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Fünftes Kapitel

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Tag um Tag war Bornhart Raakheimer von Havbeck aus nach Süden gezogen. Über die ungefähre Route, die er nach Arakand zu nehmen hatte, war er sich im klaren. Noch vor seiner Reise nach Havbeck hatte er alle Karten studiert, die es an der Universität zu Arafurt zu sehen gab und sich eingehende Notizen gemacht. Über Boranien und das Tiefenland würde sein Weg führen, dann durch die Länder verschiedener kleinerer Herrscher, um schließlich einen Bereich zu betreten, der unter der Herrschaft des Königs von Etamia stand und die Stadt vollkommen umschloss.

Zweifellos wäre es sicherer gewesen, den Seeweg zu wählen. Aber die Passage wäre Bornhart zu teuer gewesen und hätte seine Mittel bei weitem überstiegen. Zwar hatte ihn sein Vater für die Reise ganz hinlänglich ausstaffiert und er hätte auch jederzeit die Möglichkeit gehabt, sein Pferd zu verkaufen, um zu etwas Silber zu kommen, aber andererseits wusste er ja nicht, wie lange er dann davon würde leben müssen. Selbst wenn er Arakand erreicht hatte, hieß das ja nicht, dass er dort gleich das Wohlwollen des großen Medicus Kallyari und eine Stellung in dessen Diensten erhielt. Vielleicht musste er sich so durchschlagen oder gar dafür bezahlen, dem großen Medicus bei der Ausübung seines segensreichen Handwerks über die Schulter sehen zu dürfen. Also versuchte Bornhart mit so geringem Aufwand wie möglich durchzukommen. Daran war er im Übrigen bereits durch seine Zeit in Arafurt gewöhnt. Es war eine ganz grundsätzliche Entscheidung in seinem Leben gewesen, die Erkenntnis und die Bildung des Geistes höher zu schätzen als Gold und Silber. Eine Entscheidung, die seine Familie wohl niemals wirklich verstehen würde.

Aber musste nicht jeder einen eigenen Weg gehen und dem folgen, was der Herr einem in die Seele gelegt hatte?

Jedenfalls war Bornhart sehr froh darüber, dass es zwischen ihm und seinen Eltern nicht über diese Frage zu einem endgültigen Bruch gekommen war und er rechnete es ihnen hoch an, dass sie ihn mit ihrem Wohlwollen ziehen ließen - wenn gleich ihm natürlich klar war, dass sie sich etwas anderes von ihm gewünscht hätten.

Bornhart kampierte an einem rauschenden Bach.

Keine halbe Stunde zu Pferde entfernt befanden sich die Mauern der wohlhabenden Stadt Maraprag. Aber da die Nächte noch nicht zu ungemütlich waren, um sie draußen im Freien zu verbringen, hatte sich Bornhart dafür entschieden, die Tore der Stadt nicht zu durchreiten und sich die Taler für ein Wirtshaus oder einen Platz zwischen den Strohballen eines Mietstalls zu sparen.

Ein lauter Knall ließ Bornhart zusammenzucken. Das Pferd wurde unruhig. Eine weiterer Knall folgte. Es klang wie ein donnernder Kanonenschlag und Bornhart fragte sich, wem an diesem Tag wohl in Maraprag Salut gegeben wurde! Denn wenn ein Krieg getobt hätte, so wäre ihm davon zweifellos längst etwas zu Ohren gekommen. Aber während der gesamten Reise war davon nichts zu sehen gewesen. Dass die Auseinandersetzungen mit den baladistischen Ketzern nach fast zwanzig Jahren noch einmal aufgeflammt waren, konnte Bornhart nicht glauben. Ein Strafgericht des Königs von Maraprag hatte die Anhänger des Gelähmten Propheten in seinem Reich zum Schweigen gebracht und falls es noch welche von ihnen gab, so übten sie ihre Lehre im Verborgenen aus. Wer sollte hier also Krieg führen? Dass eine auswärtige Macht es wagte, den König von Maraprag anzugreifen war angesichts der Tatsache, dass er zu den bestgerüstesten Herrschern seiner Zeit gehörte, nahezu auszuschließen. Die Tatsache, dass seine Armee kaum zu bezwingen war, hatte sich selbst bis zu den eroberungshungrigen Ländern herumgesprochen, in denen die Lehre des Gelähmten Propheten zum vorherrschenden Glauben geworden war.

Wieder donnerte es und Bornhart hatte diesmal alle Mühe, das nach der Nacht noch ungesattelte Pferd ruhig zu halten.

„Schön ruhig!“, murmelte er, während er dem Tier den Hals tätschelte. „Das gilt nicht uns beiden...“

Der Gaul schnaubte, so dass man fast meinen konnte, er hätte die Worte verstanden und wollte ihnen widersprechen.

Ein paar weitere Explosionen folgten noch, dann war endlich Stille.

Bornhart wartete noch, bis das Pferd sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Das dauerte allerdings eine ganze Weile, aber ehe das nicht geschehen war, konnte er seinen Sattel unmöglich auf den Rücken des Tieres legen. Geduld – das war das Wichtigste im Umgang mit Pferden. Soviel hatte Bornhart inzwischen begriffen und genau genommen unterschieden sich Gäule in dieser Hinsicht kaum von den meisten Menschen, wie er fand.

