Читать книгу Tränen, Glück und schwerste Stunden: Arztroman Sammelband 6 Romane - A. F. Morland - Страница 23

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Als Marion die Tür öffnete, traute sie ihren Augen nicht. Vor ihr stand eine Gestalt, von Schnee bedeckt, im langen Mantel und dahinter auf dem Hof ein Bergungspanzer. Zwei Männer kletterten herunter, kamen jetzt auch auf die Tür zu.

„Wo ist der Patient?“, fragte eine raue Stimme.

„Wer sind Sie?“, fragte Marion, obgleich sie es sich in dem Augenblick denken konnte: Die Bundeswehr war gekommen, wollte helfen. „Kommen Sie herein, kommen Sie herein!“

„Mein Name ist Tobler, Stabsarzt Doktor Tobler. Können meine Männer auch hereinkommen?“

„Aber selbstverständlich. Ich fürchte nur, Sie sind zu spät gekommen.“

„Was? Ist der Patient tot?“

„Eine Patientin. Wir haben sie operieren müssen.“

„Moment mal, ist ein Arzt da?“

„Wie man’s nimmt, es ist nicht so einfach zu erklären. Kommen Sie erst mal herein.“

Der Stabsarzt war kaum zu erkennen in seinem langen Mantel und mit Schnee bedeckt, wie er da stand, er trat sich den Schnee von den Stiefeln, schüttelte den Mantel ab und kam herein. Inzwischen waren die beiden anderen Männer ebenfalls da. Sie machten es wie er, und als sie dann drin standen, schälten sie sich aus ihren Mänteln.

„Wir haben leider Ihr Tor etwas mitgenommen. Die Sicht ist miserabel, wir konnten nichts sehen. Aber immerhin sind wir jetzt da, nach der Landkarte gefahren. Ein paarmal mussten wir quer über die Felder. Na ja, es ging nicht alles so glatt. Weil die Sicht so schlecht war“, erklärte der Stabsarzt weiter, „konnten wir nicht viel erkennen und sind ein paarmal vom Weg abgekommen, einmal haben wir um ein Haar in einem Sumpfloch gelegen. Aber wie gesagt, wir haben es geschafft. Was ist nun passiert?“

„Wir mussten eine Sectio machen“, erklärte Marion. „Mein Name ist übrigens Bredow, Marion von Bredow.“

„Sie sind Kollegin?“, fragte der Stabsarzt.

Sie schüttelte den Kopf. „Gewissermaßen nur, aber nicht so wie Sie denken. Ich bin Tierärztin.“

„Und Sie haben operiert?“

„Ich habe nur assistiert. Kommen Sie mit, die Patientin muss bald erwachen.“

Dem Stabsarzt bot sich ein ihn abenteuerlich anmutendes Bild. Da stand neben Schreibtischen, auf dem eine Frau lag, ein Mann in einer weißen Kittelschürze, seine Arme waren bis zu den Schultern bloß, er hatte sie mit einer roten Desinfektionsflüssigkeit eingerieben, ebenfalls Schultern und den Teil der Brust, den man sehen konnte. Auf dem Kopf trug er ein weißes Tuch, das er wie eine Frau hinten zusammengeknotet hatte. Und dieser Mann streifte sich eben die Gummihandschuhe ab. Der Mundschutz, der auch nur aus einem Tuch bestanden hatte, war vom Kinn heruntergesunken zur Brust. Ein blonder Mann Ende dreißig, muskulös, kräftig, eigentlich nicht der Typ eines Arztes. Er sah wie ein Sportler aus.

Das ist der Mann, der operiert hat, dachte der Stabsarzt sofort und blickte dann auf die Operationsfläche, die von Operationsfolie umschlossen war. Eine frische Naht war zu sehen. Eine fantastisch gemachte, einfach tadellose Naht. Der suprasymphysäre Querschnitt war so einwandfrei, so gekonnt angelegt, dass es fast schulbuchmäßig anmutete. Der Respekt des Stabsarztes, der selbst erst zweimal bei einer Schnittentbindung mitgewirkt hatte, wuchs vor diesem Fremden.

„Die Bundeswehr kommt zu spät, aber sie kommt“, sagte Marion, deutete auf den Stabsarzt und nannte dessen Namen, dann stellte sie Thomas vor.

„Wir sind mit einem Bergungspanzer gekommen, was anderes ging nicht mehr. Und wie die Sache aussieht, können wir sie auch nicht mitnehmen, nicht wahr?“ Er blickte auf Isolde, ging um die Schreibtische herum, sodass er vor ihrem Kopf stand. Er fragte nicht mehr, ob Thomas Arzt war oder nicht. Er musste ganz einfach Arzt sein, denn auch der Tubus und alles andere waren tadellos angelegt. Und die Patientin hatte die Operation ganz offensichtlich überstanden.

Dann interessierte den Stabsarzt das Kind. Das hatte Frau Kreweling. Hinten in der Ecke stand sie neben dem Korb, den sie nun inzwischen herangebracht hatte, um ihn eilig ein wenig auszupolstern. In ihm lag das kleine Würmchen. Daneben stand der Koffer, den Isolde immer für alle Fälle bereitgehalten hatte. Aus diesem Koffer waren die Sachen genommen worden, in die man den kleinen Jungen gehüllt hatte. Im Moment wirkte der Kleine noch ziemlich mitgenommen. Sein Gesicht war dunkel angelaufen, die Stirn in arge Falten gelegt. Die Druckstellen aber von der Kaiserschnittzange, und das sah der Stabsarzt sofort, erwiesen sich als unbedeutend.

