Читать книгу Tränen, Glück und schwerste Stunden: Arztroman Sammelband 6 Romane - A. F. Morland - Страница 24
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Der Panzer hatte den Jeep aus der tiefen Mulde herausgezogen. Während der Motor im Leerlauf vor sich hin brummelte, stand die junge Ärztin mit verschlungenen Armen, leicht verkrümmt und trat auf der Stelle. Sie hatte sich in den Windschutz des Panzers gestellt. Ihr Gesicht war rot vor Kälte.
Dr. Tobler stand vor ihr, überragte sie um einen Kopf und sprach mit ihr. Der Wind heulte über sie hinweg und trieb Schneeschleier vor sich her. Bei jedem Wort quoll der Atem wie Dampf aus Toblers Mund und wehte sofort weg.
„Sie wollen also wieder zurück, in Ordnung. Sie können einsteigen, wir bringen Sie zurück in ihr Dorf. Es hat ja auch keinen Sinn mehr, alles ist getan, was getan werden kann.“
„Von einem, der nicht Arzt sein darf.“
Er blickte überrascht auf sie herab. Sie hatte das so zornig ausgestoßen, fast wie eine Anklage.
„Hören Sie, was soll das heißen? Da hat eine Notsituation vorgelegen. Und woher wissen Sie das überhaupt?“
„Einer von denen hat es mir gesagt.“ Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung auf den Jeep, wo Friedhelm und Frans gerade die Kette lösten, mit der ihr Jeep vom Panzer aus dem Loch gezogen worden war.
Tobler erkannte auf Anhieb die tiefe Abneigung, die diese junge Frau den beiden gegenüber empfand.
„Was haben Sie gegen die von Bredows? Mein Gott, die haben Sie doch nicht zum Vergnügen gerufen.“
„Es ist eine so dubiose Sache“, entgegnete sie scharf. „Im Übrigen bin ich fast gezwungen worden, mitzufahren. Dieser von Bredow wurde ja richtig massiv. Und dann, die hätten mich doch gar nicht gebraucht. Jetzt weiß ich etwas. Was soll ich denn in meinen Bericht schreiben? Soll ich hinschreiben, das Kind ist von allein geboren worden? Was schreiben Sie denn hin? Sie werden doch auch einen Bericht machen müssen.“
„Natürlich müssen wir das. Als wir kamen, war das Kind bereits geboren. Mehr brauche ich nicht zu wissen. Ich habe keine ärztliche Hilfe zu leisten brauchen. Wir sind wieder abgefahren. Die Leute waren übrigens sehr nett“, fügte er lächelnd hinzu. „Unheimlich gastfreundlich.“
„Hier geht es doch nicht um Gastfreundlichkeit. Hier hat ein Notfall vorgelegen. Jetzt sind wir schon zwei Ärzte, die in dieser Kälte unterwegs sind. Haben Sie mal auf den Kalender gesehen, was heute für ein Tag ist?“
„Natürlich habe ich das. Ich hatte es mir auch anders vorgestellt, aber es ist noch nicht Abend. Bis heute Abend hoffe ich wieder bei meinen Leuten zu sein. Ich habe auch eine Familie, ich möchte auch Weihnachten feiern. Aber das wollen diese Leute auf dem Gut auch.“
„Ach, diese Adligen. Die sind doch immer nur wie die Fettaugen auf der Bouillon herumgeschwommen“, sagte die junge Ärztin mit ätzender Schärfe.
