Читать книгу Killer im August: 11 Thriller - A. F. Morland - Страница 59
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ОглавлениеWährend Tony Cantrell auf der einen Leitung ein längeres Telefonat mit einem Kollegen in der City führte - der Mann arbeitete an einem verzwickten Fall und holte den Rat des erfahrenen Rechtsanwalts in Western Springs ein -, rief Carol Cantrell im Auftrag ihres Mannes auf Leitung zwei Quincy Danenberg an. Sie kündigte ihm den Besuch ihres Mannes an. Der Ex-Boxer versprach, sich nicht aus dem Haus zu rühren. Ende des Telefonats auf Leitung eins. Gleichzeitig Ende auf Leitung zwei. Cantrell küsste seine Frau auf den Mund und sagte: „Danke, Darling.“
„Soll ich zu Danenberg mitkommen?“, fragte Carol. Sie wollte gern. Vom Stubenhocken hielt sie nicht allzu viel.
„Nicht nötig“, erwiderte Cantrell. „Entspannte dich ein bisschen. Mach dir ein paar schöne Stunden, solange wir aus dem Haus sind.“
„Was willst du bei Danenberg?“
„Er soll mir gestatten, Sossiers Apartment eingehend unter die Lupe zu nehmen.“
„Hätte es nicht genügt, seine Erlaubnis telefonisch einzuholen?“, fragte Carol.
Cantrell lächelte. Es gefiel ihm, dass Carol stets mitdachte. Er erklärte: „Ich brauche einen Schlüssel, um in das Apartment reinzukommen. Danenberg besitzt bestimmt einen Generalschlüssel für das ganze Haus. Er wird ihn mir leihen.“
Zehn Minuten später rollte der Chevrolet Chevelle Malibu Coupe aus der unterirdischen Garage des Cantrell'schen Bungalows. Als Cantrell sich das Schulterholster umgeschnallt hatte, hatte sich Besorgnis über Carols Gesicht gebreitet. Er wusste, dass sie nun wieder vor Sorge um ihn seelische Beklemmungen kriegen würde. Gott, wie lange kämpfte er nun schon erfolgreich gegen das Verbrechen in dieser Stadt. Und noch immer hatte sich Carol an den Stress nicht gewöhnt. Mehrmals hatte sie ihn schon gebeten, den Beruf des Privatdetektivs an den Nagel zu hängen. Genügte es nicht, dass er Anwalt war? Musste er nebenbei auch noch Jagd auf Verbrecher machen? Während Cantrell den Chevrolet vom Grundstück rollen ließ, nickte er gedankenverloren. Carol hatte nicht so unrecht. Sich in beiden Berufen voll einzusetzen, das kostete enorm viel Kraft. Irgendwann würde sich Tony Cantrell für einen von beiden entscheiden müssen. Er dachte an Butch und Silk. Wenn er sich für den Anwaltsjob entschied, würden die beiden allein weitermachen, das war sicher. Cantrell seufzte. Was sollte dieses Grübeln. Vor ihm lag der Fall Sossier. Und er musste ran an ihn, um ihn zu klären.
Quincy Danenberg sprang Schnur, als Tony Cantrell bei ihm aufkreuzte.
„Oh, hallo, Mr. Cantrell. Entschuldigen Sie. Bin gleich fertig.“ Er zählte weiter. Die Schnur kreiselte so schnell, dass ihr Cantrell mit den Augen nicht folgen konnte. Wenn sie die Natursteinfliesen der Terrasse berührte, gab das ein kurzes, klatschendes Geräusch. Bei fünfhundert machte Danenberg Schluss. Er keuchte. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Er rollte die Springschnur zusammen. Cantrell setzte sich. „Einen kleinen Augenblick noch, Mr. Cantrell“, sagte der Ex-Boxer. Dann verschwand er im Haus. Duschen und Umziehen dauerte fünf Minuten. Als Danenberg wiederkam, trug er ein blütenweißes Polohemd und weiße Hosen sowie weiße Zwirnsocken und weiße Schuhe. „Jetzt stehe ich Ihnen zur Verfügung“, bemerkte er und setzte sich zu Cantrell. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich hätte mich gern mal gründlich in Sossiers Apartment umgesehen“, sagte der Anwalt.
