Читать книгу Geheimnis Schiva 3 - A. Kaiden - Страница 3

Оглавление

Kapitel 1, Freitag: 8.50 Uhr

„Mist, verfluchter!“ Stan eilte hektisch aus dem Bus und lief mit großen Schritten die Anhöhe hinauf. Warum musste die Schule auch ausgerechnet auf einem Berg liegen? Konnte man es noch unangenehmer gestalten? Wieso hielten die öffentlichen Verkehrsmittel nicht direkt vor dem Schulgebäude, sodass man sich den lästigen Aufstieg sparte? Wer immer auf diese Idee gekommen war, musste nicht mehr ganz bei Trost gewesen sein! Als ob die Anfahrt nicht bereits nervig genug war. Er musste zuerst mit dem Bus nach Landau, dort in einen anderen umsteigen und weiterfahren nach Bad Bergzabern. Eine ewige Fahrt und das, um die Schulbank für die IT-Ausbildung zu drücken. Und dafür hatte er das Abi gemacht.

Auf der Hälfte der Strecke blieb er kurz stehen, um zu verschnaufen, und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

„Ph … das lohnt sich jetzt auch nicht mehr“, murmelte er vor sich hin und entschleunigte sein Tempo. Die erste Stunde hatte er ohnehin verpasst und zur zweiten würde er es nur noch zur Hälfte schaffen, wenn er sich beeilte. Da konnte er doch gleich langsamer machen. Bei der Hitze war es ohnehin nicht gut, sich bereits morgens vollkommen zu verausgaben. Abgesehen davon konnte er zwei Stunden locker nachholen. Also kein Problem. Lust hatte er sowieso keine.

Er erreichte das klobige Gebäude nach fast einer halben Stunde und schlenderte zum Kiosk, um sich erst mal einen gekühlten Energy Drink zu gönnen. Stan nahm einen großen Schluck und setzte sich auf den im Schatten gelegenen Mauervorsprung. Gelangweilt checkte er die Nachrichten auf seinem Handy und sah sich auf dem leeren Pausenhof um. Die Sonne schien in vollen Zügen und die Wärme hüllte ihn schläfrig ein. Viel zu früh, um aufzustehen. Viel zu früh für Unterricht. Stan war noch nie ein Morgenmensch gewesen. Er bezeichnete sich selbst eher als Nachtmensch.

Er schloss die Augen und ließ seine Gedanken auf Wanderschaft gehen. Hatte er alle Hausaufgaben erledigt? So richtig erinnern konnte er sich nicht. Auf jeden Fall hatte er sich die Party am Wochenende notiert. Elias und Paul hatten groß damit geprahlt, russische Mädels einzuladen, die wiederum Freundinnen von Stefanie, Pauls Schwester, waren. Die war zwar nicht so heiß, aber man musste Kompromisse eingehen.

Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Das versprach ein richtig gutes Wochenende zu werden. Doch zuvor musste er den nervigen Tag überstehen. Immerhin konnte er den Abend bei einem Kinobesuch und einem Gang in die Shisha Bar ruhig ausklingen lassen. Stan seufzte. Wenn doch nur schon achtzehn Uhr wäre.

Sein Magen meldete sich grummelnd zu Wort und machte ihm bewusst, dass er nicht gefrühstückt hatte. Er ließ die Hände suchend in seinen Rucksack gleiten und fischte nach den belegten Brötchen.

„Oh Mann, muss das jetzt?!“, fluchte er leise vor sich hin, als ein paar seiner Schulbücher auf den Boden fielen. Genervt hob er sie auf und hielt für einen Moment inne, als er das Tagebuch seiner Schwester darunter erblickte. Wie lange war es nun her, dass sie spurlos verschwunden war? Seine Finger trommelten nachdenklich auf den Einband. Vier verfluchte Jahre. Es hatte nicht lange gedauert, bis die Polizei den Fall als ungelöst abgehakt hatte. Zumal seine Schwester einen Abschiedsbrief geschrieben hatte, in dem sie erklärte, dass sie fortginge. Die Beamten schlossen zwar ein Verbrechen nicht aus, denn man hatte in Sternenfels das verlassene Auto seiner Schwester gefunden, aber auf Grund des Briefes war es ebenso wahrscheinlich, dass Lara zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln weitergereist war.

