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Kapitel 4

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Obwohl sie das Anschlägen des Telefons mit allen Sinnen erwartete, zuckte sie doch zusammen, als der Apparat sich meldete. Es war 8 Uhr 32. Sie riss den Hörer an ihr Ohr.

»Ja?«

»Bist du es, Juttalein?«

O nein, dachte sie, nein, nicht jetzt. Herberts Mutter hatte ihr gerade noch gefehlt.

»Natürlich bin ich es«, sagte sie, indem sie behutsam den angehaltenen Atem ausstieß.

»Hast du was, mein Kind?«, erkundigte sich ihre Schwiegermutter.

Ja, ich habe was! Ich warte auf den Anruf meines Liebhabers, der gerade dabei ist, die Bank deines vergötterten Söhnchens auszurauben!

»Wie kommst du darauf?«, entgegnete sie kühl. Sie presste eine Hand auf ihren Schenkel, weil sie das Gefühl hatte, ihre Finger begännen unkontrolliert zu zittern. Fieberhaft suchte sie nach einer Möglichkeit, Herberts Mutter abzuwimmeln. Was konnte sie vorschützen? Nervosität? Eine Besorgung? Wenn es ihr nicht gelang, die alte Dame zu stoppen, plapperte sie eine halbe Stunde lang am Stück von ihren tatsächlichen oder eingebildeten Leiden und den Leiden ihrer Bekannten und deren Bekannten.

Aber sie durfte nichts sagen, was ihre Schwiegermutter später zum Nachdenken bringen könnte.

»Hörst du mir eigentlich zu, mein Kind?«, fragte die alte Dame mit der für sie typischen, akzentuierten Stimme.

»Entschuldige, Mama, ich habe eben Kartoffeln für heute Mittag aufgesetzt. Ich dachte, sie kochen schon.«

»Dann stell die Flamme eben kleiner, Juttalein.«

»Nicht nötig, es ist noch nicht soweit. Ich kann sowieso nicht lange reden.«

»So? Und warum nicht?«

Sie war wie Herbert. Sie wollte stets alles ganz genau wissen.

»Ich möchte gleich baden und anschließend zum Frisör.«

»Gehst du immer noch zu Brandt? Du kennst doch Frau Roll. Ihre Tochter fährt neuerdings nach Dreisbusch, da hat ein junger Frisör das Geschäft vom alten Bruckner übernommen . . .«

»Mama, kann ich dich nachher anrufen?«

»Du bist so nervös, mein Kind. Hast du nicht doch etwas?«

»Nein, Mama, ich hatte mir nur einiges vorgenommen . . .«

»Herbert macht in der letzten Zeit auch so einen nervösen Eindruck, aber er sagt mir auch nicht, was los ist. Zwischen euch stimmt doch noch alles?«

Gott bewahre, du alte Krähe, dachte Jutta, ich bin froh, wenn es endgültig vorbei ist!

»Natürlich, Mama«, sagte sie. »Du, das Kartoffelwasser kocht. Ich rufe dich an, ja?«

»Ich bin aber nachher einkaufen, um elf vielleicht . . .«

Jutta legte einfach auf. Erschöpft schloss sie die Augen.

Warten, warten. Warum rief Probek nicht an?

Wenn sie ihren Gedanken freien Lauf ließ, kroch unweigerlich das Misstrauen aus den Windungen ihres Gedächtnisses hervor und fraß sich wie Säure in ihr Hirn.

Hatte er sie vielleicht doch nicht in alle Einzelheiten seines Planes eingeweiht?

Dieses verdammte Misstrauen.

Dabei war es zuerst ganz gut gelaufen zwischen ihr und Probek. Probek war vorsichtig. Nach dem ersten Mal hatte er das Haus nicht mehr betreten, und nie hatte er angerufen, wenn Herbert zu Hause war. Sooft sie ihn sehen wollte — mit ihm ins Bett wollte —, fuhr sie nach Leverkusen hinüber, wo er unter falschem Namen ein Apartment gemietet hatte. Es war die reine Lust. Tagsüber hatte Probek immer Zeit. Wie sie.

