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4. Fluchtwege

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Solchermaßen bepackt erreichten sie den nahen und lichten Birkenwald, zwischen deren Stämmen das Gras üppig wuchs und ihre Schritte dämpfte. Diesen kilometerlangen Wald hatten sie teilweise auf dem Marsch nach Charlowka durchquert. Dichtes Buschwerk wuchs hauptsächlich nur an manchen Stellen des Waldrandes, zwischen den Birken nur spärlich. Deutsche oder sowjetische Truppenteile befürchteten die beiden Ausreißer hier nicht, allenfalls Partisanen, mit denen aber ständig zu rechnen war. Mit wachen Augen und Ohren und großer Ängstlichkeit strebten sie den Motorgeräuschen entgegen, zu erkunden, was es damit auf sich hatte, und erreichten denn auch bald den nördlichen Waldrand, wo sie aus der Deckung einer Buschreihe heraus die bereits an anderer Stelle angesprochene Rollbahn überschauen konnten. Nun also lag sie vor ihnen, die zig Meter breite Rollbahn, nur einen Steinwurf weit entfernt. Der Übergang vom Sommer in den Herbst bescherte dem Land bereits kurze anhaltende, aber heftige Regenfälle, von denen Hasso und Georg nicht mehr berührt worden waren. Seit ihrer Ankunft mit ihrem Bataillon am Westrand Charkows hatte es nicht mehr geregnet. Die sommertrockene, steinharte, zerfurchte Rollbahn indes hatte die Regenmassen nicht einsickern lassen können, sodass regelrechte kleine Seen entstanden. Erst allmählich war die hellbraune Erde aufgeweicht, und die kleinen Seen versiegten, hinterließen aber stellenweise morastige Stellen. Der Verkehr auf der Rollbahn hielt sich in Grenzen. Die Wehrmachtsfahrzeuge kamen ohne sonderlich große Probleme voran. Dennoch drehten hin und wieder bei dem einen und anderen Lastkraftwagen, vermutlich nach einem Fahrfehler, die Antriebsräder durch. Das alles war bereits ein Vorgeschmack auf die Verhältnisse, die der kommende russische Winter und das ihm folgende Frühjahr der Wehrmacht bieten sollten. Es fiel den beiden Beobachtenden aber auch deutlich auf, dass am diesseitigen Rand der Rollbahn Mannschafts- und Materialtransportfahrzeuge, wie beispielsweise sogenannte Kübelwagen, gelegentlich auch ein einsamer Kradmelder, weitaus besser und schneller vorankamen. Dieser schmale Streifen befand sich in einem verhältnismäßig guten Zustand.

Hasso und Georg lagen in ihrer Deckung wie Jäger, die ein Stück Wild ausgemacht haben. Sie strapazierten ihr Gehirn mit Gedanken, die nicht realisiert werden konnten. Was sollten die beiden Flüchtigen tun? Wie sollte es mit ihnen weitergehen? Ratlosigkeit und Angstgefühle drohten sie in eine folgenschwere Verzweiflung zu stoßen. Doch sie strafften am Ende Geist und Körper und beschlossen, ihre gerade begonnene Flucht abzubrechen. Sie fassten zusammen: Auch mit Zivilzeug und der Verpflegung sei ihre Flucht zu einem schnellen Scheitern verurteilt. Und wie sahen sie ihre nahe Zukunft? Entweder sie liefen halb verhungert zum Feind über, falls das überhaupt gelingen könnte, oder sie landeten in den Fäusten von deutschen Feldgendarmen. Beides sei für sie wahrscheinlich das Todesurteil. Am besten sei es vermutlich, so ihre letzte Vorstellung, wenn sie sich den Russen ergeben würden, der sie als Deserteure gewiss nicht in Gefangenschaft schickte, sie stattdessen gegen ihre eigenen Landsleute kämpfen ließen. Doch das sei auch wieder nicht das Beste für sie, da die Sowjetsoldaten sie vor Eintreffen in ihren Reihen erschießen könnten oder sie gingen im Kampf gegen die Deutschen zugrunde. Also blieben sie dabei, ihre Flucht abzubrechen und Anschluss bei den sich vermutlich absetzenden deutschen Infanteristen zu suchen. Es konnte vielleicht auch sein, sagten sie sich, dass die Sowjets inzwischen den Spieß umgedreht haben und dabei waren, die Deutschen aus ihrem Land zu jagen. Sie stellten diese Vermutung an, weil sie kein Fahrzeug Richtung Osten fahren sahen, ausgenommen gelegentliche Kradmelder mit und ohne Seiten-wagen. Sie richteten sich auf und marschierten ohne Hast auf die Rollbahn zu. Und als die Insassen eines heranrollenden verdecklosen Kübelwagens sie nicht übersehen konnten, winkten sie ihm entgegen. Das Fahrzeug zog nach links und hielt. Der Beifahrer beugte sich leicht über die Einstiegstür und rief Hasso und Georg zu:

»Was wollt ihr? Warum haltet ihr uns an?«

Das Warum erklärte Hasso mit stockenden Worten, wie ... versprengt ... Einheit nicht mehr gefunden ... Ausrüstungsteile auf der Flucht abhandengekommen ...

