Читать книгу Sieben Krimis auf einen Streich: Kriminalroman-Paket - A. F. Morland - Страница 12
Kapitel 3
ОглавлениеProbek setzte den Feldstecher an die Augen, als das schlanke, blonde Mädchen aus der Antoniusstraße kam. Probek lächelte wie ein Mann, der sich über das pünktliche Erscheinen seines Mädchens freute.
Probek kannte die Daten aller Angestellten der Spar- und Kreditbank vom Herzogplatz. Das blonde Mädchen hieß Gudrun Kaymer. Sie war weder verlobt noch verheiratet, lebte bei ihren Eltern und arbeitete als Kundenberaterin in der Bankfiliale.
Gudrun Kaymer oder Josef Feldhaus, einer der drei Kassierer, kamen stets als erste an. Feldhaus besaß einen Schlüssel zu der Eingangstür, die tief zurückgezogen fast an der Ecke des Gebäudes lag. Durch die Tür gelangte man in einen Flur, an dem die besonders gesicherte Tür in die Schalterhalle der Filiale lag.
Eine Treppe führte zu den Wohnungen in den fünf Etagen über der Bank.
Probek hatte die Örtlichkeiten genau erkundet. Er hatte sogar erwogen, die kleine Apartmentwohnung im dritten Stock über der Bank zu mieten, als sie im vergangenen November frei wurde, sich dann aber doch dagegen entschieden. Die Position über der Bank brachte keine Vorteile. Das Hotel war für seine Zwecke geeigneter. Von hier aus konnte er sehen, was vor der Bank vorging. Und er konnte durch die Halle des Hotels zur Bundesstraße hin verschwinden. Und zurückkehren, wenn es sich als notwendig erweisen sollte.
Gudrun Kaymer winkte der älteren Verkäuferin im Café zu, als sie an der offenen Tür vorbeiging. Dann blieb sie im Hauseingang der Bank stehen.
Probek stellte den Feldstecher genau auf ihr Gesicht ein. Die Gardine vorm Fenster behinderte die Sicht kaum.
Das Mädchen sah sich um. Probek konnte genau ihre hellblauen, leuchtenden Augen erkennen. Die geschwungenen Lippen öffneten sich zu einem schnellen Lächeln, als sie Feldhaus erblickte, der aus der anderen Richtung herankam. Feldhaus stellte seinen Wagen in einem Parkhaus an der Bundesstraße ab.
Mit seinen 52 Jahren war Josef Feldhaus der älteste Angestellte der Filiale am Herzogplatz. Er kleidete sich jugendlich, doch sein dicker Bauch und der runde Schädel mit dem grauen Haarkranz und der kahlen Stelle in der Mitte machte alle Bemühungen, jünger zu wirken, zunichte.
Er begrüßte Gudrun Kaymer mit Handschlag, bevor er umständlich die Tür aufschloss und der jungen Kollegin den Vor tritt ließ.
Als die Aluminiumtür wieder ins Schloss fiel, setzte Probek das Glas ab und sah auf die Uhr. Es war fünf Minuten nach acht.
Er trank einen Schluck von dem kalt gewordenen Kaffee und zündete dann eine Zigarette an.
Seit einem halben Jahr stieg er in unregelmäßigen Abständen im City-Hotel ab. Er blieb jeweils drei oder vier Tage. Sein Frühstück bestellte er aufs Zimmer. 7 Uhr 30, vermerkte er auf dem Bestellzettel, den er abends außen am Türgriff befestigte. Wenn der Etagenkellner klopfte und Probek ihm das Tablett abnahm, hängte er das Bitte-nicht-stören-Schild hinaus. Immer hielt er sich bis zum Mittag im Zimmer auf. Im Verlauf des Vormittags führte er mehrere Telefongespräche, damit einige Einheiten unten auf dem Zähler registriert wurden. Er war ein Vertreter, der seine Geschäfte vom Hotel aus einleitete, eine Tarnung, die auch einer etwas genaueren Nachprüfung standhalten würde.
Auch heute war er keinen Millimeter von dieser Routine abgewichen.