„Ist das vielleicht der Grund, dass Sie so abweisend sind? Also, ich bin nicht adlig, mich brauchen Sie nicht so anzuschreien“, sagte Tobler lächelnd. „Übrigens, ich habe Ihnen noch gar nicht meinen Namen genannt. In dem Durcheinander eben ist mir das untergegangen. Ich bitte um Entschuldigung.“ Er stellte sich vor, und die junge Frau sagte:
„Mein Name ist Haan, Doktor Anneliese Haan.“
„Also, liebe Frau Kollegin, wir bringen Sie jetzt zurück. Die beiden werden mit ihrem Jeep auf unserer Spur zurückkommen. Es hat ja ein wenig nachgelassen. So verrückt ist der Sturm nicht mehr wie vorhin.“
„Wir haben immer noch nicht das Problem des Berichtes gelöst. Was wollen Sie denn hinschreiben? Wirklich nur, dass Sie da hingekommen sind, und alles war vorüber?“
„Natürlich. Sie sind gar nicht erst hingekommen. Und Sie wissen gar nichts. Oder wissen Sie etwas?“
„Ich weiß nur, was Sie mir erzählt haben. Und das ist schlimm genug. Man kann das doch nicht einfach auf sich beruhen lassen. Hier ist doch ärztliche Hilfe geleistet worden, aber von wem? Man muss doch angeben von wem.“
„Man muss überhaupt nicht. Das Einzige ist, dass diese Leute innerhalb von drei Tagen beim Standesamt die Geburt eines Kindes melden. Übrigens“, er lächelte, „ein Kind, das an einem solchen Tag geboren worden ist, stellt doch etwas Besonderes dar, oder nicht?“
„Es ist ein Tag wie jeder andere. Für mich jedenfalls.“
„Für mich nicht“, meinte Tobler. Ihm tat die Ärztin ein wenig leid, und er sagte nachsichtig, wie zu einem Kind: „Steigen Sie jetzt in den Panzer. Drinnen ist es warm. Ich nehme an, wir fahren gleich los.“ Und er brüllte, an der Ärztin vorbei, hinüber zu dem Sanitätsfeldwebel: „Wie weit sind wir denn? Können wir?“
„Wir können, alles klar!“, rief der Mann zurück.
„Steigen Sie auf. Es ist ein wenig eng bei uns, aber entschieden gemütlicher als draußen auf der Landstraße.“
Sie stieg hoch und opferte nicht einmal einen Blick für Frans van Welkenraedt und Friedhelm von Bredow. Die beiden schauten noch auf, grüßten, aber sie wandte sich ihnen nicht einmal zu.
Tobler verabschiedete sich von den beiden und sagte: „Sie werden schon durchkommen, und wenn nicht, lassen Sie das Ding stehen. Ich glaube, für zwei Männer ist es einfacher.“
„Wir werden schon durchkommen, jetzt, wo wir aus dem Loch raus sind. Man konnte vorhin nichts sehen“, erklärte Friedhelm. „Und zu Hause ist wirklich alles in Ordnung?“
„Dieser Mann hat es großartig gemacht, alle Achtung. Ich frage mich nur, wie es möglich ist, dass solche Leute nicht mehr praktizieren dürfen.“
Frans und Friedhelm verabschiedeten sich, nachdem sie sich herzlich bedankt hatten. Tobler nickte ihnen lächelnd zu, dann kletterte er ebenfalls in den Panzer. Wenig später fuhr das schwere Gefährt mit donnerndem Motor los.
„Wir müssen zurück, bevor alles wieder zu ist“, sagte Friedhelm.
„Diese Ärztin“, meinte Frans nachdenklich, „die hat uns nicht einmal gegrüßt, als sie weg ist. Und hast du vorhin, bevor der Panzer kam, diese Schimpftirade gehört? Das ging ja bis an den Rand der Beleidigung. Sie wäre von uns gepresst worden, hat sie gesagt. Man würde das in jedem Falle nicht auf sich beruhen lassen. Was glaubst du, was die noch tut?“
„Was die tut? Was soll sie tun? Die war verpflichtet zu helfen. Sie kann froh sein, dass ein anderer vor ihr geholfen hat. Ich hatte das Gefühl, sie hätte uns gar nicht helfen können.“
Frans nickte. „Das Gefühl hatte ich allerdings auch. Viel Erfahrung scheint sie nicht zu haben. Aber nun möchte sie das kompensieren, dieses Wissen um ihre Hilflosigkeit. Jetzt tritt sie die Flucht nach vorn an und behauptet, dass wir sie mehr oder weniger verschleppt hätten, das arme Kind.“
„Ach, lass sie, die Sache ist ja nun gelaufen. Was sollen wir uns um diese Frau kümmern? Die ist ja richtig biestig gewesen. Du hast ja gehört, was sie gesagt hat. Die Bauern kann sie nicht leiden, und die Adligen noch weniger. Nun weiß du Bescheid.“
„Das ist ja verrückt, als wenn man die Menschen nach Klassen einteilen kann - los, Fried, sehen wir, dass wir hier wegkommen, bevor wir erneut festsitzen.