„Das haben Sie fabelhaft hingekriegt, Herr Brückner“, meinte der Stabsarzt.„Das sind ja unvermutete Zustände hier. Sie haben ja aus diesem Zimmer einen OP gemacht.“

„Machen müssen“, erwiderte Thomas. „Ich glaube nicht, dass Sie Frau von Bredow mitnehmen können.“

„Mitnehmen? Warum sollten wir Sie mitnehmen?“ Der Stabsarzt blickte Marion an.

Sie schüttelte matt lächelnd den Kopf. „Mich nicht, das ist meine Schwester, die operiert worden ist“

„Nein“, erwiderte der Stabsarzt, als er begriffen hatte. „Nein, die können wir nicht mitnehmen, das ist ja unmöglich, nach einer Sectio, das geht einfach nicht. Hoffentlich gibt es keine Komplikationen, Peritonitis und so.“

„Wir wollen es nicht hoffen, möglich ist das immer.“

„Haben Sie ihr schon ein Antibiotikum gegeben?“, wollte Dr. Tobler wissen.

„Ja, das habe ich eben. Ich bin ja gerade erst fertig geworden.“

„Da bin ich froh, dass Sie es so gut geschafft haben. Wenn ich gewusst hätte, dass ein Kollege hier ist, dann hätten wir uns ja diesen Weg sparen können.“ Er wandte sich um, sah die beiden Männer an, die mit ihm gekommen waren, jüngere Soldaten, die interessiert zwar, aber doch wiederum untätig herumstanden.

„Also los, Jungs, wickelt euch aus euren Klamotten, holt die weißen Sachen und dann mal ran hier und geholfen. Es gibt genug zu tun. Am besten bringt ihr auch die Trage mit. Ich nehme an, die Patientin soll in ein Bett, oder?“

„So ist es“, bestätigte Thomas. Einer der beiden Soldaten war ein Sanitätsfeldwebel, der andere ein Obergefreiter, und die beiden unterstützten Marion bei dem, was noch zu tun war. Thomas hörte noch einmal Isolde ab und kam zu dem Schluss, dass wirklich alles tadellos lief.

„Meinen Sie nicht“, fragte der Stabsarzt, „wir sollten ihr etwas Frischblut geben? Sie haben doch sicher die Blutgruppe schon festgestellt.“

„Das habe ich nicht. Ich habe zwar Plasma da, halte es aber für überflüssig. Die Blutungen haben sich sehr in Grenzen gehalten. Ein Ersatz ist meines Erachtens nicht dringend notwendig. In einer Klinik würde ich es machen, aber hier ist es nicht so von Bedeutung. Wenn sie ihre Ruhe hat und ausreichend zu trinken bekommt, sobald sie munter ist, dann geht es.“

„Wie sieht es mit der Milch aus?“

„Das habe ich noch nicht überprüft, aber ich glaube, da brauchen wir keine Bedenken zu haben. Jedenfalls bekommen wir das kleine Wurm auf alle Fälle durch. Das hat offensichtlich nicht gelitten.“

„Warum musste denn unbedingt eine Sectio gemacht werden? Ließ sich das nicht vermeiden?“, wollte Dr. Tobler wissen.

„Nein. Bedauerlicherweise nicht, wir hatten bis zuletzt darauf gehofft. Es lag ein Nabelschnurvorfall vor, und so bestand eine drohende intrauterine Asphyxie.“

„Oh ja, bei einer Anoxie gab es gar keine andere Möglichkeit. War denn die Geburt schon im Gange?“

„Es hatte schon Wehen gegeben, die ich nachher unterbrechen musste, um den Kreislauf wiederherzustellen“, erklärte Thomas.

Isolde geriet in den Erwachungszustand. Sie würde noch Stunden benommen bleiben, aber sie würde mehr und mehr verstehen, hören und auch denken können.

Thomas hatte ihr ein Sedativ injiziert, um sie vor Schmerzen zu bewahren.

Unter dem Kommando der alten Frau Kreweling holten die beiden Soldaten von oben ein Bett herunter und bauten es nebenan im Wohnzimmer auf. Und dort stand auch der Weihnachtsbaum, noch nicht einmal geschmückt. Das hatte Friedhelm am Nachmittag tun wollen. Jetzt waren die Sorgen anderer Natur. Das Bett wurde aufgestellt, und die Wiege, die es ja auch schon gab, von oben heruntergeholt. Frau Kreweling ließ es sich nicht nehmen, alles das selbst vorzubereiten, bevor das kleine Wesen in die Wiege gelegt werden konnte. Dann trug man Isolde hinüber. Nun lag sie nicht weit vom Weihnachtsbaum entfernt, die Wiege in Sichtweite, und sie würde die ganze Zeit über nicht allein sein. Oben im Schlafzimmer, so meinte Frau Kreweling, wäre sie sich wie vergessen vorgekommen. Hier war sie unter den anderen, von denen immer einer in ihrer Nähe sein konnte, um sich um sie zu kümmern.

