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Kapitel 2

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»Zieh dich an!«, sagte er.

Er zog seine Hose hoch und klappte den Koffer auf, der seine Ausrüstung enthielt. Er stellte das Walkie-Talkie, den kompakten Multifrequenz-Empfänger mit integriertem Scanner und den Feldstecher auf den kleinen Tisch neben dem Fenster. Dann holte er das Telefon vom Nachttisch. Das Kabel reichte gerade bis zum Fenster. Als Probek ein frisches Hemd aus dem Koffer nahm, erkannte sie den Umriss der großen Pistole, die in ein Handtuch gewickelt war.

Jutta wusste, dass die Pistole nicht die einzige Waffe war, die Probek bei sich hatte. Das zerlegte Präzisionsschützengewehr befand sich vermutlich ganz unten im Koffer.

Sie sah durch die Gardine nach unten. Die Sonne zeichnete eine breite Bahn auf das alte Kopfsteinpflaster. An den Parkuhren standen jetzt die ersten Fahrzeuge. Der dicke Bäcker stellte die Tür zu seinem Café auf, damit die Putzfrau die Stufe wischen konnte. Die großen Scheiben der Bankfiliale schimmerten schwarz und blind.

Sie wandte sich um und sah Probek zu, der die Batterien des Funkgerätes überprüfte.

»Was hättest du getan, wenn du mich nicht rumgekriegt hättest!«, fragte sie.

Er hob gleichmütig die Schultern. »Es gab nur die zwei Möglichkeiten«, sagte er. »Mitmachen oder nicht.«

Er sah sie nicht an. Sein Gesicht war flach und starr, die Lippen straff. Die Augen verrieten etwas von der ungeheuren Anspannung, unter der er stand.

Sie strich über ihre nackte Haut. Sie fröstelte plötzlich. Rasch zog sie sich an. Er achtete nicht auf sie. Alles war besprochen. Es konnte nur klappen oder schiefgehen.

»Mach's gut«, sagte sie, bevor sie die Tür öffnete.

Er stand vorm Fenster und wandte ihr den Rücken zu. Er verdrehte den Kopf und sah sie über die Schulter hinweg an. Seine Augen schienen tiefer als gewöhnlich in den Höhlen zu liegen. Vielleicht sah es auch nur so aus, überlegte sie, weil die Sonne schräg über sein Gesicht fiel und die knochigen Vorsprünge des Jochbeins Schatten über die Augen warfen.

»Ich rufe dich an, sowie er aus dem Haus geht«, sagte sie.

Er nickte. »Du schaffst es«, sagte er.

Das City-Hotel am Herzogplatz war erst vor drei Jahren auf dem Grundstück eines alten Kinos und eines vierstöckigen Mietshauses entstanden. Es war ein modernes Hotel von internationalem Zuschnitt. Eigene Pendelbusse verkehrten zwischen dem Hotel und dem Flughafen. In der Halle herrschte deshalb ein ständiges Kommen und Gehen. Schon am frühen Morgen türmte sich das Gepäck der Reisenden vor den Lifts und in den Ausgängen.

Kein Mensch achtete auf Jutta Ehser, als sie aus dem Aufzug trat. Die Halle war großzügig geschnitten und im Winkel angelegt. Ein Ausgang ging auf den Herzogplatz hinaus, ein anderer auf die Bundesstraße, die an der Altstadt vorbeiführte. In dem Haltestreifen warteten immer einige Taxis.

Jutta stieg in das vorderste Taxi. Der Fahrer warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu.

»Zum Bahnhof«, sagte sie.

Vom Bahnhof aus fuhr sie mit der U-Bahn zum Oberfelder Tor, wo sie ihren Wagen abgestellt hatte. Bis zu dem Reihenhaus in der Uhlenbergstraße, das Herbert von einer Tante geerbt hatte, war es jetzt nur noch ein kurzes Stück Fahrt gegen den einsetzenden Berufsverkehr.

