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Kapitel 2

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Auf vier schwarzen Samtpfoten bahne ich mir meinen Weg in das offene Schlafzimmer der muffigen und mit Dreck übersäten Wohnung. Meine gesamte Aufmerksamkeit richte ich auf mein Ziel: die schlafende Person auf dem knarzenden Bett. Ich brauche mich nicht umzusehen, um zu wissen, dass die Wände mit irgendwelchen laienhaften Schmierereien versaut und zudem mit Postern von nackten Frauen behangen sind. Eine typische Singlewohnung eines Mannes im mittleren Alter. Vor dem verdunkelten Schlafzimmer verharre ich einen Moment und lausche, doch der ahnungslose Tölpel schläft tief und fest. Geschwind husche ich in das Zimmer und springe ohne abzuwarten auf das Bett, denn so wie der schnarcht, wecken ihn keine zehn Pferde auf. Vorsicht kann ich mir somit sparen. Auch gut. Jedoch rümpfe ich angewidert meine Nase bei dem Anblick, der sich vor mir erstreckt. Mein Opfer liegt nackt und auf dem Rücken auf einem speckigen Lacken, seine rechte Hand auf seinem Schritt verweilend, während seine linke Hand ein zerfleddertes Pornomagazin umfasst. Würde ich meinen Rekord nicht um jeden Preis halten wollen und wäre ich nicht zu faul, um mir eine andere Beute zu suchen, würde ich auf der Stelle kehrtmachen und von diesem widerwärtigen Wesen ablassen, doch so bleibt mir keine andere Wahl. Abgesehen davon ist sein Lebensatem recht stark, da er weder krank, schwach oder alt zu sein scheint. Dies wird mir weitere Pluspunkte einbringen und ein erbärmlicher Mann weniger auf dieser verrotteten Erde ist auch keine schlechte Aussicht. Dennoch grenzt es an ein Wunder, dass die Menschen bis heute überleben konnten, getrieben von ihrer grenzenlosen Lust, Gier und ihrem selbstgerechten Egoismus. Angeekelt schleiche ich um die bunten, teils frischen und teils alten Flecken herum, so gut es mir nur möglich ist, bis ich auf der Höhe seines Kopfes angelangt bin. Vorsichtig steige ich auf seinen sich immer wieder hebenden und senkenden Oberkörper, der ab und zu, ununterbrochen von dem ratternden Gesang seines Schlafes, ruckelt. Wiederum warte ich einen kurzen Moment, nur um sicher zu gehen, dass er seinen ahnungslosen Schlummer fortsetzt. Mir jagt ein Schauer über den Rücken, doch da muss ich nun durch. Ungeachtet meiner Abneigung senke ich meinen Kopf zu seinem geöffneten Mund und versuche nicht durch die Nase einzuatmen, damit ich seinen Alkohol dunstigen Atem nicht riechen muss. Vorsichtig nähere ich mein Gesicht dem seinen, sodass sich unsere Lippen fast berühren. Jetzt ist es soweit. Nur nicht hetzen. Ich konzentriere mich, schließe die Augen und spüre seinen Herzschlag, sein Blut, das durch seine Adern fließt wie ein rauschender Fluss, und seine Lebensenergie, die ihn als Aura in einem klaren und kräftigen Rot umgibt. Fast wie ich es mir gedacht hatte. Solche Leben haben einen hohen Stellenwert bei meinem Herrn. Mit einem siegessicheren Grinsen beginne ich mein Werk und nehme mir Stück für Stück sein Leben. Sein Schnarchen verstummt mit einem Mal und sein Körper bäumt sich im stummen Protest vergebens auf. Es dauert nur ein paar Atemzüge in denen ich ihm ganz allmählich seine Lebensenergie aussauge. Ich spüre die warme fremde Hitze, die sich in meinem Innern ausbreitet, rasend schnell wie die Pest im Mittelalter. Er japst erfolglos nach Luft, sein Körper erzittert, dann sackt er in sein versifftes Lacken zusammen und liegt still.