Die Ungewissheit war frustrierend, nicht nur für seine Eltern, die seitdem nicht mehr dieselben waren. Noch immer hofften sie, dass Lara wieder auftauchen und zurückkommen würde. Ihr Kinderzimmer war bis heute erhalten und wurde von seiner Mutter jede Woche geputzt. Unheimlich und absolut ärgerlich für ihn. Denn das Zimmer seiner Schwester war um einiges größer als seines und er konnte den Platz gut gebrauchen. Gefrustet schlug er mit der geballten Faust auf das Tagebuch. Irgendwie glaubte er nicht daran, dass Lara tot war. Eine Entführung erschien ihm ebenfalls unwahrscheinlich. Er konnte sich nicht helfen, doch seit damals ließ ihn das Gefühl nicht los, dass sie tatsächlich nur davon gelaufen war. Wahrscheinlich hatte ihr wieder irgendetwas nicht gefallen. Wenn er so daran zurückdachte, hatte ihr ständig etwas nicht in den Kram gepasst. Nervig. Selbst jetzt, wo sie weg war: stressig. Stets musste sich alles um sie drehen. Seine Eltern, die noch immer jeden Abend darum beteten, ihre Tochter lebend wiederzubekommen, und das Zimmer nicht freigaben. Die Nachbarn, die ihn ständig mit diesem mitleidigen Blick beäugten. Und selbst seine eigenen Gedanken, die andauernd um ihr Verschwinden kreisten. Echt idiotisch. Er konnte nicht sagen, wie oft er ihr verdammtes Tagebuch durchgelesen hatte, um Hinweise zu finden. Vergebens. Das meiste, was da drin stand, mussten Hirngespinste sein. Lara hatte schon immer zu viel Fantasie besessen und sich in ihre Bücher und Träume geflüchtet.

„Langweilige Sumpfkuh …“

„Ich hoffe, du meinst damit nicht mich.“

Stan sah irritiert auf und direkt in Alexeis Gesicht. Wo kam der denn auf einmal her? Verdattert schaute er sich um. Der Pausenhof hatte sich mittlerweile gefüllt und schallender Lärm umgab ihn.

„Wieviel Uhr … haben wir …?“

„Mann, hast du getrunken oder dir irgendetwas reingepfiffen? Du siehst total verballert aus. Und ja: wir haben Pause. Wo warst du die ersten zwei Stunden?“

„War 'ne lange Nacht. Wird Zeit fürs Wochenende. Hab das Klingeln echt nicht gehört. Der Bus war zu spät. Hätte es ohnehin nicht rechtzeitig geschafft.“

„Du kannst meine Notizen haben.“ Alexei setzte sich neben ihn und biss in seine Laugenstange.

„Was?“

„Na für die verpassten Stunden.“

„Ach so, ja klar. Danke.“

Alexeis kastanienbraune Augen scannten seinen Kumpel und blieben an dem Tagebuch in dessen Händen hängen. Er seufzte lautlos und schlang den Rest seines Frühstücks hinunter. Da drückte also der Schuh. Klar, Stan war ein geborener Morgenmuffel, doch das eigentliche Problem hielt er in den Händen.

„Machst du dir wieder Gedanken um deine Schwester? War was mit deinen Eltern?“

„Pfh… das Übliche.“

Alexei strich sich durch seinen schwarzgefärbten Pony und suchte nach den richtigen Worten.

„Das klingt vielleicht etwas hart, aber willst du das Thema nicht lieber abhaken?“

Stans Miene versteinerte sich für einen Moment, bevor er seinen Freund wütend ansah.

