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Veröffentlichungen außerhalb der Kirche

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Eine „Ausbeutung“ der Schriften Luthers über die Judenfrage für die NS-Politik erfolgt vor allem durch das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“, herausgegeben von Gauleiter Julius Streicher. Dieser beruft sich in vielen Ausgaben auf Martin Luthers späte Judenschriften. Stürmer-Kästen hängen an vielen Ecken öffentlich aus.

Die „Stürmer“-Schlagzeile „Die Juden sind unser Unglück!“ wird bereits 1879 von dem Historiker Heinrich von Treitschke geprägt,57 sie erinnert aber auch an Luthers Wort, dass die Juden „lauter Unglück in unserem Land seien“. Auch in der anderen „Stürmer“-Schlagzeile „Wer den Juden kennt, der kennt den Teufel!“ klingt Luthers Wort vom Juden als „leibhaftiger Teufel“ an.

Luthers Schriften dienen dem „Stürmer“ als Fundgrube für viele judenfeindliche Zitate, aber das Thema „Luther und die Juden“ wird auch in mehreren Artikeln eigens behandelt:58

In der März-Ausgabe 192859, bereits vor der Machtübergabe, erscheint eine erste Ausführung unter dem Titel: „Luthers letzte Predigt“:

„Viel zu wenig ist bekannt, welchen Kampf Doktor Martin Luther in den letzten Jahren seines Lebens gegen die Juden führte.“

Weiter wird Luther als der große Deutsche vorgestellt, der nach seinem Reformationswerk gegen Rom nun eine neue gewaltige Aufgabe vor sich sah, nämlich sein Volk von der „jüdischen Pest“ zu befreien. Vielleicht hätte er den Kampf noch geschafft, so der Verfasser, wenn er nicht gestorben wäre.

In der November-Ausgabe 193360, zum 450. Geburtstag Luthers, steht ein ausführlicher Aufsatz.

Zunächst wird moniert, dass in den Neuerscheinungen zu seinem Werk unberücksichtigt gelassen wird, „dass Luther einen geradezu fanatischen Kampf gegen das Judentum geführt hat“. Und weiter: „Der Jude war damals genau so verderblich wie heute, und Luther wäre kein echter Deutscher gewesen, hätte er sich nicht mit der Judenfrage beschäftigt […] so hat er sich im letzten Teil seines Lebens zu der Erkenntnis durchgerungen: Der Jude ist der geborene Zerstörer und deshalb ist es vergeblich, an ihm Mission zu treiben.“ Ausdrücklich wird auf die Luther-Schriften „Von den Jüden und ihren Lügen“ und „Vom Schem Hamphoras“ verwiesen und die Forderung aufgestellt: „Wir wollen auch in der Kirche das vollkommene Lutherbild aufgerollt sehen!“


Titelseite des NS-Hetzblattes „Der Stürmer“

In der August-Ausgabe 193561, kurz vor Verkündigung der Nürnberger Gesetze, wird ein besonders erschreckendes Zitat aus Luthers Pamphlet „Von den Jüden und ihren Lügen“ feilgeboten:

„Wer nun Lust hat, solche giftigen Schlangen und jungen Teufel zu beherbergen, zu pflegen und zu ehren und sich schinden, berauben, plündern und schänden zu lassen, der lasse sich die Jüden treulich befohlen sein. Ist’s nicht genug, so lasse er ihm auch ins Maul tun oder krieche ihnen in den Hintern und bete dasselbe Heiligtum an und rühme sich danach, er habe den Teufel gestärkt. So ist er denn ein Christ voller Werke der Barmherzigkeit, die ihm Christus belohnen wird am jüngsten Tage mit den Jüden im höllischen Feuer.“

In der Oktober-Ausgabe 193662 wird in der Auseinandersetzung mit dem evangelischen Kirchenmusiker Goslar auch Martin Luther herangezogen.