***

Die Nachtluft empfängt mich willkommen kühl und legt sich wie ein sanfter Mantel um meinen warmen Körper. Genüsslich strecke ich mich und sehe mich um. Wohin als Nächstes? Ich habe schon zwei frische Leben in dieser Nacht gesammelt und so viel Zeit übrig, denn die Nacht ist noch lange nicht vorüber. Um meine Spuren zu verwischen, sollte ich das Dorf wechseln. Ich bin zwar das erste Mal hier, aber zwei Todesfälle in einer Nacht von jungen Männern weckt nur unnötig Aufsehen und das kann ich so ganz und gar nicht gebrauchen. In den vergangenen Monaten sitzen mir zwei der sogenannten Anwärter des Lichts besonders im Nacken, sodass ich bei jedem Schritt auf der Hut sein muss … lästig. Einfach nur lästig. Gott muss wohl besonders viel Langeweile haben, um seine Möchtegernengel auf die Erde zu schicken, um uns zu jagen und zu beseitigen. Doch wofür? Für das Ungeziefer, was wir Menschen nennen? Was haben die Menschen aus seiner Erde gemacht, die er ihnen geschenkt hat? Mein Blick streift durch die leeren, holprigen Straßen. Was einst mal schön gewesen war, ist durch die vielen Kriege, Rebellionen und Straßenkämpfe völlig zerstört worden. Die Häuser, falls man diese noch so nennen kann, sind nichts weiter als aufgereihte Trümmerhaufen. Blumen, blühende Bäume und Sträucher – ausradiert. Und dann noch überall dieser grenzwertige Gestank nach Ausdünstungen, Schweiß, Moder und Verwesung … Mir fehlt dafür einfach das Verständnis. Wieso kann Gott der Menschheit nicht entsagen? Jedes verfluchte Mal gibt er ihnen eine neue Chance, nur damit sie diese immer wieder in den Sand setzen. Womit hat das Ungeziefer, das sich wie eine Plage über der Erde ausgebreitet hat, diese fortwährende Güte verdient? Oder ist er einfach nur dumm? Denn wer solche Wesen erschafft und diese krampfhaft versucht am Leben zu erhalten und zu beschützen, obwohl die den Glauben an ihn längst verloren haben und mit Füßen treten, muss einfach nur bescheuert sein! So gesehen geschieht es dem alten Tattergreis da oben ganz recht. Für ein paar Sekunden huscht ein gehässiges und selbstgefälliges Grinsen über mein Gesicht. Doch nur kurz, denn mein inneres Alarmsystem wird sofort aktiviert, als ich ein immer lauter werdendes Motorengeräusch vernehme. Bevor ich realisieren kann, von welcher Richtung das unheilverkündende Geräusch kommt, schlittert ein Motorrad samt Anhänger um die Ecke. Der Beifahrer hat einen Baseballschläger in der Hand, mit dem er wahllos nach Briefkästen und Mülleimern ausholt, als gäbe es dafür Punkte. Ohne zu zögern, beginne ich zu rennen, denn ich kann mir denken, was jetzt passiert. Meine Hoffnung, unentdeckt geblieben zu sein, ist nicht groß und ich soll leider recht behalten. Hinter mir ertönt grölendes Gelächter und ich weiß, dass sie ein neues, lebendiges Ziel haben: mich.

So schnell mich meine vier Pfoten über den holprigen Lehmboden tragen, renne ich davon und versuche meine Verfolger abzuwimmeln, während diese sich bei ihrer Jagd köstlich amüsieren. Wenn ich doch nur meine menschliche Gestalt annehmen könnte, dann würde ich es diesem erbärmlichen Gesindel zeigen! Doch es ist mir nicht erlaubt, meine wahre Gestalt vor dem Pöbel anzunehmen und schon gar nicht, während ich den Dienst für meinen Herrn erledige. So bleibt mir nichts anderes übrig, als in meiner jetzigen Form als mickriger Kater das erniedrigende Spiel mitzuspielen und mich jagen zu lassen.

***

Gefrustet und genervt sehe ich mich aus meinem Versteck um. Doch von den beiden Motorradrowdys fehlt jegliche Spur. Es war ein ziemlich langer Spurt gewesen. Ich habe es in das nächste Dorf geschafft und meine Verfolger zum Glück abgehängt. Dennoch kann ich mich darüber nicht freuen. Ich fühle mich gedemütigt, ausgelaugt und meine Kehle brennt von der Hetzjagd wie das Höllenfeuer selbst. Diese niederen und hässlichen Kreaturen!

