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Kapitel 4

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Ein Mann mit hagerem Gesicht und spitzer Nase betritt den Saal. Wir nehmen alle Haltung an.

»Setzen Sie sich«, sagt er mit ruhiger Stimme.

Er stellt sich vor: Chef Goupil, Chefbrigadier. Unser Ausbilder in Theorie für die kommenden zwölf Wochen – zwei andere sind für Sport und die Schießausbildung zuständig. Chef Goupil erklärt uns das Programm für heute, unseren ersten Tag. Die Einführung jetzt durch ihn, dann eine Ansprache des Direktors der Polizeischule.

Er fragt in den Saal: »Gut, kann mir denn schon jemand die vier Grundsituationen nennen, mit denen Sie später zu tun haben und die wir in der Ausbildung behandeln? Niemand?«

In der ersten Reihe hebt eine rundliche junge Frau die Hand.

»Aufnahme von Notrufen?«

»Ja, damit befassen wir uns zuerst. Fahren Sie fort.«

»Durchführung des Streifendienstes, Beteiligung an Aufgaben der Verkehrssicherheit und außerdem die Ingewahrsamnahme von Personen.«

»Danke.«

Die Polizeischüler, die sich für den regulären Polizeidienst bewerben wollen, werden in ihrem einjährigen Lehrgang für 17 verschiedene Grundsituationen ausgebildet. Bei uns Hilfspolizisten (offiziell ADS, adjoints de sécurité) sind es nur vier. Dazu kommt noch das Sporttraining (Boxen, Nahkampf, Laufen, Schießübungen), die juristische Ausbildung, besonders im Hinblick auf den Verhaltenskodex, alles mit schriftlichen Klausuren abgefragt und durch etwa 100 fotokopierte Anleitungen gestützt.

In kaum drei Monaten werden wir die Schule mit der Befugnis verlassen, in der Öffentlichkeit eine geladene automatische Waffe zu tragen. Drei Monate sind dafür zu kurz, sagt unser Ausbilder. Er meint, diese Schnellausbildung führe zu einer »Billigpolizei«.

Das Gesetz über die Schaffung der ADS von 1997 erlaubt auch Schulabbrechern, Polizist zu werden. Einzige Voraussetzung für Bewerber: Man muss unter 30 Jahre alt sein.

Die Hilfspolizisten sollten ursprünglich nur die reguläre Polizei bei der Annahme von Notrufen und im Innendienst unterstützen. Inzwischen werden sie auch in der Öffentlichkeit eingesetzt, ohne Unterschied zu regulären Streifenpolizisten. Einmal draußen auf der Straße, kann der ADS Menschen Handschellen anlegen, sie durchsuchen und festnehmen, er darf bloß das Protokoll darüber nicht selbst schreiben. Diese »Billigpolizei«, dieses Prinzip des Ausbilden-in-drei-Monaten-und-dann-auf-die-Bürger-Loslassens erscheint in keinem Organisationsschema der französischen Polizei. Ein ADS trägt die gleiche Uniform wie ein regulärer Flic, nur zu unterscheiden an den himmelblauen, kobaltblau gesäumten Schulterstücken, zwei Rechtecke in der Größe einer Metrofahrkarte. Von den 146000 französischen Polizisten sind 12000 solche Hilfspolizisten.

Ein ADS verdient im Monat durchschnittlich 1340 Euro netto, wenn er in Paris arbeitet, in der Provinz nur 1280. Wie meine Lehrgangskameraden habe ich mich auf drei Jahre verpflichtet, mit der Option auf einmalige Verlängerung um drei Jahre. Wollte ich wirklich Polizist werden, hätte ich mich auch für die Ausbildung zum regulären Streifenbeamten (gardien de la paix) anmelden können; dann hätte ich im ersten Dienstjahr schon 1800 Euro im Monat verdient.

Dass ich mich nur zum ADS ausbilden lasse, hat mehrere Gründe. Erstens waren keine hohen Hürden zu überwinden: ein Lese-, Schreib- und Rechentest, eine ziemlich leichte Fitnessprüfung und eine Befragung durch drei Polizisten und einen Psychologen. Die dreimonatige Ausbildung – im Gegensatz zu einem Jahr für reguläre Polizisten – lässt mich aber vor allem schnell in den Berufsalltag einsteigen, und schließlich kann ich auch jederzeit wieder aussteigen, ohne danach die Ausbildungskosten erstatten zu müssen.

»Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, müssen wir Präsenz zeigen«, wiederholt Chef Goupil.

Präsenz zeigen, das heißt die Straßen mit blauen Uniformen zu überschwemmen, aber es heißt auch, dass es eben vor allem ums Zeigen geht. Wir werden als Dekopolizei eingesetzt, vor Amtsgebäuden, auf öffentlichen Plätzen, an sozialen Brennpunkten. Ein junger Mann mit Puppengesicht in der zweiten Reihe gähnt.

Chef Goupil zieht einen Kreidestrich auf der Tafel. »Aufpassen! Für jedes Gähnen gibt’s einen Strich. Beim fünften macht die ganze Abteilung zehn Liegestütze auf dem kalten Asphalt!«

Dann geht er von Tisch zu Tisch und verteilt Fragebögen zum Ausfüllen. Darüber steht »Lebenslauf«.

»Sie schreiben mir jetzt bitte kurz Ihren bisherigen Lebensweg auf. Die Angaben sind vertraulich und werden nicht außerhalb der Schule weitergegeben. Es geht nur darum, dass ich Sie besser einschätzen kann.«

Ich schnappe mir mein Blatt und mache mich daran, einen Lebensweg zu erfinden. Nicht den, bei dem ich die Journalistenschule in Bordeaux mit Diplom abgeschlossen, sechs Monate mit einer Frau, in die ich verliebt war, in Kanada gelebt und einen krebskranken Vater habe, um den ich mir Sorgen mache. Nein, ich bastle mir eine Existenz aus Halbwahrheiten zusammen. Aus meinen vier Sommern als Flohmarktverkäufer, ein Studentenjob, mache ich eine sechsjährige Vollzeitanstellung. Aufhören musste ich, weil der Veranstalter pleiteging. Das stimmt immerhin. »Jetzt möchte ich Polizist werden, um mein Land gegen die Bedrohung durch den Terrorismus zu verteidigen.« Ich baue ein paar Rechtschreibfehler ein, um auch ja unter dem Radar zu bleiben.

Goupil sammelt die Fragebögen ein und verkündet: »Ich kann Sie in 20 Sekunden durchschauen. Wenn ich Zweifel habe, gebe ich Ihnen zwei Minuten, um sich zu erklären. Das genügt.« Er meint es ernst.

Mein Magen krampft sich zusammen.

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