Mit diesen Erklärungen schien sich der Beifahrer zufriedenzugeben und befahl den Anhaltern, einzusteigen. Ein Kübelwagen, auf dem hinter der Fahrerkabine drei oder vier sich gegenüberliegende gepolsterte Sitzplatzreihen installiert waren, wurde vorrangig als Transporter eingesetzt, beispielsweise für das Personal eines Stabes. Auf diesem jetzt offenen Fahrzeug gesellten sich Hasso und Georg zu drei Soldaten, die sich ihre Wehrmachtsdecken um die Schultern gehängt hatten. Ihre Sturmgewehre und Ausrüstungsgegenstände lagen auf einer abdeckenden Plane, unter der sich irgendwelche Gegenstände abzeichneten. Die jungen Männer waren SS-Soldaten und höchstens Anfang Zwanzig. Was ihre Kragenspiegel und Schulterklappen offenbarten, war von Hasso und Georg nicht nachzuvollziehen, sie hatten noch nicht einmal die Dienstgradabzeichen ihrer direkten Vorgesetzten einzuordnen gewusst.

Nun wollten die drei SS-Männer natürlich wissen, mit wem sie es zu tun hatten, und warum sie unbewaffnet, ohne Stahlhelm und Gasmaske durch die Gegend gelaufen seien. Hasso gab die gleiche Erklärung ab wie wenige Minuten zuvor dem im Führerhaus sitzenden Beifahrer, sicherlich der Vorgesetzte dieser Männer.

»Bei einem überstürzten Aufbruch aufgrund von Feindeinwirkungen geht eben manches verloren«, versetzte Hasso, »da kann man froh sein, wenn man nicht krepiert ist oder gefangengenommen wurde. Aber da sagen wir euch ja nichts Neues. Ihr kommt doch auch aus dem Schlamassel da vorne ...«

»Wir konnten nichts mehr ändern«, behauptete der neben Hasso Sitzende. »Wir sind ganz einfach zu spät gekommen. Teile unserer Einheit sind bereits weit voraus. Wir gehören zum Nachkommando. Aber keine Angst, Kameraden, wir werden die Sache mit den Roten neu angehen und sie zurücktreiben. Im Donez lassen wir sie dann absaufen, falls wir sie nicht vorher in Grund und Boden gesprengt haben. Aber sagt mal: Ihr beiden seht aus, als hättet ihr gerade die Schule verlassen. Wie alt seid ihr eigentlich?« Hasso sagte es ihm und gleich dazu: »Noch vor dem Schulabschluss meldeten wir uns freiwillig.« Dann sprach Hasso eine andere Sache an, um von ihrer Situation abzulenken. »Auf dieser Seite kommt man gut voran«, sagte er, und Kamerad Mohr nickte heftig dazu und ergänzte: »Hier ist der Weg ziemlich glatt, die Fahrzeuge da drüben haben manchmal sichtlich Schwierigkeiten.«

Auf dieser Seite gelte die Regelung, erwiderte der SS-Soldat, dass sich hier nur Sondereinheiten bewegen dürften. Die SS gehöre selbstverständlich dazu. Fahrzeuge der Wehrmachtsführung benützten diese Seite sowieso. »Für alle anderen ist sie gesperrt«, fügte der SS-Soldat hinzu. »Das alles überwachen die Kettenhunde, die haben immer alles vor dem Visier. Seht dort! Da vorn links auf der Anhöhe stehen welche.«

Hoffentlich halten die uns nicht an und wollen kontrollieren, dachten Hasso und Georg zugleich.