Sie hatte angenommen, dass er im Chemiewerk arbeitete, im Schichtbetrieb. Komisch, wie war sie eigentlich darauf gekommen? Sie konnte sich nicht erinnern, ihn gefragt zu haben, wovon er lebte. Wenn sie nachdachte, hatte er sie sogar darauf gebracht, ihn zu fragen. Weil er zur Sache kommen wollte. Aber er hatte sich Zeit gelassen, er hatte Geduld wie ein Elefant. Als er zum ersten Mal mit ihr über seine Pläne sprach, war er wahrscheinlich davon überzeugt gewesen, dass sie von ihm und seinem brutalen Sex abhängig war.

Doch das war nicht der Fall gewesen. Sie hatte nie etwas getan, was sie nicht hatte tun wollen. Er hätte es wissen müssen. Denn Probek hatte sie immer mit einer Katze verglichen. Eine Katze tat nie, was andere wollten . . .

Das hatte zuerst Herbert erfahren müssen. Es war an einem Freitag gewesen. Freitags, bevor er aus dem Haus ging, entschied er gewöhnlich, ob sie am Sonntag seine Mutter besuchten oder zu Hause blieben. Letzteres bedeutete für sie im allgemeinen Langeweile, denn Herbert verbrachte den Sonntag dann gewöhnlich vor seinem Computer, um neue Programme auszutüfteln.

Deshalb hatte sie bisher keine Einwände gegen die regelmäßigen Sonntagsbesuche bei ihrer Schwiegermutter vorgebracht, obwohl sie sich mit der alten Hexe nicht vertrug.

»Denk dran, dass du einen Kuchen backst«, hatte Herbert gesagt und krachend in sein Knäckebrot gebissen. Seit einiger Zeit - seit dem Urlaub auf Ibiza - versuchte er, ein paar Pfunde loszuwerden. »Vielleicht eine Käsetorte, die mag Mutter am liebsten.«

»Und du auch«, sagte sie. »Schön, ich backe den Kuchen. Aber ich komme nicht mit.«

Ihre spontane Ankündigung überraschte sie selbst. Sie hatte nicht darüber nachgedacht. Aber sie hatte keine Lust mehr, die Sonntage bei ihrer Schwiegermutter abzusitzen und sich deren Nörgeleien anzuhören.

Sie hatte ja während der Woche keine Langeweile mehr.

Und wenn sie am Sonntag allein wäre, könnte sie sich pflegen. Schlaf nachholen. Lange baden. Etwas für ihre Haut tun.

Und vielleicht zu Probek fahren . . .

Sie hielt den Atem an. Nein, sonntags nie.

Dann bemerkte sie Herberts Gesichtsausdruck. Das böse Glitzern in den Augen, die herabgezogenen Mundwinkel.

»Das ist doch wohl nicht dein Ernst!«

Sie hätte jetzt zurückgekonnt. Mit einem Lachen darüber hinweggehen und den Test bei einer günstigeren Gelegenheit wiederholen können.

Sie träufelte dick Honig auf ihren Toast. Warum provozierte sie ihn eigentlich? Wegen Probek? Zu ihm konnte sie nicht kommen, wenn Herbert sie auf die Straße setzte. Probek war kein Mann, zu dem man ging, wenn man Probleme hatte.

»Todernst. Blutiger Ernst«, sagte sie.

»Darüber reden wir noch. Nachher.«

»Du kannst dir jetzt oder nachher den Mund fransig reden. Ich fahre nicht mit.«

»Warum nicht, wenn ich fragen darf?«

Sie hob die Schultern. »Warum sollte ich? Es ist langweilig. Sie erzählt immer dasselbe. Sie kann mich nicht ausstehen. Sie wird froh sein, wenn sie dich für sich allein hat.«

»Das alles fällt dir reichlich spät ein.«

»Mag sein. Spät, aber nicht zu spät.«

»Wer steckt dahinter?«, fragte er gepresst.

