel Hirsch sind hier zu nennen. In seinem Buch „Die Judenfrage“ hatte Kittel schon 1933 Verständnis für die nationalsozialistische Ausgrenzungspolitik gezeigt und von jeder Sentimentalität abgeraten:

„Nicht darum handelt es sich, ob einzelne Juden anständige oder unanständige Juden sind; auch nicht, ob einzelne Juden ungerechterweise zugrunde gehen oder ob einzelnen damit recht geschieht. Die Judenfrage ist überhaupt nicht die Frage des einzelnen Juden, sondern die Frage des Judentums, des jüdischen Volkes. Und darum darf, wer ihr auf den Grund gehen will, nicht zuerst fragen, was aus dem einzelnen Juden, sondern was aus dem Judentum wird.“

Das NSDAP-Mitglied Kittel wird 1936 in das „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland“ berufen. Damit dient er auch als Alibi für die Tübinger Fakultät, wenn sie von radikal-nationalsozialistischer Seite angegriffen wird. Selbst Landesbischof Wurm verweist in einem Schreiben an den Reichsführer-SS Himmler 1939 auf ihn: „Beim letzten Parteitag in Nürnberg war er Ehrengast des Führers.“79

Kittels Referat von 1936 „Die Entstehung des Judentums und die Entstehung der Judenfrage“ zeigt die inzwischen vollzogene Annäherung an den Nationalsozialismus. Er wolle wissenschaftlich beweisen, dass die Judenfrage im Wesen des Judentums selbst begründet liege, und folgert „dass es nicht willkürliche Brutalität und Barbarei war, sondern echtes, aus historischer Nüchternheit geborenes politisches Handeln, wenn der Führer des neuen Deutschlands für das deutsche Volk als erstes Volk der Neuzeit das Judenproblem auf eine völlig neue Grundlage stellte“. So haben Christen, die dem nationalsozialistischen Zeitgeist huldigen, mit Kittels Thesen Argumente dafür, dass Judenfeindschaft und Christentum geradezu wesensmäßig zusammengehören.

Kittel scheut sich auch nicht, bei einer Konferenz im Frühjahr 1937 mit dem Judenverächter Julius Streicher aufzutreten.

Der theologisch orientierte Philologe und Lutherforscher Theodor Pauls80 veröffentlicht 1939 ein umfangreiches Werk zum Thema „Luther und die Juden“ – auf Initiative von Pfarrer Dr. Petersmann, dem Leiter der „Luther-Deutschen“.

Zwei Bände gelten der Interpretation von Luthers Schriften und einschlägigen Äußerungen zu Juden und Judentum, der dritte bringt Textauszüge aus Luthers Schriften. Ziel der Veröffentlichungen ist, die deutsche Pfarrerschaft mit Hilfe des Reformators und staatlicher sowie kirchenamtlicher Unterstützung in die „Entjudung“ der Kirche einzuüben. Für Pauls habe Hitler das deutsche Gewissen zum „Kampfe gegen den jüdischen Geist und dann auch gegen die jüdische Macht befreit“.

Pauls ist kein Außenseiter, vielmehr: „Die Protektion, deren sich die Bände von Pauls erfreuten, bezeugt ebenso wie der Anschluss an das neugegründete antisemitische Eisenacher Institut, den Petersmann und Pauls mit Erfolg suchten, dass beide mit ihren Auffassungen nicht allein standen.“

An dieser Stelle ist noch Folgendes zu bedenken: Luther hat die deutschen protestantischen Theologen nicht nur in ihrer Judenfeindschaft (mit)geprägt, sondern auch in ihrem Obrigkeitsdenken. Denn seine sogenannte Zwei-Reiche-Lehre wird traditionell und gerade in den 30er Jahren so verstanden, dass eine Einmischung der Kirche in staatliche Angelegenheiten (wie auch umgekehrt) abgelehnt wird. Vielmehr sind staatliche Obrigkeit und Kirche, die jeweils einen besonderen von Gott gewollten Auftrag haben, strikt voneinander zu trennen.

Luther fordert die einzelnen Christen zum Gehorsam gegen die Obrigkeit in weltlichen Dingen auf. Allerdings steht er selbst, der die Entwicklung zu landesherrlichen Kirchenregimenten nicht aufhalten konnte, den Landesfürsten manchmal durchaus kritisch gegenüber und mahnt sie zur Einhaltung der Zehn Gebote.

Im Dritten Reich sind nur einzelne lutherische Christen der Überzeugung, dass der Gehorsam gegenüber dem Staat eine Grenze hat, wenn dieser gegen Gottes Gebot verstößt.

Die reformierten Kirchen, die sich nicht auf Luther berufen, sondern auf die Reformatoren Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, haben sowohl ein anderes Verhältnis zum Judentum als auch zum Staat.

Bei den Reformierten hat die Verbundenheit mit dem Judentum Tradition, nicht nur durch das Singen der Psalmen im Gottesdienst in Form des von Calvin verfassten Genfer Psalters. Das Alte Testament wird hoch geschätzt für Glauben und Leben der Christen und der Bundesgedanke stärker betont. Schon früher gibt es das klare Verständnis, dass der eine Bund Gottes sich auf Israel ebenso wie auf die Kirche bezieht.

All das sowie die Ablehnung von Bildern und ein dem Judentum ähnliches wortbetontes Gottesdienstverständnis hat auch dazu beigetragen, dass im Zuge der Konversionswellen des 18. und 19. Jahrhunderts überproportional viele Juden die neue Glaubensheimat im reformierten und nicht im lutherischen Bekenntnis fanden.81

Auch das lutherische Obrigkeitsdenken ist den reformierten Christen fremd, vielmehr gilt es für sie, sich als Christ gerade auch kritisch in das Gemeinwesen einzumischen.

Allerdings braucht selbst der reformierte Theologieprofessor Karl Barth Zeit, bis er klar Position für die Juden und gegen den NS-Staat bezieht.82

FAZIT All diese Beispiele zeigen: Luthers judenfeind-liche Äußerungen finden in der NS-Zeit in Veröffentlichungen außerhalb und innerhalb der Kirche Beachtung.

Das in den lutherisch geprägten deutschen evangelischen Kirchen verbreitete judenfeindliche und obrigkeitsfreundliche Denken „erklärt“ manche kirchliche Zustimmung und manches Schweigen zu den judenfeindlichen Maßnahmen des NS-Staates (siehe Kapitel IIIV).

An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen

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