„Keinen Einwand“, erwiderte Danenberg. „Sie können das jederzeit tun.“
„Vielen Dank. Ihr Einverständnis einzuholen, war nur eine reine Formsache. Ich habe damit gerechnet, dass Sie dazu ja sagen, Mr. Danenberg.“
Der ehemaliger Boxer schlug die Beine übereinander. „Na hören Sie, das ist doch das mindeste, was ich zur Aufklärung dieses Mordes beitragen kann. Sie können mit jeder Unterstützung von meiner Seite rechnen, Mr. Cantrell.“
„Gibt es so etwas wie einen Generalschlüssel? Einen Schlüssel, mit dem Sie jedes Apartment aufschließen können.“
„Es gibt drei. Einen hat der Tagportier. Einen hat der Nachtportier. Und einer befindet sich in meinem Besitz.“
„Den würde ich gern haben. Natürlich würde ich die Tür zu Sossiers Apartment auch ohne den Schlüssel jederzeit aufkriegen, aber die gesetzlich gedeckte Variante ist mir in diesem Fall doch lieber. Da das Apartment von Sossier nicht gekauft, sondern nur gemietet war, gehört es nach wie vor Ihnen, Mr. Danenberg. Das heißt, dass ich mich da so lange aufhalten kann, wie Sie es mir erlauben.“
„Meinetwegen können Sie eine ganze Woche dort verbringen“, sagte Quincy Danenberg achselzuckend.
„Das wird bestimmt nicht nötig sein“, schmunzelte Cantrell.
„Was versprechen Sie sich von diesem Besuch, Mr. Cantrell?“, wollte Danenberg wissen.
„Ich war noch nicht da. Ich möchte mir ein Bild von dem Rahmen machen, in dem sich Sossier mit stets wechselnden Mädchen vergnügt hat. Vielleicht geht mir in seinem Apartment der Knopf auf. Manchmal braucht man einen ganz kleinen Denkanstoß, um in einer Sache einen großen Schritt weiterzukommen.“
„Sie hoffen, irgendeinen Hinweis auf den Killer zu finden?“
„Davon wage ich kaum zu träumen“, lächelte Cantrell.
„Die Polizei hat sich die Wohnung ziemlich gründlich angesehen.“
„Ich will nicht behaupten, dass ich besser bin als eine ganze Polizistencrew. Aber es ist schon vorgekommen, dass zwei Augen durch Zufall mehr sahen als ein ganzes Dutzend. Wie dem auch ist, ich möchte mich mit Sossiers einstiger Umgebung ein bisschen vertraut machen.“
„Dazu kann ich Ihnen nur viel Erfolg wünschen“, sagte Danenberg. Er erhob sich, ging ins Haus, kam mit einem Glas Karottensaft und mit zwei Schlüsseln wieder. Er legte beide Schlüssel vor Cantrell auf den massiven Terrassentisch. Kurzes Nippen am Saft. Dann sagte er, während er auf den Yale-Schlüssel wies: „Den brauchen Sie für die Apartmenttür.“
Der zweite Schlüssel war kleiner. Verspielte Zacken und Borsten standen in alle Himmelsrichtungen weg. Cantrell tippte auf Safe.
„Und was kann der Kleine da?“, erkundigte sich der Anwalt.
„Der macht Ihnen den Wandsafe auf.“
Richtig getippt!, dachte Tony Cantrell zufrieden,
„Ist der Safe leicht zu finden?“, fragte der Anwalt.
„Er befindet sich im Wohnzimmer.“
„Hat die Polizei ihn von innen gesehen?“
Danenberg schüttelte den Kopf. Er lächelte. „Erst als Lieutenant Rollins mit seinen Leuten abgefahren war, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, auf den Wandsafe hinzuweisen. Im ganzen Haus finden Sie dasselbe Modell, dasselbe System, Mr. Cantrell. Es gibt oberhalb des Türrahmens einen kleinen verborgenen Knopf. Wenn Sie auf ihn drücken, klappt die Wand zwischen den beiden Fenstern auf und gibt den Safe frei.“
Cantrell steckte die beiden Schlüssel ein und erhob sich. Seine Augenbrauen hoben sich erfreut. „Na also. Das ist ja mehr, als ich zu erwarten wagte.“
Er verabschiedete sich von Danenberg und fuhr mit dem schwarzen Chevy zu den Bellevue-Apartments. Chicago ist eine windige Stadt. Vom See her pfiff eine steife Brise. Es roch nach Regen. Cantrell hob den Kopf. Der Himmel war einfarbig blau.
