Читать книгу Indiana Love - Sammelband - A. Lisa Walters - Страница 3
ОглавлениеProlog
Abigail schlang die Jacke fester um ihre schmalen Schultern und zog den Kopf gegen den kühlen Wind ein. Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr beschleunigte sie ihre Schritte. Sie hatte keine Lust, den Bus zu versäumen. Bei dem Wetter noch weniger als sonst.
Ihre Füße schmerzten von der Nachmittagsschicht im Cowboy’s und sie war hundemüde. Sie wollte nur noch kurz duschen und ins Bett.
In ihr leeres, kaltes Bett.
Gewaltsam schob sie den Gedanken von sich und setzte die Kapuze auf, weil sie bereits spürte, wie die Kälte an ihren Ohren knabberte. Noch am Ende dieser Gasse rechts abbiegen und dann war die Bushaltestelle in Sicht. Im Wartehäuschen würde sie die letzten paar Minuten vor dem Wind geschützt sein.
Die Straßen waren so gut wie leer. Die wenigen Menschen, die an diesem Abend ausgegangen waren, hatten sich scheinbar in die Bars und Clubs zurückgezogen.
Mal abgesehen davon, dass die Bar, in der sie arbeitete, in einer heruntergekommenen Ecke von Broad Ripple lag. Dieses schmuddligere Viertel konnte eben nicht mit den Szenelokalen mithalten, wo die oberen Zehntausend bei Cocktails und Tanz feierten.
»Hey, Süße! Wo gehst du denn hin?«
Abigail schrie auf, als eine starke Hand ihren Oberarm packte und an ihr riss. Ihre Handtasche fiel zu Boden und sie wurde in einen finsteren Lieferanteneingang gestoßen. Ein Mann umfasste ihre Hände, bevor sie um sich schlagen konnte, und hielt sie fest. Das schwache Licht von den Laternen auf der Hauptstraße erhellte flüchtig seine Miene, als er dreckig auf Abigail hinunter grinste.
Sie war vor Schreck wie gelähmt. Sein nach Alkohol stinkender Atem schlug ihr ins Gesicht.
»Was versteckst du unter deiner Jacke, hm? Schauen wir mal, womit wir es hier zu tun haben.«
»Nein! Lass die Finger von mir. Hilfe!« Sie versuchte, nach ihm zu treten, und schrie wie am Spieß, als der Mann sie mit seinem Körper gegen die Wand in ihrem Rücken drückte. Er schob seine Hand unter ihre Jacke.
»Stell dich nicht so an, Kleines«, knurrte der Betrunkene und machte Anstalten, ihren Hals zu küssen. »Wer um diese Zeit allein unterwegs ist, sollte froh sein, dass nicht mehr passiert.«
»Hast du die Dame nicht gehört, du Schwein?«
Jemand packte den Kerl und zerrte ihn von Abigail weg. Sie schnappte nach Luft. Ihre Knie wurden weich und sie sank zittrig an der Hauswand hinab. Abigails Finger krallten sich in ihre Jacke, als sie bebend die Arme um ihren eigenen Körper schlang. Ein breitschultriger Mann hatte ihren Angreifer von ihr weggerissen und schlug nun mit der Faust zweimal auf ihn ein.
Der Besoffene schrie und trat um sich, bevor er hastig davon kroch und sich auf die Füße kämpfte. »Du spinnst ja. Von mir aus, das Flittchen kannst du behalten!« Er spuckte aus. Bevor Abigails Retter ihn erneut schlagen konnte, nahm der Kerl die Beine in die Hand und ergriff die Flucht.
Mit einem tiefen Atemzug wandte sich der Neuankömmling zu Abigail um.
»Alles in Ordnung?« Seine Stimme war weich und freundlich. Sie nickte langsam. Als er auf sie zuhinkte, wurde ihr klar, dass er den Betrunkenen deshalb nicht weiter verfolgt hatte.