»Was du dir einbildest!«

»Ich bin nicht blind!« Herberts zitternde Wangen bekamen rote Flecken. »Ich weiß, dass du meine Rücksicht und Großzügigkeit für Schwäche hältst. Und sie ausnutzt.«

»Wie soll ich das verstehen?« Sie fühlte sich kühl bis in die Zehenspitzen. Nur wenn sie kühl blieb, konnte sie diesen Zweikampf bestehen - und gewinnen.

»Meinst du, ich wüsste nicht längst, dass ich dich langweile . . .«

»Dann tu doch was dagegen!«

». . . dass du mich nur als den Dummen betrachtest, der das Geld nach Hause bringt? Dass du dich nur für mich hinlegst, um mich bei der Stange zu halten?« Seine Stimme hob sich, wurde schrill. »Du lebst wie eine Made im Speck! Wie . . . wie eine Drohne!«

Jutta konnte nicht anders. Sie musste lachen. »Da gibt es einen passenderen Vergleich«, sagte sie.

Seine runden Augen starrten sie böse an. »Ja?«

»Nutte«, sagte sie. »Nie gehört?«

»Das habe ich nicht gemeint!« Er sah auf die Uhr. »Ich muss jetzt gehen.«

Sie spürte ein Hochgefühl. Er zog sich zurück.

»Du kneifst«, stellte sie fest.

»Wir reden nachher weiter.«

»Nachher bin ich vielleicht nicht hier«, sagte sie.

Er hatte sich schon halb von seinem Stuhl erhoben. Jetzt ließ er sich zurückfallen. »Hast du einen . . . einen Liebhaber?«, stieß er keuchend hervor.

»Erwartest du darauf eine ehrliche Antwort?«

Sie sah ihn herausfordernd an. Seine Nasenflügel bebten, und sein Hals schwoll an.

»Du . . . du . . .«

»Was würdest du dagegen tun? Mich rausschmeißen?«

»Das könnte dir so passen!«

»Dann solltest du dich nicht so aufregen.« Sie musterte ihn wie einen Fremden. »Es ging doch nur darum, dass ich am Sonntag nicht mit zu deiner Mutter komme. Warum machst du deshalb so ein Theater?«

Herbert stand auf und stürmte hinaus.

Jutta hielt es für besser, Probek ein paar Tage nicht zu treffen. Es würde ihr schwerfallen, das wusste sie, aber sie hätte nur Nachteile, wenn sie Herberts Misstrauen jetzt Nahrung gäbe.

Am Freitag blieb sie brav zu Hause. Herbert kam früh zurück. Sie lag im Wohnzimmer auf dem Sofa und blätterte in einer Illustrierten. Er warf die Tür ins Schloss und rief laut nach ihr. Als sie nicht antwortete, stürmte er ins Wohnzimmer.

»Warum antwortest du nicht?«, fragte er laut.

»Wenn du so schreist . . .«

»Wo warst du heute den ganzen Tag?«

Sie legte die Zeitschrift auf den Tisch und räkelte sich. Sie trug einen leichten Wollrock, der die Form ihrer Schenkel betonte, und einen dünnen Pullover. Sie wusste, worauf Herbert abfuhr.

»Zu Hause. Hier«, antwortete sie.

