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6. Erneute Flucht

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Und wiederum veränderten sie ihr Äußeres, wiederum im Latrinenbereich im Bahnhof. Zuvor hatten sie bereits Ausschau nach einem Zug gehalten – ihnen blieb ja noch viel Zeit –, der für ihre Zwecke in Anspruch genommen werden könne. Sie fanden einen, der bis Odessa fahren sollte. Ob die Stadt am Schwarzen Meer tatsächlich der Zielort des Zuges war, konnten auch Hinweisschilder nicht gewährleisten. Da sich aber für Hasso und Georg kein Zug mit einem erkennbar lohnenderen Ziel anbot, so wollten sie an die Richtigkeit Odessa glauben. Es war ein Güterzug mit geschlossenen Waggons, auf deren flachen Dächern sich bereits Einheimische niedergelassen hatten. Hasso und Georg erkletterten das Dach des letzten Wagens, das nur mäßig besetzt war.

Die bedeutende Hafenstadt Odessa erreichten sie unerwartet schnell an diesem Tag. Sofort nach der Ankunft ließen sie sich mit der Menschenmenge bis in die Bahnhofshalle treiben, tauchten ein in Geräusche und Gerüche, die ihnen nicht mehr fremd waren, nur war in diesem Bahnhof von den Ausmaßen her alles gewaltiger, unübersichtlicher. Manchmal wurde das innere Spektakel vom hereindringenden Stampfen anziehender Lokomotiven oder unangenehm quietschendem Abbremsen einfahrender Züge bereichert.

Nach einer längeren Zeit der Orientierung stieg den beiden Flüchtigen ein bekannter Essensgeruch in die Nase: Kohl oder Steckrüben … was sonst. Also musste es auch hier etwas zu essen geben. Die Verpflegungsstelle entdeckten sie in einem an die Haupthalle angrenzenden, zu beiden Seiten hin offenen Saal, wo an Einheimische Eintopf ausgegeben wurde, dazu für jeden Anstehenden einen Kanten Brot. Für Hasso und Georg gab es nichts zu überlegen, sie entnahmen ihrem Rucksack das Unterteil ihres Kochgeschirrs und reihten sich ein in die Schlange von Frauen mit Kindern, alten und gebrechlichen Menschen. An solchen Orten in den großen Städten war die SS nicht am Säubern. Sie brachte die sowjetische Bevölkerung in Gebieten um, wo sie selbst die Macht hatten, wo sie selbst keiner Lebensgefahr ausgesetzt waren. Oder sie stellten Transporte mit arbeitsfähigen Untermenschen zusammen, auf die die deutsche Industrie wartete.

Hasso und Georg vereinbarten, hier im Bereich des Bahnhofes und dessen Umfeld sich so lange aufzuhalten, bis ihnen eine weitere Fluchtfortsetzung gelegen komme. Die Verpflegungsstelle half ihnen, sich von den Strapazen der letzten Tage zu erholen. Hier im Bahnhof konnten sie sich einigermaßen pflegen und des Nachts zum Schlafen niederlegen. Dazu sammelten sie alte Zeitungen und anderes Papier, das sie mal hier, mal da an einer freien Stelle einer Hallenwand als Unterlage benutzten. Papier war jedoch nur selten zu finden, denn andere Menschen suchten ebenfalls danach, um es in den Aborten zu benutzen. Es ging auf den Winter zu, in der Halle aber war es warm. Es war die Zeit, in der sich die sechste Armee in der Schlacht um Stalingrad befand, die bekanntlich im Februar '43 zugunsten der Sowjets endete. ‒ Hasso und Georg versuchten, immer einen Platz weit ab von den breiten, zugigen Ein- und Ausgängen zu belegen. Sie fielen nicht auf, waren ein Teil der Menschen, die hier ebenfalls die Tage und Nächte verbrachten. Und sie hielten sich streng daran, in der Nähe anderer nicht zu sprechen. Ihr Hauptaugenmerk galt nach wie vor deutschen Soldaten, hauptsächlich Kettenhunden. Konnten sie ihnen nicht ausweichen, dann verhielten sie sich gleichgültig, vermieden den Augenkontakt. Gesichtsausdruck und der Blick der Augen könnten bei Beurteilungsfähigen irgendwelche Verdächtigungen aufkommen lassen.