Nachdem Goslar wegen seiner jüdischen Herkunft von den Rassegesetzen zum „Volljuden“ erklärt und bereits 1935 in Köln vom kirchlichen Dienst suspendiert worden war, schreibt der Stürmer:

„Der ‚Fall Goslar‘ beweist wieder einmal, wie auch das Taufwasser aus einem Juden keinen Nichtjuden machen kann. Julio Goslar ist der Rassejude geblieben, der er vor der Taufe gewesen war. Julio Goslar ist der Talmudjude geblieben, der er vor der Taufe gewesen war. Jud bleibt Jud, selbst wenn man ihn täglich erneut taufen würde. Zum Zweiten erkennen wir aus den Geschehnissen in (Köln-)Nippes, dass es auch heute noch Judengenossen im geistlichen Gewande gibt, die zum Teufelsvolk der Juden stehen. Judengenossen im geistlichen Gewande, die das verleugnen wollen, was der große Reformator Martin Luther über die Fremdrassigen gesagt hat. In seinem Buche ‚Von den Jüden und ihren Lügen‘ hat er geschrieben:

‚Ich denke nicht daran, die Juden zu bekehren, denn das ist unmöglich.

So wenig sich Fleisch und Blut, Mark und Bein ändern können, so wenig können die Jüden sich ändern. Sie müssen bleiben und verderben.

Darumb wisse Du lieber Christ und zweifle nicht daran, dass Du nähest dem Teufel keinen giftigeren, bittereren, heftigeren Feind hast, denn den rechten Jüden. Darumb, wo Dir ein Jüde begegnet. Da schlage ein Kreuz bei Dir und sage: ‚Siehe, da geht der leibhaftige Teufel.‘

Würde heute ein Martinus Luther wieder von den Toten auferstehen, er würde den Juden Goslar mit der Peitsche aus der evangelischen Kirche hinaustreiben.“

In der Sondernummer 6 vom März 193763 wird unter der Überschrift „Judentum gegen Christentum“ unter Berufung auf Luthers Spätschriften betont, dass dieser als „unerbittlicher und rücksichtsloser Antisemit“ zu gelten hat.

In der Mai-Ausgabe 194164 richtet sich der Artikel „D. Martin Luther und Juda“ gegen eine Lutherinterpretation, die Wert darauf legt, dass die Judenfrage für Luther kein völkisches Problem, sondern vor allem die Christusfrage sei, also der Wunsch, sie zu bekehren und zu taufen:

„Dass man allen Ernstes heute eine solche Anschauung Luthers verkündigen kann, beweist, wie fremd der gegen alles Undeutsche protestierende Kampf Luthers heute bereits in seiner eigenen Kirche geworden ist und wie erfolgreich man Luthers Worte gegen die Juden in Vergessenheit’ hat gelangen lassen können […] Nicht aus christlichem Missionseifer bekämpft Luther die ungläubigen Juden und versucht, sie zu bekehren, sondern aus der furchtbaren Erkenntnis des Vernichtungswillens der jüdischen Nation gegen alle Völker versucht er sein deutsches Volk vor der drohenden Gefahr zu warnen. Als schlimmste Unterlassungssünde brandmarkt er daher, wenn nach seinen Enthüllungen die Fürsten, Geistlichen und das Volk die Synagogen nicht zerstören und die Juden nicht des Landes verweisen.“

In der Juli-Ausgabe 194365 behauptet Julius Streicher in seinem Artikel „Der große Mahner Martin Luther“, dieser habe die Übersetzung des Alten Testaments bereut, und fährt fort:

„Juden und Judenfreunden war der Verherrlicher des Alten Testaments ein liebenswerter Helfer gewesen. Den zum Judenkenner gewordenen Martin Luther aber hassten sie. Dieser Judenkenner Martin Luther spricht in unsere Zeit hinein als großer Mahner, der Erkenntnis die Tat folgen zu lassen: Das Verbrechervolk der Juden muss vernichtet werden, auf dass der Teufel sterbe und Gott lebe.“