»Hier?« Sein Mund verzerrte sich. »Das kann nicht sein. Ich habe angerufen.«

»Ich weiß. Das erste Mal um 8 Uhr 44, dann vier- oder fünfmal bis 10 Uhr, danach war eine Stunde Ruhe. Hattest du einen Kunden?«

»Ich habe zwei Auszubildende, falls du dich erinnerst. Freitags arbeite ich eine Stunde mit ihnen.«

»O ja, du hast es erwähnt. Tja, kurz nach elf ging die Bimmelei wieder los, bis zwei Minuten vor eins. Da kam deine geheiligte Mittagspause. Sag mal, hältst du dich etwa eine ganze Stunde an deinem Becher Joghurt fest?«

»Hör auf!«, schrie er. Er machte einen Schritt auf sie zu. Sie zog die Knie ein wenig an. Der Rock rutschte hoch. Sie wusste, dass er auf ihre nackten Schenkel starrte und auf das weiße Höschen. Er atmete schwer. »Warum bist du nicht an den Apparat gegangen?«

»Weil ich mich nicht kontrollieren lasse. Ich bin eine Drohne. Oder wäre dir eine Nutte lieber?«

»Du bist so . . . so . . .«

»Vulgär? Wer hat mir diese Ausdrücke beigebracht?«

Sie sah ihn von unten herauf an. Er ballte die Hände zu Fäusten. Sie sah, dass er eine Erektion bekam.

»Ich glaube, du würdest dir den Schwanz jetzt lieber abschneiden, als was anderes damit zu tun!«

Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte hinaus.

Am Sonntag fuhr Herbert zu seiner Mutter - mit dem Käsekuchen. Jutta blieb zu Hause, obwohl ihr unruhig gewordenes Blut nach Probeks hartem Körper schrie. Sie vermutete, dass Herbert eigens den Kilometerstand ihres Escort aufgeschrieben hatte, obwohl das nicht ausschlaggebend für ihr Verhalten war. Sie wollte Herbert nicht unnötig reizen. Sie war dabei, ihren Freiraum neu abzustecken.

Als das Telefon um halb drei klingelte und sie die Stimme ihrer Schwiegermutter hörte, verflogen ihre guten Vorsätze wie Blütenblätter im Frühlingswind.

»Juttalein, geht es dir nicht gut?«

Sie hätte die Brücke betreten können, die ihre Schwiegermutter ihr da baute. Doch das Verlangen nach neuer Freiheit hatte sich schon in ihrem Kopf festgesetzt. Sie hatte den Kampf begonnen. Sie war entschlossen, jetzt nicht die Waffen zu strecken.

»Wie bitte?«, fragte sie.

»Ich weiß, wie schlimm Kopfschmerzen sein können. Habe ich dir von den rasenden Kopfschmerzen erzählt, die ich damals hatte . . .«

»Ich habe keine Kopfschmerzen. Wer hat dir den Quatsch erzählt?«

»Kindchen, warum bist du so gereizt? Liegst du im Bett?«

»Ich bin nicht krank. Ich sitze vorm Fernseher.«

»Sei vorsichtig, Kindchen! Kopfschmerzen sind manchmal ein Warnzeichen für . . .«

»Ich habe keine Kopfschmerzen!«, sagte Jutta.

Herberts Mutter wollte es einfach nicht wahrhaben. Anna Ehser war Weltmeisterin im Problembewältigen durch Verdrängen.

»Nächsten Sonntag kommst du wieder mit«, sagte die alte Dame entschieden.

Jutta legte auf. Sie brachte es nicht einmal fertig, der Alten einen schönen Sonntag zu wünschen.

Herbert kam erst spät an diesem Sonntag zurück. Die Wut umgab ihn wie eine elektrische Ladung.

Sie saß immer noch vorm Fernsehapparat. Als er hereinkam, sah sie sofort, dass er getrunken hatte. Wahrscheinlich nur ein paar Gläser Bier, denn er vertrug nicht viel Alkohol, und außerdem hatte er viel zuviel Angst um seinen Führerschein, seinen Ruf und seinen kostbaren Mercedes.

Aber sie kannte die Anzeichen sehr genau. Das gerötete Gesicht, die wässrigen Augen und die feuchten Lippen. Vermutlich hatte er sich in der Kneipe unten an der Kirche Mut für die kommende Auseinandersetzung angetrunken und sich dabei selbst in Wut versetzt.