Die Männer von der Feldgendarmerie kontrollierten nicht. Das von ihnen früh erkannte taktische Zeichen an dem Kübelwagen vermittelte ihnen, dass sich der Wagen samt Besatzung auf der richtigen Spur bewegte. Für die Kettenhunde wäre es auch kaum denkbar, unter Spezial- oder Elitetruppen Fahnenflüchtige zu finden. Hier hatten sie nur darauf zu achten, unbefugte Fahrzeuge von dieser Fahrbahnseite fernzuhalten. Weitere Schrecksekunden überstanden Hasso und Georg, als sie – sie trauten zuerst ihren Augen nicht – ihre mehr stolpernde als marschierende Kompanie überholten. Ein strammes Marschieren waren die Häftlinge nicht gewöhnt, und auf den Bodenverhältnissen der Rollbahn war es für sie noch bedeutend schwieriger, ordentlich voranzukommen. Sie hatten also nur wenige Kilometer zurückgelegt, obwohl sie seit letzter Nacht unterwegs waren. Der SS-Kübelwagen überholte das sich dahin quälende Strafbataillon in nahem Abstand. Hasso und Georg mussten aber nicht befürchten, erkannt zu werden, jedermann dort drüben hatte mit sich selbst zu tun. Die beiden Fahnenflüchtigen erkannten nur wenige Kameraden aus ihrem Waggon. Die Gewissheit, dass es sich um ihre Strafeinheit handelte, vermittelte unverkennbar auch der Kompanie-Chef, der seine Stute am Zügel nach sich führte. Auch die Pferde der beiden anderen Kompanieführer wurden am Zügel geführt. Nach etwa drei Minuten hinter den letzten Männern des Strafbataillons folgte der Kübelwagen mit der Munition. In ihrer höchst angespannten psychischen Verfassung bedurften Hasso und Georg nur wenige Sekunden, um Situation und Einzelheiten einschätzen zu können. Seitens ihrer Kompanie – sollte schon gesagt werden, ihrer ehemaligen? – ging für sie keine Gefahr aus. Und die verhassten, von allen Dienstgraden gefürchteten Feldgendarmen, verächtlich Kettenhunde genannt, weithin erkennbar an der um ihre Hälse hängenden Ketten mit dem vor der Brust baumelnden fast sichelförmigen, silberfarbenen Erkennungsschild? Diese Ordnungspolizei war eine gefürchtete Gattung.

Am späten Nachmittag fuhren sie in die Stadt Poltawa ein. Auf dem Marktplatz mussten Hasso und Georg das Fahrzeug verlassen. Reger, ja hektischer Betrieb herrschte hier. Was sollten die beiden immer unsicherer werdenden Ausreißer nun unternehmen? Einfach aufs Geratewohl weiter marschieren und zwischendurch Essbares erbetteln oder stehlen? Waren sie sich überhaupt bewusst, dass bei allen Umständen des Krieges sie kaum eine Chance hatten, halbwegs unversehrt in die Freiheit zu gelangen? Und wo wäre diese Freiheit zu finden? Sie wurden sich bewusst, dass sich eine weitere Fluchtmöglichkeit nicht bot. So blieb ihnen nichts Anderes übrig, sich entweder dem sicheren Verderben auszusetzen oder sich bei irgendeiner Einheit erneut als Verlorengegangene auszugeben. Und da sie sich als einzige Hoffnung einredeten, dass ihnen eine beabsichtigte Fahnenflucht nur schwer nachzuweisen sei, versuchten sie, sich in der Kommandantur, die in einem Gebäude am Marktplatz untergebracht war, zu melden. Ausweisen konnten sie sich allerdings nur als Angehörige eines Strafbataillons. Dass diese Tatsache ihre Situation verschlechtern könnte, nämlich, dass man sie den Kettenhunden übergeben werde, daran dachten sie nicht. Quälender Hunger und Hilflosigkeit überdeckten ihre Ängste. Somit versuchten sie, in die Kommandantur zu gelangen, was ihnen dann endlich gelang. Nicht nur auf dem Platz herrschte eine kaum zuzuordnende hektische Betriebsamkeit, auch im Eingangsbereich dieser Dienststelle ging es zu wie vor der Ein- und Ausflugsöffnung eines Bienenkorbes. Zum eigentlichen Treppenhaus hinauf führten sechs breite steinerne Stufen. Oben im Treppenhaus angekommen, sprach Hasso einen aus einem Raum heraustretenden Feldwebel an. Der Mann reagierte ziemlich ungehalten und schnarrte, als OvD (Offizier vom Dienst) andere Sorgen zu haben, als sich um Versprengte zu kümmern. »Der Platz hier ist voll von Versprengten«, rief er. »Haltet euch draußen auf und wartet, bis irgendwann Transportfahrzeu­ge bereitstehen. Die kutschieren euch dann nach Dnjepropetrowsk, wo ihr Bestandteil einer neu aufzustellenden Einheit oder sonst was werdet. Oder geht zum Bahnhof, dort steht ein Zug, der fährt auch nach Dnjepropetrowsk. Fraglich aber, ob ihr da mitfahren könnt.«

Der Hunger quälte Hasso und Georg. Ob sie hier irgendwo was zu essen kriegen könnten, sie hätten seit Langem nichts gegessen; und wie weit es denn bis zu dieser Stadt sei.

»Ihr nervt mich, haltet mich nur auf«, gab sich der Feldwebel wei­ter ungehalten. »Im Bahnhof gibt es zu essen – falls noch was da ist. Und wie weit es ist bis Dnjepropetrowsk? So um die zweihundert Ki­lometer, meine ich. Und zudem: Was haben euch Entfernungen zu interessieren? Russland ist nicht Liechtenstein. Und nun haut ab!«

Bahnhof, Eisenbahn. Ein Zug in Richtung Westen vielleicht ...? ‒ Richtung Westen wäre wünschenswert.