Probek hatte alle Einzelheiten mit ihr besprochen und jedes Detail immer und immer wieder durchgekaut. Er war vorsichtig und gründlich. Eigenschaften, die sie in ihrem Entschluss bestätigt hatten, sich an seinem Vorhaben zu beteiligen.

Eine Bank auszurauben. Nicht irgendeine. Herberts Bank.

Ihre Arme zitterten plötzlich. Sie stemmte sie gegen das Lenkrad. Für eine Umkehr war es jetzt zu spät. Sie musste ihrem eigenen Plan folgen, wenn sie frei sein wollte.

Sie stellte ihren Escort vor dem Haus ab, stieg aus und ging hinein. Es war kurz nach halb acht.

Herbert kam aus der Küche. Er hatte schon gefrühstückt.

»Du bist früh dran«, sagte sie.

Er sah sie mit diesem eigenartigen Ausdruck in den Augen an, der eine Mischung aus Hass, hündischer Ergebenheit und maßlosem Zorn darstellte. Sie wusste, dass er einer offenen Auseinandersetzung ausweichen würde wie meistens. Die Zeit der offenen Wutanfälle, bei denen physische Gewalt in der Luft gelegen hatte, war ohnehin längst vorbei.

»Ist noch Kaffee da?«, fragte sie.

»Den musst du dir schon selbst machen«, sagte er, und kalt fügte er hinzu: »Ich an deiner Stelle würde erst ein paar Stunden schlafen. Vielleicht siehst du dann etwas besser aus.« Er nahm sein Jackett von der Garderobe und zog es an. »Ich muss jetzt gehen.«

Sie sah auf die Uhr und runzelte die Stirn. An jedem anderen Tag hätte sie keinen Gedanken daran verschwendet, wenn Herbert eine halbe Stunde früher aus dem Haus gegangen wäre, obwohl er ein Pedant war, ein Gewohnheitsmensch, für den jede Abweichung von der Routine mehr oder weniger eine Katastrophe darstellte.

Heute war alles anders. Heute kam es darauf an, dass er zur üblichen Zeit an seinem üblichen Platz war. Nicht zu spät, aber auch nicht zu früh.

Laut fiel die Haustür ins Schloss. Augenblicke später hörte sie seinen Wagen aus der Garage rollen. Vor zwei Jahren hatte er einen gebrauchten Mercedes gekauft, den sie allerdings nicht fahren durfte. Das war der Grund, weshalb sie einen eigenen Wagen zur Verfügung hatte. Aber was hieß das schon! Er rechnete ihr jeden Pfennig vor, den der Escort kostete, und in regelmäßigen Abständen kontrollierte er den Kilometerstand. Um den Verbrauch zu berechnen, behauptete er.

Er überwachte sie. Sie kannte seine Schnüffler-Mentalität, und sie verabscheute sie.

Zuerst hatte er sie knappgehalten, weil er hoffte, sie würde bald wieder arbeiten, um finanziell unabhängig zu sein. Sie hatte als Kontoristin bei einer Versicherung gearbeitet, den Job aber aufgegeben, als sie schwanger wurde. Nach der Fehlgeburt hatte sie sich mit immer neuen Vorwänden davor gedrückt, eine neue Stelle zu suchen. Später, als Herberts kleinliche Art unerträglich wurde, war es dann zu spät gewesen. Computer hatten Einzug in die Büros gehalten, und sie traute es sich nicht zu, umzulernen. Wahrscheinlich scheute sie die Konkurrenz der jungen Mädchen, die wie selbstverständlich mit den Terminals umgingen.