Später dann kam Isolde zu sich, aber infolge des Beruhigungsmittels und der noch immer anhaltenden Nachwirkung der Narkose war sie schläfrig. Als ihr Frau Kreweling das Kind auf die Brust legte, da lächelte sie glücklich, und alle Angst und alles das, was sie so sehr unmittelbar vor der Operation bedrückt hatte, schien vergessen. Sie sah das kleine Wesen an, das in ihrem Leib entstanden war. Und dieses kleine Wesen, das sein Gesicht auf ihre Brust gelegt hatte, wirkte so hilflos, so winzig, dass sie am liebsten ihre Arme darum geschlungen hätte. Und dann schlief sie ein, schlief, während dieser kleine Zwerg schon versucht hatte, ihre Brust zu finden, und weil es ihm nicht gelungen war, eine Handbreit unterhalb auf der Haut lutschte.

„Wenn das Sedativ nachlässt“, sagte Thomas, „können wir den Kleinen schon mal anlegen, aber nicht vor zwei Stunden.“

Isolde schlief, und der Kleine maunzte etwas, kam nun mehr und mehr auch in Trab und machte sich bemerkbar. Aber auch bei ihm wirkte die Narkose ein wenig nach. Doch der Atem funktionierte. Die Sorge, die sich Thomas deshalb gemacht hatte, schien überflüssig.

Thomas fühlte sich wie durch den Wolf gedreht. Er war das alles nicht mehr gewohnt gewesen, und vor allen Dingen, was ihm noch schlimmer vorkam, er hatte nie vergessen können, dass es Isolde war, die da vor ihm gelegen hatte.

Ein wenig erschöpft setzte er sich, als Isolde und das Kind gut untergebracht waren, auf einen Drehsessel im Büro. Die beiden Soldaten und Frau Kreweling machten noch sauber. Der Stabsarzt hatte sich auf die Kante des zum Operationstisch umgewandelten Schreibtischs gesetzt, hatte die Decken ein wenig weggeschoben und meinte: „Also, wenn man es sich richtig überlegt, eine ganz schöne Leistung.“ Er holte ein Päckchen Zigaretten aus seiner Brusttasche und wollte sie Thomas anbieten, aber der schüttelte den Kopf.

„Wenn überhaupt“, sagte Thomas, „dann Pfeife. Aber mir ist es jetzt nicht danach. Was ich vertragen könnte, wäre ein guter echter Tullamore Whiskey. Und wir haben so was im Haus. Mögen Sie auch und Ihre Männer?“

„Meine Männer brauche ich nicht zu fragen, die mögen alles, was hochprozentig ist. Und was mich angeht, habe ich auch nicht viel dagegen.“ Wenig später goss Thomas ein. Er spürte, dass seine rechte Hand zitterte. Vorhin war sie ganz ruhig gewesen, aber jetzt überkam ihn das Flattern. Der Whiskey, dachte er, wird mir gut tun.

Und er tat ihm gut. Er atmete hörbar auf, nachdem er getrunken hatte.

Dem Feldwebel und dem Obergefreiten schmeckte der Whisky ebenfalls gut. Der Stabsarzt schüttelte sich, was seine beiden Soldaten zu einem Grinsen veranlasste.

„Sagen Sie mal, ich erwähnte es vorhin schon: Wenn ich gewusst hätte, dass ein Kollege hier ist, hätten wir nicht zu kommen brauchen.“

„Ich bin kein Kollege“, erklärte Thomas trocken.

Der Stabsarzt schaute überrascht auf. „Wollen Sie mich verkohlen, Herr Brückner?“

Thomas schüttelte den Kopf. Sie waren jetzt allein hier, die beiden Soldaten hatten die schmutzigen Sachen hinausgebracht, und Frau Kreweling war auch noch nicht zurückgekehrt.

„Ich will Sie nicht verkohlen“, sagte Thomas, „es ist wahr. Ich bin einmal Gynäkologe gewesen bis vor acht Jahren. Dann ist etwas schiefgegangen, und man hat mir die Qualifikation abgesprochen.“

„Ihnen die Qualifikation abgesprochen? Ich hätte das nicht hingekriegt, was Sie da gemacht haben.“

„Es hatte auch nichts mit meiner Fähigkeit zu operieren zu tun, es hängt mit meinen menschlichen Qualitäten zusammen. Ich möchte darüber nicht reden. Auf alle Fälle können Sie mich anzeigen. Man hat mir staatsanwaltliche Ermittlungen angedroht, falls ich jemals jemanden behandeln sollte. Im Falle eines blutigen Eingriffs, und das dürfte das hier gewesen sein, würde ich sogar eine Anzeige wegen schwerer Körperverletzung bekommen. Schwer deshalb, weil es vorsätzlich wäre.“

„Sind Sie verrückt? Das ist doch ein Notfall. Sie sind doch offensichtlich der Einzige gewesen, der hier etwas tun konnte. Das wäre doch unterlassene Hilfeleistung, wenn Sie nichts getan hätten!“

„Es kommt noch etwas hinzu. Diese Frau ist nicht irgendeine Frau für mich, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Oh ja, und da haben Sie sie trotzdem operiert.“

