Читать книгу Killer im August: 11 Thriller - A. F. Morland - Страница 49
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Оглавление„Ein piekfeiner Stall“, sagte Sergeant Retcliff zu seinem Vorgesetzten, Lieutenant Rollins.
„Jeder Raum ist anders eingerichtet. ’ne richtige Wucht, Chef.“ Retcliff war fünfundfünfzig Jahre alt, ein vierschrötiger Kerl, unbedingt zuverlässig und gutmütig, solange es niemanden gab, der ihn reizte. Er stand mit dem Lieutenant im Sonnenkönig-Zimmer. Die Männer der Spurensicherung waren bei der Arbeit. Sie schnüffelten mit einem kleinen Staubsauger in jeden Winkel. Sie besprühten Türgriffe und Möbel mit einem feinen weißen Pulver, um Fingerabdrücke sichtbar zu machen. Der Polizeifotograf fotografierte das Zimmer und alle Nebenräume. Er bannte den Toten von allen Seiten auf Platte. Er machte Aufnahmen von der spanischen Wand. Irgendjemand hatte ihm gesagt, dass der Killer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den tödlichen Schuss von da abgegeben hatte.
Doc Hunter, sechzig Jahre, klein, mit Kneifer und Spitzbauch, ein Ass auf dem Gebiete der forensischen Medizin, untersuchte den Toten.
„Wie lange ist er schon tot?“, fragte Rollins den Arzt.
Hunter war an diesem Morgen mal wieder mit dem linken Bein aufgestanden. Er war schon an anderen Tagen kaum zu genießen. Aber diesmal hätte er einiges darum gegeben, wenn er sich selbst hätte in den Hintern beißen können.
Er blickte Harry Rollins wie einen persönlichen Feind an und knurrte: „Kann ich nicht so genau sagen, Lieutenant.“
„Das weiß ich“, sagte Rollins.
Er behandelte den Polizeiarzt an Tagen wie diesem wie einen gefährlichen Idioten. Kein hartes Wort. Ganz weiche Welle. Doc Hunter war trotz allem ein unentbehrlicher Mann. Wäre er das nicht gewesen, hätte Rollins bestimmt schon alles unternommen, um Hunter mit großem Geschick ein Bein zu stellen. „Ich will es ja nicht auf die Minute genau wissen, Doc“, schmunzelte Harry. Er war fünfunddreißig.
Die Tatsache, dass er heute schon Leiter der Chicagoer Mordkommission war, bewies, dass er auf dem Gebiete der Kriminalistik einiges auf dem Kasten hatte. Dass er gute Beziehungen nach oben hatte, war ihm bei seiner beispiellosen Karriere natürlich sehr zustatten gekommen. Harry Rollins war ein hochgewachsener Mann, schlank, blond und blauäugig.
Hunter kratzte sich am Hinterkopf, als hätte er dicke Läuse im grauen Pelz. Er verzog das Gesicht, glotzte durch den Kneifer den Toten an und meinte schließlich: „Zehn, zwölf Stunden ist der tot. Genau kann ich es Ihnen erst sagen, wenn ich ihn auseinandergenommen habe, Lieutenant.“
„Ich kriege Ihren Bericht noch heute?“, fragte Harry sanft.
Beinahe ein Satz zu viel. Doc Hunters Kopf ruckte herum. Jetzt glotzte er den Lieutenant an. „Sie kriegen meinen Bericht, sobald ich fertig bin!“, sagte er schnippisch.
Harry nickte mit einem entwaffnenden Lächeln. „Ich bin sicher, dass das heute sein wird.“
Hunter machte: „Ach!“, drehte sich um und stelzte davon.
