Читать книгу Serienkiller und Mord-Schakale: 10 Krimis - A. F. Morland - Страница 6
Wernheims Festung
ОглавлениеKurzkrimi von John F. Beck und Ines Schweighöfer
Die beiden Doggen hinter dem hohen schmiedeeisernen Tor knurrten. Unwillkürlich trat Leininger einen Schritt zurück. Kurz darauf knackte es in der Sprechanlage. „Ja, bitte?“
Leininger trat vorsichtig einen Schritt nach vorn, immer die beiden Tiere im Auge behaltend:
„Entschuldigen Sie, Herr Dr. Wernheim, wenn ich Sie so spät noch störe …“
„Sind Sie’s, Leininger?“ Die Stimme des Fabrikanten klang verwundert.
„Ja, ich …“
„Warten Sie einen Moment, ich komme nach vorn.“
Die imposante Bachstein-Villa stand in einem riesigen sehr gepflegten, parkähnlichen Garten mit altem Baumbewuchs, riesigen Rhododendrenbüschen, die im Frühjahr mit einer wahre Blütenpracht aufwarteten und einen berauschenden Duft verbreiteten, sowie gekiesten Wegen, die sich durch die Anlage schlängelten und zum Teil von Rosenbeeten flankiert wurden. In der hinteren Ecke konnte man sogar einen kleinen Teich erahnen. Das Anwesen war mit einem etwas zwei Meter hohen Zaun umgeben, der sehr stabil aussah. All das konnte nur die Arbeit eines fleißigen Gärtnertrupps sein, doch dafür hatte Philipp Leiniger im Moment kein Auge.
„Wernheims Festung“ hieß sie bei den Leuten in der Stadt. Man sprach davon, dass kein Einbrecher auch nur die Spur einer Chance gegen Wernheims Hunde besessen hätte, Überwachungskameras waren nirgends zu entdecken.
Leininger zwang sich zur Ruhe, als sein Chef in Begleitung einer dritten Dogge zum Tor kam. Dr. Wernheim, der seit dem tragischen Unfalltod seiner Frau allein lebte, musterte ihn misstrauisch. „Es ist wirklich schon spät. Was wollen Sie? Hat das nicht Zeit bis morgen früh in der Firma?“
„Ich …“ Leininger gab sich einen Ruck. „Ich bin hier, um ein Geständnis abzulegen, Dr. Wernheim.“
Dessen Blick war durchdringend. „Na dann kommen Sie mal rein“, entschied er. Mit einem knappen, kaum wahrnehmbaren Befehl scheuchte er die Tiere in den Zwinger. Anschließend drückte er auf einen Knopf neben dem Tor, und zwanzig Meter entfernt schloss sich geräuschlos die Gitterklappe hinter ihnen.
Ein weiterer Knopfdruck gewährte Leininger Einlass. Es dämmerte bereits, daher drang aus einigen Räumen des Hauses Lichtschein bis nach draußen und warf hinter die riesigen Büsche erste gespenstisch Schatten. Anton Wernheim führte Philipp Leininger, der in seiner Firma, einem Zulieferer für Baumaschinen, verantwortlicher Leiter der Buchhaltung war, direkt ins Wohnzimmer, das sehr geschmackvoll eingerichtet war, doch auch dafür hatte Leininger keinen Blick übrig. Die Fenster standen offen und ließen an diesem Spätsommerabend ein angenehmes Lüftchen, das die leichten Vorhänge in Bewegung brachte. Der Fabrikbesitzer bot Leininger keinen Platz an, ließ sich aber selbst in einem stattlichen Ledersessel nieder.
„Es fehlen genau sechzigtausend Euro auf den Firmenkonten. Ich nehme an, Sie haben das Geld über einen längeren Zeitraum auf Ihr eigenes Konto abgezweigt“, begann Anton Wernheim ohne Umschweife das Gespräch.
„Sie wissen davon?“, keuchte Leininger erstaunt. Das hatte er nicht erwartet.