Vor dem Bahnhof von Poltawa reihten sie sich zunächst in die Schlange vor einer Feldküche ein. Sie waren nicht die Einzigen ohne Stahlhelm und Karabiner. Sie trugen ihre Schirmmütze zwischen den Ohren und den über eine Schulter gehängten Rucksack mit dem Bau­ernzivil und ihren Gebrauchsutensilien, die zur normalen Grundaus­stattung eines jeden Soldaten gehörten wie etwa Kochgeschirr, zusammenklappbares Essbesteck, Feldflasche, Dreieckzeltplane, Unter­wäsche, Rasierzeug und zwei Handtücher. Über den Rucksack hatten sie ihre Wehrmachtsdecke geschnallt. Die Decke erfuhr eine beson­dere Beach­tung, denn die musste trocken und ohne Verschmutzung bleiben. Ka­merad Mohr hatte sogar einige Bruchstücke Kernseife da­bei. Alle diese kostbaren Dinge benutzten sie nur wenig, gingen sorg­fältig mit ihnen um. Aus zwei Feldküchen, den sogenannten Gulaschka­nonen, wurde Eintopf geschöpft. Hasso und Georg Mohr war es ei­nerlei, um welches Eintopfgericht es sich handelte, sie waren froh, endlich mal wieder eine warme Mahlzeit zu bekommen. Dazu emp­fingen sie ein großes Stück Brot, das sie aber nicht sogleich aßen, sondern als Notverpflegung verstauten.

Auf dem Bahnsteig und den Wegen zwischen den Gleisen hatten sich unzählige Sowjetbürger unter die Wehrmachtangehörigen ge­mischt. Für Unwissende waren ordentliche Abläufe allerdings nicht zu erkennen. Hasso und Georg stießen gleich am ersten Bahnsteig auf einen Zug, der ihr Interesse weckte. Es war ein Lazarettzug, worauf auch die Rote-Kreuz-Kennzeichen auf den Seitenflächen der Waggons hinwiesen und die hier und da ein- oder aussteigenden Sanitätssoldaten. Direkt hinter der stampfenden Lokomotive waren zwei Plateauwagen angekoppelt, auf denen zwischen hochgestapel­ten Sandsäcken zwei Flugabwehrgeschütze standen. Den Schluss des Zuges bildeten zwei geschlossene Güterwaggons. Hasso und Georg mussten schnell eine Entscheidung treffen. Deutsche Verwunde­tentransporte fahren, grob gedeutet, immer in westliche Rich­tung.

»Jetzt müssten wir verwundet sein«, sagte Georg, »nicht allzu schwer, nur so, dass wir in ein Lazarett müssten«.

Die Aufregung zog eine starke Schwäche durch ihre Arme und Beine. Hasso antwortete schnell: »Komm, wir versuchen es.«

Zu ihrer Verwunderung gelang es ihnen, mitfahren zu dürfen. Vor dem letzten Personenwagen erfuhren sie von einem Sanitätsunteroffizier, dass dieser Zug zunächst nach Dnjepropetrowsk fahre, von da in irgendein Feldlazarett. Hasso und Georg schilderten in kurzen Sätzen ihre Situation, gaben sich als Versprengte aus und verschwiegen nicht, von SS-Soldaten aus der Gegend von Carlowka nach hier mitgenommen worden zu sein. Nun vermuteten sie ihre Einheit in Dnjepropetrowsk. Denn von dieser Stadt sei die Rede im Falle eines Rückzuges gewesen und so weiter und so fort. Anscheinend überfordert winkte der Unteroffizier ab und ließ sie einsteigen, mit dem Befehl, sich einen Fußbodenplatz zu suchen und den Dienst im Waggon nicht zu stören.

