Читать книгу Mörderglück am Ku‘damm: Krimi Paket 5 Berlin 1968 Krimis - A. F. Morland - Страница 37
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ОглавлениеDer Mercedes 450 SEL beschleunigte, bis er die alten Tribünen der Avus erreicht hatte. Jetzt musste der Fahrer auf die Bremse treten, denn rechter Hand tauchte der runde Turm auf, und er musste hier abfahren. Dieser Turm hatte vor gut zehn Jahren einen Mercedes-Stern auf dem Dach erhalten und wurde seitdem auch als „Mercedes-Turm“ bezeichnet. Als er 1937 gebaut wurde, gab es hier noch keine Straßen, sondern nur Matsch und Dreck.
Bernd Schuster konzentrierte sich jetzt darauf, den noch immer dicht vor ihm fahrenden BMW nicht aus den Augen zu verlieren. Der Fahrer fuhr riskant, die Reifen radierten auf dem Asphalt, und dann zog er aus der Kurve auf die Stadtautobahn. Kaum einhundert Meter weiter passierte es.
Der BMW wollte sich in den fließenden Verkehr drängen und übersah einen sich rasch nähernden LKW. Bernd gelang es, im letzten Moment dem schleudernden Fahrzeug ganz nach rechts auszuweichen. Es hatte zu nieseln begonnen, die nasse Fahrbahn brachte die schnellfahrenden Autos zusätzlich in Gefahr. Jetzt gab es kein Halten mehr.
Der LKW hatte den BMW seitlich erwischt und ihn wie ein Katapult zurückgeschossen. Die Limousine drehte sich einmal, kippte und rutschte noch eine ganze Strecke auf dem Dach weiter.
Schuster schaltete seinen Warnblinker an, stoppte unmittelbar hinter dem Wrack, durch dessen zerstörte Rückscheibe eben ein Arm tastete. Blitzschnell griff Bernd Schuster zu, riss auch den zweiten Arm heraus und ließ die Handschellen klicken.
Ein wütender Blick aus einem blutverschmierten Gesicht traf ihn.
„Pech gehabt, Dieter. Ich bin der bessere Fahrer. Und außerdem wird jetzt neben deinen anderen Gaunereien auch noch mächtiger Ärger auf dich zukommen.“
Er richtete sich auf, als der LKW-Fahrer herüber kam, gefolgt von anderen Fahrern, die ihre Autos mit viel Mühe an dem Unfallort zum Stehen gebracht haben.
„Alles in Ordnung!“, rief ihnen der Privatdetektiv zu. „Ich habe schon mit der Polizei telefoniert.“
Tatsächlich hatte er beim Passieren der ehemaligen Zuschauertribüne seinen Freund, den Inspektor Südermann, informiert. Dieter König war von Schuster in dem Augenblick überrascht worden, als er versucht hatte, über Dreilinden die Transitstrecke zu erreichen. Er wusste, dass er verfolgt wurde und er wusste, was ihm bevorstand, wenn man ihn mit der Leiche im Kofferraum erwischen würde. Aus diesem Grund riskierte König alles und wendete kurz vor den westdeutschen Grenzbeamten, jagte mit durchdrehenden Reifen und kreischendem Motor auf der Gegenseite zurück, immer dicht gefolgt von dem Mercedes.
Damit hatte die Jagd ein Ende gefunden, und erleichtert zündete sich Schuster eine Roth Händle an, als er die Blaulichter der heranjagenden Polizeifahrzeuge bemerkte.
Noch einmal griff er zum Hörer seines Autotelefons und rief sein Büro an.
Franziska Jahn meldete sich.
„Ich habe ihn, Franzi. Stell schon mal den Sekt kalt, heute können wir feiern!“
„Und, bist du auch in Ordnung, Bernd? Ich kann die Sirenen hören!“
„Mach‘ dir keine unnötigen Sorgen, Liebes. Der Besuch bei Horst ist erforderlich, dann komme ich zurück.“
Während Franziska Jahn ungeduldig auf seine Rückkehr wartete, wartete irgendwo in Berlin eine junge Frau sehnsüchtig auf ihren Bruder.
Hoffentlich kam Fred bald! Es nieselte, und die Kälte kroch Doris Keller durch den dünnen Stoff. Um diese Jahreszeit wusste man nie genau, wie man sich anziehen sollte.