Retcliff wiegte den Kopf. „Teufel, bei dem muss man jedes Wort auf die Waage legen. Meinen Sie nicht, Lieutenant, es wäre gut, mal mit McConnors über Hunter zu plaudern?“
Rollins hob erstaunt den Blick. „Sind wir denn in der Schule, Cliff? Bei uns wird niemand verpetzt. Solche Sachen machen wir untereinander aus. Dazu brauchen wir doch keinen Polizeichef.“
„Ich dachte ja nur ... Ich meine, es würde Doc Hunter gewiss nicht schaden, wenn man seine wilden Triebe ein bisschen zurückstutzen würde.“ Rollins winkte mit zusammengezogenen Brauen ab. „Blödsinn, Cliff. So schlimm ist der alte Hunter doch gar nicht.“
Der Sergeant drehte die Augen zur Decke, seufzte und meinte: „Mir reicht’s, Chef.“ Retcliff leckte sich über die Lippen. „Äh ... Eigentlich wollte ich Ihnen was zeigen, Lieutenant.“
Rollins grinste. „Keinen Einwand.“
Sie begaben sich in einen kleinen Raum, der keine rechte Funktion zu haben schien. Ein Stuhl ein Tisch standen hier drinnen. Sonst nichts. Ein glatter Stilbruch zu den übrigen Räumen des Apartments. Retcliff gab Zeichen mit seinem dicken Daumen. Er wies auf eine Glaswand. „Einwegspiegel!“, sagte er.
Rollins trat vor die Wand. Er blickte in ein Schlafzimmer, das erst im Jahr 2000 im Warenhauskatalog angeboten werden würde. Eine Wasserliege, schilfgrün, die einen sanft in den Schlaf schaukelte, vorausgesetzt, man wurde vorher nicht seekrank. Ausmaße: drei mal drei Meter. Ein Plätzchen, auf dem man sich allein verloren vorkam. Sämtliche Möbel hatten futuristischen Charakter, und trotzdem auch Niveau.
„Eines muss man dem Mann lassen: Er hatte Geschmack“, sagte Rollins.
„Wie man sieht, kann man von Geschmack allein nicht leben“, sagte Retcliff.
„Lass den Sarkasmus, Cliff“, brummte der Lieutenant.
„Wissen Sie, woran ich immer zuerst denke, wenn ich einen Einwegspiegel sehe, durch den man in ein Schlafzimmer oder Bad gucken kann, Chef?“
„Hm?“
„An einen Voyeur.“ Retcliff bestätigte seine Worte mit einem festen Kopfnicken.
„Du meinst, er hat bei ganz bestimmten Spielchen von hier aus zugesehen?“, sagte Rollins erstaunt.
„Entweder er hat zugesehen, oder er hat zusehen lassen“, war Retcliffs Meinung. „Ich denke, das sollten wir für die nächste Zeit im Auge behalten. Der Tote war ein attraktiver Mann in den aktivsten Jahren. Dem gaben bestimmt eine Menge Mädchen ohne Zögern die erwünschte Landeerlaubnis. Ich könnte mir vorstellen, dass unser toter Freund daraus ein lukratives Geschäft machte. Es gibt genug Männer, denen es genügt, bloß mal ein bisschen zuzusehen. Wenn es nicht so wäre, würde es nicht so viele Sexfilme geben. Durch diesen Einwegspiegel war nun die einmalige Gelegenheit geboten, so etwas nicht gespielt, sondern live geboten zu kriegen. Das ist gewissen Gentlemen bestimmt ein paar nette Bucks wert.“
Rollins nickte. „Tatsächlich eine Theorie, die man nicht so ohne Weiteres unter den Teppich kehren sollte, Cliff.“
Der Sergeant grinste. „Wie Sie sehen, hat auch ein Sergeant ab und zu mal recht helle Momente.“
Sie kehrten in den Livingroom zurück.
Die Raumkosmetikerin - in manchen Kreisen auch Putzfrau genannt - hatte den Toten entdeckt. Leichen sind nicht jedermanns Sache. Und schon gar nicht so knapp nach dem Frühstück. Die Frau hatte einen kapitalen Nervenzusammenbruch erlitten. Mit allem, was dazugehört. Zuerst hatte sie wie am Spieß geschrien. Dann war sie in Ohnmacht gefallen. Jetzt befand sie sich im Hospital. Und keiner durfte zu ihr. Jede weitere Aufregung hätte ihr entweder den Verstand vollends geraubt - oder ihr Herz zum Stillstand gebracht. Da Rollins die Dame nicht umbringen wollte, hatte er freiwillig darauf verzichtet, sie einzuvernehmen.