Trotz ihrer Unvorsichtigkeit waren sie noch einmal davongekommen. Denn hätten sie sich ausweisen müssen, wären sie wahrscheinlich aufgeflogen. Den beiden half sicherlich auch, dass der Unteroffizier von ihnen von hilfreichen SS-Soldaten hörte. »Das waren Angehörige der Waffen-SS«, hatte er daraufhin erklärt, »andere Truppen der SS, wie die mit dem Totenkopf, gibt es auch noch. Die alle haben schwierige Aufgaben zu erledigen.« Ob dem Unteroffizier bekannt war, dass sich die SS nicht nur bei ihren Fronteinsätzen berüchtigt hervortat, sondern vor allem auch als Leiter und Aufseher in Konzentrationslagern und infolge sogenannter Gebietssäuberungen hinter den Fronten? Jedenfalls war sie zuständig für Gräueltaten aller Art. Vielleicht waren dem Unteroffizier die Einrichtungen von Konzentrationslagern fremd. Wie dem auch war, wären die Männer im Kübelwagen dahintergekommen, Angehörige eines Strafbataillons aufgenommen zu haben, wären Hasso und Georg jetzt im Gewahrsam eines Standgerichts. Zu diesem Zeitpunkt war vielen Wehrmachtsangehörigen, darunter auch Feldgendarmen, wahrscheinlich noch nichts oder nur wenig über die erst vor nicht langer Zeit aufgestellte Bewährungsdivision 500 bekannt, vielleicht auch noch nichts über ihre SS-Totenkopf-Kameraden, die damit beschäftigt waren, in manchen Dörfern hinter den Fronten im Osten Bewohner, denen Partisanenunterstützung angekreidet wurde, zusammenzutreiben, um sie vor der Kulisse der nicht beschuldigten Anwohner, darunter auch Frauen und Kinder, aufzuhängen oder zu erschießen. War das erledigt, wurden die Dörfer oftmals niedergebrannt. Vergeltungsaktionen nannten sie ihre Handlungen, Vergeltungen nach Gräueltaten, ausgegangen von der anderen Seite. Da gab es Rechenschaftsmeldungen, wonach weibliche Sowjetsoldaten nach Aufreibung eines deutschen Stoßtrupps die Überlebenden an Scheunentore genagelt und ihnen dann die Geschlechtsteile abgeschnitten hätten. Andrerseits habe man deutsche Soldaten mit aufgeschlitzten Bäuchen vorgefunden. Die Verschleppung unzähliger Juden aus den Ostgebieten in die Vernichtungslager oder Ermordung an Ort und Stelle durch nachgerückte SS-Verbände war eine weitere furchtbare Sache. Bei dieser Gelegenheit ist zu erwähnen, dass in der Ukraine von der Wehrmachtleitung sogar SS-Einheiten aufgestellt wurden, die aus ukrainischen Freiwilligen bestanden. Deren Hass richtete sich gegen das unterdrückende Sowjetregime. Die deutschen Truppen waren nach ihrem Einmarsch in die Ukraine als Befreier angesehen und mit Blumen empfangen worden. Geraume Zeit später musste dann ein Großteil der ukrainischen Bevölkerung die Erfahrung machen, von den Deutschen ebenfalls als Untermenschen angesehen zu werden. Hunderttausende aus den Feindgebieten, sie alle zu Untermenschen erniedrigt, wurden in die deutschen Rüstungs- und andere Industriebetriebe deportiert, aber auch sowjetische Kriegsgefangene. Juden, zumindest die nicht voll arbeitsfähigen, schickte die SS in die Konzentrationslager, wo sie vergast wurden.

Was also blieb Ukrainern anderes übrig, als sich passiv zu verhalten oder die zuvor ersehnten und dann sie enttäuschenden Befreier zu bekämpfen oder ihnen zu dienen? Viele hofften, nach einer eventuellen Zerschlagung der Sowjetunion unter den Nazis freiheitlicher, ja besser leben zu können.

Während der Fahrt nach Dnjepropetrowsk sprachen Hasso und Georg nur wenig. Sie saßen vor der verschlossenen Verbindungstür des Waggons auf dem harten Boden, mit dem Rücken gegen ihre Rucksäcke gelehnt, über die Schultern ihre raue Wehrmachtsdecke gehängt. Die persönliche Situation, ihr allgemeines Befinden, das gelegentliche laute Stöhnen vor ihnen im Abteil, wo die Sitzplätze zu Liegestätten umfunktioniert worden waren, hauptsächlich aber die typischen Geräusche der Fahrwerke der Waggons ermöglichten den beiden unbequem Dasitzenden eine Unterhaltung, die jemand anders kaum würde verfolgen können. Doch viele Minuten lang schwiegen die beiden sich aus, dösten regelrecht vor sich hin, bis sich Georg Hasso entgegen beugte und ihm einen Vorschlag unterbreitete. Falls die Fortsetzung ihrer Flucht weiterhin möglich sei, sagte er, könnten sie doch auch in Erwägung ziehen, irgendwie nach Mekka zu gelangen, beispielsweise von Odessa aus über das Schwarze Meer und durch die Türkei. Hasso möge mal darüber nachdenken. Doch der erwiderte schnell, dass diese Idee wohl kaum zu realisieren sei, da könnten sie ebenso Mozambique ins Auge fassen, denn dort bewirtschafteten Verwandte eines seiner Schulkameraden Orangenplantagen. Er sei stattdessen der Ansicht, dass sie bei Fortsetzung ihrer Flucht nur zwei Möglichkeiten hätten: entweder sich den Russen auszuliefern oder versuchen, ein neutrales Land zu erreichen. Ersteres sei aus bereits erörterten Gründen auszuschließen. »Und außerdem«, setzte Hasso hinzu, »wo und wie könnten wir die Russen erreichen? Da wäre es bestimmt einfacher gewesen, wir hätten dem ukrainischen Offizier gesagt, nur zurückgeblieben zu sein, um uns der Roten Armee anzuschließen. Nein, nein, zuerst müssen wir versuchen, irgendwie weiter nach Westen zu gelangen. Unsere Aussichten fürs Überleben werden mit Sicherheit auch nicht besser sein, wenn wir unsere Kompanie wiederfinden würden. Wir sitzen ganz einfach in der Scheiße! Es müssten sich Leute finden, die alle Hitlers zerquetschten. In Grunde genommen hat das ganze wählende deutsche Volk Schuld an dieser verdammten Völkerhasserei. Ein ganzes Volk ist dem teuflischen Führer hinterhergelaufen wie die Ratten und Kinder dem Rattenfänger von Hameln. Ein ganzes Volk hat den Teufel verglichen mit dem Heiland. Jetzt muss das alles ausgebadet werden. Vielleicht glaubt unser Volk der Herrenmenschen aber immer noch daran, auch Europa beherrschen zu können. Es ist zum Kotzen, Georg! Uns zieht man eine Uniform an und schickt uns zum Sterben nach Russland Was wissen wir denn schon von der Kriegsspielerei! Wir können noch nicht einmal ein Gewehr abfeuern. Hast du schon mal mit einem Gewehr geschossen? ... Nein? Ich auch nicht.«