Cantrell trat unter den weit ausladenden, bis zum Bordstein reichenden Baldachin. Das Ding war außen dunkelrot. Innen war es mit grünem Tuch bespannt. Es spendete viel Schatten. Links und rechts vom gläsernen Eingang standen kleine Bäumchen mit Kugelköpfen in schweren Blumentöpfen. Die Aufgabe des Mannes in der Portiersloge beschränkte sich nicht nur darauf, jeden unter die Lupe zu nehmen, der das Apartmenthaus betreten wollte. Gleichermaßen oblag es dem Portier, darauf zu achten, dass kein Hund das Bein an den beiden Bäumchen hob, um seine Duftmarke dranzusetzen.
Cantrell betrat die Glasschleuse, die aus zwei Türen bestand. Der Portier, ein Mann in den besten Jahren, Fettspuren vom Essen um den Mund, mit pfiffigen Augen und spitzer Nase, erhob sich sogleich. Carol war bei ihm gewesen. Der Mann ließ seinen wachsamen Blick an Cantrell auf und ab huschen. Rein äußerlich passte der elegante Anwalt in dieses Haus.
Nach der optischem Taxierung kam die mündliche: „Wohin, Sir?“
„Mein Name ist Cantrell. Ich möchte mich in Sossiers Apartment umsehen. Mr. Danenberg ist damit einverstanden.“
„Mr. Danenberg hat angerufen“, nickte der Portier. „Darf ich Ihren Ausweis sehen?“
Cantrell klappte die Detektivlizenz auf.
Der Portier warf einen kurzen Blick darauf. Dann meinte er mit einem entschuldigenden Lächeln. „Sie müssen verzeihen, ich habe meine Anweisungen.“
„Schon gut“, entgegnete Cantrell. „Ich darf dann wohl jetzt?“
„Selbstverständlich, Mr. Cantrell.“
„Vielen Dank.“
Der Anwalt gondelte mit dem Lift hoch. Er schloss die Tür zu Sossiers Apartment mit dem Yale-Schlüssel auf. Cantrell war zum ersten Mal hier. Aber ein kurzer Rundgang sagte ihm, dass in den Räumen noch nichts verändert worden war.
Jetzt stand Cantrell vor dem Einwegspiegel. Er blickte in das futuristische Schlafzimmer. Puzzle-Teilchen schwirrten ihm durch den Kopf. Sossier - hübsche Mädchen - Schlafzimmer – Einwegspiegel ... Und weiter: Butch und Silk hatten erfahren, dass Sossier ein begeisterter Fotograf gewesen war. Micaela Bannister hatte das schon einen Tick genannt. Alex Sossier sollte nahezu alles fotografiert haben. Und doch war bis jetzt noch niemand auf Fotos gestoßen, die Sossier gemacht hatte, abgesehen von den Aufnahmen, die Micaela O'Reilly und Philby gezeigt hatte.
Hier war eine gewisse Ungereimtheit zu erkennen.
Wenn jemand wirklich so viel fotografiert, wenn er sogar ein eigenes Fotolabor unterhält, dann müssen doch überall, wo sich dieser Mann mit dem Fototick aufhält, Bilder herumliegen, die er gemacht hat.
Solche Spuren hatte Sossier aber nicht hinterlassen.
Das fand Cantrell eigenartig.
Waren alle Bilder in Sossiers Labor verbrannt?
Der Anwalt kam wieder ins Grübeln. Er setzte seinen zuvor begonnenen Gedankengang fort.
Plötzlich bekam der Einwegspiegel für Tony Cantrell eine ganz bestimmte Funktion. Alex Sossier hatte niemanden zusehen lassen, wenn er sich mit einem Mädchen auf den schaukelnden Wasserbett vergnügte. Er hatte das alles fotografiert. Mit einer Robotkamera, die er hier hinter dem Spiegel aufgestellt hatte, um die er sich nicht kümmern musste, die selbständig ihre Bilder schoss.
