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Kapitel 5

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Am Morgen nach der ersten Nacht hat Alexis einen neuen Spitznamen für mich: Ronflex, »der Schnarcher«.

»Du hast die ganze Nacht einen Höllenlärm gemacht, Idiot«, stöhnt er, die Nase noch im Kissen vergraben.

6:25 Uhr. Ich habe in einem Zug durchgeschlafen und bin erst am frühen Morgen aufgewacht, weil die raue Bettdecke an den Beinen kratzt. Ich dusche, rasiere mich, gehe in die Selbstbedienungskantine frühstücken. Wieder zurück auf der Stube ziehe ich zum ersten Mal die Uniform an.

Meine Stubenkameraden und ich verwandeln uns in Flics, zumindest äußerlich. Wir begutachten uns gegenseitig, ich spüre ihren Stolz auf die Uniform, darauf, Teil einer Einheit, einer Gemeinschaft zu sein, eines großen Ganzen, das weit über uns als Einzelne hinausreicht.

»Du hast den richtigen Kopf für einen Flic«, sagt einer der Kameraden lächelnd.

Es ist Mickaël, er sitzt auf dem Bettrand und zieht die Schnürsenkel der Kampfstiefel über Kreuz durch die Ösen. Ich danke ihm, bin froh, dass ich die Visage für den Beruf habe, und stopfe mir das himmelblaue Polohemd in die Diensthose. Es stimmt schon – einmal in Uniform, fühle ich mich gleich ein bisschen wie ein Polizist.

Ich gehe noch eine rauchen, bevor ich mich um Punkt 7:45 Uhr mit den anderen auf dem Exerzierplatz treffe, wo wir zum Flaggenappell antreten. Das morgendliche Hissen der Nationalflagge heißt la cérémonie des couleurs, und es geht sehr feierlich zu, als die Trikolore am hohen glänzenden Stahlmast aufsteigt. Nur das Klirren des Stahldrahts der Flaggenleine gegen den Mast unterbricht die Stille.

»Rührt euch!«

Wir treten mit dem linken Fuß einen Schritt vom rechten weg und legen die Hände auf dem Rücken zusammen. Dieses kleine Ballett vollführen wir ab jetzt täglich, vor und nach dem Unterricht.

*

»Dans la troupe, y a pas d’jambes de bois!«

»Dans la troupe, y a pas d’jambes de bois!«

»Y a des nouilles, mais ça n’se voit pas!«

»Y a des nouilles, mais ça n’se voit pas!«

Seit etwa zehn Minuten marschieren wir im Gleichschritt durch das Schauerwetter. Chefbrigadier Bellion, unser Formalausbilder, treibt uns immer wieder im Kreis um den Exerzierplatz der Polizeischule Saint-Malo herum.

Bevor er uns bis zum Abwinken Marschlieder brüllen lässt, hat er uns seinen Lebenslauf erzählt: ehemals Flic bei der BAC7, beeindruckende zehn Jahre und länger in Seine-Saint-Denis.

Jetzt hat er sich mitten auf dem Exerzierplatz aufgepflanzt und lächelt. »Lauter! La meilleure façon d’marcher …«

Die Größten müssen hinten marschieren, die Kleinsten vorne. Meine imposanten 1,79 Meter haben mir einen Platz in der dritten Reihe verschafft. Die Absätze der Kampfstiefel knallen auf dem Asphalt.

»Abteilung … stillgestanden!«, ruft Chef Bellion. »Jaaa, für den Anfang nicht schlecht. Aber das geht noch besser!«

Sowie auch nur einer aus dem Tritt kommt, fangen wir von vorne an. Immer und immer wieder.

*

In der Stube 205 herrscht Stille. Vor dem Abendessen sind die meisten in die Sporthalle verschwunden. Ich haue mich lieber aufs Bett und fange an, mir auf dem tragbaren DVD-Player die erste Staffel der Sopranos reinzuziehen.

Auch Romain ist auf der Stube geblieben. Er sitzt am Fenster, das auf den Exerzierplatz hinausgeht, und ist gerade mit dem Rosenkranzgebet fertig. Beim Wecken habe ich entdeckt, dass mein Kamerad ein eifriger Katholik ist. Ich sehe ihn heute schon das zweite Mal beten.

Auf dem Rückweg in die Stube hat er mir von seinem Leben davor erzählt, als sein Freundeskreis aus Sammlern von NS-Antiquitäten bestand – Hitlerbüsten, Hakenkreuzflaggen und solches Zeug –, die begeistert vom Nationalsozialismus waren. Darauf gebracht hatte uns das Sweatshirt eines Polizeischülers, das auf schwarzem Grund die SS-Runen trug. Romain kannte diese Naziklamotten, die sich als Sportsachen tarnen, nur zu gut.

»Ich war damals auf dem Collège. Es war gut, wenn man sich an die Großen hielt, die schon 20 waren«, erklärt er mir.

Ganz wohlgefühlt hat er sich bei dieser Gruppe allerdings nie. Als sie eine Araberin zusammenschlugen, stieg er aus. »Sie war schwanger«, fügt er noch hinzu und fährt fort: »Zum Studium bin ich dann in die Pariser Gegend gezogen. Der Erste, mit dem ich da ins Gespräch gekommen bin, war ein Inder. Eine Woche später hat er mich zu seinen Eltern zum Essen eingeladen. Als ich mich verabschieden wollte, fing seine Mutter zu weinen an. Ich habe sie gefragt, warum. Sie hat gesagt: Weil du so schön bist.«

Romain erzählt mir diese Anekdote mit leiser Stimme. Er hat regelmäßige, feine Gesichtszüge und strahlt eine tiefe, unerschütterliche Gelassenheit und Ruhe aus. Er interessiert mich. Ich tippe auf dem Smartphone herum und zeige ihm einen Artikel aus Le Monde über den Erfolg des Front National in seinem Heimat-Département. Er lächelt.

»Ich war ziemlich aktiv in der Jugendorganisation des FN, aber ich hab’s hingeschmissen. Le Pen war am Abend der Wahlkampfdebatte eine derartig schlappe Figur …«

Romain seufzt, immer noch enttäuscht über diese Episode. Er hat doch so viel für die Partei gegeben.

»Klar ist, ich wähle weiter ziemlich weit rechts, auch wenn ich nicht mehr für den FN stimme. Die Kommunisten und Antifatypen hasse ich nämlich wirklich. Das sind Schmarotzer. Die rauchen, saufen, arbeiten nicht.«

Romain ist nicht in die Sporthalle mitgegangen, weil er auf einen Anruf seiner Freundin wartet. Er hat sie auf der Gendarmerieschule getroffen – er ist dann schließlich doch zur Polizei gegangen, während sie bei den Paramilitärs geblieben ist. Er ist unsterblich in sie verliebt, das merkt man.

»Es ist nicht einfach mit ihr. – Oh, tut mir leid, das ist sie. Bis nachher!«, entschuldigt er sich und geht vor die Tür, um ungestört zu sein.

Bulle

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