Da die beiden momentan keine weiteren Fluchtmöglichkeiten erkennen konnten, war der Hauptbahnhof von Odessa gewissermaßen ihr Wohnsitz. Was ihre armselige, aber derbe Kleidung betraf, so achteten sie penibel darauf, sie nicht verdrecken zu lassen und natürlich sich selbst einigermaßen sauber zu halten. Glücklicherweise verfügte jeder von ihnen über ein klappbares Rasiermesser, das sie aber nicht täglich benutzten. Schon am zweiten Tag nach ihrer Ankunft waren sie hinunter zum Hafen marschiert, der nicht allzu weit vom Bahnhof entfernt lag, dessen gewaltige Länge sie aber nicht ahnen konnten. Dringlicher war, ihre Stiefelsohlen nicht unnötig abzunutzen. Sonderbarerweise waren sie, die sogenannten Knobelbecher, nicht mit den üblichen Nägeln beschlagen. Im Hafengebiet galt ihr Augenmerk ausnahmslos den dort liegenden Frachtschiffen und deren Herkunft, doch sie boten keinen Anhaltspunkt für eine weitere Fluchtmöglichkeit. Ihren Hafenbesuch wiederholten sie noch zwei Mal. Schließlich verwarfen sie ihre Hoffnung, ein Frachter könne sie in ein Land nach ihren Vorstellungen mitnehmen. Es wäre ihnen noch nicht einmal möglich gewesen, gefahrlos an Bord eines Schiffes zu gelangen. Und so saßen sie am Ende verwirrter und niedergeschlagener als je zuvor wieder in der Bahnhofshalle. Mekka, Mozambique und selbst die Türkei könnten sie als Fluchtziel vergessen. Oder ob sie die Türkei doch als eventuelles Fluchtziel ins Auge fassen sollten... oder vielleicht auch Griechenland? Dann wohl lieber Griechenland, denn in der Türkei seien die dortigen politischen Gegebenheiten zu misstrauen. Seit jeher wären die Türken mal mehr, mal weniger mit dem Deutschen Reich befreundet. Die würden sie mit Sicherheit ausliefern. Mit den Griechen sehe das bestimmt ganz anders aus. Jedenfalls sei die Fortsetzung ihrer Flucht nur auf dem Landweg zu bewerkstelligen.

Sie dachten wiederholt an Griechenland, sprachen darüber. Doch bald dachten sie an gar kein Land mehr. Es schien alles so aussichtslos, so hoffnungslos zu sein … nun ja, bis sie Rumänien wieder näher betrachteten. Dieses Land behielten sie im Sinn, einerseits, weil die Entfernung dorthin vorstellbar war, andrerseits könnten sie Deutschland näherkommen, auch wenn sie keine Fahrgelegenheit vorfänden. Dass die Rumänen Deutschlands Verbündete waren, übersahen sie nicht, stuften das aber weniger gefährlich für sie ein ... und gerade in dieser Hinsicht sollten sie irren. Sie hatten immer nur Länder als Fluchtziel im Sinn, die nicht an Deutschlands Grenzen stießen. Rumänien war solch ein Land. Dass sie in jedem andern Land, ob mit Deutschland verbündet oder nicht, aufgegriffen werden könnten, darüber sprachen sie öfter. Also sollte es Rumänien sein, ein mit Deutschland verbündetes Land. Irgendwo von dort aus dann unentdeckt nach Österreich oder in die Heimat zu ge-langen, wäre für sie natürlich ein hoffentliches Ende ihrer Flucht. In Österreich wie in Deutschland wohnten sicherlich mehr Nazigegner, als anzunehmen sei, war ihre ihnen Mut machende Meinung, wenngleich es schwierig sei, die entsprechenden Gönner oder Hilfsbereiten ausfindig zu machen, die willens wären, sie zu schützen, sie irgendwie zu verstecken. Könnten sie unterschlüpfen, stünden dann nicht auch schon die nächsten Probleme an? Sie müssten zu einer neuen Identität kommen, ging ihnen durch den Kopf, erst recht, wenn Deutschland den Krieg für sich entscheiden würde. Am besten wäre es, sagten sie sich, Deutschland würde ganz schnell den Krieg verlieren, aber das schien ihnen undenkbar zu sein.