Rollins betrachtete den blassen Toten.
„Andrew Smith“, sagte Retcliff neben ihm.
Der Lieutenant brannte sich eine Zigarette an. Er wusste nicht, wohin mit dem Streichholz. Retcliff nahm es ihm fürsorglich aus der Hand und warf es zum Fenster hinaus.
Smith hatte ein Loch genau in der Mitte der Stirn.
„Ein Präzisionsschuss“, sagte Retcliff, als er vom Fenster zurückkehrte. „Das muss einer getan haben, der mit ’ner Kanone umgehen kann wie der Zauberer mit dem Zylinder.“
Ein Schuss auf eine Entfernung von fünf Metern, schätzte Rollins. Und er sagte zu Retcliff: „Ich habe nicht behauptet, dass das die Arbeit eines Anfängers ist ... Was ist mit dem Nachtportier?“
„Der Mann hält sich nach wie vor zu unserer Verfügung“, sagte der Sergeant.
„Ich möchte mit ihm reden“, meinte Rollins.
„Soll ich ihn holen, Chef?“
„Ich kann ja versuchen, ihn per Telepathie heraufzuholen“, knurrte der Lieutenant,
Retcliff zuckte die knöchernen Achseln. „War ja nur ’ne Frage!“, brummte er in seinen imaginären Bart und stampfte aus dem Apartment.
Ein schmaler Assistent mit dicken Gläsern vor den wasserhellen Augen baute sich vor Rollins auf. „Sir ... Chef ... Lieutenant!“
„Was gibt’s. Mortimer?“
„Hm ... Wie soll ich’s sagen?“
„Immer frei von der Leber weg“, sagte Rollins.
„Hm ... Smith ist uns im Weg, Chef.“
Rollins erwiderte mit schmalen Augen. „Möchten Sie, dass ich ihn mir auf den Rücken binde?“
„Oh nein, Sir. Nein. Ich wollte nur den Vorschlag machen ... Ich meine, wenn Sie nichts dagegen haben ... Also wenn Sie die Leiche nicht mehr brauchen, könnten wir sie doch eigentlich aus dem Apartment schaffen.“
„Wohin wollen Sie denn mit ihr?“, fragte Rollins lauernd.
„Wir könnten den Toten auf den Korridor legen ...“
„Damit sich die anderen Hausbewohner vor ihm gruseln?“
„Aber nein, Sir ...“ Der Assistent hob unbeholfen die Schultern.
Rollins sagte: „Der Wagen vom Leichenschauhaus trifft in spätestens zehn Minuten hier ein, Mortimer. Können Sie so lange noch warten?“
„Klar, Lieutenant.“
„Fein, Mortimer.“
Der Assistent machte zackig auf den Hacken kehrt, wie er es auf der Polizeischule gelernt hatte, und begab sich wieder an die Arbeit. Rollins wusste, warum der Mann ihm diesen Vorschlag gemacht hatte. Tote Leute schlugen sich auf Mortimers Magen. Dabei hatte sich Mortimer freiwillig zur Mordkommission gemeldet. Was hatte er hier erwartet? Filmleichen? Ketchup statt Blut? Tote, die wieder quicklebendig wurden, wenn der Take „im Kasten“ war?
Schön wär’s, dachte Rollins seufzend. Er machte den letzten Zug von seiner Zigarette. Die Kippe warf er - wie Retcliff zuvor das Streichholz - zum Fenster hinaus. Aber er passte auf, dass sie keiner Passantin ins Dekolleté fiel.
Retcliff brachte den Nachtportier.