Cantrell sah immer klarer.
Wozu konnten die Fotos dienen? Zur Erbauung in einsamen Stunden? Das hatte Alex Sossier bestimmt nicht nötig.
Dann also zur Erpressung.
Cantrell lehnte sich an die Wand. Was ihm da in den Sinn gekommen war, war ein Gedanke, der diesen Fall revolutionierte. Die Puzzle-Teilchen flogen nicht mehr planlos durch Cantrells Kopf. Sie fixierten sich. Das Bild gewann an Klarheit.
Ein Geldstrom für Alex Sossier. Ganz bestimmt nicht aus Pambertons Richtung. Dass Sossier irgendeinen Nebenjob gehabt haben musste, darüber bestand längst kein Zweifel mehr. Es war nur noch nicht ersichtlich gewesen, was Sossier so viel Geld eingebracht hatte, dass er dieses aufwendige Doppelleben führen konnte.
Erpressung war der Schlüssel.
Sossier hatte aus dem Angenehmen etwas Nützliches gemacht. Sein Fototick hatte ihm nach und nach eine Menge Geld eingebracht. Vermutlich hatten viele Leute in Chicago aufgeatmet, als der Nachrichtensprecher Sossiers gewaltsames Ende erwähnte.
Er musste dieses gefährliche Spiel jahrelang mit großem Erfolg gespielt haben. Aber dann geriet er an jemanden, der härter war als der Schurke Sossier. An jemanden, der sich nicht erpressen lassen wollte, der das geforderte Geld lieber einem Killer gab, damit dieser die Angelegenheit im Sinne des Auftraggebers bereinigte. Für Tony Cantrell stand fest, dass er richtig kombiniert hatte.
Was jetzt noch fehlte, waren die Beweise, mit denen er seine Überlegungen zementieren musste. Er hoffte, sie in jenem verborgenen Wandsafe zu finden.
Schnell wandte er sich um.
Im Wohnzimmer entdeckte er den kleinen Knopf, von dem Quincy Danenberg gesprochen hatte. Er drückte darauf. Ein leises Summen war zu vernehmen. Cantrell begab sich zu den Fenstern. Er schob den Brokatvorhang zur Seite.
Tatsächlich. Der Sesam hatte sich geöffnet.
Vor Cantrell lag der Wandsafe. Schnell schob er den eigenartig geformten Schlüssel ins Schloss. Insgesamt dreimal drehte er den Schlüssel. Dann ließ sich die dicke Stahltür aufziehen. Drinnen sprang ein Lämpchen an. Cantrells Herz schlug vor Freude im Dreivierteltakt. Drei Fächer. Gerammelt voll. Hier hatte der Fotofreund Alex Sossier die gesamte Ausrüstung verstaut.
Cantrell fing an auszuräumen.
Mehrere japanische Spiegelreflexkameras. Teuer. Aufwendig verarbeitet. Mit allen technischen Raffinessen versehen.
Mit dem, was Cantrell hier vorfand, hätte er ein Fotogeschäft fürs Erste einrichten können. Der Anwalt klappte die Apparate der Reihe nach auf. Leer. Sossier hatte anscheinend die Filme immer prompt in seinem Labor entwickelt. Klar. Ein Erpresser darf nichts anbrennen lassen. Man muss das Eisen schmieden, solange es noch warm ist. Das bedeutete in Sossiers Fall: Film entwickeln, Abzüge in ausreichender Anzahl anfertigen, mit der Person in Verbindung treten, die für die Erpressung auserkoren wurde. Also: Zuschlagen wie der Blitz aus heiterem Himmel. Den Überraschungsmoment geschickt ausnützen. Geld fordern, aber nicht allzu viel, damit sich das Opfer in seiner Verzweiflung nicht an die Polizei wendet ...
Ein äußerst lukratives Geschäft.
Natürlich durften die Mädchen, die Sossier auf sein Wasserbett legte, nicht die Töchter oder Ehefrauen von Brown, dem kleinen Bankangestellten, oder Miller, dem Friseurgehilfen, sein. Absahnen konnte man nur in den oberen Schichten. Bei Leuten, die etwas zu verlieren hatten, die im öffentlichen Leben standen, die ihr Geld mit der Sympathie machten, die ihnen ihre Mitmenschen entgegenbrachten - Politiker zum Beispiel.