»Können Sie aufstehen?« Der Mann hielt ihr die Hand entgegen, die in einem abgenutzten Handschuh steckte. Nach kurzem Zögern schlug Abigail ein, sodass er sie auf die Füße ziehen konnte. Trotz seiner leichten Behinderung schien er damit kein Problem zu haben und sein Griff war stark.
»Danke«, flüsterte sie.
»Kein Problem.« Er trat sofort einen Schritt zurück, als wollte er ihr Raum geben, und tippte sich mit den Fingern an den Schirm seiner Baseballkappe. »Zu Ihren Diensten, Miss.«
Bevor sie darauf antworten konnte, humpelte der Mann ein Stück in Richtung Straße und hob dort etwas auf. »Ich glaube, die gehört Ihnen, oder?« Mit diesen Worten hielt er ihre Handtasche in die Höhe.
Sie nickte und trat auf ihn zu, um die Tasche entgegenzunehmen. »Ja, die muss mir vorhin runtergefallen sein. Dankeschön.«
Er griff nach etwas, das neben ihm auf dem Boden lag. Als er den Gegenstand aufhob, erkannte Abigail ihn als eine Gitarrentasche. Vermutlich hatte er diese vorhin fallengelassen, um ihr zu helfen. »Wohin gehen Sie? Kann ich Sie noch ein Stück begleiten?«
»Das … das ist nicht nötig, danke. Ich war auf dem Weg zum Bus.« Abigail deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung der nahen Kreuzung.
»Das ist auch meine Richtung. Kommen Sie, Sie werden sich sicherer fühlen, wenn Sie jetzt nicht allein sind.«
Abigail zögerte kurz, dann nickte sie. »Das ist nett von Ihnen.«
Das Lächeln des Fremden verschwand fast hinter seinem Vollbart, als er seine Tasche schulterte und neben ihr herging. Nun, wo sie sich der stärker beleuchteten Hauptstraße näherten, betrachtete Abigail ihn verstohlen. Außer der Gitarrentasche trug ihr Retter auch einen alten Rucksack, eine dicke, aber ungepflegt wirkende Jacke und abgenutzte Jeans. Auch seine Schuhe sahen weder neu noch warm aus. So zerschlissen, wie diese wirkten, waren sie wohl kaum wasserdicht. Seine zotteligen Haare, dessen Farbe sie im Halbdunkel nicht näher bestimmen konnte, bedeckten halb den zerfransten Schal, den er sich um den Hals gewickelt hatte. Wie alt er wohl war?
Schließlich fasste sie den Mut, ihn anzusprechen. »Was verschlägt Sie um diese Zeit hierher?«
Er lachte. Das Lachen klang warm und herzlich. »Dass ich nicht zum Partymachen hier bin, haben Sie gemerkt, oder?«
Abigail wurde rot und wollte sich bereits entschuldigen, als der Mann schon den Kopf schüttelte. »War nur ein Witz. Ich spiele hier gern Gitarre. Wenn die Leute angeheitert sind und beim Wechsel zwischen den Locations gute Laune haben, lassen sie oft ein paar Münzen mehr springen.«
»Und das machen Sie bei dieser Kälte?«
Er zuckte die Schultern, als wäre ihm das egal. »Ach, es wird bereits wärmer. Jetzt hält man die Nächte draußen schon aus. Vor einigen Wochen war es schlimmer. Normalerweise versuche ich es rechtzeitig in eine der Unterkünfte zu schaffen, aber heute war ich zu spät dran. Aber ich hab sowieso heute zu wenig verdient. Ich brauch noch ein bisschen was übers Wochenende.«
Abigail schwieg und fragte sich, ob er dieses Geld für Essen brauchte oder für Schnaps. Es gab viele Obdachlose in Indianapolis, wie wohl in jeder großen Stadt der Welt. Etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung lebte unterhalb der Armutsgrenze. Da war die Wahrscheinlichkeit nicht gerade niedrig gewesen, auch heute einem Straßenmusiker zu begegnen.
»Bist du denn gut?«, fragte sie und deutete mit einem Lächeln auf die Gitarre.