Bisher nicht, wie er einschränkend feststellte. Denn heute würde alles anders sein. Auf diesen Tag hatte er lange hingearbeitet. Mehr als ein Jahr lang.
Ruhig rauchte er die Zigarette zu Ende. Als er sie ausdrückte, gerieten Otten und Lipmann, zwei weitere Bankangestellte, in sein Blickfeld.
Genau nach Plan, stellte Probek fest. Es war 8 Uhr 11. Er nahm das Handfunkgerät auf und drückte die Sprechtaste.
»Seid ihr startbereit?«, fragte er.
Keinen Namen, nicht einmal Codebezeichnungen wie »Hier Apollo, Merkur bitte melden«. Jeder überflüssige Firlefanz konnte zu Pannen führen. Die drei Männer im Wagen wussten, wer sprach, auch wenn sie seinen Namen nicht kannten. Es genügte, dass er sie kannte und alles über sie wusste. Er war der Boss.
»Startbereit.«
Die Stimme klang blechern und schwach, weil der Sprecher in einem geschlossenen Fahrzeug saß. Nachher, wenn er erst mal in der Bank war, würde die Verständigung besser sein. Sie hatten es getestet.
»Los dann«, sagte Probek.
Er sah nach links, wo ein blauer Rekord von der Keplerstraße her in den Herzogplatz einbog. Undeutlich konnte er die Umrisse der Insassen ausmachen. Junghein und Britz saßen vorn, Hilmer hinten.
Ruhig lenkte Junghein den Wagen um den halben Platz herum. Otten und Lipmann, die beiden Bankangestellten, blieben kurz stehen, um dem Fahrer Gelegenheit zu geben, ihn in die Lücke vor einer Parkuhr zu setzen. Probek hatte fest damit gerechnet, dass die Männer eine freie Parkuhr vorfanden. Er hatte nicht erlebt, dass einmal vor neun Uhr alle Plätze belegt gewesen wären.
»Position erreicht«, meldete Hilmer, der während der Anfahrt das Walkie-Talkie bediente.
Jetzt reichte er es Junghein, so hatten sie es besprochen.
Otten und Lipmann überquerten die Straße und steuerten den Nebeneingang zur Bank an.
Probek hob das Fernglas an die Augen. Otten drückte den Klingelknopf. Britz und Hilmer erreichten den Eingang. Lipmann, ein jüngerer Mann mit offenem Gesicht und arglosen Augen hinter dicken Brillengläsern, nickte dem vierschrötigen Britz freundlich zu.
Die Tür sprang auf. Britz und Hilmer betraten hinter den Bankangestellten das Haus. Für Probek unhörbar fiel die Tür ins Schloss.
Jungheins Stimme klirrte aus dem Lautsprecher des Handfunkgerätes.
»Wir sind drin!«
»Verstanden«, bestätigte Probek.
Weder Junghein noch die anderen beiden wussten, wo er, Probek, während des Überfalls steckte.
Probek schaltete das Multifrequenzgerät ein. Der eingebaute Lautsprecher gab den Funkverkehr der Polizei fast störungsfrei wieder.
». . . Erna für Erna 17, kommen.«
»Erna 17.«
»Fahren Sie Kalkhof 44 an, ein Mieter meldet Wohnungseinbruch. — Erna 9, können Sie einen Unfall an der Uhlandstraße aufnehmen?«
Probek regelte die Lautstärke ein wenig herunter. Es hatte ihn viel Mühe gekostet, dieses Gerät zu beschaffen. In den eingebauten Scanner ließen sich mehr als 40 verschiedene Frequenzen einprogrammieren, auf denen nicht nur der Funkverkehr zwischen der Leitstelle der Polizei und den Streifenfahrzeugen, sondern auch die Kanäle zu empfangen waren, auf denen sich die Angehörigen der Sondereinsatzkommandos während ihrer Einsätze untereinander verständigten.
Erneut hob er den Feldstecher an die Augen. Die nächsten Minuten gehörten zu den kritischsten des Unternehmens, in kurzen Abständen würden jetzt die anderen Angestellten eintreffen. Würden Britz und Hilmer die Nerven behalten? Würden sie verhindern können, dass einer Alarm auslöste, bevor Herbert Ehser in der Bank eintraf?