Die Zukunft der beiden sah alles andere als hoffnungsvoll aus. Und damit ihnen nicht das letzte Fünkchen Mut verließ, redeten sie sich standhaft ein, dass sie alle ihre künftigen Probleme gewiss in jedem Lande zu lösen hätten. Dieser Tatsache wollten sie sich auch keinesfalls verschließen. Sie versuchten nun, etwas genauer mögliche Ziele anzusprechen, auch Ziele, von denen sie sich kein Bild machen konnten. Von Rumänien nach Deutschland oder Österreich? »Es ist zum Verrücktwerden«, schimpfte Hasso. »Weißt du, wie viele Länder von Rumänien aus dann noch zu durchreisen wären?« Hasso war derjenige von den beiden, der anscheinend intensiver über Pläne und Durchführungsmöglichkeiten nachdachte. Er setzte hinzu: »Aber welche Länder und Entfernungen das auf direktem Wege sind, kann ich ohne Karte so aus dem Stegreif auch nicht sagen.«

»Das wird so sein, wie du sagst«, war auch Georg Mohrs Meinung, »ohne Karte können wir nicht planen und entscheiden.«

»Wir müssen uns aber entscheiden, Georg. Ohne genau überdachte Zwischenzielsetzungen ist unsere Überlebenschance geringerer. Fehler und Unaufmerksamkeiten können wir nie ausschließen. Erfahrungen sammelten wir ja bereits. Mir kommt da in den Sinn, falls du nicht eine andere, vielleicht eine bessere Möglichkeit siehst, dass wir uns Griechenland als Ziel setzen sollten. Griechenland grenzt an Bulgarien. Die Griechen sind Deutschland spinnefeind. Ich meine, wenn wir uns dort sofort als Nazi-Gegner und ehemalige KZ-Insassen zu erkennen geben, dann glaube ich nicht, dass die uns feindselig behandeln würden. Also, Georg, Griechenland wäre, wenn wir Rumänien und Bulgarien denn schafften, bestimmt das nächstmögliche Ziel. Wie die Situation in Bulgarien ist, wie es an den Grenzen zugeht und welche Rolle die Deutschen spielen, das wissen wir natürlich nicht, wir wissen nur, dass es uns an den Kragen geht, wenn wir geschnappt werden. Glaubhaft herausreden, das können wir uns nicht mehr.«

Das war bislang Hassos längste Einschätzung ihrer Situation. Georg hatte nur aufmerksam zuhören können. Hasso war für ihn der Wegweiser, der Hoffnungsträger. Also erst einmal Rumänien ins Auge fassen.

Dieses Mal fanden sie nicht so rasch einen Zug. Tag um Tag verging. Die Tage wurden kürzer, dunkler und kälter. Ende November wurde endlich ein Zug, je zur Hälfte mit Personen- und Güterwaggons, zusammengestellt. Das Wort Braila wurde von Bahnarbeitern mit Kreide an die Wagenwände geschrieben. Warum von hier aus, dem Sowjetland, ein Zug in ein mit Deutschland verbündetes Land eingesetzt wurde, war natürlich nicht ungewöhnlich. Welche Menschen und welches Material der Zug transportieren werde, darüber machten sich die beiden Flüchtigen keine Gedanken.

