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5. Festnahme

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Nach Odessa. Erst von Kirowograd sollte es direkt nach Odessa gehen. Doch dieser Reiseabschnitt wurde Hasso und Georg dann zum Verhängnis. Zum Zwischenhalt fuhr der Zug in den Bahnhof von Wosnesensk ein, und noch bevor er zum Halten kam, gewahrten sie von ihrer luftigen Höhe aus mehrere kleine Trupps Uniformierter entlang des Zuges auf dem Bahnsteig, bewaffnet mit Maschinenpistolen und offensichtlich darauf aus, die Fahrgäste näher in Augenschein zu nehmen. Die Uniformen der Männer waren den beiden Ausreißern fremd. Rotarmisten, vermuteten sie, waren es nicht, obwohl sie deren Uniformen mangels Gelegenheit auch nicht kannten.

Die beiden handelten eher panisch als überlegt. Sie blieben nicht einfach zwischen den anderen Dachreisenden sitzen, sondern nahmen ihr Gepäck auf und stiegen die eiserne Waggonleiter hinunter bis vor die schmale, unverschlossene Tür des an die Rückfront angebrachten sogenannten Bremserhäuschens, in dem gerade mal so viel Platz war, dass zwei schlanke Personen darinstehen konnten. Hasso und Georg waren schlank, sehr schlank sogar. Sie gingen sofort in die Hocke, die Rucksäcke über Kopf, wobei Georg die Tür mit der rechten Hand krampfhaft zu sich heranzog, um so das Aufsperren zu verhindern. Die von außen sichtbaren oberen Teile ihrer Rucksäcke durch die offenen Fensteröffnungen blieben dem dreiköpfigen Kontrolltrupp natürlich nicht verborgen. Denn in der Enge war das Gepäck auf Hassos und Georgs Kopf nicht ruhig zu halten. Die rumänischen Militärpolizisten – um solche handelte es sich –, bestaunten nur kurz, was sich ihren Augen bot. Unverkennbar musste sich unter den Rucksäcken mindestens eine Person versteckt halten. Also machten die Drei nicht viel Federlesens, zogen zuerst Georg, dann Hasso aus dem Gehäuse, ließen sie die Rucksäcke schultern und stießen die bäuerlich Gekleideten, die nicht gerade überzeugend versuchten, auf ihre Stummheit aufmerksam zu machen, vor sich her bis in einen Raum im Bahnhofsgebäude, vor dessen Tür sich zwei rumänische Wachtposten langweilten. Hinter einem Schreibtisch saß ein rumänischer Offizier, und Hasso und Georg versuchten es nicht mehr, sich stumm zu stellen. Die Angst löste ihre Zunge automatisch. Warum sie sich in das Bremserhäuschen verkrochen hätten, wollte der Offizier, hinter dem sich jetzt ein Soldat mit einer Maschinenpistole stellte, in gebrochenem, hartem Deutsch wissen. Er wartete eine Antwort aber nicht ab, sondern rief nach Ausweispapieren. Da sie überzeugt waren, am Ende ihrer Flucht angekommen zu sein, legten Hasso und Georg ihr Kompanieausweispapier auf den Tisch, das der Offizier an sich nahm und einem längeren Studium unterzog. Um vielleicht noch einmal den Verdacht der Fahnenflucht abwenden zu können, schilderte Hasso mit stockenden Worten dem Offizier die Geschichte von einer gewaltsamen Trennung von ihrer Strafkompanie. Den beiden Gefangenen drohten die Beine zu versagen. Eine Leibesvisitation wurde nicht vorgenommen, sonderbarerweise interessierte sich auch niemand für ihre Rucksäcke. Dem Offizier war klar, es mit Fahnenflüchtigen zu tun zu haben. Sollten sich doch deutsche Wehrmachtsstellen der beiden annehmen. Also verkündete er Hasso und Georg, sie unter Bewachung mit dem nächsten Zug nach Dnjeproserschinsk zu überführen, wo sie sich vor einem deutschen Militärgericht zu verantworten hätten. Dann befahl er dem Mann mit der Maschinenpistole, die beiden Gefangenen abzuführen. Mit seinen Schlussworten betitelte er Hasso und Georg als Schweine, die ihre Uniformen weggeworfen hätten, um mit gestohlenen Zivilsachen unauffällig das Weite suchen zu können. Als er wieder allein war, verfasste er einen Bericht. Seine beiden Verhafteten saßen eingesperrt in einem kleinen Nebenraum, der kein einziges Möbelstück aufwies. Also setzten sich die beiden auf den Steinfußboden, den Rücken gegen ihre an eine Wand gedrückten Rucksäcke gelehnt. Ein winziges vergittertes Fenster war so hoch angebracht, dass niemand nach draußen sehen konnte. Nach einer Weile des Grübelns meinte Hasso, unüberlegt gehandelt zu haben. »Wir hätten auf dem Dach sitzen bleiben sollen. Wir wären bestimmt nicht kontrolliert worden. Rein äußerlich setzten wir uns doch keinem Verdacht aus, nein, wir handelten in Panik. Anschließend ist man immer schlauer.«

