Читать книгу An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen - Sibylle Biermann-Rau - Страница 7

Оглавление

Vorwort

zur ersten Auflage

Es begann mit einer Frage nach dem Gottesdienst, den ich am 9. November 2008 in unserer Friedenskirche zum Gedenken an die Reichspogromnacht vor siebzig Jahren gehalten habe. Eine 72-jährige Frau kommt auf mich zu: „Ja, stimmt das wirklich mit dem Judenhass von Luther?“ Und: „Haben Sie mir da etwas zum Nachlesen?“

Ich finde nichts Geeignetes und stelle schließlich ein paar Kopien zusammen. Durch Gespräche mit anderen verstärkt sich mein Eindruck, dass in unseren Gemeinden nicht sehr viel bekannt ist über Luthers Judenfeindschaft und ihre Wirkungsgeschichte im Dritten Reich sowie über die Reaktionen in der evangelischen Kirche auf die Judenpolitik der Nationalsozialisten. Haben die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse und die vielen Bücher zu diesem Thema nur wenige Interessierte erreicht?

Dabei geht es um eine zentrale Frage, die für uns als Christen in Deutschland eine brennende bleiben muss, auch wenn wir sie nie abschließend werden beantworten können:

Warum konnte diese Zerstörung jüdischen Lebens geschehen inmitten eines christlichen Kulturvolks, inmitten eines Landes, das sich zugute hält, das Land Luthers und der Reformation zu sein?

Als Nachgeborene – Jahrgang 1955 – steht es mir nicht zu, das Verhalten der Kirchen und vieler Christen im Dritten Reich selbstsicher zu verurteilen. Aber ich frage mit Erschrecken: „Warum?“ Diese „Warum“-Frage bricht immer wieder in mir auf, seit ich 1974 mit Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste zwei Wochen in der heutigen Gedenkstätte von Auschwitz war – und auch dann, als im November 2008 Mieciu Langer in unserem Kirchenraum seine persönliche Geschichte des Holocaust erzählte.

2008 war beim 70-jährigen Gedenken an die Reichspogromnacht viel zu hören vom Schweigen der evangelischen Kirche und vom Widerstand der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus. Wenn man genauer hinschaut, dann kann man aber wahrnehmen, dass es in der evangelischen Kirche insgesamt sogar auch ausdrückliche Zustimmung zur Judenpolitik der Nationalsozialisten gegeben hat, selbst noch zur Reichspogromnacht.

Sicher wurde in der Bekennenden Kirche überwiegend geschwiegen, aber nicht nur aus Angst, sondern auch aus Überzeugung, denn bei den evangelischen Christen in Deutschland bis weit hinein in die Bekennende Kirche gab es eine verbreitete tief sitzende antijüdische Einstellung. Und diese konnte sich unter anderem auf Luther berufen. Er selbst hatte seinerzeit sogar zur Zerstörung der Synagogen geraten.

Auch wenn die Bekennende Kirche nicht in die allgemeine Begeisterung für den nationalsozialistischen Staat eingestimmt hat, richtete sich ihr Widerstand nicht gegen das Unrechtsregime, sondern vor allem gegen nationalsozialistische Übergriffe auf die Freiheit von Kirche und Theologie, und Solidarität gab es nur gegenüber getauften Juden. Nur wenige einzelne Personen aus den Kreisen der Bekennenden Kirche haben gegen die Judenverfolgung protestiert und Juden geholfen, aber sie wurden weitgehend alleingelassen und blieben ohne Rückendeckung in ihrer Kirche. Zu ihnen gehörte auch die bis vor kurzem unbekannte Berliner Studienrätin Elisabeth Schmitz.

Das mündet in die Frage: Wie verarbeitet die evangelische Kirche nach 1945 ihr Verhalten gegenüber den Juden während der Zeit des Nationalsozialismus?