Jutta stand auf und drehte den Ton des Fernsehers höher. Sie trug einen durchgehenden Hosenanzug aus eng anliegendem, schwarzem Feincord, der ihre Formen vorteilhaft betonte und jede Muskelbewegung nachzeichnete.

Herbert ging an den Apparat und stellte ihn ab.

»Was ist in dich gefahren?«, brüllte er.

»Wenn du schreien willst, geh in den Garten«, sagte sie mit kehliger Stimme. Sie legte sich wieder aufs Sofa. Sie spürte, dass die Naht im Schritt ihre Schamlippen spreizte und ihre Konturen haargenau abmalte.

Herbert starrte sie an. Sein Gesicht bedeckte sich mit feinen Schweißperlen.

»Meine Mutter versteht es nicht«, erklärte er lahm.

»Was?«, fragte sie.

»Dass du mal allein sein möchtest.«

Sie lächelte. Herbert befand sich auf dem Rückzug.

»Kommt es darauf an, dass sie es versteht?«, fragte sie.

Er stand vor der Couch, mit hängenden Armen und Augen, in denen ein hündischer Ausdruck erschien. Er hätte sich in einen Sessel setzen können. Wenn er sich aufs Sofa setzen wollte, musste er sie berühren.

Sie zog die Beine ein wenig an. »Warum stehst du eigentlich da rum?«

Ihren Vorschlag wertete er als Friedensangebot. Dabei handelte es sich um eine Falle. Einfach, aber wirkungsvoll.

Vorsichtig ließ er sich neben ihren Füßen nieder. Sie bewegte eine große Zehe, bohrte ihn in seine Seite.

»Mutter lässt dich grüßen«, sagte er.

Sie schob ihren Fuß unter sein Jackett. Er streckte eine Hand aus, berührte ihre Wade, streifte das Hosenbein bis zum Knie hoch. Sie spreizte die Beine und bog ihren Oberkörper durch. Ihre Brüste spannten den Stoff.

Sie schloss die Augen. Seine Hand kroch über ihren Bauch aufwärts, seine Finger fassten den Schieber des Reißverschlusses und zogen ihn herab.

Keuchend warf er sich auf sie und vergrub sein schweißfeuchtes Gesicht in ihren Brüsten.

Sie gab sich ihm hin. Mit echter Leidenschaft.

Eine Katze tat eben nie, was man von ihr erwartete. Das musste auch Probek überrascht haben, als sie ihn am folgenden Dienstag in seiner Wohnung traf.

»Willst du eigentlich nicht wissen, wer ich bin, was ich mache?«, hatte er gefragt, nachdem er das Fenster zum Hof endlich geschlossen hatte. Beim Vögeln hatte sie das Kreischen der Säge in der Schreinerei gegenüber nicht gestört. Beim Reden war es allerdings lästig.

Er stieg wieder ins Bett und legte eine Hand auf ihren Bauch. Mit der anderen zündete er sich genussvoll eine Zigarette an.

»Wer bist du? Was machst du?«, fragte sie.

Er lachte. »Ich war bei der Bundeswehr. Berufssoldat.«

»Zeitsoldat«, sagte sie.

»Nein, Berufssoldat.«

»Soviel ich weiß, werden Soldaten unter dreißig aber noch nicht pensioniert«, bemerkte sie neckend.

»Ich hab' aufgehört«, erklärte er. »Zuviel Schinderei. Und zuviel Frust.«

»Wann war das?«

»Vor zwei Jahren ungefähr.«

»Und wovon lebst du? Von der Abfindung?«

»Ich habe eine Bank ausgeraubt.«

Er zog an seiner Zigarette. Etwas knisternde Glut sprang von der Spitze und landete im Bogen zwischen ihren Brüsten. Sie achtete nicht auf den kleinen, prickelnden Schmerz. Sie sah in sein hartes Gesicht. Die Augen waren hinter den Lidern, die er wegen des aufsteigenden Rauchs zusammenkniff, kaum zu erkennen. Dann lachte sie.