Der Mann sah aus wie die sieben mageren Jahre. Sein Gesicht stammte aus der Plisseeanstalt - lauter Falten. Er litt an chronischem Asthma und pfiff mit der Luftröhre schrille Lieder. Oder waren es die Bronchien? Der Mann hieß Hank Marple. Und damit man ihm auf Anhieb ansah, dass er ein Portier war, trug er die Uniform eines solchen. Sein Blick drückte Besorgnis aus. Möglicherweise hatte er einen Tipp bekommen, dass die Welt nicht mehr lange existieren würde. Klar, dass ein solches Wissen belastet.
Scheu schaute er nach dem Toten.
„Stört er Sie?“, fragte Rollins. Marple musste zuerst mal schlucken, um eine klare Antwort geben zu können. „Ein bisschen“, sagte er dann.
„Möchten Sie nach nebenan gehen?“, erkundigte sich Lieutenant Rollins.
„Nach nebenan?“
„Ins Schlafzimmer“, sagte Harry.
„Wenn Sie meinen ...“
„Es liegt bei Ihnen.“
„Gut. Schlafzimmer“, nickte der magere Nachtportier.
Retcliff kam mit.
Marple nahm auf dem Wasserbett Platz. Scheu wie ein Reh. Und als das Ding zu schaukeln anfing, wollte der Mann erschrocken aufspringen. Rollins legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Kein Grund, sich aufzuregen, Mr. Marple. Versuchen Sie sich zu beruhigen.“
Der Nachtportier starrte auf die geschlossene Schlafzimmertür. „Das ist leichter gesagt als getan, Lieutenant. Möchten Sie hören, was in mir vorgeht?“
Rollins hob die Schultern. „Wenn Sie’s gern loswerden möchten.“
„Ich muss immerzu daran denken, dass der Mord passiert ist, während ich Dienst hatte. Theoretisch müsste der Killer an mir vorbeigekommen sein.“
„Theoretisch ja“, sagte Rollins. „Deshalb habe ich gebeten, dass Sie sich zu unserer Verfügung halten.“
„Es kam aber kein Fremder an mir vorüber!“, sagte Hank Marple aufgeregt. Seine nervösen Finger verhedderten sich ineinander. Retcliff lehnte sich an die Schlafzimmertür. Im Vertrauen, niemand würde sie in den nächsten fünfzehn Minuten aufmachen, sonst machte er eine saubere Rolle rückwärts. Rollins angelte sich mit dem rechten Bein einen Nylonflauschhocker herbei und setzte sich darauf.
„Es muss nicht unbedingt ein Fremder den Mord begangen haben“, sagte der Lieutenant.
Marple riss erschrocken die Augen auf. „Sir ...“
Harry Rollins winkte ab. „Wenn wir schon bei der Theorie bleiben wollen: Theoretisch könnte es auch einer der Hausbewohner gewesen sein.“
Marples Asthma wurde sofort schlimmer. „Lieutenant, das ist doch nicht Ihr Ernst, was Sie da sagen.“ Er pfiff jetzt ganz laut.
„Sie halten das für ausgeschlossen?“, fragte Rollins.
„Für ganz und gar ausgeschlossen!“, rief Hank Marple heiser.
„Ihrer Meinung nach wohnen in diesem Apartment ausschließlich saubere Leute.“
„Das will ich meinen.“
„Was halten Sie von Andrew Smith?“
„Auch ein Ehrenmann, denke ich.“
„Haben Sie eine Ahnung, warum man ihn umgebracht hat?“
„Nein, Lieutenant. Mr. Smith war ein netter, freundlicher Mensch.“
„Waren Sie schon mal in diesem Apartment?“, fragte Rollins weiter.
„Nein, Sir.“
„Haben Sie sich oft mit Mr. Smith unterhalten?“, wollte Harry wissen.