Der Abend dämmerte herauf, als der Zug in den Bahnhof von Dnjepropetrowsk einlief. Steif in den Gliedern, verließen sie mit ihrer Ausrüstung den Waggon und strebten ohne Hast der Bahnhofshalle zu, in der sie vom Menschengewimmel aufgesogen wurden. Wie bisher in jeder Bahnhofsanlage erwartete sie das gleiche Bild, und wie bisher waren jüngere Männer und Frauen selten zu sehen. Die sich hier aufhielten, meistens mit viel Gepäck, mit Kisten und derb gefüllten Leinensäcken, sogar mit allerhand Federvieh in engen Käfigen, manche mit kleinen Kindern, waren ältere Jahrgänge, die sich alle in ihrem Äußeren glichen. Viele wussten sicherlich noch nicht einmal, wohin sie sich überhaupt wenden sollten. Andere wiederum, für die ihr Reiseziel feststand, die auf den für sie zutreffenden Zug hofften, warteten oft vergebens. An den beiden Längsseiten der Halle lagerten Trupps deutscher Infanteristen, die auch auf etwas Bestimmtes warteten. In kurzen Abständen dröhnten Lautsprecheransagen durch die Halle, in Russisch und Deutsch. Nach oft sich wiederholenden Durchsagen erhob sich der eine und andre Trupp, nahm Waffen und Ausrüstung auf und marschierte dem Ausgang zu in Richtung Bahnsteige. Die beiden Flüchtigen, anscheinend im Augenblick nichts zu befürchten, schauten sich in der dürftig beleuchteten Halle gründlich um. Feldgendarmen, die Kettenhunde, von denen sie einige bereits an der Rollbahn zu Gesicht bekommen hatten, waren nicht zu entdecken. Feldgendarmen galt ihre besondere Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich war den Soldaten regulärer Truppenteile noch gar nicht bekannt, dass Angehörige von bestimmten Strafeinheiten keine Schulterstücke auf ihren Uniformröcken trugen; vielleicht war ihnen noch nicht einmal bekannt, dass die Wehrmacht seit einiger Zeit Einheiten ins Feld schickte, deren Angehörige gerichtlich Verurteilte waren, vom unschuldigen KZ-Häftling bis zum Schwerverbrecher. Inzwischen waren viele dieser Männer zu Kompanien und Abteilungen zusammengefasst worden, die an besonders heiklen Abschnitten ins Feuer geschickt wurden. Sie kämpften mit Infanteriewaffen wie ihre Kameraden in der regulären Truppe und konnten sich durch besonderen Mut auszeichnen und sogar rehabilitiert werden. Nur war es allen infrage kommenden Sträflingssoldaten in der Regel nicht vergönnt, als zukünftig unbescholtene Männer ihre beurkundete Wehrwürdigkeit entgegenzunehmen, weil sie ihren nächsten Einsatz nicht überlebten.

Hasso und Georg glaubten nach längerer Überlegung, ihre Flucht nur von hier aus und in ihren ukrainischen Bauernklamotten fortsetzen zu können. In ihrem deutschen Feldgrau erneut einen Zug in Anspruch nehmen zu wollen, könne nicht immer so glatt verlaufen wie bisher. Eine Weiterreise in oder auf einem Zug in Richtung Westen oder Südwesten barg auch in zivilen Kleidungsstücken vielerlei Gefahren, glückte sie aber, dann könnten sie ihren jetzt noch unbekannten Zielen gewiss einige Hundert Kilometer näherkommen.

»Ich glaube, wir werden kaum einen günstigeren Ausgangsort für eine Fluchtfortsetzung finden«, sagte Hasso nach einer Weile des Beobachtens und Schweigens. »Hier wird es sicherlich Toiletten geben. Wir könnten uns dort umziehen, falls mit den Sachen, die uns der Offizier mitgegeben hat, tatsächlich etwas anzufangen ist.«

Der Abortbereich, von einer Toilettenanlage nach bekanntem Muster konnte keine Rede sein, war ein Bau im Bau. Am äußersten Ende einer Hallenwand lehnte ein lang gestrecktes, flaches Holzgebäude mit einem Flachdach, das aus auf Lücke aufgenagelten Brettern bestand, was dem Luftaustausch dienen sollte. Mit weniger als zwei Metern Abstand führten acht Türen in die einzeln abgetrennten Abortzellen. Seine Notdurft verrichtete man stehend in skurriler Haltung.