Bis zum frühen Morgen mussten Hasso und Georg noch warten, bis sie ihren Zug besetzen konnten. Es war ein Zug mit nicht mehr als sechs geschlossenen Güterwaggons. Was sie verbargen, was sie transportieren sollten, war nicht zu erkennen. Hasso und Georg hatten sich von der Bahnhofshalle aus einem Trupp von Arbeitern, die Schaufeln, Spitzhacken und eine Art Brotbeutel mit sich trugen, angeschlossen. Sie hielten einige Schritte Abstand zu den vor ihnen Gehenden, um von ihnen nicht angesprochen zu werden. Der Trupp aber verhielt sich schweigsam, kein Wort wurde untereinander gewechselt. Die Männer waren vermutlich einheimische Häftlinge. Hasso und Georg vermittelten den Eindruck, als gehörten sie zu ihnen. Angeführt wurden die Arbeiter von zwei Männern, die weiße Oberarmbinden trugen, auf die ein Buchstabe gedruckt war. Noch ein paar Schritte, und die beiden Männer entriegelten am vorletzten Waggon die Schiebetür und schoben sie zur Seite, woraufhin sich die Arbeiter ins Innere des Waggons hangelten. Als die Tür wieder zugeschoben wurde, saßen Hasso und Georg bereits im hinteren Bremserhäuschen des letzten Waggons. Die beiden Männer mit den hellen Oberarmbinden waren nach dem Verschließen des Waggons in Richtung Zuganfang gegangen. Auf dieser Seite des Bahnsteigs hielten sich, allerdings in großen Abständen, nur wenige Menschen auf. Deutsche Uniformen bekamen die beiden Fahnenflüchtigen in diesen Minuten nicht zu Gesicht. Sie hofften, dass dieser Zug tatsächlich nach Braila fuhr, Braila in Rumänien, nicht allzu weit entfernt von der Sowjetgrenze, deren Übergänge nun nicht mehr von den Sowjets bewacht und kontrolliert wurden. Sollten Hasso und Georg es schaffen, von Braila aus die rumänisch-bulgarische Grenze zu überwinden, dann war bis zur bulgarisch-griechischen Grenze nur noch ein verhältnismäßig kurzes Stück zurückzulegen. Doch was war ein kurzes Stück? … Die Lage der Länder hatten sie in ihrer Schulzeit gelernt und noch ziemlich klar im Kopf, nicht aber die für sie demnächst zu bewältigenden Entfernungen. Nun hockten sie in ihrem Versteck und dachten über diese Dinge nach, aber auch darüber, dass sie sich in ihrem Rangierhäuschen ganz und gar nicht sicher sein konnten. Irgendwelche Personen, ob militärische oder für die Bahn arbeitende, könnten sie überraschen, was dann möglicherweise wiederum das Ende ihrer Flucht bedeutete. Sie kannten das ja schon, sahen aber keine Alternative zum Bahn-fahren. Zu Fuß sich unerkannt durchzuschlagen, das könnten oder müssten sie ohnehin, nämlich dann, wenn sie Österreich oder Deutschland erreichen würden. Am besten wäre es, sagten sie sich oft, in die Schweiz zu gelangen, was aber aufgrund der dortigen Grenzüberwachungen unmöglich sei. Georg Mohr hatte es erfahren.

Stunde um Stunde rumpelte der Zug ohne Halt Richtung rumänische Grenze. Den beiden Flüchtlingen war kalt, und sie standen immer öfter auf, ihre Beine massierend und auf der Stelle tretend zu beleben.

An der Grenze zu Rumänien hielt der Zug zum ersten Mal, was in Hasso und Georg sofort die Angst zurückkehren ließ. Nach etwa zwei Stunden – in dieser Zeit wurden die Waggons entladen, was gehörigen Spektakel verursachte ‒ ruckte der Zug wieder an und setzte seine Fahrt fort. Zwei Stunden in hockender Stellung, gequält von der Angst, entdeckt zu werden, empfanden sie als eine Folterung. Erst dann, als der Zug wieder Fahrt aufgenommen hatte, wagten sie sich auf die Füße, wobei sie sich mangels versagender Kraft gegenseitig aufstützen mussten. Die abnormale Haltung hatte die Muskeln, Sehnen und Blutgefäße ihrer Beine bis über die Schmerzgrenze hinaus strapaziert.

Endstation Braila an der Donau. Inzwischen war es dunkel geworden, und es regnete leicht. Eine fremde Stadt, Dunkelheit, Regen, kühle Temperaturen: Verhältnisse, die die Stimmung der beiden sich auf der Flucht Befindlichen tief hatte sinken lassen. Sie hatten sich gewünscht, der Zug legte noch viele Kilometer in Rumänien zurück, Kilometer für Kilometer näher an die bulgarische Grenze heran. Der Hunger setzte ihnen gewaltig zu. Hin und wieder nahmen sie einen Schluck Wasser aus ihrer Feldflasche. Dass sie sich bis jetzt noch keine fiebrige Erkältung eingefangen hatten, verdankten sie wahrscheinlich ihrer Jugend. Aber eine echte Grippeerkrankung, mit hohem Fieber, würden sie sicherlich nicht überleben.

