Читать книгу Von Gabriel bis Luzifer - Valery Rees - Страница 8

Einleitung

Оглавление

In unserer zunehmend säkularen Welt, in der die Existenz von Engeln absurd und unrealistisch geworden zu sein scheint, üben bildhafte Darstellungen von Engeln noch immer eine große Faszination auf uns aus. Bücher über Engel schießen aus dem Boden wie Pilze und beschränken sich nicht mehr nur auf Bücherregale über Religion oder Theologie, sondern haben bereits eigene Plätze errungen. Das mag sonderbar anmuten, entbehrt jedoch nicht einer gewissen Parallele zum Bildersturm vor rund 400 Jahren, als die Reformation jede Form von bildlichen Darstellungen, Ritualen und abergläubischen Praktiken verstieß, jedoch Engel auf wundersame Weise von dieser Verfolgung verschont blieben. Engel erfreuen sich großer Beliebtheit und sind uns Menschen nach wie vor eine Quelle der Inspiration und des Trostes.

Doch dieses Buch steht im Geiste der Untersuchung bzw. der Nachforschung: Was verstanden Menschen in der Vergangenheit unter Engeln, und welche Bedeutung können sie für uns heute noch haben? Es trägt den Titel Von Gabriel bis Luzifer in Anerkennung der Tatsache, dass Gabriel der erste Engel ist, den die meisten Menschen erkennen, und Luzifer derjenige, der uns am meisten zur Last fällt. Gabriel ist der einzige Engel, den die hebräische Bibel namentlich nennt. Im Neuen Testament erscheint er Zacharias, und seine Rolle bei der Geburt Christi ist wohlbekannt – oder war es zumindest, bis noch vor einiger Zeit. Für Muslime leitet Gabriel Mohammed an, den Koran zu schreiben. Luzifer ist weniger bekannt, obwohl er als „Lichtbringer“ seinen Namen mit dem Morgenstern gemeinsam hat, der von der Erde aus als erster Himmelskörper sichtbar ist; und doch stürzte er von seinem hohen Thron und nahm die Mächte des Dunkels an. Für viele Menschen sind Satan und Luzifer dieselbe Person.

Diese beiden Engel werden die beiden Pole unserer Untersuchung darstellen, doch wir werden weit über sie hinausgehen. Wir erkunden die frühesten Erwähnungen von Engeln aus der Zeit lange vor den drei großen Buchreligionen (Judentum, Christentum und Islam) und werfen auch einen Blick jenseits ihrer Einflusssphäre in die moderne Zeit. Wir werden viele Fragen ansprechen, einschließlich der grundlegenden Frage, ob Engel wirklich existieren. Gab es sie nur zur Zeit der alten Schriften oder gibt es sie noch heute? Was sind sie? Wie sehen sie aus? Wie viele verschiedene Arten von Engeln gibt es? Sind sie männlich oder weiblich? Können Menschen Engel werden? Waren Engel einmal Menschen? Wir versuchen uns diesen Fragen in verschiedenen Kapiteln aus verschiedenen Blickwinkeln zu nähern, anstatt sie jeweils in einem einzigen Kapitel erschöpfend zu beantworten. Innerhalb jedes Themenbereiches werden wir chronologisch vorgehen. Während jeder Themenbereich für sich alleine gelesen werden kann, steht er zugleich immer auch in Zusammenhang mit den anderen Themen. Diese Querbezüge bedeuten nicht, dass Sie im Buch ständig hin und her blättern müssen. Vielmehr veranschaulichen sie, in welchem Verhältnis die verschiedenen Aspekte zueinander stehen, und dass sie aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden können.

Um der vorliegenden Erkundungsreise folgen zu können, ist keinerlei Vorwissen notwendig – doch wird jedes mitgebrachte Wissen die hier besprochenen Fragen bereichern und in ein anderes Licht rücken. Meine eigene Reise in dieses Thema begann mit einer sehr kleinen konkreten Frage, doch ich stieß in den Literaturen der verschiedenen Zeitalter schon bald auf einen unermesslichen Schatz von Geschichten, Querbezügen, Bildern und Erkenntnissen. In der sakralen Kunst sind Engel allgegenwärtig. Sie werden als liebend, beschützend, zornig, mysteriös oder bestärkend dargestellt. Engel begleiten uns auch im Alltag: Es gibt Engelfische und Engelhaie, kulinarische Engel von Engelplätzchen bis zu Angelica graveolens (uns besser bekannt als der heimische Dill) und sogar „Engel zu Pferde“.1 Auf einer etwas ernsteren Seite verstehen wir unter Engel sowohl himmlische Wesen als auch Menschen, deren gute Handlungen uns helfen oder beschützen.

Wie uns wenig überraschen wird, gibt es auch Uneinigkeit darüber, was wir eigentlich unter „Engel“ verstehen und ob wir an sie glauben sollten oder nicht. Doch der Glaube entscheidet nicht über ihre Existenz, und mein Ziel mit diesem Buch besteht nicht darin, Sie zu überzeugen oder zu überreden. Stattdessen halte ich es für besser, dieser Untersuchung mit einem offenen Geist zu begegnen. Auch wenn der Vorschlag, eine vernünftige Diskussion über Engel zu führen, einigen Menschen widersprüchlich erscheinen mag, so gibt es dennoch eine Ebene, auf der sie legitimer Gegenstand einer vernunftgeleiteten Untersuchung sein können. Dies gilt vor allem in Anbetracht ihrer historischen Allgegenwart sowohl in unserer eigenen als auch in den uns benachbarten Kulturen. Doch zugleich wird diese Untersuchung uns auch in das Reich der Imagination und der Erinnerung, der Inspiration und der Transzendenz führen. Dies ist das, was die alten Griechen das „Irrationale“ nannten. Doch „irrational“ muss nicht immer auch „falsch“ bedeuten.

Das Verständnis dieses weit gefächerten Themas wird niemals vollkommen erschöpft werden. Es wird immer Raum für weiterführende Diskussionen und Interpretationen geben. Ich hoffe, dass die folgenden Seiten zumindest einen Eindruck davon vermitteln können, wie wundersam und herrlich unsere alten Schriften über Engel sind – ohne dabei jedoch implizieren zu wollen, dass wir bei unserer Beschäftigung mit ihnen auf den Gebrauch unserer Vernunft verzichten sollten.

Von Gabriel bis Luzifer

Подняться наверх