„Nein, Sir.“
„Aber Sie behaupten, Mr. Smith wäre ein netter, freundlicher Mensch gewesen.“
„So etwas sieht man einem doch an, Lieutenant.“
„Ihrer Meinung nach lag also kein Grund vor, Smith zu ermorden.“
„Absolut kein Grund, Lieutenant.“
„Und doch ist er tot.“
„Ich stehe vor einem Rätsel.“
Rollins presste die Kiefer zusammen. Er knurrte: „Sie stehen da nicht allein, Mr. Marple. Der Sergeant und ich leisten Ihnen dabei Gesellschaft. Angenommen, der Mörder ist keiner der Hausbewohner. Wir werden das natürlich noch überprüfen. Angenommen, der Killer kam auch nicht an Ihnen vorbei. Ich baue doch darauf, dass Sie in der vergangenen Nacht auf Ihrem Posten waren, Mr. Marple!“
Der Nachtportier wurde um eine Nuance bleicher. „Lieutenant, was Sie mir da offenbar zu unterstellen versuchen ...“
Rollins winkte ab. „Geschenkt, Mr. Marple. Sie müssen mich verstehen. Ich kenne Sie nicht. Ich kenne Ihre Dienstauffassung nicht. Und ich muss mir eine Basis schaffen, von der aus ich operieren kann. Also Sie waren die ganze Nacht in Ihrer Portiersloge.“
„Ja.“ Das kam knapp, aber bestimmt. Marple legte größten Wert darauf, dass der Lieutenant ihm das glaubte.
„Gut“, sagte Harry. „Der Killer kam also nicht an Ihnen vorbei. Dass er aber im Haus war, können wir nicht wegleugnen. Also: Wie kam er hier rein, ohne von Ihnen gesehen zu werden?“
„Feuertreppe“, sagte Hank Marple sofort. „Er kann nur über die Feuertreppe gekommen sein.“
„Ist die frei zugänglich?“, erkundigte sich Rollins.
„Natürlich nicht. Sämtliche Türen sind abgeschlossen, Aber, im Vertrauen gesagt, die Schlösser bringt jeder Ganove im Handumdrehen auf.“
Rollins zog die Brauen zusammen. „Auf der einen Seite ein Portier, der darauf achtet, dass nur Leute in dieses Haus reinkommen, die hier drinnen was zu suchen haben. Auf der anderen Seite Schlösser, die aufspringen, wenn man kräftig hustet.“
„’ne sogenannte Achillesferse“, warf Sergeant Retcliff ein.
„War Mr. Smith oft zu Hause?“, wollte Harry Rollins wissen.
Der Nachtportier schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Also ich tippe darauf, dass Mr. Smith auch noch anderswo eine Wohnung oder ein Haus hatte. Manchmal war er eine ganze Woche lang nicht hier.“
„Was für einen Beruf hatte er?“, fragte Rollins.
„Keine Ahnung. Aber er war immer gut angezogen. Also muss er einen Job gehabt haben, der ihm was einbrachte.“
„Wenn er hier war, hatte er dann oft Besuch?“, erkundigte sich Rollins.
„Er brachte hin und wieder junge hübsche Mädchen mit“, erwiderte der Nachtportier. Er lächelte. „Mr. Smith hat die Girls immer vor mir versteckt.“
„Warum glauben Sie, hat er das getan?“, fragte Harry.
Marple zuckte die schmalen Achseln. „Vielleicht waren es verheiratete Frauen. Was weiß man.“ Marple legte beide Hände auf die Brust. „Ich wäre bestimmt der Letzte gewesen, der Mr. Smith deswegen Schwierigkeiten gemacht hätte.“
„Vielleicht hatte Smith kein Vertrauen zu Ihnen, weil er das nicht wusste“, meinte Rollins.
„Scheint so“, nickte Marple.
