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Kathrin Kripow blickte durch die große Fensterscheibe in das Innere des „Big Goody Burgers“. Das Restaurant verströmte die Atmosphäre eines überdimensionalen Badezimmers, in das man anstelle einer Badewanne billige Plastikstühle und Tische platziert hatte. Die Einrichtung war nüchtern und zweckmäßig. Gefliester Fußboden, orangefarbene Wände, an denen einige Werbeplakate hingen, Neonlampen unter der Decke.

Kathrin ging um das Gebäude herum und betrat den quadratischen Hinterhof. Einige Kisten standen dort herum, und einige Mülltonnen, deren Deckel geschlossen waren. Eine Eisentür führte ins Innere des Lokals. Kathrin betätigte die Klinke. Die Tür war abgeschlossen und ziemlich stabil. Links daneben gab es noch ein Fenster mit einem Gitter davor. Von hier konnte jemand unmöglich in das Lokal eingedrungen sein. Es sei denn, er besaß einen Dietrich, um die Tür zu öffnen.

Kathrin sah sich alles genau an und gelangte zu der Einsicht, dass es eigentlich nicht notwendig gewesen wäre, extra hierher zu gehen. An diesem Ort gab es nichts zu finden. Dennoch hatte sie ein unerklärliches Gefühl getrieben. Sie blinzelte in die schrägstehende Sonne, die hinter dem Giebel eines der alten Gebäude unterging. Als sie sich umwandte, kamen zwei schwere Maschinen mit aufheulenden Motoren durch die Einfahrt auf den Hof. Sie zogen an Kathrin vorbei, hüllten sie in eine Staubwolke, drehten vor der roten Backsteinmauer, die das Areal vom Nachbargrundstück trennte, und kamen zurück.

Kathrin schätzte die beiden Männer auf etwa zwanzig Jahre, vielleicht auch etwas älter. Unter der schwarzen Motorradkluft und bei den riesigen Sturzhelmen war das nicht besonders gut auszumachen. Aber sie sah das Grinsen auf den Gesichtern hinter den Plastikmasken der heruntergeklappten Visiere. Sie bockten die Maschinen auf und Kathrin blickte ihnen gelassen entgegen.

„ Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb Sie sich hier herumtreiben?“, fragte derjenige, der den roten Sturzhelm trug. Der andere hatte einen schwarzen Helm auf dem Kopf, unter dem die langen brünetten Haare hervorlugten. Anders konnte man sie nicht auseinanderhalten in der Einheitsuniform.

Kathrin nickte dem Burschen zu. „Wir leben in einem freien Land.“

Der Mann mit dem schwarzen Sturzhelm lachte. Es waren keine freundlichen Töne, die Kathrin misstrauisch machten und ihre Wachsamkeit schärften. Natürlich hätte sie den Männern ihren Dienstausweis zeigen können, und die Waffe, die sie im Schulterhalfter trug. Der Effekt wäre mit Sicherheit erstaunlich gewesen. Aber noch zögerte sie. Solange diese Männer glaubten, es mit einer ganz gewöhnlichen Frau zu tun zu haben, konnte sie von ihnen unter Umständen einige Informationen erhalten.

„ Vielleicht schleicht sie gerne auf Hinterhöfen herum“, sagte der Erste und wechselte mit seinem Kumpel einen flüchtigen Blick. Dann wandte er sich wieder an Kathrin. „Ist das richtig?“

Kathrin machte einen Schritt zur Seite, denn der Schwarzhelm bewegte sich ebenfalls seitlich. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass sie die junge Frau in die Zange nehmen wollten.

„ Ist dieser Hof etwa euer Eigentum?“, fragte sie.

„ Nein, wir passen nur auf“, antwortete der Mann mit dem schwarzen Helm.