„Eben, und ich sage Ihnen offen, ich zittere am ganzen Leibe vor Angst um diese Frau und das Kind. Ich glaube nicht, dass das Kind in irgendeiner Gefahr ist, aber Sie wissen, dass bei jeder Schnittentbindung die Gefahr einer Infizierung besteht, schon durch das Kind. Und es kann zu einer Peritonitis kommen.“

„Aber Sie haben doch alles abgeschirmt, indem sie ihr einen Antibiotikum-Schutz gegeben haben.“

„Das allein ist auch keine absolute Gewähr, wie Sie wissen dürften. Ich meine“, Thomas lächelte nachsichtig, „bei Ihren Soldaten werden solche Fälle wohl nicht vorkommen, aber schließlich haben Sie ja eine Ausbildung, und die wird sich von meiner nicht so wesentlich unterschieden haben.“

„Aber abgesehen davon, lieber Herr Brückner, das ist doch alles Mumpitz. Was ist denn nur passiert, erzählen Sie mir doch mal, damit ich weiß, wie ich mich verhalten muss. Ich meine, weshalb haben Sie die Qualifikation verloren?“

„Charakterliche Mängel. Jemand war auf dem Tisch gestorben, ein Narkose-Unfall, wie man sagt. In Wirklichkeit durch absolute, menschliche Unfähigkeit eines Pseudo-Narkotiseurs, eines Windbeutels, Scharlatans und Kurpfuschers. Aber ich habe den Fehler gemacht, das laut zu sagen und darauf zu bestehen, dass eine Obduktion vorgenommen wird. Bei der Autopsie bin ich mit meiner Ansicht bestätigt worden. Es war eben keine Herzinsuffizienz, es war ein einwandfreier Narkosezwischenfall. Und der Narkotiseur hatte die Schuld. Diese Frau damals, die da umgekommen ist, war noch jung und voller Hoffnung. Sie war eine gute Bekannte, und dieser Pseudo-Anästhesist, diese Null und Niete, wurde auch noch frech und wollte mir die Geschichte in die Schuhe schieben. Darüber bin ich ausfallend geworden, mich überkam eine sinnlose Wut, und ich habe ihn geprügelt, im OP. Na ja, den Rest können Sie sich vielleicht ausmalen.“

„Aber mein Gott, deswegen kann man Ihnen doch nicht die Qualifikation gleich absprechen.“

„Hatte man vielleicht auch nicht vor. Aber vor dem Ehrentribunal meinte ich, meinen Standpunkt auch noch einmal sehr deutlich vertreten zu müssen. Na ja, und solche lauten, aggressiven Burschen wie mich schätzt man da einfach nicht. Die schätzt man überhaupt nicht in der Gesellschaft. Es ist gekommen, wie es eigentlich hätte kommen müssen, ich musste mir das vorher ausgemalt haben, hatte ich aber nicht. Und wenn, hätte ich in diesem Augenblick ganz sicher nicht anders gehandelt. Nicht damals, heute vielleicht.“

„Und so etwas ist auf Lebenszeit?“

„Nicht unbedingt, zumal ich mittlerweile den Gegenbeweis antreten könnte, weil es Zeugen gibt. Ob das was bringt, möchte ich bezweifeln. Ich würde es ändern können, ich könnte auch einen Antrag stellen, ich könnte hunderttausend Dinge tun, aber nach der Geschichte hier ist es, glaube ich, endgültig aus.“

„Wie kommen Sie darauf? Denken Sie, ich verpfeife Sie? Nach so einer tadellosen Sache.“

„Wenn sie tadellos bleibt, ist alles gut. Aber wenn Frau von Bredow etwas zustößt, eine der berühmten Komplikationen, da wird es schlimm für mich. Ich sagte ja, da ist es mit einem Male schwere Körperverletzung, was Sie jetzt Hilfeleistung in größter Not nennen mögen. Und Sie wissen ja, nur fünfundsechzig Prozent der Schnittentbindungen haben einen komplikationslosen postoperativen Verlauf. Es gibt dann noch den Prozentsatz von einem halben bis knapp einen ganzen Prozent, wo es nach einer derartigen Operation, selbst in der Klinik, zu einem tödlichen Verlauf kommt. Und hier sind die Gegebenheiten erheblich ungünstiger als in der Klinik. Ich wollte das nur einmal anführen, auch wenn Sie im Moment saubere Arbeit festzustellen meinen.“

„Sie werden doch auch innen sauber gearbeitet haben.“

„Worauf Sie sich verlassen können, ich sagte Ihnen ja, diese Frau ist nicht irgendjemand. Aber das interessiert kein Gericht und schon gar nicht die lieben Kollegen. Mögen Sie hier nachsichtig denken, ob das andere tun, weiß ich nicht.“

„Man braucht es ja nicht an die große Glocke zu hängen“, schlug Dr. Tobler vor.