Ruhig hielt er das Glas, und ruhig zählte er die ankommenden Angestellten, die am Nebeneingang klingelten und dann im Inneren des Gebäudes verschwanden. Auf der Liste, die nur in seinem Kopf existierte, hakte er jeden Namen ab.
Der Funkverkehr zwischen der Leitstelle der Polizei und den Einsatzfahrzeugen verriet kein ungewöhnliches Ereignis. Die Rede war von Unfällen und ausgefallenen Verkehrsampeln, von Staus im Innenstadtbereich und einem herumirrenden Kind, das von einer Streifenwagenbesatzung aufgegriffen worden war, von seinen Eltern jedoch noch nicht vermisst zu werden schien.
Probek sah kurz auf die Uhr, dann blickte er wieder nach unten. Eben hastete Irma Becker auf den Nebeneingang zu. Sie kam wie üblich als letzte.
Jetzt fehlte nur noch Herbert Ehser, der Chef.
Der Safe im Keller der Filiale ließ sich nur mit zwei Schlüsseln öffnen.
Einen davon besaß Herbert Ehser.
Probek sah erneut auf die Uhr, obwohl seit dem letzten Blick erst wenige Sekunden verstrichen waren.
Es war 8 Uhr 16. Ehser traf stets zwischen 8 Uhr 10 und 8 Uhr 15 vor der Bank ein. Ein paar Minuten hätte Probek ihm sogar heute morgen zugestanden, wenn Ehser nicht ausgerechnet heute eine halbe Stunde früher als gewöhnlich von zu Hause weggefahren wäre.
Probek griff zum Telefon und wählte Juttas Nummer.
Sie musste neben dem Apparat gewartet haben, denn sie nahm sofort ab.
»Er ist noch nicht da«, sagte er.
»Ich verstehe es nicht!«
»Hat er nichts gesagt?«
»Wir reden nur das Notwendigste. Ich habe es dir erklärt . . .«
»Schon gut«, unterbrach er sie. »Wenn er bis fünf Minuten vor halb acht nicht kommt, blase ich den Job ab.«
Jutta ließ den Hörer auf die Gabel fallen und stieß den angehaltenen Atem aus. Sie musste sich setzen, weil ihre Knie weich wurden.
Die Sache einfach aufgeben?
Ihre Nerven drohten zu versagen. Erschöpft lehnte sie sich gegen die kühle Wand. Probek würde seiner Wege ziehen und sie Herbert überlassen. Sie würde ihrem Mann ausgeliefert sein wie eine Geisel.
Aber dann fragte sie sich, wo Herbert sein mochte, wenn er nicht in der Bank war.
»Herbert, warum hast du nicht angerufen?«
Frank Schänzler, der Anwalt, hatte Ehser durch die offene Tür seines Büros entdeckt und kam heraus.
»Schon gut, Frau Merkel«, sagte er zu seiner Gehilfin. Er legte einen Arm um Ehsers Schultern. »Ich muss zum Gericht, Herbert.«
»Und ich in die Bank. Ich halte dich nicht lange auf.«
»Schön, komm eben mit rein.«
Frank Schänzler war ein großer, massiger Mann mit ausholenden Bewegungen. Seine volltönende Stimme kam im Gerichtssaal gut an. Schänzler und Ehser waren seit ihrer Schulzeit befreundet.
»Ich brauche einen Rat, wegen Jutta.«
»Das hab' ich mir gedacht. Was ist los?«
»Ich habe überlegt, ob ich mich scheiden lassen soll.«
Schänzler hob eine Augenbraue, eine auf Wirkung abgestimmte Geste. »Mein lieber Herbert, so etwas kann man nicht zwischen Tür und Angel besprechen!«
»Ich weiß.«
Der Anwalt legte den Kopf schräg. »Wenn du meine Meinung als Freund hören willst - ich hätte sie schon längst rausgeschmissen. Als Anwalt sage ich dir, auch auf die Gefahr hin, dass mir ein saftiges Honorar entgeht - jetzt ist es zu spät. Sie würde dich ruinieren.« Schänzler sah auf die Uhr. »Es tut mir leid, Herbert . . . Ruf mich zu Hause an, ja? Oder komm vorbei.«
»Ist das alles, was du mir mit auf den Weg geben kannst?«
»Du willst einen Rat. Schön, Herbert. Was ich dir raten kann, ist so vage wie alles, was wir Juristen von uns geben. Ich würde abwarten, Herbert. Oder mir etwas einfallen lassen.«
Schänzler lächelte, als er seinem Freund die Tür öffnete.