Es dauerte Jahre, bis die mangelnde Solidarität mit den Juden als Schuld erkannt wurde. Und es brauchte Jahrzehnte, bis in Theologie und Kirche eine inhaltliche Abkehr vom traditionellen Antijudaismus vollzogen wurde.

Eine prägnante und verbindliche Distanzierung von Luthers Judenfeindschaft durch die Evangelische Kirche in Deutschland steht noch aus.

Als die Evangelische Kirche in Deutschland am Reformationsfest 2008 – nur wenige Tage vor dem Gedenken an die Reichspogromnacht vor siebzig Jahren – eine Lutherdekade ausruft, die bis zur fünfhundertjährigen Wiederkehr des Thesenanschlags am 31.Oktober 2017 dauern soll, sucht man vergeblich nach einem entsprechenden Wort.

Aber wie können wir heute in Deutschland Luther feiern, ohne seine furchtbaren Äußerungen zu den Juden als Irrweg zu erklären?

All diese Fragen haben mich nicht losgelassen. Und so ist daraus nun ein Buch geworden. Darin geht es um Luther, den Protestantismus und die Juden vor und nach 1945.

Inhalt des 1. Kapitels sind Luthers judenfeindliche Äußerungen, die im Dritten Reich eine nicht unbedeutende Rolle spielten.

Im Zentrum der Kapitel II-IV steht die von den Nationalsozialisten so genannte Reichskristallnacht, die aber nicht ohne den Zusammenhang der 12-jährigen nationalsozialistischen Judenpolitik dargestellt werden kann. Diese Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 markiert zeitlich ungefähr die Mitte des Dritten Reichs, und in den Zerstörungen dieser Nacht „kristallisiert“ sich der Antisemitismus der nationalsozi-alistischen Ideologie. Die brennenden Synagogen, die zerbrochenen Fensterscheiben, die auf die Straßen geworfenen Möbel, das war für alle in Deutschland sichtbar und hat sich als Bild für die Gewalt gegen Juden eingeprägt.

Und in der Reaktion der Christen auf die Zerstörung der jüdischen Gotteshäuser „kristallisiert“ sich der Antijudaismus der kirchlichen und gerade auch der lutherischen Tradition. Wenn seit Jahrhunderten die Tempelzerstörung als göttliche Bestrafung der Juden gepredigt wird, ist der ausbleibende Protestschrei der „Protestanten“ gegen die Zerstörung der jüdischen Gotteshäuser nicht überraschend.

In den Kapiteln V-VII wird der Weg der evangelischen Kirche in Deutschland nach 1945 aufgezeigt bis zur Erkenntnis der Mitverantwortung, bis zur Überwindung der „christlichen“ Judenfeindschaft und bis zur nötigen Distanzierung von Luthers entsprechenden Schriften und Predigten.

Schließlich geht mein herzlicher Dank an alle, die die Entstehung dieses Buches ermutigend begleitet haben. Er gilt Prälat i. R. Paul Dieterich, der das Manuskript nicht nur begutachtet, sondern die Arbeit durch wichtige Impulse bereichert hat. Ebenso Pfarrerin i. R. Dietgard Meyer, die als Zeitzeugin und frühere Freundin von Elisabeth Schmitz die entsprechenden Passagen kritisch und konstruktiv gegengelesen hat. Ausdrücklich möchte ich auch der Calwer Verlag-Stiftung und namentlich Andrea Scholz-Rieker als Lektorin für ihre hilfreiche Unterstützung danken.

Und nicht zuletzt haben viele aus dem Freundeskreis und der Familie durch ihr Interesse das Schreiben gefördert, ganz besonders Brigitte Wendeberg. Bei unzähligen Tischgesprächen und aufgrund ihres intensiven Manuskriptlesens hat sie mir darüber hinaus wertvolle Rückmeldungen gegeben. All das hat dazu beigetragen, dass das Buch auch für Nichttheologen verständlich bleibt.

Albstadt-Ebingen, im November 2011Sibylle Biermann-Rau
An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen

Подняться наверх