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|45|4.3. Der etablierte Mystiker: In Międzyboż

Der Ba’al Schem in MiędzybożAls seine letzte und bedeutendste Wirkungsstätte fungierte indessen die podolische Stadt Międzyboż. Diese war im Jahr 1740, als der Besch“t sich dort niederließ, wieder zu einer der größten Städte der Region angewachsen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung war in jenen Jahren jüdisch, sodass Międzyboż auch eine der größten jüdischen Gemeinden im östlichen Teil der polnischen Adelsrepublik beherbergte. Der Gemeinderat (Kahal/קהל) war intakt und – wie auch andernorts üblich – oligarchisch von der relativ schmalen reichen jüdischen Oberschicht dominiert (vgl. Rosman, Founder, S. 69–82). Eben dieser Kahal entschloss sich im Jahre 1740, Israel ben Eli’eser als führenden Kabbalisten der Gemeinde zu beschäftigen: ein Amt, das der Ba’al Schem Tov bis zu seinem Tode 1760 innehatte.

Der Kabbalistenkreis um den Besch“tDer überregionalen Bedeutung von Międzyboż angemessen, versammelte Israel ben Eli’eser im Laufe der Zeit, neben den von der Gemeinde alimentierten Gelehrten, einige sehr renommierte Talmudisten und Kabbalisten um seine Person. Die Gruppe umfasste selbständige und vom Ba’al Schem unabhängige fertige Persönlichkeiten ebenso wie Männer, die man tatsächlich als Anhänger seiner Lehre klassifizieren würde (vgl. Jakob Josef von Połonne).

Der Kreis der Kabbalisten um den Ba’al Schem Tov zählte etwa 15 bis 20 Personen. Zu denjenigen Mitgliedern, die eher als Kollegen oder Konkurrenten des Besch“t zu kategorisieren wären, gehörten Pinchas von Korzec (1726–1791) oder Nachman von Horodenka (starb ca. 1780).

Exkurs: Konkurrierende kabbalistische Studienzirkel im Umfeld des Besch“t

Pinchas von KorzecPinchas von Korzec, geboren in Szkłów, entstammte einer angesehenen Gelehrtendynastie. Er hatte demzufolge in weiten Teilen der jüdischen Tradition eine sorgfältige Ausbildung erfahren. Pinchas ließ sich im wolhynischen Korzec nieder, wo er einen Schülerkreis um sich sammelte, der sich dem Studium der rabbinischen und kabbalistischen Tradition und einer heiligen Lebensführung verschrieb. Es heißt, dass er durch seinen Vater, Abraham Abba Schapiro, auf den Ba’al Schem Tov aufmerksam wurde, der ihn von seiner extrem asketischen Lebensführung abbrachte (vgl. Etkes, Besht, S. 191). Angesichts der Tatsache, dass sich beide Männer nur etwa zwei bis drei Male begegneten, scheint es nicht angemessen, von einer Lehrer-Schüler-Beziehung zu sprechen. Die beiden waren eher Kollegen, die einige wesentliche Grundsätze kabbalistischer Lebensführung und Lehre teilten (Weiß, Studies, S. 8). Auch nach |46|dem Tode des Besch“t wirkte Pinchas weiter als charismatische Integrationsfigur eines kabbalistischen Zirkels. Bezeichnender Weise steht am Lebensende des Pinchas von Korzec dessen Entschluss, eine Pilgerfahrt nach Zefat zu unternehmen. Dies Projekt konnte er allerdings nicht mehr realisieren: Er starb kurz nach Antritt der Reise im wolhynischen Szepetówka.

Nachman von KosóvNachman von Kosóv, wie der Ba’al Schem selbst ein Mitglied des Zirkels von Kutów, war anders als die meisten seiner Kollegen ein wohlhabender Mann, ein erfolgreicher Getreidehändler. Wie Pinchas von Korzec oder Jakob Josef von Połonne, kultivierte er eine strenge Askese nach lurianischem Vorbild. Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsmann wirkte er als Wanderprediger (Maggid). Wie Pinchas, so soll auch Nachman einen eigenen kabbalistischen Zirkel um sich geschart haben. Dieser habe sich als Chavura Qadischa (חבורה קדישה; Heilige Genossenschaft) bezeichnet (Weiß, Circle, S. 27). Ihre Mitglieder galten einander als B’né Chavura Qadischa (בני חבורה קדישה; Söhne der Heiligen Genossenschaft) bzw. Ansché ha-Chavura (אנשי החבורה; Männer der Genossenschaft). Verschiedentlich ist von Spannungen die Rede, die es zwischen ihm und dem Besch“t gegeben haben soll. Die Schivché ha-Besch“t, die Nachman (wie anderen führenden Mitgliedern des kabbalistischen Zirkels von Kutów) einen eigenen kleinen Zyklus von Legenden widmen, heben sein außerordentlich machtvolles Gebet hervor (vgl. Grözinger, Geschichten I, S. 117–118).