„Dafür ist viel zu viel herumtelefoniert worden. Ich wollte diese Operation hier nicht machen. Wir hatten auf eine diensttuende Ärztin gehofft, aber sie ist noch nicht da. Der Bruder der Patientin und ein Freund sind noch unterwegs. Wir wissen gar nicht, wo sie abgeblieben sind. Eigentlich sollten sie längst hier sein. Aber wie gesagt, ich konnte nicht länger zuwarten. Das Leben des Kindes war in Gefahr und irgendwie dann auch das der Mutter. Natürlich hätten wir eine normale Geburt machen können, dabei wäre es zum Tod des Kindes gekommen. Für die Mutter hätte diese Geschichte spätere Folgen gehabt.“

Dr. Tobler sah Thomas prüfend an. „Sagen Sie mal, Sie erklärten vorhin, dass die Dame für Sie eine, sagen wir mal, gewisse Bedeutung hat. Ist es vermessen zu fragen, ob das Kind vielleicht von Ihnen ist?“

„Ich habe auf diese Frage gewartet. Aber das Kind ist nicht von mir, Frau von Bredow hat ihren Mädchennamen wieder angenommen, sie lebt in Scheidung von ihrem Mann.“

„Sagen Sie mal, ich habe gar nicht gewusst, dass die von Bredows hier sitzen. Wer ist denn der Eigentümer dieses Gehöftes?“

„Friedhelm von Bredow.“

Dr. Tobler sah Thomas überrascht an. „Könnte es sein, dass er Fried genannt wird?“

„Ja, das ist so, das kann nicht nur sein. Wieso fragen Sie das?“

„Ist Ihnen der Name Schultheiß zufällig ein Begriff?“

„Ja, der ist uns sehr wohl ein Begriff und nicht nur mir. Wir kennen einen Helmut Schultheiß und eine Renate Schultheiß.“

„Verrückt“, meinte der Stabsarzt. „Helmut Schultheiß ist mein Schwager, meine Schwester ist seine Frau. Und seine Schwester, Renate Schultheiß ...“

„Was ist mit Renate Schultheiß?“, fragte Thomas gespannt.

„Renate Schultheiß ist einmal mit einem Mann befreundet gewesen, der Fried von Bredow hieß. So ist mir das ein Begriff. Ich habe ein Foto gesehen, da steht dieser Name drunter. Und da steht noch was von ewiger Liebe und so.“

„Wo lebt Renate Schultheiß jetzt?“, fragte Thomas wie bei einem Verhör.

Dr. Tobler schien das gar nicht so zu empfinden. „Sie war im Ausland. Jetzt ist sie wieder hier. Sie war lange im Ausland bis zu ihrem Unfall.“

„Unfall?“, fragte Thomas erschrocken. Er musste dauernd an Friedhelm denken. Es konnte nur Friedhelms Renate sein. So viele Zufälle gab es gar nicht, dass hier alles zusammenpasste und es sich dennoch um eine andere handelte. Er hätte tausend Fragen stellen können und fragte gar nichts, sondern sah nach seiner letzten Frage den Stabsarzt nur gespannt an, und der erwiderte: „Ja, ein Unfall, ein schlimmer Unfall. Renate hat ihren rechten Unterarm verloren. Sie ist mit der Hand in eine Druckmaschine geraten.“

„Druckmaschine, wieso Druckmaschine?“

„Sie hatte in Neuseeland in einer Druckerei gearbeitet.“

„Ist sie ... ist sie verheiratet?“

Dr. Tobler schüttelte den Kopf. „Nein. Sie hat nicht geheiratet. Sie wollte auch ihren früheren Freund deshalb nicht wiedersehen, weil sie, wie sie selbst sagt, nicht mehr dieselbe ist. Manchmal bezeichnet sie sich auch als Krüppel. Ich habe, das muss ich zugeben, sehr wenig Kontakt mit ihr. Sie lebt sehr zurückgezogen. Sie arbeitet jetzt für einen Verlag, wenn ich nicht irre, als Lektorin. Genau weiß ich das nicht, was sie tut. Auf alle Fälle schlägt sie sich durch, fällt ihrem Bruder nicht zur Last. Allerdings wollte mein Schwager, dass sie mit uns ins neue Haus zieht, das er gebaut hat. Sie hat es abgelehnt.“

„Und wo lebt sie?“

„Irgendwo in einem Vorort von Mannheim.“

„In einem Vorort von Mannheim? Haben Sie nicht die genaue Adresse?“

„Ist denn nicht die Dame von vorhin die Frau von Herrn von Bredow?“

„Nein, seine Schwester. Und auch die Schwester der Patientin“, klärte ihn Thomas auf. „Friedhelm von Bredow ist nicht verheiratet. Der Weggang von Renate Schultheiß hat ihn sehr getroffen. Er ist darüber eigentlich nie richtig hinweggekommen, zumindest was sein Verhältnis zu anderen Frauen angeht. Warum ist sie nur weggegangen?“

„Das weiß ich auch nicht. Wusste er denn nicht, dass sie weggeht?“

„Nein. Er hat es nicht nur nicht gewusst, sondern auch nie herausfinden können, wo sie steckt. Er hat sie suchen lassen, auch in Neuseeland.“

„Aber sie war dort, jedenfalls ist sie jetzt hier. Ich habe ihre Adresse, ich kann sie Ihnen gerne geben. Ein verrückter Zufall das alles, nicht wahr?“

Thomas kam das wie ein Traum vor, wie eine Schizophrenie. Da war Renate in Deutschland, und Fried hatte sie überall suchen lassen. Warum nur hatte sie das damals getan? Warum war sie weggegangen? Und dann, sich nie zu melden. Gut, da sie jetzt diesen Unfall hatte und deshalb nicht mehr vor ihn treten wollte ... warum eigentlich nicht? Sie hat einen Arm verloren, deshalb ist sie doch kein minderwertiger Mensch. So ein Blödsinn, sich so etwas einzureden. Aber so war sie, genau wie damals die Wegfahrt. Erst dieser Krach, die Auseinandersetzung, und auf einmal ist sie weggegangen. Ihr Bruder hat es also die ganze Zeit offensichtlich gewusst.