„Ja, seit drei Tagen. Ich habe selbst alles nachgeprüft, nachdem ein Geschäftsfreund von mir Sie mehrmals in der Spielbank gesehen hat. Morgen hätte ich die Polizei verständigt.
„Es tut mir schrecklich leid“, begann Leininger und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich hatte Schulden und wusste nicht …“
„Spielschulden!“, fuhr Wernheim aufgebracht dazwischen. „Was erwarten Sie eigentlich von mir? Dass ich die Sechzigtausend einfach so abschreibe und damit für Ihre Spielschulden aufkomme?“
Leininger zog mit zittrigen Händen einen Umschlag aus der Jacke und reichte ihn an Wernheim weiter. „Ich werde alles zurückzahlen, mit Zinsen, natürlich. Hier sind schon mal Zwanzigtausend. Den Rest …“
„Woher haben Sie das Geld?“, wollte der Alte wissen und griff gleichzeitig nach dem Umschlag.
„Gewonnen. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich die Spielbank nie wieder betrete, wenn Sie mir eine Chance geben.“
Dr. Wernheim öffnete das Kuvert, zählte das Geld nach und fragte dann: „Welche Chance? Sind Sie allen Ernstes der Meinung, diese verdient zu haben?“
„Ich könnte den Rest in monatlichen Raten begleichen. Allerdings nur, wenn ich meinen Arbeitsplatz behalte.“
„Verlangen Sie damit nicht ein bisschen zu viel?“ Der Fabrikbesitzer winkte entschieden ab, als Leininger antworten wollte. „Setzen Sie sich. Ich verwahre erst einmal Ihre, hm, Anzahlung, ehe wir die Sache bereden, um eine Lösung Ihres Problems zu finden.“ Damit erhob er sich aus seinem Sessel.
„Ich danke Ihnen.“ Leiningers Blick verriet neue Hoffnung. Doch kaum hatte Dr. Wemheim den Raum verlassen, da veränderte sich seine Miene. Der erste Teil seines Plans war glattgegangen, viel besser und vor allem leichter als gedacht. Mit den zusätzlichen zwanzig Mille von einem anderen Firmenkonto hatte er „Wernheims Festung“ mühelos geknackt.
Ha, uneinnehmbar, dass ich nicht lache. Mit diesen Gedanken eilte er hinter seinem Arbeitgeber die Treppe hinauf.
Der obere Flur wie auch die Treppe war mit einem weichen Teppich ausgelegt, der jedes Geräusch schluckte, und an den Wänden hingen Gemälde bekannter alter Meister. Er glaubte ein Motiv von Claude Monet zu erkennen. Ob das Originale sind?, ging es ihm durch den Kopf. Obwohl seine Schritte keine Geräusche verursachten, schlich er den Gang bis zu einer Tür entlang, die nur angelehnt war. Ein flüchtiger Blick durch den sehr schmalen Spalt zeigte ihm, dass es sich hierbei um das Arbeitszimmer des Hausherrn handeln musste. Ganz vorsichtig schob er die Tür weiter auf und warf einen erneuten Blick in den nun besser einsehbaren Raum.
Er erspähte einen in die Wand eingelassenen Safe, der eben noch von einem Bild, einem weiteren Monet, wie Leininger vernutete, verdeckt war. Er wusste, was sich hinter der Safetür befand. Zu oft hatte er den Alten von seiner Münzsammlung erzählen hören, die er an einem sicheren Ort verwahrte, da sie einfach zu kostbar war, wie er meinte. Diese Sammlung war sein eigentliches Ziel, denn sie würde all seine finanziellen Probleme auf einen Schlag lösen.
Leininger hörte den Fabrikanten am Schreibtisch hantieren, konnte aber nicht sehen, was er machte. Gleich darauf tauchte Dr. Wernheim in seinem Blickfeld auf, in einer Hand den Geldumschlag, in der anderen den Safeschlüssel. Aus irgendeinem Grund zögerte er jedoch. Hatte er ein Geräusch vernommen, das nicht in diese Umgebung passte?