Aus ihrem Versteck gestiegen, nachdem sie glaubten, augenblicklich keiner Gefahr ausgesetzt zu sein, sahen sie in der Bahnhofshalle rumänische und deutsche Soldaten wie in Wartestellung. Eine dreiköpfige Streife von Kettenhunden schien alles im Blick zu haben. Hier sich länger aufzuhalten, um nach einem weiteren Zug, den sie hätten benutzen können, Ausschau zu halten, empfanden sie dieses Mal als gefährliches Warten.

Also verließen sie den Bahnhofsbereich mit Ziel ins Ungewisse. Das war nicht neu für sie, denn ihre Wege führten bislang ständig ins Ungewisse. Sie bewegten sich nicht hektisch durch die regennasse Stadt, sie wollten den Eindruck erwecken, falls jemand auf sie neugierig zu sein schien, Gleiche unter Gleichen zu sein. Rumänisches oder deutsches Militär war hier zu dieser Stunde nicht unterwegs. Nach einer Weile des Marschierens vermuteten sie, dem Stadtrand nahegekommen zu sein. Die jetzt von ihnen benutzte Straße war breit, aber ungepflastert und dementsprechend vom Regen schmierig. Die ziemlich weit voneinander stehenden Häuser inmitten mit Holzlatten eingezäunter, ungepflegter Grundstücke erinnerten an russische Dörfer. Hasso und Georg waren ratlos, es schien, als seien die Häuser von ihren Bewohnern verlassen worden. Kein Mensch lief auf der Straße, keine Stimme war zu hören, kein Lichtschein drang aus schmalen, hohen Fenstern. Es herrschte eine bedrohliche, ängstlich machende Stille. Aber dann wagten es die beiden Flüchtigen: Durch einen Vorgarten drangen sie ein in ein unverschlossenes Haus. Nach einigen Minuten angestrengten Horchens, und nachdem sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, waren sie überzeugt, dass dieses Haus, gewiss auch alle anderen Häuser an dieser Straße, ohne Leben war. Sie erkundeten die wenigen Räume und sahen sich nach einer Schlafstätte um, die sich ihnen bald in Form zweier Brettergestelle mit darauf befindlichen, platt gelegenen Strohsäcken anbot. Auf dem Hof hinter dem Haus, der in einen verwahrlosten Garten mündete, entdeckten sie eine Pumpe, die sie so lange betätigten, bis sie der Meinung waren, das Wasser könne zum Trinken nun sauber genug sein. Anfangs erschreckte sie das Quietschen des Pumpenschwengels, das sie weithin verraten könnte. Doch nun war es zu spät, und sie beruhigten sich in der berechtigten Annahme, dass sie zurzeit tatsächlich die einzigen Menschen in dieser Wohngegend seien. Jetzt nur noch schlafen! ‒ Sie schliefen bis in den späten Vormittag des nächsten Tages hinein. Im Gegensatz zu ihren bisherigen Schlafstätten waren diese zusammengezimmerten, mit Strohsäcken belegten Bettgestelle der reine Luxus.

Ängstlich schauten sie sich um, keine Stelle im Haus, das wie alle anderen Häuser hier aus Holz gezimmert worden war, ließen sie außer Acht, selbst den Spitzboden nicht, auf dem nur einige Heuballen gestapelt lagen. Doch dann meinten sie, wenn sie während ihrer Schlafenszeit unbehelligt geblieben waren, dann seien sie in diesen Stunden hier tatsächlich die einzigen Menschen. Federvieh, Schweine und andere Tiere waren verschwunden. Dass jedes Anwesen über Haustiere verfügt hatte, bewiesen angebaute Stallungen und Federviehgehege auf den Nachbargrundstücken, die die beiden Flüchtlinge jetzt am hellen Tage gut erkennen konnten. Vielleicht war diese Gegend hier zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden, was eine Evakuierung der Bewohner zur Folge hatte, und alles Vieh ist den Feldküchen überlassen worden. Warum jedoch und für wie lange die Bewohner ihre armseligen Häuser verlassen mussten, darüber diskutierten Hasso und Georg nicht, für sie war am vordringlichsten, unentdeckt zu bleiben. Sie beabsichtigten auch nicht, sich eine längere Zeit hier aufzuhalten, wollten nur die hier vorgefundenen Gegebenheiten nutzen, um sich für den Weitermarsch möglichst gut vorbereiten zu können. Dass sie hier einmal gefahrlos ausschlafen konnten, dafür bedankte sich Georg bei Allah. Die Fluchtverhältnisse ermöglichten ihm nicht oft das demütige Niederlegen zum Gebet.