Thomas blickte den Stabsarzt an. „Hat es Helmut also die ganze Zeit gewusst?“ Es war die Frage, die er sich selbst eben gestellt hatte.

Der Stabsarzt zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich bin da nicht sicher. Ich glaube nicht, dass er es die ganze Zeit gewusst hat, sondern erst, als sie von dort wegwollte, als das mit dem Arm passiert war.“

„Wirklich eine merkwürdige Sache“, meinte Thomas, „aber ich muss mich jetzt um meine Patientin kümmern. Ich gehe nach nebenan.“

„Dann ist unsere Tätigkeit hier wohl erfüllt. Brauchen Sie noch irgendetwas? Können wir etwas hierlassen? Wir haben auch Medikamente mit und dergleichen. Sagen Sie ganz einfach, was Sie nötig haben, denn transportieren können wir ja die Frau sowieso nicht. Sagen Sie mal, ist es Ihre Verlobte?“

„Nein, so weit ist es nicht. Ich möchte darüber nicht reden“, sagte Thomas.

Dr. Tobler nickte nur. „Einverstanden. Jedenfalls haben Sie großartige Arbeit geleistet.“ Er lächelte freundschaftlich. „Sie können sich auf mich verlassen. Ich brauche nun keinen Bericht weiter zu machen, jedenfalls muss ich nicht unbedingt hinschreiben, wer die Frau behandelt hat. Ich werde sagen, ein Arzt.“

„Da haben Sie etwas Unwahres geschrieben.“

„Ach was, wir wollen keine schlafenden Hunde wecken.“

Er ging noch einmal mit zu Isolde und dem Kleinen. Isolde war jetzt wacher als vorhin. Aber sie wirkte immer noch schläfrig. Als Thomas an ihr Bett trat, lächelte sie, aber sie hatte Mühe, die Augen aufzuhalten. Die alte Frau Kreweling war gekommen, sie sah aus, als wollte sie nicht mehr von Isoldes Bett weichen, wie früher, als Isolde ein Kind gewesen war und irgendeine Krankheit gehabt hatte. Da war die Frau Kreweling auch nicht wegzutreiben gewesen vom Bett der Kinder.

Thomas hatte getan, was er tun konnte. Und jetzt im Nachhinein kam es ihm ungeheuerlich vor, dass er hier unter diesen Umständen eine solche Operation gemacht hatte. Und was ihm am ungeheuerlichsten vorkam, war die Tatsache, es bei Isolde getan zu haben.

„Sie haben mir alles erzählt“, sagte Isolde leise, „danke, danke, Thomas. Thomas, bleibst du bei mir?“

„Ich sehe gleich noch mal nach dir.“ Er wandte sich dem Stabsarzt zu, und der versuchte sich Isolde bekannt zu machen. Sie lächelte nur, schloss dann wieder die Augen, als koste es sie ungeheure Kraft, die Lider zu öffnen. Wenig später fuhren die Soldaten wieder ab. Marion hatte ihnen noch ein Paket mit ein paar ausgesuchten Sachen aus dem Keller eingepackt. Gänseschinken war auch dabei und für jeden eine gute Flasche Wein.

Die drei hatten versprochen, die Strecke abzufahren, die auch der Jeep genommen haben musste. Der Sturm schien allmählich nachzulassen.

Die Adresse von Renate hatte Tobler noch aufgeschrieben. Der Zettel steckte in der Hosentasche von Thomas.

Im Augenblick dachte er nicht daran. Er achtete nur auf Isolde, aber ihr und dem Kind ging es wirklich gut, besser konnte es ihnen nicht gehen, doch die Gefahr war nicht gebannt. Die Gefahr der Infektion. Das konnte zwei oder drei Tage dauern. Er wusste genau, dass er alle Vorsichtsmaßregeln beachtet und die Bauchhöhle so gesäubert wie möglich hinterlassen hatte. Trotzdem konnte eine Infektion eingetreten sein.

Mit Hilfe des Antibiotikum-Schutzes war das Risiko klein, aber hier außerhalb der Klinik bestand doch eine gewaltige Gefahr. Nicht alles war so sauber gewesen, wie es sollte, dazu hatten sie gar keine Zeit gehabt.