Die Männer warfen ihr eindeutige Blicke zu. Einer hatte sie sogar schon angesprochen und wäre um ein Haar handgreiflich geworden, weil er nicht glauben wollte, dass sie hier nur stand, weil sie auf ihren Bruder wartete.
Zu blöd, dass ihr Wagen in der Werkstatt war. Mit dem Fahrzeug war doch auch immer etwas los. Typisches Montagsauto.
Die Frau fröstelte. Sie ging ungeduldig auf und ab. Den Kragen des Popelinemantels hatte sie hochgeschlagen.
Wie der Kerl dort drüben sie anstierte! Ein unangenehmer Mensch. Nur gut, dass diese Gegend ziemlich belebt war. Dem hätte sie nicht allein in der Dunkelheit begegnen wollen. Schon gar nicht um diese Zeit.
Die Dämmerung brach herein. Dunst senkte sich über die Stadt. Doris freute sich auf zu Hause.
Der Bursche ließ keinen Blick von ihr. Zum Glück kam er nicht näher und sprach sie an. Der konnte bestimmt ekelhaft werden. In seinen Augen lag etwas Drohendes, Besitzergreifendes.
Er trug dünne, schwarze Handschuhe. Als wollte er jemand umbringen, fuhr es Doris Keller durch den Kopf. Sie schüttelte sich bei diesem Gedanken.
Angestrengt starrte sie nach links, obwohl Fred von der anderen Seite kommen musste. Aber da stand der unsympathische Mensch, und sie wollte seinen Blicken nicht begegnen.
Sie sah auf die Armbanduhr. Sicher war Fred noch durch einen Kunden aufgehalten worden. Im Grundstücksgeschäft gab es keinen Feierabend. Aber wenn man sein Metier verstand, konnte man in kurzer Zeit erstaunliche Erfolge erzielen. Und Fred stellte sich offenbar äußerst geschickt an. Ihr Vater war sehr zufrieden mit ihm.
Endlich kam er.
Den dunkelbraunen Borgward Isabella erkannte sie schon am Motorengeräusch. Sie drehte sich um und winkte.
Fred blinkte und stoppte am Bordstein. Er sah müde aus. Aber auch ein wenig stolz. Er musste ein gutes Geschäft abgeschlossen haben.
Doris Keller lachte erleichtert. Jetzt spürte sie den Nieselregen nicht mehr. Sie freute sich auf das Wochenende draußen in ihrer Ferienhütte.
Sie eilte zu dem wartenden Wagen. Fred öffnete gerade den Schlag auf der Beifahrerseite.
Da wurde sie brutal zur Seite gestoßen. Sie stolperte und stürzte. Mitten in eine Pfütze hinein.
Sie verletzte sich am Fußgelenk. Aber das war nicht so schlimm. Viel entsetzlicher war das, was sie mit ansehen musste, ohne eingreifen zu können.
Der Kerl mit den drohenden Augen hatte sich neben Fred auf den Beifahrersitz geworfen und die Wagentür zugeknallt. Er hielt einen Revolver in der Faust. Den Lauf drückte er Fred in die Seite. Sein Gesicht war verzerrt. Freds Augen weiteten sich. Doris rechnete jede Sekunde mit dem Schuss, der ihren Bruder töten würde.
Hastig kam sie in die Höhe und achtete nicht auf die Schmerzen in ihrem Fuß. Sie wollte die Autotür aufreißen. Vielleicht wurde der Schuft dann abgelenkt, und Fred erhielt eine Chance, ihn aus dem Wagen zu stoßen.
Doch dazu kam es nicht mehr. Der Borgward fuhr mit aufjaulenden Reifen wieder an und verschwand so schnell, dass kaum einer der zahlreichen Passanten auf das Verbrechen aufmerksam geworden war.
Eine Hand legte sich auf Doris Kellers Schulter.
„Alles in Ordnung, Fräulein?“, erkundigte sich eine dunkle Stimme.
Doris blickte auf. In ihre braunen Augen traten Tränen. Sie erkannte den Mann vor ihr nur verschleiert. Ihre Beine zitterten. Sie ließ sich gefallen, dass er sie stützte.
„Fred!“, stammelte sie. „Mein Bruder. Er ist entführt worden.“
„Richtig gekidnappt?“ Der Mann war perplex. „Wo sind die Schufte?“ Er sah sich suchend nach allen Seiten um.