Nachdem Tony Cantrell sämtliche Apparate aus dem geräumigen Wandsafe geholt hatte, wühlte er sich in die nächsten Fächer hinein. Zunächst fiel ihm eine Liste mit wohlbekannten Namen in die Hände. Alles reiche Leute aus Politik, Wirtschaft, Kunst ... Alles Sossiers Opfer. Neben jedem Namen stand der Betrag, den Alex Sossier für seine Schandtaten kassiert hatte. Die Summen bewegten sich zwischen zehntausend und fünfzigtausend Dollar.
Alle diese Leute hatten einen triftigen Grund, Sossier umzubringen oder umbringen zu lassen.
Cantrell legte die Liste weg.
Jetzt kamen die Fotos. Sossier bewahrte sie in einem kleinen Kofferchen auf. Die Negative dazu lagen in einem ebensolchen Köfferchen.
Es war alles das festgehalten, was Beate Uhse nicht besser anzubieten hatte. Sossier stets voll im Einsatz. Seine Partnerinnen wechselten ständig. Natürlich waren sie alle nackt. Und einige von ihnen machten Dinge, die hart an der Grenze des Widernatürlichen waren.
Lauter bekannte Gesichter sah Cantrell.
Die letzten Fotos stammten von Raffaela Morland. Sie trieb es mit Sossier am Tollsten. Zwanzig Farbfotos zeigten, wie abartig der Mensch sein kann, wenn er volltrunken ist. Und das war die blutjunge Raffaela offensichtlich. Sie genoss das Spiel mit Sossier. Mit glasigen Augen betrachtete sie sich dabei im Spiegel. Ohne zu wissen, dass sie in diesem Augenblick direkt in die Fotolinse lächelte.
Raffaela Morland.
Die Tochter des Film- und Fernsehstars Frank Morland, dem man enge Beziehungen zur Mafia nachsagte.
Morland war gerade in einer TV Serie als Privatdetektiv Calhoon zu bewundern. Jeden zweiten Montag flimmerte ein neues Abenteuer über die Schirme. Die Serie war von ausgezeichneten Profis gemacht und kam in ganz Amerika hervorragend an. Morland stieß geschäftstüchtig mit der Werbung nach. Es gab Calhoon-Hüte, ein Calhoon-Fußspray, Calhoon-Krawatten, Calhoon-Hemden, Calhoon-Pfeifen ... Daneben spielte Frank Morland in zahlreichen Kinofilmen. Es war unmöglich, seinem Gesicht irgendwo nicht zu begegnen. Er stellte sein schauspielerisches Talent in Western unter Beweis, er machte in anspruchsvollen Lustspielen mit, im letzten Jahr waren mit ihm zwei Streifen der Disney Productions erfolgreich gelaufen. Und wo immer es möglich war, brachte Frank Morland seine hübsche Tochter Raffaela unter. Es war kein Geheimnis. Morland baute an der grundsoliden Karriere seiner Tochter. Sie sollte in ein paar Jahren der absolute Star in der Filmbranche sein. Ihre Schönheit und ihre makellose Figur würden ihr zusätzliche Punkte einbringen. Hinzu kam das vom Vater geerbte Talent. Gesangsausbildung und Tanzunterricht liefen seit Jahren nebenher. Sophie Loren, Raquel Welch, Liza Minelli, Barbra Streisand würden zurücktreten müssen, wenn der von Frank Morland für seine Tochter programmierte Tag X anbrach.
Aber wenn jene Fotos der Presse in die Hände fielen, die Tony Cantrell im Augenblick vor sich hatte, war es ein für allemal Sense mit Raffaelas Karriere.
Frank Morland - ein Mafia-Protegé.
Er wäre heute immer noch einer von vielen gewesen, wenn der Don der Ehrenwerten Familie nicht so fürsorglich seine schützende Hand über ihn gehalten hätte.
An wen wendet sich Morland, wenn er Kummer hat?
Natürlich an die Mafia! An seinen Don!