Isolde hatte die Augen wieder geöffnet. Sie lächelte schwach und fragte: „Das Kind, mein Kind, wo ist es?“

„Es schläft jetzt“, sagte Frau Kreweling, „es schläft, und du musst es in Ruhe lassen.“

„Aber es hat doch noch gar nichts bekommen, es muss doch etwas trinken.“

„Das ist nicht so eilig, so schnell verhungert es nicht.“

Thomas sagte: „Wir müssen noch ein klein wenig warten, bis die Wirkung der Narkose völlig nachgelassen hat. Dann erst können wir zum ersten Mal das Kind anlegen.“

„Kann ich nicht jetzt schon ... kann es nicht jetzt schon bei mir sein?“

„Es würde den Kleinen nur aufregen, er will trinken, das will er ganz automatisch, und dabei erschöpft er sich. Und nachher, wenn es so weit ist, da fehlt ihm die Kraft dazu. Warte noch, Isolde. Am besten, du ruhst dich aus. Es war eine anstrengende Sache für dich.“

Marion kam, trat neben Thomas. Sie hatte die ganze Zeit geschuftet. Sie wandte sich an Thomas. „Die haben Funk in ihrem Panzer, haben sie gesagt. Wenn irgendetwas sein sollte, ich meine ...“

Thomas wusste, woran sie die ganze Zeit gedacht hatte, an Frans und an ihren Bruder.

„Ich glaube nicht, dass irgendetwas passiert ist, worüber du dich sorgen solltest“, entgegnete Thomas. „Die stecken vielleicht fest, das kann gut sein. Aber dass ihnen selbst etwas zugestoßen ist, glaube ich nicht.“

„Ob du es glaubst oder nicht, ich versuche es mir ja selbst einzureden, dass nichts weiter sein kann. Aber es macht mich krank. Wenn sie nur schon hier wären. Die müssten schon ewig lange hier sein.“

„Vielleicht sind sie in ein Loch gerutscht, dann kommen sie zu Fuß, und das dauert.“

Marion blickte auf ihre Schwester. „Wie geht es dir, Kleines?“ Immer war Isolde die 'Kleine' gewesen, wenn ihr etwas gefehlt hatte.

Isolde lächelte, und sie konnte die Müdigkeit nicht verscheuchen, aber gerade die war es, weshalb sie keinen Schmerz in der Bauchwunde empfand.

„Es geht dir also gut. Schön, dass du durchgehalten hast. Und der Kleine sieht gut aus. Ein kräftiges Kerlchen.“

„Ist auch wirklich ... ist auch wirklich alles in Ordnung? Ich möchte ihn sehen, bitte, zeig ihn mir doch noch mal. Ich möchte sehen, ob alles in Ordnung ist“, bat Isolde.

Marion sah zweifelnd auf Thomas, aber der nickte. Und da war die Frau Kreweling schon an der Wiege. Kurz darauf hob sie den Kleinen hoch, er war jetzt eingewickelt. Nur Kopf und Ärmchen waren zu sehen, das andere sah Isolde nicht.

„Wickelt ihn aus. Ist wirklich alles, alles in Ordnung?“, fragte sie.

„Wir müssen ihn jetzt nicht auswickeln. Guck mal, der ist auch müde. Und wie er müde ist“, sagte Thomas. „Es ist wirklich alles dran, aber auch wirklich alles. Marion, sag es ihr selbst, Frau Kreweling, Sie haben ihn gewickelt.“

„Ja, Frau Kreweling“, sagte Marion, „sag ihr, dass alles in Ordnung ist mit dem Kleinen. Sag es ihr!“

„Und ob alles in Ordnung ist. Ein richtiger kleiner Kerl ist es“, sagte Frau Kreweling. „Was machst du dir Gedanken, der muss jetzt wieder rein. Der ist auch so müde, eine richtige Schlafmütze, genau wie du.“ Sie legte den Kleinen wieder in die Wiege zurück, deckte ihn sorgsam zu, und Isolde fragte in ihrer mütterlichen Sorge: „Und er ist richtig gesund? Wirklich, Thomas? Sag mir die Wahrheit, Thomas.“

„Er ist richtig gesund, soweit ein Säugling, der auf die Welt kommt, gesund sein kann. Gesunder geht es nicht.“

„Habt ihr ... habt ihr ihn gewogen?“

„Oh“, sagte Thomas, „darum habe ich mich nicht gekümmert.“

„Aber ich“, erklärte Frau Kreweling. „Er wiegt etwas über sechs Pfund. Die alte Küchenwaage ist auch nicht mehr die größte. Ihr solltet euch mal was Neues kaufen, was genau geht. Etwas über sechs Pfund, jedenfalls.“

„Und wie lang ist er? Habt ihr ihn nicht gemessen?“

„Ich habe ihn gemessen“, sagte Marion. „Genau einen halben Meter lang ist er.“

„Ein richtiges Christkindchen“, meinte Frau Kreweling. „Wir haben jetzt Weihnachten. Mein Gott, und bei mir zu Hause warten sie. Ich hätte mit dem Panzer mitfahren sollen. Aber das kann ich euch nicht antun. Wer soll sich um das kleine Wurm kümmern? Und es hat noch nicht einmal einen Namen.“

„Doch“, sagte Isolde leise, „er hat einen Namen.“

Thomas sah sie gespannt an. Was wird sie jetzt sagen? Welchen Namen gibt sie ihm?

Da erklärte Isolde schon: „Ich möchte, dass er Thomas heißt. Thomas, nach dem Mann, der ihm ans Licht der Welt geholfen hat. Und noch etwas anderes.“

Thomas stand erstarrt, und Marion fragte: „Was etwas anderes? Wie meinst du das?“

Isolde wandte den Kopf zur Seite. „Ich möchte nicht darüber reden“, sagte sie leise.