Doris wies mit der ausgestreckten Hand in die Richtung, in der sein Borgward verschwunden war. „Es war nur einer, aber er hatte einen Revolver. Er hat mich umgestoßen und Fred in dessen eigenem Wagen bedroht.“
„Wir müssen hinterher“, schlug der Fremde aufgeregt vor. „Vielleicht holen wir sie noch ein. Sie kennen ja den Wagen und die Zulassungsnummer.“
Das Mädchen schöpfte Hoffnung. Sie fühlte sich nicht mehr so entsetzlich hilflos und allein. Vielleicht wurde doch noch alles gut.
Der Mann schob sie zu einem schon etwas verbeulten BMW. Der konnte es mit dem Borgward bestimmt nicht an Schnelligkeit aufnehmen, aber der Kidnapper musste schließlich auch auf die Höchstgeschwindigkeit achten, um nicht die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu lenken.
Wie in Trance stieg sie ein und merkte kaum, dass die Verfolgungsfahrt begann.
„Wie heißen Sie?“, hörte sie den Fremden fragen. Er reichte ihr eine Zigarettenpackung, und sie bediente sich daraus.
„Doris Keller“, antwortete sie mit belegter Stimme. „Ich kann es noch gar nicht fassen. Es ist zu schrecklich.“
„Ich heiße Jonathan Westenberger. Das Gangsterwesen in dieser Stadt nimmt überhand, und die Polizei ist machtlos. Da muss man sich schon selbst helfen. Bestimmt versucht der Kerl, auf dem Ring zu entkommen. Da schnappen wir ihn.“
„Glauben Sie?“
„Verlassen Sie sich auf mich, Doris. Ich kenne mich ein bisschen mit diesen Typen aus. Ich arbeite in der Versicherungsbranche. Da erlebt man allerhand.“
Sie ließen wenig später die Innenstadt hinter sich, und Westenberger lenkte den Opel über die Avus nach Norden.
„Woher wollen Sie wissen, dass sie ausgerechnet hier entlanggefahren sind?“, fragte Doris Keller zweifelnd.
„Intuition, Doris. Man muss sich in die Gedanken eines Verbrechers hineinversetzen können. Ich wette, der versteckt sich vorläufig irgendwo am Stadtrand. Da gibt es nämlich ein paar Möglichkeiten, an die kaum einer denkt. Wir hatten mal einen Juwelendieb, der dort untergekrochen ist. Er hatte Pech, weil ich den Ort kannte. Jetzt sitzt er für ein paar Jahre in einer Gegend, in der es keinen Wald gibt.“ Jonathan Westenberger lachte siegessicher.
Doris Keller hätte sich gerne von seinem Optimismus anstecken lassen, doch ihre Zweifel waren zu groß.
Sie wurden noch größer, als Westenberger den Wagen auf einen Waldweg lenkte und kurze Zeit später auch noch von diesem herunterfuhr. Er stoppte den Opel und schaltete den Motor ab. Das Licht ließ er ebenfalls erlöschen.
„Ist es hier?“, fragte sie ahnungsvoll. „Ich sehe nirgends einen Wagen.“
„Hier ist es, Baby“, bestätigte der Mann grinsend. Er ließ das Lenkrad los und legte einen Arm besitzergreifend um ihre Schultern. Er beugte sich zu ihr hinüber. Sein Atem strich an ihrem Gesicht vorbei.
Doris versteifte sich. Das war es also. Keine Sekunde lang hatte der Bursche vorgehabt, ihr zu helfen. Ihm war es nur darum zu tun gewesen, sie in seinen Wagen zu bekommen.
Du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren, sagte sie sich. Wenn du dich falsch verhältst, bringt er dich womöglich um.
Das wollte sie nicht, das andere, was er im Sinn hatte, aber auch nicht. Die Angst um Fred schnürte ihr das Herz ab, und sie saß hier neben einem Strolch, der ihre Situation auf gemeinste Weise ausnutzte.
Seine Hand kroch auf ihr Knie. Sie war feucht und widerlich.
„Sie werden keinen Spaß mit mir haben“, prophezeite sie mit erzwungener Ruhe. „Lassen Sie mich gehen, dann vergessen wir das Ganze. Ich habe im Augenblick andere Sorgen, als Sie anzuzeigen.“
„Die hast du, Puppe“, bestätigte der Widerling. „Und Spaß werden wir ’ne Menge haben. Ich verstehe mich darauf.“
Er riss sie an sich heran und presste dabei ihre Arme so gegen ihren Körper, dass sie sich nicht wehren konnte.