„Abhaken?“

„Ja, ich meine, es ist bereits so lange her und die Polizei hat auch nichts gefunden …“

„Wie soll ich das Thema einfach abhaken?!“, ranzte er ihn verständnislos an. „Hast du Eltern, die völlig durchdrehen vor Sorge um ihre Tochter? Die jedes Mal, wenn ihr Name fällt, in trübsinniges Schweigen verfallen? Eine Mutter, die ihr Zimmer hütet, wie eine heilige Stätte und jedes Mal anfängt zu weinen, wenn sie alte Fotos durchsieht?“ Stans Stimme überschlug sich und er schnappte nach Luft.

„Nein … nein, habe ich nicht.“

„Dann sag mir nicht, dass ich es einfach vergessen soll!“

„Sorry, Mann. So war das echt nicht gemeint“, entschuldigte sich Alexei und senkte leicht den Kopf. Er hätte seine Worte anders wählen müssen. Stan winkte ab.

„Passt. War etwas zu impulsiv. Es ist nur … selbst jetzt, wo sie weg ist, macht sie nur Probleme. Das kotzt mich an!“ Stan kickte wütend gegen einen Stein, der polternd davon kullerte.

Sprachlos blickte sein Kumpel ihn an und fragte sich im Stillen, warum Stan seine Schwester eigentlich finden wollte. Klar nagte die Ungewissheit an ihm. Die Situation mit seinen Eltern setzte ihm zu, aber diese aufgestaute Wut … diese Aggressivität ...

„Wenn ich sie noch einmal treffen könnte, um ihr meine Meinung zu sagen … ich werde das Gefühl nicht los, dass ich irgendetwas wichtiges in ihren Kritzeleien übersehe.“

Alexei strich sich durch sein Haar und starrte nachdenklich auf das geschlossene Tagebuch. Stans Verhalten war ihm ein Rätsel. Er konnte sich nicht in ihn hinein versetzen, so sehr er es auch versuchte. Vielleicht lag es daran, dass er ein Einzelkind war.

„Wie alt wäre deine Schwester jetzt?“

„Mmh? Ich denke vierundzwanzig.“

„Ob sie sich äußerlich arg verändert hat?“

„Pfh, die langweilige Visage würde ich jederzeit wiedererkennen.“

„Um was drehen sich denn die letzten Einträge? Hat sie erwähnt, dass sie irgendwo hin möchte? Oder irgendwelche Leute und Freunde?“

Stan lachte verbittert auf.

„Lara und Freunde? Klar, in ihrem kleinen Büchlein hat sie 'ne Menge Fantasiefreunde, die nicht existieren. Im richtigen Leben gammelte sie nur in ihrem Zimmer und hat gelesen.“

„Und die letzten Einträge?“, wagte Alexei einen weiteren Versuch, doch sein Kumpel zuckte mit den Schultern.

„Sie schreibt darin, dass sie mit ihren nicht existierenden Freunden Kralle, Allen, Mark und Lycastus nach Bayern möchte. Zum Schloss Neuschwanstein, um nach 'nem komischen Typ zu suchen, der ein Amulett gestohlen hat. Hieronymus oder so. Was sind das schon für Namen? Das schreit doch nach Hirngespinsten und Träumerei. Die Olle hat einen Schuss!“ Mit einem gereizten Ächzen stopfte er das Buch unachtsam in seine Tasche zurück.

„Mh … möglich. Ist echt 'ne seltsame Namenskombi, aber das mit dem Schloss – vielleicht war sie ja wirklich dort?“

„Ph … lass mal. Ich war bereits an den Orten und habe nach Spuren gesucht.“

„Nichts?“

„Nein, weniger als nichts. Ich glaube nicht, dass sie dort war. Ich habe die gesamte Umgebung abgesucht und nichts gefunden.“

„Sie ist ein paar Tage später verschwunden?“

„Ja, ich glaube vier oder fünf. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht mehr sicher.“

„Mh … das heißt, sie hat ihre Reise nicht dokumentiert, auch nicht, als sie wieder zurück war.“