Ehser lächelte nicht. »Danke, Frank. Ich glaube, du hast mir mehr geholfen, als ich erwartet hatte.«
Verblüfft sah der Anwalt ihm nach.
Vor dem geschlossenen Haupteingang der Bank standen bereits die ersten Kunden, eine ältere Frau in einem schwarzen Mantel und ein Mann mit Cordhut und grauem Kittel. Es war 8 Uhr 24.
Probeks Armmuskeln zitterten, was nicht nur daher rührte, dass er die ganze Zeit den Feldstecher an die Augen presste. Ein eiserner Reifen schien seine Brust zu umspannen. Eine unsichtbare Kraft zog den Ring immer enger und schnürte ihm die Luft ab. Alles umsonst. Monatelange Vorarbeiten für die Katz. Was hatte er übersehen?
Er setzte das Glas ab, weil das Bild vor seinen brennenden Augen verschwamm.
Jutta! Hatte sie ihrem Mann etwas verraten? Himmel, warum? Sie war so scharf auf das Geld, dass sie es gar nicht erwarten konnte. Sie hatte den Köder schneller geschluckt, als er Leine nachlassen konnte.
Er nahm das Walkie-Talkie in die Hand. Seine Kehle war wie zugeschnürt, seine Zunge weigerte sich, Junghein den Befehl zu geben, zur Seitentür zu gehen und dreimal zu klingeln. Das war das verabredete Signal für Britz und Hilmer, herauszukommen und mit Junghein zu verschwinden.
Aus dem eingebauten Lautsprecher drang ein prasselndes Geräusch.
Junghein blies ins Mikrofon seines Geräts.
»Ja?«, sagte Probek.
»Er kommt«, meldete Junghein.
Es war 8 Uhr 25.
Probeks Haltung straffte sich, der Druck auf seiner Brust löste sich auf. »Es wird eng werden«, sagte er ins Mikrofon. »Aber ihr schafft es!«
Sie mussten nur alle in der Bank sein. Britz, Hilmer und Junghein. Und Ehser.
Junghein antwortete nicht. Er wartete, bis Ehser am Wagen vorbei war, dann stieg er aus und ging einen halben Schritt hinter dem Filialleiter her. Jungheins große Hände steckten in unauffälligen hellbraunen Lederhandschuhen. Das Handfunkgerät hing an einer Lederschlaufe über seiner Schulter und wurde von der weiten Jacke verdeckt.
Piet Junghein war ein Mann von unerschütterlicher Gelassenheit. Ihm würde der schwierigste Teil des Jobs zufallen. Und für ihn, Probek, würde es darauf ankommen, Junghein zu überzeugen und bei der Stange zu halten.
Als Probek an dem Plan für einen großen Bankraub zu arbeiten begann, hatte er sich an Berichte über Piet Junghein erinnert, der vor acht Jahren in Hamburg zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
Junghein hatte mit zwei Komplizen, unbeherrschten, disziplinlosen Stümpern, wie sich herausstellte, einen Juwelengroßhändler überfallen. Als es dem Überfallenen gelang, Alarm auszulösen, hätte das Trio noch Zeit genug gehabt zu verschwinden. Aber die beiden Stümper hatten zwei Angestellte und den Schwager des Juwelenhändlers als Geiseln genommen und bei dem Feuergefecht mit der Polizei einen Beamten und einen Passanten verletzt.
Jungheins Besonnenheit war es letztlich zu verdanken gewesen, dass ein größeres Blutvergießen vermieden wurde und er und seine Komplizen mit dem Leben davonkamen.