Hasso und Georg wechselten die Kleider, jeder in einer Abortzelle. Als sie davor wieder zusammentrafen, steckten ihre Uniformteile mit ihren anderen persönlichen Sachen eng eingerollt in ihren Rucksäcken. Nun standen sie sich mit abwägenden, musternden Blicken gegenüber, und jeder fand, dass ihre grauen Joppen und erdfarbenen Hosen zu weit geschnitten waren, was ihnen aber nur recht war. Besser zu weit als zu eng, waren sie sich einig. Joppe und Hosen waren aus groben, schweren Leinen gewebt, warm gefüttert wie auch die Joppen. Durch die Schlaufen der Hosen war eine reißfeste Kordel gezogen, eine weitere Kordel umschlang in Hüfthöhe ihre Joppe. Dass ihre Wehrmachtsrucksäcke Verdachtmomente auslösen könnten, befürchteten sie nicht. Solche und ähnliche Rucksäcke trugen fast alle Sowjetbürger auf ihrem Rücken. Hasso und Georg unterschieden sich ab sofort nicht mehr von den hier anwesenden Einheimischen, die teils wesentlich schlechter gekleidet waren. Nur wenigen Menschen war anzusehen, dass sie höheren Kreisen angehörten oder angehört hatten. Ein besonderes Problem sahen Hasso und Georg darin, sich mit Ukrainern verständigen zu müssen. Doch auf diese Problematik – beide wollten sich stumm stellen –, wie auch auf die ständigen Verpflegungs- und Hygieneprobleme, soll im weiteren Verlauf nur noch eingegangen werden, wenn sie in besonderen Situationen zur Vervollständigung des Bildes gehört. Denn es kann getrost vorweggenommen werden, dass beide bis zum Ende ihrer Flucht nicht verhungert sind.

An manchen Orten waren Verpflegungsstellen eingerichtet worden. Solch eine von Einheimischen erstellte Einrichtung für hilfebedürftige Mitbürger, deren Zuhause dem Krieg zum Opfer gefallen war, befand sich auch im Bahnhof von Dnjepropetrowsk. Noch war das alles möglich, da die Vergeltungsaktionen großen Umfangs nachrückender deutscher Säuberungstrupps sich noch nicht flächendeckend auswirkten. Hasso und Georg reihten sich bei den Verpflegungsempfängern ein. Als sie an die Reihe kamen, erhielten sie einen Blechnapf mit einer Steckrübensuppe. Das Geschirr gaben sie später nicht zurück, da sie sich zukünftig dort, wo es ihnen zu brenzlich werden könnte, mit ihrem Landser-Kochgeschirr nicht verdächtig machen wollten. Vom Hauptbahnsteig aus war nicht zu erkennen, wie viele Züge auf den parallel verlaufenden Gleisanlagen standen. Viele Verbindungen zwischen den Städten waren unterbrochen, Gleis- und Bahnhofsanlagen zerstört. Die Arbeiten deutscher Pioniere wurden oft unterbrochen durch Anschläge von Partisanen, was natürlich Opfer forderte. Auch das war ein Grund, Strafeinheiten aufzustellen, die an wichtigen Verkehrsstrecken Handlangerdienste für die Pioniere verrichteten.

