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Kurz vor Mitternacht kehrte Georg Jensen nach Hause zurück. Er mixte sich einen Wodka-Martini und ging nach oben ins Schlafzimmer, wo er auf dem Bett einen Zettel fand. Die Wörter befanden aus Buchstaben, die jemand aus einer Zeitung ausgeschnitten hatte. Der Text war kurz und knapp: ‚Wir haben Ihre Frau. Keine Polizei, sonst stirbt sie. Wir fordern eine Million Euro. Wir melden uns morgen‘.

Georg war sichtlich betroffen von dem Ereignis. Ziellos wanderte er im Zimmer umher. Schließlich setzte er sich aufs Bett. Sein Blick war leer. Nach zehn Minuten stand er auf und verließ das Zimmer. Er mixte sich einen für ihn ungewöhnlich starken Drink und nahm ihn mit in sein Arbeitszimmer, wo er seinen Anwalt Doktor Maximilian Roebke anrief.

„Hör zu, ich sitze in der Patsche. Ich brauche unbedingt deine Hilfe und deinen Rat. Kannst du sofort zu mir kommen?“

Georg und Maximilian waren alte Freunde. Trotzdem schimpfte der Anwalt über die späte Uhrzeit und wollte wissen, ob die Sache nicht bis morgen warten könne.

„Verdammt noch mal, nein! Ich muss dich sofort sprechen. Also komm her, bitte!“

Georg legte auf, bevor sein Gesprächspartner noch einmal widersprechen konnte.

Maximilian Roebke erschien zwanzig Minuten später mit verärgerter Miene. Er war leger angezogen, ziemlich groß, fast zwei Meter, und sportlich schlank. Er hatte ein langgezogenes, mageres Gesicht.

„Ich war drauf und dran, ins Bett zu fallen, als dein Anruf kam“, sagte er, während er sich auf eines der Sofas warf. „Du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt. Was ist denn los?“

„Es geht um Ingeborg.“ Georg sprach langsam und etwas zu dramatisch. „Sie ist entführt worden.“ Er hob seinen Drink und trank ihn mit einem lauten Schluck aus.

„Das darf nicht wahr sein“, erwiderte Maximilian. Er erhob sich vom Sofa. „Vielleicht ist sie irgendwo unterwegs, oder sie hat vergessen, dir zu sagen ...“

„Sie ist nicht weggegangen. Sie ist entführt worden.“ Georg fügte einige weitere Angaben hinzu und zeigte ihm den Zettel.

Maximilian hörte ihm aufmerksam zu. Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf das Schriftstück. „Das ist einfach unglaublich! Ingeborg! Dass so etwas ausgerechnet ihr passieren musste!“ Maximilian war von dem Vorfall erschüttert. Er stand für einige Minuten ganz ruhig, in tiefe Gedanken versunken.

„Soweit ich es beurteilen kann, gibt es für dieses Problem keine Sofortlösung“, meinte er schließlich. „Egal, von welcher Perspektive aus man die Sache betrachtet. Einst steht fest: Du verlierst oder du könntest verlieren. Sieh mal, rufst du die Polizei an, könnte es ihren Tod bedeuten. Bezahlst du das Lösegeld, bedeutet es fast das gleiche. Du spielst so oder so mit Ingeborgs Leben.“

„Das habe ich schon in Kauf genommen“, sagte Georg ernst. „Aber welche Möglichkeit ist die beste? Wir müssen uns ziemlich schnell entscheiden.“ Er zündete sich eine Zigarette an. „Außerdem habe ich nicht allzu viel Bargeld auf der Hand. Du weißt, dass mein Gesamtvermögen in Investmentfonds liegt. Aber in diesem Augenblick ist mir das Geld völlig unwichtig. Ingeborg ist mir viel wichtiger. Ich werde morgen etwas auf die Beine stellen, ein paar Aktien oder etwas anderes verkaufen. Aber das wird erst morgen möglich sein, und bis dahin sind es immerhin noch acht Stunden. Sag mal, Maximilian, was meinst du? Nach welchem Schema soll ich vorgehen? Polizei oder Lösegeld?“

„Nun, die Statistik hat eindeutig bewiesen, dass fünfzig Prozent solcher Entführungsfälle ...“

„Ach, zum Teufel mit deiner idiotischen Statistik!“, schnitt er ihm das Wort ab. „Wir sprechen hier von Ingeborgs Leben.“ Georg war ziemlich stark mitgenommen von dieser Angelegenheit.

„Du tust mir Unrecht. Meinst du etwa, ich will Ingeborgs Leben aufs Spiel setzen?“ Maximilians Art, sich auszudrücken, zeugte von seiner tiefen und aufrichtigen Besorgnis in dieser Sache. Seine Stimme bebte leicht, als er fortfuhr. „Ich möchte das Problem logisch angehen, um die beste Lösung zu finden. Versteh‘ mich bitte richtig.“

„Vergiss die Logik und lass deine Statistik fallen“, erwiderte Maximilian. „Erzähl mir nur, was du selbst unternehmen würdest, wenn Ingeborg deine Frau wäre.“

„Da ich als Anwalt weiß, wie dämlich gewöhnliche Polizisten sein können, würde ich eher das Lösegeld zahlen. Aber das ist meine persönliche Meinung, und nicht der allerbeste Rat.“

„Ich werde das Geld morgen holen“, erklärte Maximilian. Er seufzte kurz. „Um ganz ehrlich zu sein, habe ich verdammt viel Angst um Ingeborg. Wenn ihr etwas zustoßen sollte ... Weißt du, Georg, du bist der einige auf der Welt, dem ich diese Angelegenheit anvertrauen kann. Im Moment fühle ich mich verflucht einsam mit meiner Last. Tust du mir den Gefallen und schaust morgen bei mir vorbei, wenn die Entführer anrufen?“

„Selbstverständlich. Ich bleibe in deiner Nähe, bis Ingeborg wieder sicher zu Hause ist. Versuche jetzt zu schlafen und mach dir nicht so viele Sorgen. Die Kerle wollen nur Geld von dir, sonst nichts.“

Entführung ohne Happy End: Kripow & Kripow: Herr Doktor und die Polizei

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