Probek hatte vorsichtige Erkundigungen eingezogen, und als er erfuhr, dass Piet Junghein schon seit zwei Jahren wieder auf freiem Fuß war, war Probek nach Hamburg gefahren, um sich den Mann unauffällig aus der Nähe anzusehen.
Mit seinen 48 Jahren und seiner Vorstrafenlatte hatte er keine Chance, jemals einen richtigen Job zu bekommen.
Trotzdem schien er nach Verbüßung der Strafe für den Raubüberfall auf den Juwelenhändler nicht wieder rückfällig geworden zu sein. Er hauste im Hamburger Stadtteil St. Georg über der Kneipe eines Freundes, in der er für das winzige Zimmer und hin und wieder ein warmes Essen aushalf. Ein Taschengeld verdiente er sich als Aushilfsfahrer bei einem Zeitschriftengroßvertrieb.
Probek hatte ihn ein paar Tage lang beobachtet und einmal an der Theke sogar ein paar Worte mit ihm gewechselt, ohne ihm das wahre Interesse an seiner Person zu verraten. Dafür wäre es viel zu früh gewesen.
Junghein hatte Probek auf Anhieb gefallen. Er hatte begonnen, ihn in unregelmäßigen Abständen anzurufen. Geduldig hatte er ihm den Gedanken an einen Banküberfall schmackhaft gemacht. An einen sauber vorbereiteten Job 500 Kilometer von Hamburg entfernt. Bevor Probek zum ersten Mal mit dem Hamburger zusammentraf, hatte er ihm im Abstand von einigen Wochen mehrmals Geld in einem Umschlag geschickt, insgesamt 6000 Mark, womit er die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens unterstrich.
Als sie sich dann später zum ersten Mal trafen, das war etwa auf halber Strecke in Bielefeld gewesen, hatte Junghein ihm erzählt, dass er das Geld nicht auf den Kopf gehauen, sondern das meiste auf ein Sparbuch eingezahlt hätte. Für alle Fälle.
Piet Junghein würde der schwierigste Teil des Unternehmens zufallen.
Doch das wusste der Hamburger jetzt noch nicht, als er sich hinter Ehser in den Hausflur drängte, ihm die Mündung einer Pistole in die Seite rammte und ihn auf die Tür zustieß, die vom Erdgeschossflur in die Schalterhalle der Spar- und Kreditbank führte.
Ehser prallte mit dem Kopf gegen den Türrahmen. Die Tür wurde geöffnet. Er konnte nicht erkennen, von wem. Vor seinen Augen schwebten schwarze Schleier. Benommen suchte er nach einem Halt, weil er das Gefühl hatte, die Besinnung zu verlieren. Er klammerte sich an Jungheins Arm fest.
Junghein zerrte gerade eine blaue Strickmütze mit grob herausgeschnittenen Löchern für Nase, Augen und Mund über sein Gesicht. Ehser starrte die Augen an.
»Bitte, bleiben Sie ruhig!«, stammelte er.
Vor einigen Monaten erst hatte er an einem Seminar teilgenommen, in dem Experten der Polizei ihn und andere Filialleiter auf Situationen wie diese vorbereitet hatten. All die Instruktionen, die er erhalten und an seine Mitarbeiter weitergegeben hatte, schossen ihm auf einmal durch den Kopf.
Ruhig bleiben. Den Kreis der Betroffenen so klein wie möglich halten. Die Täter nicht reizen. Keine Menschenleben gefährden. Die Täter nicht direkt ansehen . . .
Ehser sah in eine andere Richtung. Sein Blick fiel auf einen zweiten vermummten Mann.
»Die anderen sind schon unten«, sagte Hilmer.
Junghein hielt Ehser hart am Oberarm fest, als er ihn zu der Treppe führte. Hilmer blieb oben zurück. Die hellen Vorhänge vor dem Kundeneingang und den breiten Fenstern waren noch zugezogen. Die große Uhr in der Schalterhalle wies auf 8 Uhr 28.
Ehser stolperte auf den glatten Stufen, und er wäre gestürzt, wenn Junghein ihn nicht festgehalten hätte.