In der Dezember-Ausgabe 194366 richtet sich der Artikel „Martin Luther über die Jüden“ gegen die Geistlichen der englischen und nordamerikanischen protestantischen Kirchen:

„Wenn sie sich jedoch zu begeisterten Beschützern des Judentums erniedrigen, dann verlassen sie den Weg Martin Luthers, der ein ganz fanatischer Judengegner war.“

Nach diesem Einblick in die Luther-Rezeption des „Stürmer“ kommt man wohl nicht umhin, mit Prolingheuer festzustellen:

„Die Propagandisten des Hitler-Faschismus brauchten sich 1933 nur des von den christlichen Kirchen gepflegten Antijudaismus zu bedienen. Aus diesen wortwörtlich zitierten bösen Lutherworten konnte der Stürmer dann genüsslich die aktuelle politische Lehre ziehen: ‚Jud bleibt Jud, selbst wenn man ihn täglich taufen würde.‘“67

Damit beruft sich selbst der rassische Antisemitismus noch auf Martin Luther.

Julius Streicher wird noch am 29. April 1946 im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Nürnberger Tribunal erklären:

„Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde. In dem Buch ‚Die Juden und ihre Lügen‘ schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht, man solle ihre Synagogen niederbrennen, man solle sie vernichten.“68

Aber auch die Tageszeitung „Völkischer Beobachter“, Hauptorgan der NSDAP, herausgegeben von Alfred Rosenberg, greift immer wieder auf Luther zurück, wenn auch in anderer Weise:

Bereits am 31. März 193169 erscheint in der Berliner Ausgabe ein Bericht unter dem Titel „Luthers Kampf gegen die Juden“.

Er bringt u. a. Auszüge aus Luthers Schrift „Von den Jüden und ihren Lügen“, insbesondere seine Ratschläge an die Obrigkeit, denn es sei „heute geradezu eine Pflicht“, diese „in Erinnerung zu bringen“, zumal der Jude, so wird beklagt, diese späten Kampfschriften aufgekauft habe, weshalb sie in keiner Luther-Ausgabe zu finden seien. Das ist pure Propaganda. In Wirklichkeit waren diese Schriften in allen großen Lutherausgaben enthalten.

Insgesamt aber ist man im „Völkischen Beobachter“ wenig an Luthers „Kampf“ gegen das Judentum interessiert, sondern vielmehr an seiner „Eigenschaft als deutscher Charakterrevolutionär“. Ansonsten sieht Alfred Rosenberg, der Chefredakteur dieser Zeitung, Martin Luther und die Reformation auch kritisch70, wie in seinem 1930 erschienenen Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ deutlich wird:

„Der Protestantismus offenbart sich von Anfang an als geistig gespalten. Als Abwehrbewegung betrachtet, bedeutet er das Aufbäumen des germanischen Freiheitswillens, des nationalen Eigenlebens, des persönlichen Gewissens. Fraglos hat er für all das den Weg gebrochen, was wir heute Werke unserer höchsten Kultur und Wissenschaft nennen. Religiös aber hat er versagt, weil er auf halbem Wege stehen blieb und an die Stelle des römischen das jerusalemitische Zentrum setzte […].

Luther vollbrachte, als er in Wormsa die Hand zugleich auf das Neue und Alte Testament legte, eine von seinen Anhängern als sinnbildlich betrachtete und als heilig verehrte Tat […] Erst sehr spät entledigte sich Luther der Jüden und ihrer Lügen’ und erklärte, dass wir mit Moses nichts mehr zu schaffen hätten. Aber unterdes war die ‚Bibel‘ ein Volksbuch und die alttestamentliche ‚Prophetie‘ Religion geworden. Damit war die Verjudung und Erstarrung unseres Lebens um einen neuen Schritt vorwärts getrieben.“71

An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen

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