Georg schien merkwürdig ruhig. Seine Stimme hörte sich heiser an, und seine Worte kamen leise und ängstlich:

»Was meinst du, Hasso, was für eine Strafe auf Abhauen, also auf Fahnenflucht, zu erwarten ist? Ob man da zum Tode verurteilt werden kann?«

Hasso nickte und entgegnete: »Ich meine, das war schon immer so. Aber darüber sprachen wir doch schon ausführlich.«

Es war helllichter Tag. In Dnjeproserschinsk, westlich von Dnjepropetrowsk gelegen, wurden sie nach nur kurzer Wartezeit einem deutschen Militärtribunal vorgestellt. So gut es ging, nahmen sie sich zusammen und logen, dass sie als Versprengte ihre Bewährungseinheit suchen wollten. Vor drei Tagen seien sie in Poltawa sozusagen auf eigene Faust aufgebrochen, weil ihnen die dortige Kommandantur nicht habe weiterhelfen können. Überall sei Hektik vorherrschend gewesen, und erst recht in der Kommandantur, die sich auf eine Verlegung vorbereitet habe, jedenfalls hätten sie das so wahrgenommen. Und damit sie nicht in feindliche Hände fallen wollten, hätten sie sich, nachdem sie noch Verpflegung empfangen durften, irgendwo auf dem Weg zum Bahnhof Bauernklamotten besorgt. Das sei kein Problem gewesen, mehr oder weniger Zufall. Ihre Überlegung sei gewesen, sich in ihrem Wehrmachtsrock sehr schnell dem Feind auszusetzen.

Die drei Offiziere des Tribunals glaubten ihnen kein Wort. Natürlich hätten sie per Fernschreiber oder Feldtelefon in Poltawa nachfragen können, waren sich aber einig, keine befriedigende Antwort von der wahrscheinlich bereits verlegten Kommandantur zu erhalten. Der kurze Bericht des rumänischen Offiziers, der von einem der beiden Hasso und Georg begleitenden Wachsoldaten dem Tribunal übergeben worden war, bewerteten die Richter nicht als Beweis einer vollendeten Desertion. Sie verurteilten Hasso und Georg zunächst einmal zu Einzelhaft auf unbestimmte Zeit, bis, wie sie sagten, verwertbarere Erkenntnisse vorlägen. Sicher sei, bemerkte der Sprecher der drei Richter, dass über die beiden Gefangenen noch ein endgültiges Urteil gefällt werde.

Hasso und Georg trugen weiterhin ihr Bauernzivil, allerdings nur die Hosen in den sehr warmen Kellerzellen. Tagsüber legten sie ihre Jacke auf ihre Pritsche, nachts auf einen Schemel. Tisch und Stühle waren nicht vorhanden. Ihre unansehnlich gewordenen Uniformstücke hatten sie abgeben müssen, außer ihre Stiefel, im Landserjargon Knobelbecher genannt.

Nach ihrem ersten Duschbad mit anderen Gefangenen durften sie endlich wieder frische Wäsche entgegennehmen, für die beiden ein Erlebnis, ein Gefühl der besonderen Art. Es bereitete ihnen keine Sorge, keine neuen, dafür aber saubere Uniformstücke empfangen zu haben. In Angstzeiten gehen einem alle möglichen Dinge durch den Kopf. Hasso und Georg fragten sich, ob die Aushändigung gebrauchter Uniformen eventuell damit zusammenhängen könnte, dass auf sie tatsächlich die Todesstrafe wartete. Es konnte aber auch sein, dass es hier gar keine Uniformierungs- oder Ausrüstungsstelle gab, dass alle Teile, wenn es notwendig war, erst angefordert werden mussten.

Hasso und Georg wurden jeden Tag verpflegt, auch dies eine neue, willkommene Sache. Einfaches Essen, dazu Wasser. Wunderbar. Für ihre Notdurft stand ein Kübel in der Zelle bereit, waschen und rasieren durften sie sich alle drei bis fünf Tage in einem dafür eingerichteten Nassraum. Hasso, Georg und einige andere Häftlinge sahen sich dann nur während dieser Zeit. Sprechen war verboten, dennoch wurden Worte gewechselt, da das rauschende, spritzende Wasser gesprochene Worte verschluckte. Spaziergänge an der frischen Luft, wie sie in zivilen Gefängnissen üblich sind, waren nicht vorgesehen. Die Inhaftierten lebten im Halbdunkel, die verschmutzten Zellenfenster hatten nur eine geringe Größe und waren auf der höchsten Stelle der Außenwände angebracht, Kellerfenster eben. Vergittert waren sie nicht, denn hinauszwängen konnte sich auch nicht der dünnste Gefangene. Elektrisch Licht war nur in den Aufseherräumen, den Kellergängen und im Duschraum geschaltet.