»Bitte, bleiben Sie ruhig!«, wiederholte Ehser.
»Niemandem wird etwas geschehen, wenn Sie die Nerven behalten!«, sagte Junghein.
Die Tür zum Tresorraum stand offen. Im großen Vorraum, wo die fahrbaren Metalltische der Kassierer mit den abschließbaren Fächern standen, drängten sich die Angestellten. Aus geweiteten Augen sahen sie zwischen dem bewaffneten und maskierten Gangster und Ehser hin und her.
»Öffnen Sie den Tresor!«, befahl Junghein.
»Das kann ich nicht allein«, sagte Ehser.
Junghein schleuderte ihn gegen das Trenngitter. »Das weiß ich!« Sein Kopf ruckte herum, seine Augen strichen über die Gesichter der Angestellten. »Herr Otten!«, sagte er mit lauter Stimme, die in dem überfüllten Raum fast körperlich zu spüren war.
Drei, vier Augenpaare richteten sich auf Otten. Junghein packte den Mann mit beiden Händen. Mit einem wilden Ruck, der seine Entschlossenheit demonstrieren sollte, beförderte er den Vertreter des Filialleiters neben Ehser.
Britz zielte mit seiner Pistole auf Ehsers Kopf.
»Die Helden sterben als erste«, sagte Junghein.
Ehser nickte Otten zu, dann zog er seinen Schlüssel, der an einer kurzen Kette befestigt war, und steckte ihn ins Schloss der Gittertür.
Junghein zerrte die beiden Leinenbeutel unter seiner Jacke hervor.
Die innere Stahltür schwang zurück und gab den Blick auf die gestapelten Geldbündel frei.
Junghein starrte das Geld an.
»Wie viel ist das?«, fragte er. Seine Stimme klang heiser.
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Ehser.
»Nur das Papiergeld?«, meldete sich Feldhaus mit zitternder Stimme. »Etwas über achtzigtausend . . .«
Junghein fuhr auf Ehser zu. »Achtzigtausend? Das soll wohl ein Witz sein!«
»Wir haben selten mehr«, erklärte Ehser gefasst. »Wenn wir höheren Bargeldbedarf haben, liefert es die Hauptniederlassung innerhalb einer Stunde.«
Junghein bewegte sich sekundenlang nicht. Im Vorraum des Tresors breitete sich eine dumpfe Stille aus, bis Ehser sich räusperte.
»Es ist 8 Uhr 31«, sagte er. »Die Kunden werden ungeduldig.«
Junghein schleuderte die Leinenbeutel auf Ottens Brust.
»Einpacken! Machen Sie schon!«, befahl er. Dann zerrte er das kleine Handfunkgerät aus der Tasche und drückte die Sprechtaste. Er blies scharf ins Mikrofon und sagte dann: »Chef, hier unten sind nur ungefähr achtzigtausend . . .«
Dieter Probek lächelte dünn. Vor dem Kundeneingang der Spar- und Kreditbank hatte sich eine kleine Traube wartender Kunden gebildet, die zunehmende Anzeichen von Ungeduld zeigten.
Probek hob das Funkgerät an die Lippen. »Die wollen euch auf den Arm nehmen!«, sagte er. »Frag ihn, wo die Kohle liegt. Aber lass dich nicht verscheißern!«
Probek hielt den Telefonhörer bereits in der freien Hand. Er drückte den Knopf, der ihm eine Amtsleitung freigab, dann wählte er die Notrufnummer der Polizei.
»Einsatzleitstelle, 8 Uhr 32. Bitte, sprechen Sie!«
»Überfall. Spar- und Kreditbank am Herzogplatz . . . Die schießen!«
»Wiederholen Sie bitte und nennen Sie Ihren Namen!«
»Die schießen . . .« sagte Probek noch einmal mit gesenkter Stimme, dann legte er auf.
Sekunden später drang dünn das Heulen einer Polizeisirene durch das Fenster, das er in Kippstellung gebracht hatte. Probek hob das Funkgerät und drückte die Sprechtaste.
»Hier rauschen die Bullen an!«, sagte er laut. »Wer von euch hat sich reinlegen lassen?«