Abb. 3: Das Entstehungsgebiet des Chassidismus

Der Besch“t als Begründer des Chassidismus?Der Ba’al Schem Tov wird also gerade nicht als unbestrittenes Haupt eines ungewöhnlichen Kreises von Kabbalisten greifbar. Er profilierte sich kaum als eine rebellische Lichtgestalt, sondern erwies sich eher als eine in das bestehende System gut integrierte Person. Um so dringlicher stellt sich die Frage, inwiefern man die Entstehung einer derart revolutionierenden Strömung, wie sie der osteuropäische Chassidismus gewesen ist, auf ihn zurückführen kann.

Gewöhnlich wird in diesem Kontext auf die außerordentliche charismatische Ausstrahlung des Israel ben Eli’eser verwiesen, welche Menschen in ihren Bann schlug, die aus weit angeseheneren Familien stammten und zudem anerkannte Mitglieder der gelehrten Elite darstellten (Etkes, Besht, S. 78). Denkbar wäre auch, dass der Ba’al Schem Tov ungewöhnliche Fähigkeiten als Heiler und Exorzist an den Tag legte. Vereinzelt finden sich in der Tat – auch außerhalb der Legenden – Hinweise darauf, dass sich gestandene Chassidim alter Schule dem Ba’al Schem Tov anschlossen, weil er über besondere spirituelle Gaben verfügte. Man schrieb ihm die Fähigkeit zu, Einsichten über himmlische Sphären zu vermitteln. Als sein Proprium galt das ekstatische Gebet, das dem Besch“t als Mittel zu Seelenaufstiegen gedient haben soll (Etkes, Besht, S. 122–151). |47|In dieser Weise äußerte sich etwa Schlomo von Lutsk (starb 1813), ein Schüler des Dov Ber von Międzyrzecz, in seinem Vorwort zu den von ihm herausgegebenen Predigten seines Meisters:

Bis dass sich der Ewige über uns erbarmte und das Licht Jisra’els leuchten ließ – d.i. des Heiligen göttlichen Meisters, des Lehrers und Meisters Israel Besch“t und seiner heiligen Schüler, welche sich mit dem Staube seiner Füße bedeckten, durstig seine Worte zu trinken als Worte des lebendigen Gottes. Denn er offenbarte uns die teure Quelle des Glanzes [Tif’eret] dieser Weisheit [Chokhma] über jedes einzelne Detail, jedes Häkchen der Prozesse in der Oberen Welt und deren Einheit mit der Unteren Welt – in allen Bewegungen, im Wandel, in Wort und Werk. […] Und ich [Schlomo] |48|hörte aus seinem [des Dov Ber von Międzyrzecz] heiligen Mund: Was verwundert es dich, dass er [der Besch“t] Erscheinungen Elijas und noch andere sehr hohe spirituelle Ränge hatte? […] Und einmal hörte ich aus seinem heiligen Mund, dass der Besch“t, sein Andenken sei zum Leben in der Kommenden Welt, ihn gelehrt habe, mit Vögeln und Palmen zu kommunizieren etc. Auch lernte er mit ihm die arkane Bedeutung der heiligen [Gottes-]Namen und Jichudim […] und er sagte ihm Erklärungen für jeden Buchstaben. (Maggid Devaraw, S. 2)

EinigeCharismatische Fähigkeiten der dem Ba’al Schem Tov gewissermaßen vom Schüler des Schülers zugeschriebenen spirituellen Fähigkeiten, wie etwa die Konversation mit Vögeln und Bäumen, erinnern sehr an Chajim Vitals Eloge auf Jitzchak Luria oder repräsentieren hagiographisches Gemeingut. (Zumindest denkt man bei wolhynischen Bäumen, deren Sprache man erlernen könnte, nicht zwingend zuerst an Palmen.) Andererseits, historisch oder nicht, lassen sie den überragenden charismatischen Rang erkennen, den man im unmittelbaren Umfeld des gelehrten Dov Ber dem Besch“t beimaß.

