Читать книгу Tränen, Glück und schwerste Stunden: Arztroman Sammelband 6 Romane - A. F. Morland - Страница 28
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Die festliche Atmosphäre durchdrang das ganze Haus. Der Tisch mit den Geschenken war schon gedeckt. Nur Helga Winter durfte noch ins Wohnzimmer hinein. Alle anderen, der kleine Sohn Stefan und seine noch kleinere Schwester Andrea, als auch der Vater der beiden mussten draußen bleiben. Sie hatten es sich in Stefans Zimmer bequem gemacht. Andrea war mit ihrem Laufställchen ebenfalls drin und spielte mit einer Puppe, die keinen Kopf mehr besaß. Aber gerade deshalb liebte sie wohl die Puppe besonders innig, denn die beiden, dieser Puppenkörper und Andrea, waren unzertrennlich.
Stefan, der den Zeitpunkt der Bescherung kaum noch erwarten konnte, versuchte seine aufgeregten Nerven durch das Ausmalen von Bildern zu beruhigen. Er saß an seinem kleinen Kinderschreibtisch und malte den Zwergen, die sein Vater gezeichnet hatte, rote Bäuche ein.
In diesem Augenblick klingelte nebenan im kleinen Arbeitszimmer Professor Winters das Telefon. Es schien wohl auch der Apparat im Wohnzimmer zu klingeln, denn plötzlich wurde abgehoben. Unmittelbar darauf, als Florian Winter schon auf dem Korridor war, hörte er seine Frau rufen: „Florian, das ist für dich. Nimmst du bei dir ab?“
„Ja“, erwiderte er, ging zum Telefon und nahm den Hörer.
Helga Winter setzte ihre Vorbereitungen zu dem Weihnachtsabend fort. Sie war in fieberhafter Eile. Vorhin hatte es eine Panne gegeben, und eine Vase, die sie mit frischem Tannengrün füllen wollte, war auf den Boden gefallen und in unzählige Scherben zersprungen. Um auch den letzten Glaskrümel aus dem Teppich zu beseitigen, woran sich womöglich eines der Kinder verletzen konnte, war eine ganze Zeit verloren gegangen, die ihr jetzt fehlte. Zu lange konnte sie mit der Bescherung nicht warten, die Kinder mussten ja irgendwann ins Bett.
Es gab auch noch eine Menge in der Küche zu tun. Am Weihnachtsabend aß man hier im Hause traditionsgemäß Fondue, und zwar ein Fleischfondue besonderer Art, das sie beide, ihr Mann und sie selbst einmal vor Jahren an einem Weihnachtsabend in der Schweiz kennengelernt hatten. Seitdem wurde das auch von ihnen jeden Weihnachtsabend praktiziert.
Mit wem er nur telefonieren mag? Der Anruf ist über die Klinik gekommen, dachte sie. Die werden ihn doch jetzt nicht wegholen wollen?
Das war ihre ständige Frucht, dass bei irgendwelchen feierlichen Anlässen der Familie das Krankenhaus den Arzt in ihrem Manne verlangte, dass man ihn brauchte, dass irgendein Mensch in Not war, und sie kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, dass er solchen Rufen folgte.