Cantrell wollte das sofort Harry Rollins erzählen. Er griff sich den Telefonhörer. Plötzlich machte es: Plopp! Und im selben Moment schlug eine Kugel in den Apparat und macht ihn unbrauchbar. Cantrell zuckte herum. Ein Mann mit Wollmaske stand in der Tür. In der Hand einen Smith & Wesson mit aufgesetztem Schalldämpfer. Die Waffe rauchte noch ...
Cantrell schluckte erst mal die Überraschung hinunter. Dann hob er sicherheitshalber die Hände. Was ihn da aus den Sehlöchern der Maske feindselig anstarrte, war ein schielendes Augenpaar. Cantrell wusste auf Anhieb, wenn er vor sich hatte. Das war der Mann, der gestern Butch und Silk abhanden gekommen war. Der Rennfahrer, den sie in Rollins’ Verbrecheralben wiederzufinden hofften. Hier war er. In voller Lebensgröße. War da, und doch nicht anzufassen; wegen des 38ers in seiner Hand. Die Waffe, ein Smith & Wesson, Kaliber 38, ließ Cantrell annehmen, dass dieser Mann Alex Sossier getötet hatte.
Für wenige Augenblicke standen sie einander reglos im Raum gegenüber.
Der Mann kam vorsichtig näher.
„Sind Sie schon wieder über die Feuertreppe gekommen?“, fragte Cantrell unerschrocken.
„Gehen Sie mal ein Stück zur Seite, ja?“, knurrte der Maskierte.
Cantrell machte einen Schritt. Er hoffte auf eine kleine Unachtsamkeit des Killers. „Sie scheinen’s mit dem Feuer zu haben!“, sagte Cantrell ungerührt. „Vorgestern Feuertreppe. Gestern Feuer in Sossiers Labor. Heute wieder Feuertreppe.“
Die schielenden Augen verengten sich einen Moment. Der Mann fragte sich offenbar, woher Cantrell wusste, dass er gestern in Sossiers Labor den Brand gelegt hatte. Die Waffe winkte mit dem klobigen Schalldämpfer.
„Noch einen Schritt, wenn ich bitten darf!“
Cantrell machte diesen Schritt. „Sie kommen die Bilder abholen, nicht wahr?“
Der Maskierte nickte. „Und die Negative.“
„Beides konnten Sie in Sossiers Labor nicht finden. Sicherheitshalber legten Sie trotzdem den Brand. Damit auch das verbrannte, was Sie nicht gefunden haben.“
„Kluges Köpfchen“; lachte der Killer.
„Und heute kamen Sie hierher, weil Sie hofften, das Gesuchte da zu finden.“
„Sehr richtig. Meine Hoffnung hat sich erfüllt.“ Der Killer stand nun bei den Fotoapparaten. Seine schielenden Augen kümmerten sich ständig um Cantrell. Keine Möglichkeit, ihn anzuspringen.
Cantrell bluffte. „Habe ich Ihnen schon gesagt, dass ich Lieutenant Rollins hier herbestellt habe?“ Der Maskierte lachte. „Blödsinn. Den wollten Sie doch eben anrufen.“
„Aber nein. Ich wollte meine Frau fragen, wie’s ihr geht.“
„Ich schlage vor, Sie machen sicherheitshalber noch einen Schritt zur Seite. Das erspart uns beiden möglicherweise eine Menge Ärger.“
„Sie haben Sossier gekillt, nicht wahr?“
„Vielleicht.“
„Warum haben Sie’s getan?“, fragte Cantrell.
„Alex Sossier war ein ganz großes Ferkel.“ Der Maskierte wies auf die Bilder, die Cantrell sich zuvor angesehen hatte.