Normale Wohnungsumzüge der Bewohner hatten hier nicht stattgefunden, was die beiden Flüchtlinge schon daran erkannten, dass im Haus und in Ställen anscheinend nichts verändert worden war. Hier hatten Menschen und Tiere, so vermuteten sie, Zwangsmaßnahmen weichen müssen.

In der verrußten Küche, mit gemauerter Feuerstelle, erinnernd an mittelalterliche Darstellungen, fanden sich verschieden große Kessel und Töpfe. Neben der Feuerstelle lagen aufgestapelte Holzscheite sowie zerkleinertes Astwerk. Kleinere Gerätschaften und Geschirr waren in groben Wandregalen untergebracht. Vor der hinteren Längsseite des klobigen Tisches, etwa ein Meter vor der Wand mit den zwei kleinen Fenstern, standen eine tischbreite Holzbank und ihr gegenüber zwei Stühle. Neben der Bank führte eine Tür auf den Hof. Hasso und Georg fanden eine große Schachtel mit noch brauchbaren Streichhölzern vor, was ihnen sehr willkommen war. Und um einiges höher bewerteten sie, als sie im Dämmerlicht der Küche in einer Ecke einen kniehohen, nach oben offenen Verschlag entdeckten, in dem auf einer Unterlage von zusammengelegten Brettern Kartoffeln und Steckrüben in geringer Menge lagerten. Zwei nicht mehr ganz ansehnliche, aber noch nicht angefaulte Weißkohlköpfe sowie einige Hände voll Karotten mit bereits verrottetem Kraut vervollständigten dieses kleine Gemüsedepot. Die beiden Ausgehungerten besahen sich die bereits seit Längerem eingebrachte Ernte, von der ihnen ein leicht fauliger Geruch in die Nase stieg, und beschlossen spontan, dieses Geschenk zu nutzen. Also begannen sie, einen Teil der Köstlichkeiten zu putzen, zu waschen, zu zerkleinern und in einen Topf zu stapeln, dem sie das nötige Wasser aus der Pumpe im Hof zufügten. Messer und andere Besteckteile waren genügend vorhanden, sodass die beiden Köche ihre Arbeiten zügig erledigen konnten. Die herdähnliche Einrichtung wies vier Kochstellen auf, mit einer Anzahl von entfernbaren Eisenringen. Auf eine dieser Kochstellen stand nun der gefüllte Topf, dessen Inhalt bald zu kochen begann. Das Holz unter der Kochstelle brannte prasselnd und hinterließ keinerlei Rauch im Küchenraum, was bewies, dass der gemauerte eckige Schornstein, der vom Ofen aus an der Rückwand emporsteigend durch Küchendecke und Dach stieß, noch sehr gut seiner Aufgabe nachkam. Das alles brachte Hasso und Georg auf die Idee, nebenbei auch ihre Unterwäsche und Oberhemden heiß zu waschen.Und indem die Sachen in zwei großen Eisentöpfen kochten, reinigten sich die beiden mit Pumpenwasser. In einem Nebengelass, angrenzend an den Schlafraum, hatten sie in einer Truhe alte, aber saubere Bettlaken gefunden, die sie als Badetücher benutzten. Jeweils ein trockenes Laken über die nackten Schultern gehängt, fühlten sie sich rundum sauber und wohl. So bekleidet aßen sie von dem Eintopf, der ihnen auch fleischlos schmeckte. Salz war nicht zu finden gewesen, Seife oder ähnliche Reinigungsmittel auch nicht. Und als sie dann einige Stunden später ihre über der Herdwärme getrocknete Unterwäsche angenehm auf der Haut spürten und ihre Mägen gut gefüllt waren, als sie beschlossen, sich noch einmal ausschlafen zu wollen und danach ihren Fluchtplan neu zu überdenken und festzulegen, da wurden sie wieder einmal festgenommen.

HASSO - Legende von Mallorca

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