Hasso und Georg stiegen von Bahnsteig zu Bahnsteig, um herauszufinden, wohin Personen- und Güterzüge fahren sollten. Die beiden Neu-Ukrainer glaubten bald gefunden zu haben, was sie suchten. Es war ein Zug mit etlichen geschlossenen Güterwaggons, deren Anzahl sie nicht interessierte. Nur die vier letzten fanden ihre Aufmerksamkeit. Es handelte sich um Personenwagen, auf deren Dächer sich teilweise erkennbar Einheimische niedergelassen hatten. Der Zug sollte, wenn das Hinweisschild an dem Laternenpfahl vor einem der Waggons, versehen mit einheimischen und deutschen Buchstaben, nicht trog, nach Odessa fahren. Die beiden Flüchtlinge zögerten nicht, kletterten über die an jeder Wagenrückseite angebrachten Eisenleiter auf das Dach des letzten Waggons, wo sie sich unter den bereits dort Hockenden einen Platz suchten. Sie hatten gar nicht erst einen Blick in das Innere der Personenwagen gewagt, denn die nicht zu überhörenden Geräusche aus dem Innern verrieten eindeutig die Belegung mit deutschen Soldaten. Zunächst zufrieden, auf einem flachen Wagendach die Nacht überstehen zu können, hofften sie, auch von eventuellen Regenschauern verschont zu bleiben. In ihrer körperlichen Verfassung hätten sie sich durchnässt schnell eine fiebrige Erkältung zuziehen können. Überhaupt galt neben ihrer ständigen Angst, erwischt zu werden, die Sorge um ihre Gesundheit. Und drittens drehten sich ihre Gedanken darum, wie an Nahrung heranzukommen sei. Während der Fahrt sprachen sie nur wenig, unauffällig für jene, die hinter ihnen hockten oder lagen. Auch wenn ihr Sprechen in der nicht sehr dunklen Nacht das Rattern und das sich Schütteln des verhältnismäßig langsam fahrenden Zuges nicht durchdrang, wollten sie nichts riskieren. Sollten sie angesprochen werden, wann und wo auch immer, Männer, die nicht als Angehörige der Roten Armee mithalfen, das Vaterland zu verteidigen? Es war ihnen inzwischen äußerst klargeworden, im Verlauf ihrer Flucht vieles beachten und abwägen zu müssen, um durchführbare Entscheidungen zu treffen. Und sie kamen gedanklich immer mehr auf die Frage zurück, ob sie, die in jeder Hinsicht Unerfahrenen in Sachen Desertion und bisher nur vom Glück Begünstigten, ihr Vorhaben tatsächlich erfolgreich zu Ende bringen könnten. Eine zufriedenstellende Antwort fand sich nicht. Sie wollten am Leben bleiben und nicht die unsinnige, mörderische Politik Hitlerdeutschlands mittragen. Dieser Politik waren nur jene Gegner des Regimes entkommen, die sich rechtzeitig ins Ausland abgesetzt hatten. Insbesondere sind auch die Juden zu erwähnen, denen die Nazis bereits vor dem Krieg, bevor sie viele Millionen von ihnen umbrachten, Hab und Gut raubten.

Wären Hasso und Georg nicht der Gestapo in die Hände gefallen, säßen sie nicht wer weiß wie viele Kilometer von Hamburg entfernt hier auf dem Dach eines Waggons in einem von der Wehrmacht überfallenen Land. Andrerseits waren sie aber auch überzeugt, irgendwann ohnehin zum Kriegsdienst eingezogen zu werden, wenn auch nicht in ein Strafbataillon. Doch am Ende sei es dem Tod einerlei, so ihre jetzige Meinung, aus welchen Einheiten er sich seine Opfer hole.

Sie saßen wie alle anderen auf dem Dach mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und beschäftigten sich gedanklich mit ihrer Zukunft. Sie nahmen sich zusammen, um nicht Verzweiflung in ihrem Bewusstsein aufkommen zu lassen. Todesangst war ihre ständige Begleiterin, die ständig unterdrückt werden musste, wobei ihnen nur die Vorstellung ein wenig beruhigte, dass auch die Kameraden an der Front der Todesangst nicht minder ausgesetzt seien. Wenn man es genau betrachte, sagte Georg einmal mehr, seien die an der Front noch schlimmer dran, wenn sie anstatt sofort zu sterben schlimmste Verwundungen aushalten müssten; werde man hingegen als Deserteur aufgehängt oder erschossen, dann sei man tot und stehe sofort vor Allah, dann hätte man nicht lange leiden müssen.

»Für diesen Vorteil müssten wir ja noch dankbar sein!«, war Hassos sarkastische Meinung dazu.

Sie beschäftigten sich wieder mit erreichbaren Fluchtzielen. Schweden oder die Schweiz? Ein anderes Land kam ihnen momentan nicht in den Sinn, und ein Überlaufen zu den Sowjets schlossen sie erneut aus. Die Schweizer Grenze oder die Ostseeküste? Aber wie in die Schweiz oder nach Schweden gelangen, falls sie tatsächlich in Grenznähe kommen sollten? Wie viele lange, unbehelligte Wochen könnte das dauern, ohne Bekleidungsauffrischung, halb verhungert, entkräftet, also kaum noch lebensfähig? Wir dürfen uns nicht gehen lassen, befahlen sie sich, müssen immer einen klaren Kopf bewahren und aufmerksam sein, dann werden wir Gefahren schneller erkennen.

Zwischen Dnjepropetrowsk und Odessa am Schwarzen Meer lagen etwa sechshundert Kilometer, die der Zug bewältigen musste. Fraglich, ob ein Mensch auf einem Waggondach das überstehen konnte.

Der Zug sollte nicht nach Odessa fahren. In der Stadt Snamenka war Endstation. Hasso und Georg mussten umsteigen, was ihnen sonderbarerweise und ohne aufzufallen gelang, wie geraume Zeit später dann auch in Kirowograd. Die Anschlusszüge hatten sie mithilfe der Ausschilderungen schnell gefunden. Sie waren froh, sich unbehelligt bewegen zu können und sich auf Waggondächer niederzulassen. Das Reisen auf den Dächern, wenngleich zugig und kühl, stuften sie sicherer ein als im Innern der Waggons. Besetzte Dächer von Zivilisten waren auch ein gewisser Schutz vor Partisanen, was natürlich auch die Deutschen einkalkulierten.

HASSO - Legende von Mallorca

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