Ablehnung der AskeseAuf relativ sicherem Terrain befindet man sich hingegen bei der deutlichen Ablehnung asketischer Praktiken durch den Besch“t. Diese stellte zweifelsohne eine Besonderheit seines Profils dar, wodurch er sich klar von anderen Chassidim ‚alten Stils‘ unterschied. Sowohl etliche Legenden als auch das in den Schivché ha-Besch“t überlieferte Schreiben des Ba’al Schem Tov an seinen späteren Anhänger Jakob Josef von Połonne wissen davon zu berichten, dass er zum Beispiel das Wochenfasten als Frömmigkeitsübung ablehnte und demgegenüber den Gottesdienst in Freude propagierte.

Dies ist der Wortlaut des Briefes [des Ba’al Schem Tov an Jakob Josef von Połonne]: Zu Händen meines Geliebten, des Geliebten meiner Seele, der großen Leuchte, der rechten Säule, des starken Hammers [vgl. bBer 28b], des in der Chassidut berühmten, des vollkommenen und wunderbaren Weisen, der Wunder tut und im Inneren meines Herzens eingeschlossen ist, mir anhänglicher als ein Bruder, unserem Lehrer Josef ha-Kohen. Siehe, ich empfing das Siegel seiner heiligen Hand und ich sah eine der zwei oberen Zeilen. Dort aber wurde gesagt, dass Eure Erhabenheit meint, als ob es erforderlich sei zu fasten. Mein Inneres aber zürnt ob der Stimme, die [solches] ausruft. Denn, siehe, ich füge den ‚Beschlüssen der Wächter‘ [עירין גזירות; Dan 4,14] und zusätzlich dem Heiligen, Er sei gelobt, und seiner Schekhina hinzu: Nicht darf man sich selbst in eine Gefahr wie diese bringen! Denn dies ist ein Werk der schwarzen Bitterkeit [der Galle] und der Traurigkeit. Und die Schekhina ruht nicht inmitten der Traurigkeit, sondern nur inmitten der Freude der Gebote! Wie Eurer Erhabenheit bekannt sein dürfte, sind [dies] Dinge, die ich [schon] etliche Male lehrte. Und ‚diese Worte seien‘ auf Seinem ‚Herzen‘ [Dtn 6,6]! Und wegen des Teils seiner Gedanken, die ihn zu solchem veranlassen, diesbezüglich rate ich: ‚Es sei Gott mit dir, du starker Held‘ [Ri 6,12; Ex 18,19]! An jedem einzelnen Morgen, in der Zeit seines Lernens schmiege er sich selbst an die Buchstaben, |49|in vollendeter Anschmiegung [דביקות] zum Dienst an seinem Schöpfer, Er sei gelobt und gelobt sei Sein Name. Dann aber werden die Gerichtsurteile an ihrer Wurzel versüßt und es werden die Gerichtsurteile von ihm leicht gemacht. ‚Aber vor deinem Fleisch verschließe dich nicht‘ [Jes 58,7], um Himmels willen, um mehr zu fasten, als es erforderlich und notwendig ist. Und wenn du gewiss auf meine Stimme hörst, dann wird Gott mit dir sein! Und mit diesem lasse ich es ein Bewenden haben und sage Schalom von mir, der ich immer nach deinem Schalom strebe! Spruch [נאום] des Israel Besch“t. (Grözinger, Geschichten I, S. 58–59)

Das von der Forschung durchaus für authentisch gehaltene Schreiben (vgl. Rosman, Founder, S. 114–115) bringt die Gegnerschaft des Israel ben Eli’eser zur harten asketischen Fastenpraxis kabbalistischer Prägung auf den Punkt. Der Brief beeindruckt zunächst durch die Intensität und Autorität, mit der er seine Ansicht vorträgt. Sein Verfasser begegnet seinem Adressaten als vollmächtiger Lehrer, dessen Worte schlechthin unzweifelhaft sind: „Wenn du gewiss auf meine Stimme hörst, wird Gott mit dir sein“ (!). Engel, die Schekhina und schließlich Gott selbst werden als Gewährsleute für die zentrale Botschaft des Besch“t in Anspruch genommen: Die Schekhina weilt nicht in Trauer und Zerknirschung, sondern in Freude! Das göttliche Urteil über eine Person lässt sich durch das Wochenfasten nicht abmildern – im Gegenteil: Es ist lebensgefährlich und daher nicht geboten. Anstatt dessen empfiehlt Israel ben Eli’eser die meditative Anhaftung (Devequt/דבקות) an die Buchstaben des hebräischen Alphabets.

Chassidismus

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