Müde springe ich zwischen dem Blechhaufen des ehemaligen Spielplatzes für Bälger hervor und bahne mir meinen Weg zu der abbruchreifen Häuserfront. Ein Haus sieht aus wie das andere. Monotone, halb zerfallene Betonklötze in vertrockneter und verdreckter Landschaft. Sorgfältig lasse ich meine Augen suchend die Reihen analysieren. Ich muss nicht lange suchen, bis ich fündig werde. Es ist die erste Wohnung, die mich einlädt durch das sperrangelweit geöffnete Fenster über den kleinen Balkon einzutreten. Es lebe der Sommer, der immer wieder einfältige Menschen dazu verleitet, achtlos die Fenster zur Lüftung offen stehenzulassen. Dies erleichtert mir die Arbeit und meine Suche ungemein. Sofort setze ich mich in Bewegung und unterdrücke den aufkeimenden Hustenreiz. Das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen. Wenn nur meine Kehle nicht so trocken und kratzig wäre!

Mein Ziel liegt im ersten Stock und ist nicht leicht zu erreichen. Abwägend sehe ich mich nach Klettermöglichkeiten um. Die Hauswand ist sehr uneben und brüchig, nicht unbedingt dafür geeignet. Doch so leicht gebe ich nicht auf. Mit Bedacht schleiche ich um die Wohnung herum und tatsächlich werde ich am anderen Ende fündig. Das morsche Gemäuer ist zum Teil so beschädigt und eingestürzt, dass ich es als vortrefflichen Zustieg für den hintersten Balkon nutzen kann. Leichtfüßig springe ich meinen Weg nach oben. Ungehindert und ohne Probleme erreiche ich den ersten Balkon. Von hier aus ist es ein leichtes über die Verandareihe zu dem mit dem offenen Fenster zu springen. Es ist einer der wenigen, die eine alte, wenngleich auch halb verrottete Sitzgarnitur beherbergt. Dem äußeren Anschein nach wird diese regelmäßig benutzt. Noch einmal muss ich mich räuspern, denn das Kratzen in meinem Hals lässt mir einfach keine Ruhe, dann nehme ich die Einladung der fremden Wohnung an und springe auf den schmalen Fenstersims. Dort verharre ich einen Moment, um die Lage zu checken. Wie ich es mir schon gedacht habe, ist das Heim recht karg, jedoch nicht schäbig eingerichtet. Rechts vor mir befindet sich eine mit dunkelbraunem Stoff bezogene Couch an deren Ende zwei Wolldecken sorgfältig zusammengelegt sind. Davor steht eine große hölzerne Kiste, die wohl die Funktion eines Tisches haben soll, wenn man sich die fast abgebrannte Kerze, Feuerzeug und einige Unterlagen betrachtet, die darauf ordentlich aufgereiht sind. Auf der linken Seite des Raumes befindet sich eine alte, aber zur Couch passende Schrankgarnitur. Auf den ersten Blick kann ich nicht sagen, ob es sich um die Unterkunft einer Frau oder eines Mannes handelt. Vielleicht wohnt hier aber auch ein Paar, dann hätte ich gleich vier Leben an einem Abend gesammelt. Zielstrebig hüpfe ich auf den etwas verblassten, dennoch gepflegten PVC-Boden und lausche, doch alles ist still. Eilig husche ich an das andere Ende des rechteckigen Wohnzimmers, wo sich der Zugang zum Flur befindet. Zu spät entdecke ich den Besen, der flapsig an der Ecke angelehnt ist, und stolpere unsanft dagegen. Bevor ich agieren kann, fliegt der Besen, als wolle er sich über mich lustig machen, wie in Zeitlupe krachend zu Boden. Noch nie zuvor ist mir so ein gravierender Fehler unterlaufen. Wie konnte das passieren? Das darf doch nicht wahr sein!

Ich bin starr vor Schreck. Obwohl ich rennen müsste, bleibe ich fassungslos stehen und schaue mit verschleierten Augen auf den Feger, auch als ich im hintersten Zimmer jemand aufspringen höre. Erst als der hintere Vorhang schwungvoll auf die Seite gerissen wird und ein Paar nackte Füße mir entgegen hetzt, bin ich wieder Herr meiner Sinne. Sofort setze ich einen Sprung zurück, fahre meine Krallen aus und fauche ihn bedrohlich an. Ich weiß, dass das nicht viel bringen wird, aber sollte er mich angreifen, würde er es nicht ohne tiefe Kratzer überstehen. Ich werde hier heil rauskommen – koste es, was es wolle.