Die Kinder werden allein sein, dachte sie. Ich will wenigstens mal nach Andrea sehen. Sie verließ das Wohnzimmer und wollte zum Zimmer Stefans hinüber, da hörte sie ihren Mann lachen. Das Gelächter schallte durch die geschlossene Tür des Arbeitszimmers. Und dann hörte sie ihn sagen: „Das ist ja einfach wunderbar. Machen Sie sich doch keine Sorgen. Was die Schwester angeht, glaube ich Ihnen helfen zu können. Vielleicht wäre die betreffende Dame sogar bereit, schon morgen zu Ihnen zu kommen. Ich will da mal nachhören. Sie meldet sich dann direkt bei Ihnen. Geben Sie mir doch noch mal die Nummer, Herr Brückner.“
Brückner, dachte Helga. Welcher Brückner ist das? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Aber das muss Ewigkeiten her sein. Und dann hörte sie ihren Mann schon wieder sagen:
„Es ist jedenfalls schön, dass ich mal wieder von Ihnen gehört habe. Sie sollten diese Geschichte in Ordnung bringen. Lassen Sie uns doch mal irgendwo zusammenkommen, und dann reden wir darüber. Das ist doch nicht für die Ewigkeit gedacht. Über alles wächst mal Gras. Und ich glaube, was da passiert ist, kann Ihnen nicht zum Schaden gereichen, sondern zum Vorteil. Kommen Sie mich nach den Feiertagen einmal besuchen, hier, privat, zu mir. Wir reden dann über alles. Und der jungen Mutter sagen Sie bitte meine herzlichsten Glückwünsche. Da hat sie sich ja sehr beeilt. Das ist ja fast drei Wochen vor der Zeit. Wie groß ist denn das Kind?“
Eine Pause folgte. Dann hörte sie ihren Mann sagen: „Das sind ja normale Maße. Fantastisch. Na ja, irgendwann werde ich es ja mal von ihr selbst hören. Und ich hoffe, es gibt keine Komplikationen. Haben Sie für eine ordentliche Antibioticumprophylaxe gesorgt?“
Wieder eine Pause, und dann sagte ihr Mann: „Also, mein lieber Herr Brückner, ich finde das großartig, dass Sie das riskiert haben. Aber ich denke, über all das reden wir, wenn Sie mal nach den Feiertagen herkommen wollen. Hoffentlich ist der Schnee nicht so toll wie im Moment. Hier geht er schon wieder weg. Aber bei Ihnen da oben, da liegt noch alles, nicht wahr?“
Helga hörte noch, wie er dem Gesprächspartner frohe Weihnachten wünschte und dann auflegte. Er kam heraus, sah sie verwundert an, weil er sie hier wohl nicht erwartet hatte. Dann sagte er: „Weißt du, wer das gewesen ist?“
„Ich hab nur gehört, dass du gelacht hast, und dann etwas sagtest, was hier draußen selbst ein Schwerhöriger verstanden hätte. Du hast mit einem Herrn Brückner gesprochen.“
„Aber, Helga, einem Herrn Brückner, sagst du. Das ist Thomas Brückner, Doktor Brückner, lange mein Assistent gewesen. Erinnerst du dich nicht an die Geschichte? Er hat Berufsverbot bekommen. So kann man’s ja nur nennen. Eine miese Intrige ist das gewesen. Und er hat nicht die Nerven gehabt, um so etwas eiskalt an sich abgleiten zu lassen. Mittlerweile gibt es zu dieser Geschichte von damals die tollsten Äußerungen. Ich glaube nicht, dass die Ärztekammer das aufrechterhalten kann und die Gerichte ebenso wenig.“
„Diesen Doktor Brückner meinst du? Das ist doch der, der einen andern im OP niedergeschlagen hat, nicht wahr?“
„Das hört sich so gewaltig an. Dieser andere ist ein verdammter Pfuscher gewesen. In jedem Berufsstand gibt es schwarze Schafe. Das war so ein schwarzes Schaf. Eine lange Geschichte. Ich weiß nicht, was aus diesem schwarzen Schaf geworden ist, aber ich weiß jetzt, wo Brückner steckt. Weißt du, was dieser Kerl fertiggebracht hat? Auf einem Schreibtisch hat er eine Sectio gemacht, einen Kaiserschnitt. Und weißt du auch, bei wem? Du kennst die Frau. Zufällig bist du mal bei mir gewesen, als sie zu einer Vorsorgeuntersuchung da war. Ich spreche von Isolde von Rottwitz. Jetzt allerdings nennt sie sich wieder von Bredow. Es ist ihr Mädchenname.“
„Ach, diese Frau. Wohnte die nicht irgendwo bei Aachen?“
„Weiter südlich, direkt an der belgischen Grenze, irgendwo hinter Monschau. Und da ist so ein toller Schnee gewesen, da konnten die meine Patientin nicht mehr rechtzeitig ins Krankenhaus bekommen. Na, ich erzähl dir mal die ganze Geschichte ...“