In diesem Augenblick klingelte das Telefon.

Thomas lief nach nebenan. Dort, wo sie Isolde operiert und das Kind geboren hatten.

Als er abhob, sagte eine Männerstimme: „Hier ist das Nachrichtenbataillon 24, Unteroffizier Rohling. Wir haben eben einen Funkspruch von Stabsarzt Dr. Tobler bekommen. Er und seine Männer sind auf den Jeep und die drei Personen gestoßen. Sie werden die Ärztin in das Dorf zurückbringen, während die beiden Männer versuchen wollen, den Weg zurückzunehmen. Der Jeep war irgendwo eingesackt und ist jetzt frei. Die drei Personen sind absolut wohlauf. Sie sollten sich keine Sorgen machen. Der Jeep könnte ganz gut auf der Spur vom Panzer zurückfahren. Das wäre jetzt alles.“

„Vielen Dank“, sagte Thomas nur, dann legte er auf. Die müssen ja eine Hölle hinter sich haben, dachte er.

Marion war hereingekommen und stand mit besorgtem Blick in der Tür. „Was Neues?“, fragte sie bang.

Thomas nickte. „Der Stabsarzt hat sie gefunden. Es geht ihnen gut, Marion. Sie fahren mit dem Panzer die Ärztin wieder zurück. Die brauchen wir ja wirklich nicht mehr. Und Fried und Frans kommen mit dem Jeep. Da wäre jetzt so eine Art Gasse durch den Panzer entstanden. Ich hoffe, sie sind bald hier. Ich glaube wirklich nicht, dass wir uns Sorgen machen sollten, Marion.“

„Und ich mache mir trotzdem welche. Wir wollten uns heute Abend verloben. Aber jetzt, durch diese Umstände ...“

„Was denn für Umstände? Alles ist doch in Ordnung. Und ich hoffe, dass es so bleibt“, meinte Thomas. „Sicherlich könnt ihr euch verloben, warum denn nicht?“ Er lachte. „Ich freue mich darüber.“

„Es sollte nicht offiziell sein. Wir müssen ja Rücksicht darauf nehmen, dass Mutter vor zwei Monaten ...“ Thomas schüttelte den Kopf. „Ich glaube, es wäre in ihrem Sinne gewesen.“

„Ich weiß nicht. Sie hatte immer irgendwie Angst, uns zu verlieren. Als Isolde geheiratet hatte, war sie todunglücklich. Und dann, das muss ich sagen, hat sie in Winfried nie den richtigen Mann für Isolde gesehen, im Gegensatz zu unserem Vater. Der wollte Isolde um Biegen und Brechen mit Winfried verheiraten, und er hat sehr großen Einfluss auf Isolde genommen. Das war nicht gut. Es ist besser, wenn man nicht in die Dinge eingreift bei den eigenen Kindern. Jeder muss wissen, zu wem er gehört. Und wenn er einen Fehler macht, ist es der eigene Fehler. Man sollte in Herzensdingen nicht auf die Eltern hören. Die können einem raten, gut und schön, aber sie können einem nie richtig nachfühlen, wie einem selbst zumute ist.“

„Ich freue mich, dass du und Frans ...“

Sie unterbrach ihn. „Und ich würde mich freuen, wenn du und Isolde ein Paar würdet. Ihr beide, ihr mögt euch doch.“

„Ich habe daraus nie ein Hehl gemacht“, erklärte Thomas. „Aber sie lehnt mich ab von einem gewissen Punkt an, und dann ist Schluss.“

„Vielleicht ist jetzt alles anders. Geh doch hinüber zu ihr. Sie ist allein. Frau Kreweling ist hinausgegangen. Geh zu ihr, rede mit ihr. Ich glaube, sie braucht dich, sie braucht dich wirklich, Thomas, glaube es mir.“

„Ich fürchte, du siehst es zu optimistisch. Sie hat sich in etwas verbissen, das ich bis heute nicht aufklären kann. Man kann eine Liebe nicht erzwingen.“

„Es ist nicht die Liebe, die du erzwingen solltest. Es ist irgendein Vorurteil zu brechen. Sie bildet sich einen Unsinn ein, einen wirklichen Unsinn. Sie glaubt, dass du ihr Kind nie lieben könntest. Das hat sie aber vorher gesagt, ob sie es jetzt noch sagt, weiß ich nicht. Du hättest zwanzig Möglichkeiten gehabt, dass es dieses Kind gar nicht gibt. Du hättest dich nur ganz stur ans Gesetz zu halten brauchen, dann wäre dieses Kind nicht mehr am Leben.“

Er zuckte nur die Schultern. Natürlich, da hatte sie recht, das wusste er. Wem sagte sie das? Aber war es nicht auch Mord, einfach die Dinge treiben zu lassen, wenn man sie auf Grund seines Wissens ändern könnte?

„Geh zu ihr hinüber, Thomas, steh nicht hier herum“, mahnte Marion erneut.

Er nickte und ging an ihr vorbei nach draußen.


Tränen, Glück und schwerste Stunden: Arztroman Sammelband 6 Romane

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