Für Juttas Scheu vor der Computertechnik hatte Herbert kein Verständnis. Seit die Bank ihn auf verschiedene Lehrgänge geschickt hatte, hatte er sich zum Elektronikfreak entwickelt. In seinem Arbeitszimmer oben im Haus stand ein moderner Personalcomputer, und im Bastelkeller häuften sich elektronische Bauteile, aus denen er immer neues Spielzeug zusammenbastelte. Weckvorrichtungen und Alarmanlagen, Steuerungen für das Garagentor oder die Zentralheizung, und eine drahtlose Wechselsprechanlage, die kein Zimmer im Haus ausließ. Seit er von ihrer Affäre mit Probek wusste, hatte sich seine Bastelwut zur Besessenheit gesteigert. Jede freie Minute verbrachte er entweder vor dem Bildschirm des Computers oder an der Werkbank im Keller.

Er wich ihr aus, weil er die Konkurrenz ihres Liebhabers fürchtete.

Jutta rief das City-Hotel an und ließ sich mit Zimmer 411 verbinden.

Probek meldete sich mit einem neutralen »Hallo.«

»Hallo«, sagte sie. »Ich bin allein.«

Wenn er sich wunderte, dass Herbert heute früher gegangen war, ließ er es sich nicht anmerken.

»Schön«, sagte er.

»Warte!«, rief sie schnell, weil sie wusste, dass er aufgelegt hätte.

»Ja?«, fragte er. Seine Stimme klang glatt und unbewegt.

»Ach, nichts«, sagte sie. »Es ist alles in Ordnung.«

»Bestimmt?«, fragte er.

»Natürlich«, sagte sie und legte auf.

Was hatte sie eigentlich von Probek erwartet, von ihrer Affäre mit ihm erhofft? Leidenschaft und Liebe? Beides ließ sich ihrer Erfahrung nach nicht verbinden. Leidenschaft oder Liebe. Liebe bedeutete Geborgenheit, wenn sie erwidert wurde. Leidenschaft fragte nicht nach Treue oder Beständigkeit. Leidenschaft war etwas für den Augenblick, sie verlangte allerdings Wiederholung, eine Steigerung der Dosis. Leidenschaft kann süchtig machen.

Die beiden Begegnungen mit Probek auf Ibiza hatten das Feuer so eben angezündet. Jutta hatte geglaubt, es würde von selbst erlöschen, weil Probek sich nicht meldete. Nach vier Wochen war sie überzeugt, dass er sie vergessen hatte.

Aber an einem Mittwochmorgen Anfang September drängte er sich erneut in ihr Leben. Er rief nicht an, er kam gleich selbst.

Herbert war eben abgefahren, als es an der Tür klingelte. Sie hatte sich entschlossen, das Haus bis zum Mittag auf Hochglanz zu bringen, weil sie am Freitag Gäste erwarteten. Herbert hatte zwei Kollegen, Leiter anderer Filialen der Spar- und Kreditbank mit ihren Frauen, zum Essen eingeladen. Sie trug ein Kopftuch und eine Schürze und kam sich entsetzlich hausbacken vor, als er ihr so unverhofft gegenüberstand.

»Hallo«, sagte er und ließ die weißen Zähne im gebräunten Gesicht blitzen. Sein Haar war ausgebleicht. Er hatte einen Fuß auf die Eingangsstufe gestellt und stützte einen Arm auf den Oberschenkel. Seine grauen Augen musterten sie herausfordernd.

»Da bin ich.«

Sie brachte zunächst kein Wort heraus. Mit einer unsicheren Bewegung streifte sie das Kopftuch ab und schüttelte ihr Haar auf.

»Die Schürze wäre ganz hübsch«, sagte er, »wenn du sonst nichts anhättest.«

»Bist du schon lange zurück?«, fragte sie endlich.

»Ein paar Tage«, antwortete er unbestimmt. Er wandte den Kopf. »Wie sind die Nachbarn hier?«, fragte er. »Kriegen sie alles mit? Reden sie gern?«

Sie zog scharf die Luft ein. »Komm rein«, sagte sie hastig.

Sie roch sein herbes Gesichtswasser, als er sich an ihr vorbeischob.