»Dann würdest du jetzt im Gefängnis sitzen!«

»Weißt du, wie viele Banküberfälle nicht aufgeklärt werden? Oder anderen, die sie erwischen, in die Schuhe geschoben werden?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich weiß es auch nicht, es sind aber ein paar jedes Jahr.« Er grinste.

Sie sah ihn an. Fast glaubte sie ihm.

»Es hat sich kaum gelohnt für das Risiko«, sagte er. Seine Stimme kam tief aus seiner Brust. In ihr schwang eine Ahnung von Angst und Anspannung, Erleichterung und Triumph. »Ich hab' nur 54 000 erwischt.«

Juttas Atem ging flach. Sie hob den Kopf und stützte das Kinn auf seine Brust. Mein Gott, dachte sie, er hat es getan. Er ist kein Angeber. Vermutlich sprach er zum ersten Mal darüber.

»Es ist elf Monate her«, sagte er. Seine Augen starrten zur Decke hinauf. Das schrille Kreischen der Kreissäge ließ die Fensterscheiben vibrieren.

»Dann muss ja noch was übrig sein«, sagte Jutta.

»Damit finanziere ich die Vorbereitungen für einen anderen Job . . .«

»Einen Bankraub?«, fragte sie. Der Gedanke hatte nichts Erschreckendes für sie.

»Wo sonst kann man das Geld holen?«, entgegnete er mit einer Spur Unwillen in der Stimme. »Dieses Mal hole ich so viel raus, dass es für alle Zeiten reicht.«

Sie sagte lange Zeit nichts, und er schwieg ebenfalls. Sie rieb langsam ihr Bein über seinen Unterleib, spürte jedoch keine Reaktion.

»Hast du dich deshalb an mich rangemacht?«, fragte sie schließlich.

»Und wenn?«

Das Abenteuer auf Ibiza, das sie wie eine Urgewalt überfallen hatte, wäre demnach nichts als eine Folge eiskalter Berechnung gewesen.

Für ihn, nicht für sie. Sie spürte einen Schauer, und sie bewegte sich heftiger, presste ihren Unterleib gegen seine Hüfte. Ihr Atem ging wieder schwer.

»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt bei ihm in der Bank gewesen wäre«, sagte sie. »Aber ich weiß, dass die Bargeld Vorräte nicht die Welt sind. Du könntest nicht bis an dein Lebensende damit auskommen.«

»In der Hauptstelle liegt genug«, sagte er. »Geld in rauen Mengen.«

»Da liegt es gut.«

»Mit deiner Hilfe könnte ich rankommen«, sagte er. »Wenn du mitmachst, sage ich dir, wie es geht. Wenn nicht, vergiss es.«

»Du spinnst«, sagte sie.

Eine Bank ausrauben.

Die Bank ihres Mannes.

Es war verrückt.

Sie fragte sich, wer mehr überrascht gewesen war über die Bereitschaft, mit der sie sich auf ein Verbrechen eingelassen hatte — sie oder Probek.

Das beharrliche Läuten des Telefons versetzte sie jäh in die Gegenwart zurück. Ihr Blick streifte die rot leuchtenden Zahlen der elektronischen Uhr neben dem Apparat. Es war 8 Uhr 36.

Sie nahm den Hörer ab. »Hallo?«

»Es läuft«, sagte Probek.

Ein zitternder Seufzer quoll aus ihrer Kehle.

Die Würfel waren gefallen. Es gab endgültig kein Zurück mehr.

Durch das Telefon hindurch hörte sie das Heulen der Polizeisirenen.

»Hörst du es?« Probek lachte leise.

Juttas schwerer Herzschlag beruhigte sich.

»Viel Glück, Probek!«

Sie meinte sogar, was sie sagte. Probek brauchte Glück, damit er das tun konnte, was sie von ihm verlangen würde.

Sieben Krimis auf einen Streich: Kriminalroman-Paket

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