Bei meinem Gegenüber handelt es sich um einen jungen, nicht unbedingt unattraktiven Mann von circa 20 Jahren, dessen zuerst erschrockenes Gesicht nun pure Überraschung und Erleichterung widerspiegelt. So stehen wir uns eine gefühlte Ewigkeit gegenüber, jeder die Reaktion des anderen abwartend. Schließlich löst er sich zuerst aus seiner Starre. Verwundert streicht er sich durch seine leicht strubbligen, hellbraunen Haare und geht dann langsam in die Knie.

„Hey, wie kommst du denn hier rein?“

Freundlich blicken mir seine hellgrünen Augen entgegen und zögernd streckt er mir die Hand entgegen. Misstrauisch beäuge ich ihn. Zugegeben, ich habe mit einer anderen, der üblicheren Reaktion gerechnet. Oder ist seine Freundlichkeit nur gespielt und dient der Täuschung, um mich einzufangen und mir den Garaus zu machen? Unschlüssig verharre ich in meiner Position und warte auf seinen nächsten Zug. Ich fühle mich deutlich unwohl. Was für eine beschissene Nacht. Dabei hatte sie so vielversprechend begonnen.

„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich tu dir nichts“, redet er mir geduldig mit sanfter Stimme zu. Mir fällt auf, dass seine Stimme einen ziemlich angenehmen Klang hat, doch das hat nichts zu heißen. Diese wandelnden Sterblichen sind alle gleich und gehören ausnahmslos von der Erde vertilgt. Ich fauche ihn warnend an, doch dies scheint ihm nicht im Geringsten zu beeindrucken.

„Du bist bestimmt hungrig … etwas Milch habe ich bestimmt noch übrig.“

Mit diesen Worten richtet er sich vorsichtig auf, als könne er mich durch eine ruckartige Bewegung erschrecken. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, als er sich mir mit gemächlichen Schritten nähert und kurz vor mir in den Raum zu meiner rechten einbiegt, welcher sich als kleine Küche entpuppt. Argwöhnisch setze ich mich zwischen Tür und Angel und sehe ihm zu, wie er ein kleines Schälchen aus dem klobigen, schwarz-weißen Hängeschrank nimmt, vor dem Kühlschrank in die Hocke geht und ein angebrochenes Päckchen Milch entnimmt. Ich gebe es nur ungern zu, doch bei dem Anblick, wie die weiße Flüssigkeit in das Gefäß läuft, wird mir wieder bewusst, wie trocken meine Kehle ist und wie gut es tun würde, jetzt etwas zu trinken. Für dieses Zugeständnis würde ich mir am liebsten selbst wohin beißen, doch es hilft alles nichts, ich kann meinen Blick einfach nicht von der gefüllten Schale lösen und als er es dann endlich vor mir auf den Boden stellt, gebe ich meinem quälenden Drang nach und stürze mich förmlich auf die Milch. Erfrischend kühl rinnt die weiße Substanz meine Kehle hinunter und ich kann einfach nicht aufhören, bis ich alles ausgetrunken habe. Lächelnd sieht er mir dabei zu und wartet geduldig, bis ich fertig bin. Vorsichtig nimmt er das leere Geschirr weg und legt es in die Spüle.

Was nun? In so einer Situation war ich noch nie und irgendwie ist es mir verdammt peinlich. Ich mag dieses Gefühl nicht. Machtlos. Untergeordnet. Ausgeliefert.