Beim zweiten Waschgang fiel Hasso und Georg auf, dass der eine oder andere Mitgefangene fehlte und neue Gesichter hinzugekommen waren. Welches Schicksal den Fehlenden beschieden war, darüber versuchte niemand nachzudenken. Wahrscheinlich wurden in diesem Backsteingebäude keine Todesurteile vollstreckt, wahrscheinlich wurden die Exekutionen im hügeligen Hinterland der Kaserne vorgenommen. Die Zahl der Wehrmachtshäftlinge in dieser Anlage schien sich in Grenzen zu halten, ebenso die vollstreckten Todesurteile. Hier waren wie in jeder Kaserne Arrestzellen vorhanden, die aber nur wenige Gefangene aufnehmen konnten. Also wurden zusätzlich Kellerräume genutzt, von denen genügend vorhanden waren.

Nach etwas über zwei Wochen holten vier Wachsoldaten Hasso und Georg aus ihren Zellen und führten sie vor die drei Offiziersrichter, deren Bekanntschaft sie schon am ersten Tag gemacht hatten. Die beiden Deserteure befürchteten nun das Schlimmste, konnten ihr Angstzittern kaum unterdrücken. Doch zu ihrer Überraschung nahmen sie nicht ihr Todesurteil entgegen, sondern einen Marschbefehl nach Dnjepropetrowsk, wo sie von einer neu aufzustellenden Kompanie, zugehörig einem Strafbataillon, aufgenommen werden sollten. In ihrer Zelle hatten sie sich dann bereitzuhalten für einen letzten Waschgang und dem Empfang neuer Uniformstücke. Sie empfingen dazu Stahlhelm, Gasmaske, Feldflasche und durften ihr verbeultes Kochgeschirr gegen ein neueres austauschen, und noch einige Dinge verstauen, die ein Soldat eben benötigt. Karabiner und Seitengewehre wurden ihnen nicht ausgehändigt. Sie behielten ihre noch gebrauchstüchtigen und bislang nicht mehr kontrollierten Rucksäcke – samt den zivilen Sachen. Es konnte nur sein, dass der nach der Einlieferung in diesen Knast Kontrollierende in den Zivilsachen nichts Gefährliches hatte erkennen können, auch Soldaten an der Front und anderswo besaßen und trugen zivile Kleidungsstücke, im normalen Dienst allerdings zum Beispiel unter dem Uniformrock.

Was war der Grund für Hassos und Georgs Freilassung? Nein, eine Freilassung sollte es nicht sein, mehr eine Versetzung in eine andere todbringende Umgebung. Vom Oberkommando der Wehrmacht war eine Neuregelung für die Feld- und Standgerichte festgelegt worden. Es sollte dergestalt verfahren werden, dass ein der Fahnenflucht bezichtigter Festgenommener nicht sofort hingerichtet werden sollte. Diese Männer gehörten als Kämpfer an die Fronten, wobei, falls sie überlebten, ihre Todesstrafe in eine Zuchthausstrafe umzuwandeln sei. Doch die komme erst nach dem Krieg zum Tragen oder zum Erliegen, nämlich dann, wenn sich der Sträflingssoldat im Kampf nachweislich besonders hervorgetan habe und sich zudem im Sinne der Nazi-Partei verhalte. Natürlich wurden eingefangene Fahnenflüchtige auch weiterhin standrechtlich hingerichtet, sozusagen als eine notwendige abschreckende Maßnahme. Hasso und Georg waren sich im Klaren, was für eine Truppe sie erwartete. Aber sie sannen nicht darüber nach, auch nicht darüber, welchem Schicksal ihre anfängliche Strafeinheit inzwischen ausgesetzt worden war. Bataillone und Kompanien wurden aufgerieben, vernichtet, so auch ihr Stammbataillon, das während einer Minenverlegung unmittelbar am Dnjepr von sowjetischer Artillerie in Grund und Boden gesprengt wurde. Hasso und Georg erfuhren es von einem Feldwebel, der ihnen die Marschbefehle aushändigte. Somit waren die beiden die einzigen Überlebenden ihrer Stammeinheit.

Die vermutlich beinahe zum Tode Verurteilten, nun wieder in deutschem Feldgrau, mit Marschbefehl in der Tasche, hätten noch einen langen Tag im Bahnhof von Dnjeprodserschinsk auf den Zug warten müssen, mit dem sie nach Dnjepropetrowsk fahren sollten. Sie entschieden sich jedoch anders. In der Kommandantur von Dnjepropetrowsk, die neue reguläre Einheiten, aber auch zu ersetzende Strafkompanien aufzustellen hatten, sollten sie sich melden. Um sie entsprechend zuweisen zu können, war ihr Marschbefehl gefragt, auf dem ihre untergegangene Kompanie dokumentiert war.

Hasso und Georg kamen in ihren Überlegungen wiederholt überein, entweder im Kampf sterben zu müssen, standrechtlich erschossen oder aufgehängt zu werden. Die dritte Möglichkeit, am Leben zu bleiben, biete sich, wenn ihnen eine wiederholte Flucht gelänge.

HASSO - Legende von Mallorca

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