„Nein und wie gesagt: ich bezweifle stark, dass sie wirklich dort war.“

„Du glaubst auch nicht an eine Entführung?“

„Irgendwie nicht. Keine Ahnung. Sie fuhr morgens zur Arbeit und kam nicht zurück. Ihr Auto hat man in Sternenfels gefunden. Auch ein paar Spuren von ihr und irgendwelchen unbekannten Leuten, die in einem Haus dort wohl 'ne Party gefeiert haben. Dort war ich bereits auch, jedoch Sackgasse. Ach ... wahrscheinlich ist sie mit denen weggerannt. Keine Ahnung. Das ist meine Theorie.“

Alexei runzelte die Stirn. Er wusste, dass seinem Kumpel das jetzt nicht schmecken würde, trotzdem äußerte er seine Gedanken.

„Aber dann hatte sie ja doch Freunde.“

Stans Gesichtszüge entgleisten. Er setzte zum Widerspruch an, als die schrille Pausenglocke zum Unterricht läutete. Während sich Alexei schwungvoll abstieß, hievte er sich schwerfällig hoch. Er konnte seine Lustlosigkeit nicht in Worte fassen. Sein Kumpel gab ihm einen aufmunternden Stoß.

„Na, dann auf in den Kampf.“

„Oh ja … ich hab so Bock drauf.“

„Man sieht's. Sind bloß noch ein paar Stunden und dann ist schon Wochenende. Hast was vor?“

Sie betraten das Schulgebäude und liefen mit dem Schülerstrom in Richtung des Klassensaals.

„Joar, klar. Heute gediegen ins Kino und danach in die Shisha Bar. Morgen geht dann die fette Party. He, hast du nicht Bock, heute auch mitzukommen?“ Er ahnte die Antwort bereits, bevor sein Freund sie aussprach.

„Nein, ich kann nicht. Ich muss heute wieder ins Bistro.“

Stan verdrehte genervt die Augen. Immer dasselbe.

„Kann nicht mal einer deiner Kellnerfreunde einspringen?“

„Nein, und das weißt du. Abgesehen davon brauche ich das Geld für die Schule.“

„Mensch, Alter. Du bist jetzt jung! Du solltest chillen und dein Leben mal genießen.“

Alexei lachte leise auf und schüttelte leicht seinen Kopf.

„Das tue ich, doch die Schule und Ausbildung bezahlen sich nicht von selbst.“

„Dann hol deine Eltern ran.“

„Du weißt genau, dass mein Vater nicht gut verdient. Außerdem bin ich stolz darauf, ihnen nicht auf der Tasche zu liegen.“

„Jetzt kommt wieder die Tour mit russischem Stolz und so weiter“, meinte Stan, als sie ihre Plätze im Klassenzimmer einnahmen. Den Rest kannte Alexei schon. Deswegen hielt er es nicht für notwendig, weiterhin zuzuhören. Wozu auch? Wenn Stan sich erstmal in Rage redete, war er nicht mehr zu bremsen. Spätestens das Erscheinen des Lehrers würde ihn stoppen. Also ließ er ihn einfach gewähren. Seine Sticheleien waren ohnehin immer dasselbe. Alexei konnte nicht genau sagen warum, aber er nahm es ihm nicht übel. Sein Kumpel war eben so. Er war nicht gerade der einfachste Umgang, allerdings hatte er auch seine guten Seiten. Leider zeigte er diese nur selten, was im Übrigen eine Ursache dafür war, dass er nicht greifbar viele Freunde hatte. Vielleicht blieb er aus diesem Grund bei ihm. Er wünschte ihm wirklich von ganzem Herzen, dass er mit dem Verschwinden seiner Schwester fertig werden würde und die Vergangenheit abhaken konnte. Auf jeden Fall hatte er sich an die Macken seines Kumpels gewöhnt und wusste, dass Stan es nicht böse meinte. Er war und blieb sein Freund.

Geheimnis Schiva 3

Подняться наверх