„Es ... es ist so eng hier“, klagte sie. Dabei wandte sie ihr Gesicht von seinem ab. Schon sein Anblick bereitete ihr Übelkeit.
„Das können wir ändern, Darling.“ Mit einem Ruck riss er ihr den Mantel auf und griff nach dem Pullover.
Sekundenlang bekam sie einen Arm frei. Sie reagierte nicht mehr überlegt, sondern nur noch instinktiv. Mit den Fingern fuhr sie ihm ins Gesicht und hinterließ dort blutige Streifen.
Der Mann schrie auf und griff sich an den blutenden Kopf.
Blitzschnell riss Doris Keller die Wagentür auf, doch sie kam nicht mehr dazu, sich hinausfallen zu lassen. Westenberger, der sicher ganz anders hieß, zerrte sie zurück und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige.
„Du verdammte Hexe!“, brüllte er. „Du willst es ja nicht anders. Jetzt wirst du mich kennenlernen. Ich habe noch jede zahm gekriegt. Du wirst mich noch anwinseln, verlass dich drauf.“
Warum kam denn niemand, um ihr zu helfen? Aber er hatte schon recht gehabt. Es gab hier Plätze, die kaum einer kannte. Er wusste Bescheid. Sicher war er nicht zum ersten Mal mit einem seiner Opfer hier.
Der Mann zerfetzte ihr den Pullover. Seine Augen wurden gierig.
Das Mädchen wurde von Todesangst ergriffen. Die verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Sie krümmte sich zusammen, warf sich in den Sitz mit angezogenen Beinen zurück und drehte sich herum. Dann streckte sie sich mit voller Wucht und stieß dem Angreifer ihre hochhackigen Schuhe entgegen. Ihr war egal, wo sie ihn traf.
Im nächsten Moment ließ sie sich nach hinten durch die noch immer geöffnete Tür fallen. Hart schlug sie auf dem belaubten Boden auf. Aber sie verbiss den Schmerz und raffte sich hastig auf.
Nur weiter! Fort von diesem Scheusal!
Sie rannte los. Hinter sich hörte sie Fluchen und eilige Schritte. Er dachte gar nicht daran, sie laufen zu lassen.
Doris hatte im Wagen einen Schuh verloren. Jetzt schleuderte sie auch noch den anderen vom Fuß. Das Laub war feucht und glatt. Immer wieder rutschte sie darauf aus, wodurch ihr Vorsprung verringert wurde.
Sie schrie um Hilfe, obwohl sie wusste, dass sie niemand hören würde. Es war jetzt fast dunkel. Kein Mensch trieb sich mehr in dieser Gegend herum.
„Bleib stehen!“, befahl ihr Verfolger. „Sonst bringe ich dich um.“
Sie kümmerte sich nicht um diese Drohung, obwohl sie ohne Weiteres glaubte, dass er sie ernst meinte.
Wie recht sie mit dieser Befürchtung hatte, bewies der Schuss, der plötzlich aufbellte. Eine Kugel strich höchstens zwei Handbreit an ihrem Kopf vorbei.
Doris Keller blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich herum.
Da stand er. Der Revolver in seiner Faust war auf ihre Brust gerichtet. Das Gesicht des Mannes trug ein zynisches Grinsen. Bedächtig kam er näher. Er genoss jeden Schritt.
„Bravo!“, krächzte er. „Ich wusste doch, dass wir uns auf irgendeine Weise verständigen werden. Jetzt weiß ich wenigstens, welche Sprache du verstehst. Ich werde mir das für die Zukunft merken. Es könnte ja sein, dass dir wieder mal etwas nicht passt. Dann werde ich allerdings in dein hübsches Lärvchen ein hässlich schwarzes Loch pieken. Du kennst mich jetzt gut genug, um zu wissen, dass ich nicht spaße.“
Doris wusste es, und sie wusste auch, dass sie ihm jetzt endgültig ausgeliefert war. Sie konnte jetzt nur noch beten, dass er sie wenigstens am Leben ließ, wenn sie schon alles andere nicht mehr verhindern konnte.
Ihr nächster Gedanke galt wieder ihrem Bruder. Sie hatte Angst um ihn. Erbärmliche Angst. Ihr gegenüber besaß er nur einen Vorteil. Man würde ihn nicht vergewaltigen. Aber vielleicht war er schon tot.