„Da stimme ich mit Ihnen vollkommen überein. Stehen Sie auch auf seiner Liste? Hat er Sie auch erpresst?“
Der Maskierte schüttelte den Kopf. „Nein, bei mir fehlten die Voraussetzungen. Ich habe einem guten Freund einen Gefallen getan.“
„Wem?“
Der Maskierte lachte knurrend. „Sie erwarten doch darauf keine Antwort, Mann.“
„Doch.“
„Wenn ich sie Ihnen geben würde, müsste ich Sie hinterher abknallen, denn dann wüssten Sie zu viel. Wäre Ihnen das angenehm?“
„Eine Kugel im Kopf?“
„Mhm.“
„Wem ist das schon angenehm?“ Der Maskierte nickte. „Eben. Bevor ich jetzt mit dem Einräumen anfange - würden Sie sich bitte umdrehen?“
„Sie haben doch nicht vor, mir in den Rücken zu schießen?“
„Ich werde überhaupt nicht schießen, vorausgesetzt, Sie tun, was ich von Ihnen verlange.“
„Ich hab auch was gegen Schläge ins Genick.“
„Es wird Ihnen nichts passieren, wenn Sie meine Befehle befolgen. Umdrehen!“
Cantrell wandte sich langsam um. Der Killer kam näher. Cantrell spannte die Muskeln. Er traute dem Maskierten nicht. Das mindeste, was nun passieren würde, war ja doch ein Schlag in den Nacken. Es wäre ein Risiko für den Killer gewesen, Cantrell auf den Beinen und bei Bewusstsein zu lassen. Er musste damit rechnen, dass der Anwalt spätestens dann Alarm schlug, wenn er das Apartment verlassen hatte. Ein Risiko, das er sich mit einem einzigen präzisen Schlag vom Hals schaffen konnte. Deshalb rechnete Tony Cantrell mit einem Hieb in den Nacken. Und deshalb hatte Cantrell die Muskeln gespannt. Um einen solchen unwillkommenen Treffer zu verhindern.
Cantrell lauschte auf die Geräusche, die der näher kommende Maskierte machte.
Jetzt hörte der Anwalt den Killer knapp hinter sich atmen. Cantrell spürte förmlich das Hochzucken des Revolverarms.
Das war der Moment, wo er handeln musste. Er kreiselte in Gedankenschnelle herum. Gleichzeitig schraubte er sich zusammen. Die Waffe sauste herab. Er fing den Arm mit der Linken ab. Mit der Rechten schlug er hart an das Dreieck unter den Rippen des Killers. Der Schlag hob den Mörder aus. Er warf ihn zurück. Der Mann stieß einen Schmerzlaut aus. Er krümmte sich zusammen.
Cantrells Handkante kümmerte sich um die Revolverhand. Er hackte zu. Der 38er polterte zu Boden.
Ein Aufwärtshaken beförderte den Killer drei Meter zurück. Der Mann kam schnaufend wieder. Mit gesenktem Kopf. Wie ein wütender Stier, dem sie die Hörner geklaut hatten.
Cantrell fing den Anstürmenden mit einer Schlagdoublette ab. Simultan dazu riss er das rechte Knie hoch.
Noch einmal musste der Killer drei Meter zurückmarschieren. Aber das war noch nicht das Ende des Kampfes. Mit einem wütenden Knurren entschloss sich der Kerl für die nächste Attacke. Er hatte schnell gelernt und erkannt, worauf es bei Cantrell ankam und wovor er sich in Acht nehmen musste.
Ein blitzschneller, gemeiner Tritt.
Cantrell spürte den schmerzhaften Schlag gegen das Schienbein. Wie ein Stromstoß, der die Nervenbahnen versengte, schoss der Schmerz bis ins Hüftgelenk hoch.
Cantrell war für den Bruchteil einer Sekunde unkonzentriert. Da explodierte ein linker Schwinger an seinem Kinn. Der Anwalt brauchte vier Schritte, um seinen eigenen Schwung abzufangen.
Der Killer setzte nicht nach. Er bückte sich nach seiner Waffe. Tony Cantrell überlief es heiß und kalt. Mit einem federnden Satz war er bei dem Maskierten. Ein atemloser Kampf um den Revolver begann. Cantrell rammte dem Kerl den Ellenbogen in die Leber. Er versuchte den Maskierten zu Fall zu bringen. Erbittert kämpften die beiden Männer um den Sieg.
Da traf das Knie des Gangsters Cantrells Unterleib. Ein höllischer Schmerz nahm dem Anwalt den Atem. Der Verbrecher schnellte von Cantrell weg und richtete wutschnaubend die Waffe auf ihn.
„Verdammt, Mann, ich hätte Lust, dich jetzt umzulegen!“, fauchte der Mörder.
Cantrell sah den Kerl durch einen trüben Schleier. Der Mann bewegte sich jetzt auf ihn zu.
Und dann kam der Schlag, dem Tony Cantrell nicht ausweichen konnte.