»Geh da rein«, sagte sie und deutete auf die Tür zum Wohnzimmer. »Pass auf, fall nicht über den Staubsauger!«

Sie legte die Schürze ab und betrachtete sich kurz im Garderobenspiegel. Sie trug enge, alte Jeans, die ihre Hüften unvorteilhaft betonten. Vor kurzem hatte sie allerdings gelesen, dass ein breiter Hintern auf Männer sinnlich wirkte. Sie hatte es nicht für nötig gehalten, einen Büstenhalter anzuziehen. Unter der einfachen Leinenbluse zeichnete sich die feste Fülle deutlich ab, und ganz plötzlich schwollen die Warzen an.

Die Flamme loderte wieder auf.

Sie lagen auf der Couch im kleinen Gästezimmer. Die Sonne schien durch das Giebelfenster. Es war sehr heiß.

Jutta bewegte sich. Ihre Brüste schmerzten, doch der Schmerz machte ihr nichts aus. Sie hatte nur Angst, wieder blaue Flecken abbekommen zu haben.

»Ich möchte duschen«, sagte sie.

Probek legte seinen Arm über sie und presste seinen Oberschenkel über ihren Unterleib.

»Wofür?«

»Ich . . . rieche nach Schweiß.«

»Du riechst nach Frau.«

»Deshalb will ich duschen.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich mag das so.«

Unter seinem Gewicht konnte sie sich kaum rühren. Sein Glied schwoll wieder an. Sie half mit einer Hand nach. Sein heißer Atem strich an ihrem Hals entlang. Sie schrie, als er in sie hineinstieß und sich wild bewegte. Nebenan im Schlafzimmer - im ehelichen Schlafzimmer - läutete das Telefon. Sie hörte es schrill in ihrem Hirn. Sie wusste, dass Herbert am Apparat war. Er rief immer vom Büro aus an.

Sie warf sich dem Mann entgegen. Er umklammerte sie keuchend. Die Couch stieß gegen die Wand. Sie zuckte, als er endlich erschöpft über sie fiel. Das Telefon klingelte immer noch. Oder wieder. Es spielte keine Rolle.

Sie zog den Morgenmantel über, als sie hinunterging. Er folgte ihr in die Küche. Träge zog er an seiner Zigarette und sah ihr zu, wie sie Kaffee zubereitete. Er hatte nur seinen Slip angezogen. Es war der rote, den sie schon auf Ibiza gesehen hatte.

»Lass keine Asche fallen«, sagte sie. »Herbert raucht nicht.«

Probek schnippte die Asche ins Spülbecken. »Er passt nicht zu dir«, sagte er.

»Wer? Herbert? Woher willst du das wissen?«

»Ich habe euch beobachtet. Im Hotel.«

»Er ist nicht schlecht«, verteidigte sie ihn.

»Nicht schlecht ist nicht gut. Was ist so Besonderes an ihm?«

»Er ist in Ordnung«, sagte sie unwillig.

Er grinste. »Schon gut, schon gut! Du musst ja mit ihm leben.«

»Genau.« Sie stellte Tassen zurecht und holte die Milch aus dem Kühlschrank.

»Ich trinke ihn schwarz. Und ohne Zucker.«

Er setzte sich auf einen Stuhl und legte die Arme auf den Tisch. Sie waren dunkelbraun gebrannt und dicht mit hellen Haaren bedeckt.

»Hast du schon mal daran gedacht, ihn zu verlassen?«, erkundigte er sich, als sie den Kaffee einschenkte.

»Dran gedacht — ja. Aber ich werde es nicht tun«, erklärte sie mit Nachdruck.

»Nein? Warum nicht?«

»Könntest du mir die Sicherheit bieten, die er mir bietet?«

»Ich?« Probek lachte. »Himmel, nein!«

»Dann kennst du die Antwort«, sagte sie.

Sie schien ihm zu gefallen, denn er lächelte jetzt.

Sieben Krimis auf einen Streich: Kriminalroman-Paket

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