»Es reicht zum Leben. Oder nun ja, was man Leben nennt.« Er runzelte die Stirn, schüttelte aber schnell den Kopf und lächelte ihr wieder zu. »Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Zu welcher Bushaltestelle müssen Sie?«
Abigail deutete nach vorne. »Nur noch bis dahin.« Die Haltestelle lag jedoch wie ausgestorben vor ihnen. Sie seufzte. »Wie es aussieht, habe ich meinen Bus aber ohnehin verpasst.«
»Das ist ärgerlich. Wann geht der nächste?«
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »In zwanzig Minuten.«
»Dann warte ich hier mit Ihnen, wenn Sie möchten«, bot der Mann an.
»Das müssen Sie doch nicht! Sie müssen ja arbeiten.« Abigail schüttelte den Kopf.
»Ach, es ist ja nicht so, als hätte ich Termine. Es macht mir nichts aus, wirklich.«
»Oh. Nun … na gut.« Sie setzte sich auf die Bank im Wartehäuschen und atmete durch. Der Mann ließ sich neben ihr nieder und sie musste zugeben, dass seine Nähe sie beruhigte.
»Sie sollten vielleicht was über Selbstverteidigung lernen. Oder sich einen Pfefferspray zulegen oder so. Ich bin wohl nicht jeden Abend da, um Sie zu retten.« Der Mann zwinkerte ihr zu und sie lächelte gezwungen.
»Kann ich … kann ich mich erkenntlich zeigen?«, fragte sie, wobei sie die Riemen ihrer Handtasche zwischen den Händen knetete. Dabei überschlug sie den Inhalt ihres Portmonees im Kopf. Ihr Lohn reichte kaum zum Leben und die Trinkgelder waren heute mager ausgefallen.
»Nein, lassen Sie es bitte gut sein.« Sofort winkte der Mann ab. »Sie sehen selbst nicht so aus, als hätten Sie es locker sitzen. Nichts für ungut. Aber wissen Sie, ich glaube, dass es nichts kostet, ein guter und anständiger Mensch zu sein. Ich wollte Ihnen helfen und dabei hatte ich keine Hintergedanken.«
Abigail lächelte gerührt. »Diesen Monat ist es tatsächlich eher knapp. Bitte sagen Sie mir trotzdem, wo ich Sie sonst finde. Ich möchte mich erkenntlich zeigen.«
Bevor er etwas erwidern konnte, wurden sie von einem Magenknurren unterbrochen. Verlegen zog der Mann den Kopf zwischen die Schultern und Abigail lachte. »Ach herrje. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich Ihnen helfen kann.« Sie öffnete ihre Handtasche und holte ein Sandwich heraus, das ihr Chef ihr mitgegeben hatte. Jemand hatte es falsch bestellt und natürlich konnte er es nicht einfach einem anderen Gast servieren, also hatte er es ihr eingepackt.
»Oh.« Zögernd nahm er den in braunem Papier eingeschlagenen Snack entgegen. »Herzlichen Dank. Ich hab heute den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
»Dann guten Appetit. Ich hoffe, Sie mögen Bacon und Cheddar.«
Er grinste. »Ich liebe Bacon und Cheddar.«
»Wie heißen Sie?«, wollte Abigail wissen.
»Ethan White. Und Sie?«
»Abigail Baker.«
Er zog sich die Handschuhe aus, um ihr die Hand zu reichen. Seine Hände waren kühl und stark, seine Finger kräftig. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Abigail. Oh, und ich weiß schon, was ich als Gegenleistung für meine Hilfe will.«
»Ach ja, was denn?« Abigail biss sich unsicher auf die Unterlippe.
Ethan schüttelte amüsiert den Kopf. »Nichts Unanständiges, Miss Baker. Aber Sie haben ein bezauberndes Lächeln. Das möchte ich noch einmal sehen.«
Den Gefallen tat sie ihm gerne und lächelte ihn an. »Das ist nett von dir, Ethan. Nenn mich bitte Abby.«