Er schaut mich nachdenklich an, allerdings liegt nichts Bedrohliches in seinen Augen. Im Gegenteil: Sie strahlen eine solche Ehrlichkeit und Sanftheit aus, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Dann dreht er sich um, holt sich eine Flasche Wasser aus dem Schrank und schlendert ins Wohnzimmer, wo er sich auf der Couch niederlässt. Ohne nachzudenken, setzen sich meine Pfoten wie von allein in Bewegung und folgen dem seltsamen jungen Mann mit den faszinierenden Augen bis vor die braune Polstergarnitur. Ein Ausdruck der Freude passiert seine weichen Gesichtszüge, als er bemerkt, dass ich ihm blindlings hinterhergelaufen bin und auffordernd klopft er leicht neben sich auf die flauschige Couch. Sehe ich denn aus wie ein Schoßhündchen?! Dieser Lackaffe! Doch noch während ich ihn gedanklich verfluche, springe ich auf den mir zugewiesenen Platz und setze mich artig nieder wie ein kleines gehorsames Kind. Ich weiß nicht, warum mein Körper so widersprüchlich handelt, doch gebe ich nun völlig auf und wehre mich nicht, als er anfängt, mich zaghaft zu streicheln. Sachte gleitet seine warme Hand über mein schwarzes Fell und ich lasse es müde über mich ergehen, wobei eine Hälfte in mir seine Zuwendung sehr genießt, auch wenn ich mir schwertue, das einzugestehen. Diese Nacht ist irgendwie verflucht.

„Du hast ein schönes Fell, so glänzend und seidig. Was du wohl alles erlebt haben musst … du hast es da draußen bestimmt nicht leicht. Armes Ding …“

Wenn der wüsste, wer ich bin und vor allen Dingen, weshalb ich hier bin! Na ja, nicht mein Problem. Dennoch muss ich zugeben, dass mein Körper, obgleich der Streicheleinheiten oder dem Klang seiner beruhigenden Stimme, mich urplötzlich entspannen lässt. Meine Aufmerksamkeit schwindet dahin wie ein versiegender Fluss. Jedoch kämpfe ich nur kurz dagegen an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Gefahr besteht. Schläfrig rolle ich mich neben ihm auf der Polstergarnitur ein und schließe meine brennenden Augen, während er mich weiterhin schmust und mit mir spricht. Ich bekomme nicht mehr viel mit, nur dass er Mick heißt und 19 Jahre alt ist, dann schlafe ich ein.

***

Träge öffne ich meine Augen und sehe mich um. Es dauert einen Moment bis ich mich entsinne, wo ich bin und was vorgefallen ist. Ein verächtlicher Ausdruck über mein erbärmliches Verhalten huscht über meine Miene. Wie konnte ich mich nur so gehen und als Schmusetier herabstufen lassen? Am liebsten würde ich mich selbst verprügeln. So leichtsinnig war ich noch nie gewesen … was geht nur in mir vor? Unverzeihlich.

Langsam rapple ich mich auf. Mein Zeitgefühl sagt mir, dass es Zeit für den Aufbruch ist, bevor die Sonne aufgeht und den schützenden Mantel der Nacht brutal verdrängt. Jetzt erst fällt mir auf, dass er sich noch neben mir befindet. Halb sitzend, halb liegend schläft er friedlich auf der Couch. Vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken, schleiche ich mich zu seinem Gesicht vor, welches seicht vom silbernen Licht des Mondes beschienen wird. Das ist meine Chance, die Tat, für die ich seine Wohnung betrat, zu beenden. Drei Leben mit starker Aura in einer Nacht – sehr verlockend. Behutsam trete ich näher auf ihn zu, sodass ich ganz dicht vor ihm stehe. Nochmals betrachte ich ihn, wie er so nichtsahnend seinen Träumen nachgeht. Unwissend, wie nah er dem Tode in diesem Augenblick ist. Armer, dummer Mensch – selbst schuld. Wenn er sein Fenster so einladend offenstehen lässt, fordert er den Tod heraus und hier bin ich. Jedoch … wieso zögere ich dann? Liegt es daran, dass ich eigentlich meine Chance vertan habe, indem ich tollpatschig den Besen umgeschmissen habe und er mich nicht davongejagt hat? Im Gegenteil, er war ungewöhnlich freundlich für einen Menschen und hat mir etwas zu Trinken gegeben. Allerdings hat er mich unwissend erniedrigt. Ach verdammt! Meine Augen blitzen wütend auf, als ich erkenne, dass ich dies hätte verhindern können und müssen. Ihn trifft somit keine Schuld. Ich beiße mir verbittert auf die Unterlippe, dann wende ich mich von ihm ab und verschwinde auf dem gleichen Weg wie ich gekommen bin. Wir sind quitt, Menschlein. Du hast mir geholfen und ich habe dein Leben verschont. Eilig renne ich über die holprigen Wege, um eine Schnittstelle zu meiner Dämonenwelt aufzusuchen. Wieder endet eine lausige Nacht meines Lebens.

Im Licht des Mondes

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