Diesen Augenblick des Zögerns nutzte Leininger und trat blitzschnell ins Zimmer. Er packte den nächsten schweren Gegenstand, eine Kristallvase, und schlug sie dem alten Mann, der augenblicklich zusammenbrach, krachend auf den Kopf. Der Teppich unter seinem Kopf färbte sich im Nu dunkel und der Fleck wurde schnell größer.
Leininger, der keinen weiteren Gedanken an Wernheim verschwendete, ihn nicht mal eines Blickes würdigte, bückte sich nach dem Umschlag und dem kleinen silbernen Schlüssel, beides war dem alten Mann bei seinem Sturz aus den Händen geglitten, trat auf den Safe zu und schloss ihn auf. Ein rotes Lämpchen begann zu blinken, und Leininger, der Dr. Wernheims Vorliebe für elektronische Anlagen kannte, war auf das Schrillen einer Alarmglocke gefasst. Aber nichts geschah. Sein Herz pochte heftig, während er Schmuck sowie die Gold- und Silbermünzen längst vergangener Zeit in einen Beutel stopfte, den er zuvor aus seiner Jackentasche gezogen hatte.
Bereits in wenigen Stunden würde er mit seiner Beute jenseits der Grenze sein. Die Verbindung zu einem gut zahlenden Abnehmer war bereits geknüpft, in den Handel mit ihm waren auch ein gefälschter Pass und ein Flugticket eingeschlossen.
Dr. Wernheim war ein kinderloser Witwer und lebte allein, wie allgemein bekannt war, nur einmal pro Woche kam eine Frau zum Putzen. Es kam des Öfteren vor, dass er sich zwei, drei Tage nicht in der Firma blicken ließ und auch so nicht meldete. Bis man den Toten entdeckte, würde Leininger längst über alle Berge in Sicherheit sein.
Er presste den Beutel mit seiner Beute liebevoll an sich, verließ das Arbeitszimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen und hastete triumphierend die Treppe hinab. Seine Hand lag bereits auf der Klinke der Haustür, als er plötzlich innehielt. Einer Eingebung folgend, warf er einen Blick durch die schmale Verglasung in der Mitte der Tür: Kein Zweifel! Es war eine von Dr. Wernheims Doggen, die im Spurt auf das Haus zulief. Die offenen Fenster und die von ihm offengelassene Wohnzimmertür fielen Leininger in diesem Augenblick siedend-heiß ein.
Zurück ins Obergeschoss!, fuhr es ihm durch den Kopf.
Tatsächlich war ein Hund bereits im Haus. Leininger hörte ihn hinter sich auf der Treppe. Er stürzte in Dr. Wernheims Arbeitszimmer, schlug die Tür zu und stemmte sich dagegen.
Ein wuchtiger Anprall, der die Tür beben ließ, folgte nur einen Lidschlag später.
„Hau ab!“, schrie Leininger. Die Dogge bellte und kratzte wütend am Holz. Leiningers Beute lag verstreut auf dem Boden. Er hatte keinen Blick mehr dafür. Auch nicht für die leblose Gestalt beim Safe. Mit einem Fuß angelte er sich einen Stuhl, dessen Lehne er unter die Klinke schob, sodass die Tür sich nicht mehr aufdrücken ließ.
Er lief rasch zum Fenster, riss es auf und schaute hinunter. Hechelnd und knurrend blickte eine Dogge zu ihm herauf. Auch von vorne, wo der Kiesweg zum Tor führte, kam ein Knurren. Im Lichtschein aus dem Erdgeschoss sah Leininger die offene Zwingerklappe.
Darum nur das Blinksignal und keine Sirene! Safe und Zwinger waren elektronisch gekoppelt. Was für ein Idiot war ich doch zu glauben, dass es so einfach sei, den Alten zu überrumpeln.
„Wernheims Festung“ war nach wie vor intakt – uneinnehmbar!
Leininger sah sich fiebrig nach einem Telefon um. Er lief darauf zu, nahm den Hörer ab und hob seinen Blick. An der Wand vor ihm hing eine Liste mit Nummern. Eine davon war fett gedruckt, die Notrufnummer der Polizei und daneben stand: ZU VIEL GIER SCHADET DIR!
ENDE