„ Das ist ja sehr nett von euch, aber ich glaube kaum, dass das notwendig sein wird.“

„ Was notwendig ist oder was nicht, bestimmen wir, verstanden?“

„ Also raus mit der Sprache“, forderte sein Kumpel. „Wer bist du und was suchst du hier?“

„ Das ist doch wohl meine Sache, oder?“

„ Nein, ist es nicht. Verschwinde!“

„ Und wenn ich mich weigere?“

Der Mann mit dem schwarzen Helm blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an. „Das war eine gutgemeinte Warnung. Eine Zweite wird es nicht geben. Falls du jemals wieder gesund nach Hause willst, machst du dich am besten gleich auf den Weg.“

Kathrin winkte beschwichtigend ab. Nicht, dass es sie besonders beeindruckte, sie hatte nur keine Lust, sich auf eine Auseinandersetzung mit den beiden einzulassen. Mit geschmeidigen Schritten gingen die beiden Männer zurück zu ihren Maschinen, warfen sie an und starteten. Nun sah Kathrin auch zum ersten Mal die Abzeichen, die auf die Rückseiten ihrer Jacken aufgenäht waren. „Red Skulls“ stand dort in großen roten Buchstaben. Darunter befand sich ein grinsender Totenschädel. Eine lange Staubfahne nach sich ziehend, verschwanden die Männer.

Kathrin blickte ihnen nach, während die Motorengeräusche verklangen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Ereignisse in „Big Goody Burgers“ für sie nichts weiter als eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen. Doch das Auftauchen der beiden Männer und ihre unverhohlene Drohung hatten ihre Meinung geändert. Irgendetwas ging hier vor. Diese Kerle auf den Motorrädern waren nicht zufällig vorbeigekommen. Sie hatten das Restaurant beobachtet und interessierten sich für jeden, der sich hier herumtrieb.

Kathrin holte ihr Smartphone aus der Jackentasche und wählte die Nummer ihres Kollegen Theo Felk. Es dauerte einige Sekunde, bis er sich meldete.

„ Was gibt es?“, fragte er.

„ Schau mal im Computer nach, ob du etwas über eine Motorradgang namens „Red Skulls“ findest.“

„ Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Da war mal was. Ist aber schon ein paar Jahre her.“

„ Suche alles raus, was du finden kannst.“

„ Ist gut, mache ich.“

Kathrin beendete das Gespräch und verließ den Hof. Als sie ihren Wagen erreichte, wanderte ihr Blick zu dem Schnellrestaurant auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Faber‘s Burger Paradies“ stand in großen, blauen Buchstaben über dem Eingang. Sie entschloss sich, dem Lokal einen Besuch abzustatten. Die Einrichtung wirkte genauso steril und billig wie im „Big Goody Burgers“. Nur zwei Tische waren besetzt. Der Mann hinter dem Tresen trug eine schmutzige Schürze, die mit Tomatensoße und anderen nicht näher definierbaren Flecken übersät war und sich bedenklich über den voluminösen Bierbauch spannte.

Von seinem Haar war bis auf einen schmalen dunklen Kranz nicht viel übrig geblieben. Dafür trug er es um so üppiger im Gesicht in Form eines dichten Vollbarts. Eine Schönheit war er nicht gerade, doch wirklich unsympathisch machten ihn die schmalen Augen, die immer nach einer Schwachstelle des Gegenübers Ausschau zu halten schienen.

„ Guten Tag“, sagte er mit einem volltönenden Bariton, der durch das ganze Restaurant hallte. „Was kann ich für Sie tun?“

Kathrin bestellte einen Hamburger und eine Cola. Nach wenigen Minuten bekam sie das Gewünschte. Sie kaute langsam und gründlich.

„ Hat es Ihnen geschmeckt?“, fragte der korpulente Mann, als Kathrin fertig war.

„ Ja, es schmeckte sehr gut“, erwiderte sie. Und das war durchaus ehrlich gemeint. Kathrin ließ ihren Blick umherschweifen. „Nicht viel los“, stellte sie fest.

„ Das Hauptgeschäft beginnt erst abends.“

„ Ist das nicht ungewöhnlich?“, fragte sie.