„Wenn er nun diese Mädchen hierher in seine Liebeslaube brachte“, setzte Rollins die instruktive Einvernahme fort, „kam dann auch hin und wieder mal ein Mann mit?“
Marple hob erstaunt den Kopf. „Noch ein Mann? Sir, Sie denken doch nicht etwa, dass die dann zu dritt ...“
Rollins wies auf den riesigen Spiegel. „Wie würden Sie zu diesem Ding sagen, Mr. Marple?“
Der Nachtportier blickte Harry an, als hätte dieser den Verstand verloren. „Das ist ein Spiegel, Sir.“
„Sehen Sie, und diese Antwort ist nur bedingt richtig, Mr. Marple.“
Der Nachtportier schaute Sergeant Retcliff an. „Ist es etwa kein Spiegel?“
„Doch“, sagte Retcliff. „Es ist einer. Aber nur von dieser Seite. Von der anderen Seite kann man durch ihn hindurchschauen. Einwegspiegel nennt man das. Wir nehmen an, dass sich Mr. Smith hier auf diesem Bett mit dem Mädchen vergnügte, während hinter diesem Spiegel jemand stand, der sich an diesem Spielchen delektierte.“
Marple schüttelte heftig den Kopf. „Also nein, meine Herren. Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“
„Eines hat sich bei unserem Gespräch aber doch herauskristallisiert: Dieses Apartment diente Smith als Liebesnest“, fasste Rollins zusammen. „Smith brachte junge, hübsche Mädchen hierher. Das waren doch Ihre Worte, Mr. Marple, oder?“
„Na ja ...“
Harry ließ keine Einwände zu. Er fiel dem Nachtportier ins Wort: „Wie ist’s mit gestern, Mr. Marple?“
„Mit gestern, Lieutenant?“
„Wen brachte Smith gestern mit?“, fragte Harry Rollins.
„Gestern? Niemanden. Gestern kam Mr. Smith allein hierher.“
„Kam das öfter mal vor?“
„Aber ja.“
Harry erhob sich. „Vielen Dank, Mr. Marple. Nennen Sie dem Sergeant noch Ihre Adresse. Dann können Sie gehen.“
Retcliff schrieb auf, was Marple ihm sagte. Der Nachtportier empfahl sich. Er lächelte unsicher. Rollins sah ihm an, dass er sich freute, die Einvernahme hinter sich zu haben.
Er verließ das Apartment fast fluchtartig. Und um den toten Mr. Smith machte er den größtmöglichen Bogen.
Rollins wies auf den Leichnam. „Was war er für ein Mensch, Cliff?“ Die Männer vom Leichenschauhaus kamen. Kräftige Kerle, denen der Anblick von Toten nichts ausmachte. Sie rochen nach Schnaps. Das Parfüm dieser Leute. Nicht immer sahen die Leichen, die sie abholten, so gut aus wie Andrew Smith. Manchmal kamen sie an einen Tatort, wo Dynamit oder ein paar Handgranaten ein makabres Puzzlespiel aus dem Opfer gemacht hatten. Wer dann keinen Schnaps braucht, der hat keine Seele in der Brust.
„Man soll über Tote nicht schlecht reden“, sagte Retcliff. „Aber Smith war ein Weiberheld, wie man so schön sagt, Chef.“
Rollins lächelte matt. „Ist das denn schlecht über ihn geredet? Vielleicht hätte er es als Kompliment aufgefasst. Weißt du, was mich an ihm stört, Cliff?“
„Das Loch in seiner Stirn.“
„Das auch“, sagte Rollins. „Und sein Name.“
„Das Chicagoer Telefonbuch ist seitenweise voll von Smiths, Lieutenant.“
„Eben. Und wie nennt sich jemand, der seinen wirklichen Namen nicht preisgeben will? Miller. Brown. Jones. Oder: Smith! Sieh zu, dass du seine Prints kriegst, bevor ihn die Leichenmänner fortschaffen. Kann sein, dass uns das eine kleine Überraschung bringt.“
Retcliff nickte und wollte starten. Rollins hielt ihn am Arm zurück. Der Sergeant schaute ihn fragend an. „Sag mal, hast du herausgekriegt, wem dieses Apartment gehört, Cliff?“
„Nicht nur dieses Apartment, das ganze Haus gehört einem einzigen Mann. Er nennt das Gebäude Bellevue-Apartments, weil man einen so herrlichen Blick auf den Michigansee hat.“
„Wie ist sein Name?“, wollte Rollins wissen.
„Quincy Danenberg“, antwortete Sergeant Retcliff. Dann ging er zu Smith, um sich dessen Prints zu holen.