„ Wieso?“

„ Die meisten Restaurants machen ihren Hauptumsatz um die Mittagszeit.“

„ Ich bin nicht wie meisten.“

Abrupt wechselte sie das Thema. „ Sie haben doch sicherlich gehört, was dort drüben passiert ist.“ Kathrin deutete mit dem Daumen über ihre Schulter zum „Big Goody Burgers“ hinüber.

„ Natürlich, wer hat das nicht? Hat mich gewundert, dass das nicht früher passiert ist. Der Kerl ist ein Penner. Soweit ich gehört habe, hatte er schon mehrmals Ärger mit dem Gesundheitsamt. Wird Zeit, dass dieser Schandfleck endlich schließt und die Leute nicht länger der Gefahr aussetzt, sich an seinem Drecksfraß zu vergiften.“

„ Sie scheinen den Inhaber nicht zu mögen.“

„ Warum sollte ich? Er ist ein Konkurrent.“

„ Und sein Geschäft läuft besser als Ihres“, entgegnete Kathrin. „Zumindest solange, wie es geöffnet hatte.“

Jörg Faber verschränkte die Arme vor der Brust. „Was soll denn das heißen, hä?“, fragte er ärgerlich. „Wollen Sie mir irgendetwas unterstellen?“

„ Habe ich denn einen Grund dazu?“, konterte Kathrin.

„ Ist das hier ein Verhör?“

Sie zog ihren Dienstausweis aus der Jackentasche und hielt ihn dem Mann unter die Nase.

„ Dachte ich‘s mir doch“, sagte er grinsend. „Für so etwas habe ich ein Gespür.“

„ Schön für Sie. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nein, dies ist kein Verhör. Ich ziehe nur Erkundigungen ein.“

„ Für mich klang das aber eher so, als würden Sie mich beschuldigen, etwas mit der Sache da drüben zu tun haben.“

„ Haben Sie?“

„ Natürlich nicht. Warum sollte ich?“

„ Zum Beispiel, um einen lästigen Konkurrenten loszuwerden.“

„ Ich bin ein ehrlicher Geschäftsmann“, antwortete Jörg. „Solche Methoden habe ich nötig, verstanden?“ Er grinste breit. „Es ist nicht meine Schuld, wenn jemand an dem Fraß stirbt, den Wedhorn den Leuten vorsetzt. Der will sich bloß vor der Verantwortung drücken und beschuldigt jetzt andere. Aber nicht mit mir. Ich habe nichts damit zu tun.“

Kathrin nickte. „Trotzdem werden wir Sie überprüfen.“

„ Tun Sie, was Sie nicht lassen können“, erwiderte er. „Wollen Sie noch was essen? Wenn nicht, dann möchte ich Sie bitten, das Lokal zu verlassen.“

Wortlos zahlte sie, wandte sich ab und ging. Als Kathrin in ihrem Wagen saß, zog sie ihr Smartphone aus der Jackentasche und wählte die Nummer von Alfons Lessing. Er arbeitete als freiberuflicher Journalist, ließ seine Honorare auf der Rennbahn und lebte von dem Geld, das er sich überall zusammenpumpte. Die Zeitungsverlage schätzten ihn, weil sie wussten, dass er immer noch für eine heiße Story gut war. Ihm fiel zwar nur höchstens vier Mal im Jahr etwas ein, aber wenn, dann gab es immer einigen Wirbel, und die Auflage stieg rapide an. Nach dem achten Klingeln meldete sich Alfons. Seine Stimme hörte sich an, als sei er gerade aus einem Rausch aufgewacht.

„ Kripow“, meldete sie sich. „Stell dich unter die Dusche. In einer Stunde treffen wir uns im „Grünen Jäger“.“

„ Bei dir ist wohl ‘ne Schraube locker!“, erwiderte Alfons. Dann beendete er die Verbindung.

Kathrin wählte die Nummer erneut. Bereits nach dem ersten Klingeln wurde der Anruf entgegengenommen.

„ Was noch?“, fragte er.

„ Ich gebe dir einen aus.“

Dann beendete sie das Gespräch. Sie wusste, dass sie nicht vergeblich auf ihn warten würde.

Die Gier und der Tod: Kripow & Kripow - Herr Doktor und die Polizei

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