Als dann eine ganze Weile nichts mehr zu hören gewesen war, wagte es der Reisende schließlich, seinem Gaul den Sattel wieder aufzusetzen. Alles andere trug er ohnehin am Leib.

Hufschlag ließ ihn jetzt aufhorchen. Ein Reiter preschte im scharfem Galopp über den Waldweg. Der Umhang flog ihm hinterher wie eine dunkle Fahne. Sein Pferd war schwarz wie die Nacht. Er riss an den Zügeln, als er Bornhart bemerkte.

Den Reiter schätzte Bornhart auf vierzig Jahre. Er war kräftig von Statur und der Großteil seines Gesichts war von einem dunklen Bart verdeckt, der schon hier und da leicht von silbergrauen Streifen durchwirkt war. Die Stirn war hoch, der Haaransatz schon fast bis zur Mitte des Kopfs zurückgegangen. Dass die Haut dort im Gegensatz zu seinem Gesicht kaum gebräunt war, sprach dafür, dass er normalerweise eine Mütze trug und sie vielleicht während eines scharfen Ritts verloren hatte. Am Gürtel hingen ein Langmesser und mehrere Beutel und Taschen, die prall gefüllt schienen – womit auch immer. Unter dem Umhang war ein schwarzes, abgetragenes Lederwams zu sehen, dessen herausragendstes Merkmal die vielen aufgenähten Taschen und Ösen waren, mit dem sich Werkzeuge bei der Arbeit kurzzeitig befestigen ließen, um die Hände frei zu haben. Das war zweifellos die Weste eines Handwerkers. Die Ösen und Taschen sprachen für einen Zimmermann, die Art und Weise, wie das Leder vorne verstärkt war, eher für einen Schmied oder eine anderen Berufsstand, der sich gegen Funkenflug schützen musste, aber die trugen normalerweise noch zusätzlich eine Schürze.

Schweißperlen glänzten auf der hohen Stirn des Reiters. Schweißperlen, die im Widerspruch zur Kühle dieses Morgens standen.

„Wohin so eilig?“, fragte Bornhart.

„Was kümmert dich das?“ Er musterte Bornhart einen Augenblick und wirkte dann erleichtert. Bornhart schwang sich nun ebenfalls in den Sattel. In diesem Moment preschte ein weiterer Reiter herbei. Er war bewaffnet, trug Schwert, Harnisch und ein Livree, wie man es bei den Stadtwachen erwarten konnte. Aus der Ferne waren Geräusche zu hören, die darauf schließen ließen, dass er nicht allein war.

Der herannahende Reiter zog sein Schwert und rief lauthals nach Verstärkung. „Sie sind zu zweit!“, rief er.

Der Bärtige war offensichtlich auf der Flucht – und anscheinend hatte sein Verfolger den Eindruck, dass Bornhart zu dem Flüchtigen gehörte.

Mit blank gezogener Klinge näherte sich der Reiter.

Anstatt seinem Gaul die Sporen zu geben, griff der Bärtige in eine der Taschen an seinem Lederwams. Er holte einen Stein hervor und schleuderte ihn mit ungeheurer Wucht und atemberaubender Zielsicherheit. Der Stein traf das Pferd des Verfolgers am Auge. Wiehernd ging es auf die Hinterbeine. Der Waffenknecht wurde aus dem Sattel geschleudert und landete rücklings auf dem weichen Waldboden, während der Gaul davonstob.

Der Bärtige wandte sich an Bornhart.

„Worauf wartest du – Narr?“

Dann drückte er seinem Pferd die Haken in die Seiten und ließ es voranpreschen. Bornhart überlegte nicht lange und tat dasselbe. Jedenfalls hatte er keine Lust, sich mit einer Schar aufgebrachter Waffenknechte darüber zu streiten, dass er mit diesem bärtigen Mann nicht das geringste zu tun hatte. Er folgte dabei dem selben gewundene Waldweg, den auch der Bärtige benutzte. Einen anderen Weg zu nehmen war schon deshalb nicht empfehlenswert, weil das Unterholz immer dichter wurde. Auch so wurde Bornhart schon oft genug von Ästen gepeitscht, die tief genug herabhingen, um ihn zu streifen.

Der Bärtige schien die Gegend gut zu kennen und darüber hinaus schlug er ohnehin die Richtung ein, in die sich Bornhart wenden wollte.

Schließlich erreichten sie wieder den gewundenen Lauf des Baches, an dem Bornhart gelagert hatte. Der Bärtige ließ das Pferd ein Stück bergaufwärts waten. Das Wasser reichte seinem Pferd nur knapp über die Fesseln. Der Wasserstand war sehr niedrig. Es hatte in dieser Gegend offenbar längere Zeit nicht geregnet. Aber die Strömung war recht stark. Sie reichte in jedem Fall aus, um die Spuren zu verwischen.

„Na komm schon!“, rief der Bärtige. „Oder willst du die Aufmerksamkeit der Waffenknechte unbedingt auf dich lenken!“ Er lachte rau. „Das würde ich dir nicht empfehlen, die können ziemlich grob werden!“

So ließ Bornhart sein Pferd ebenfalls dem Bachbett folgen. Als sie es schließlich verließen, stiegen sie von den Pferden und führten sie eine steile, rutschige Anhöhe hinauf. Dort war der Wald sehr dicht. Die Baumkronen bildeten ein dichtes Blätterdach, durch das nur hin und wieder etwas Tageslicht hindurchblitzte.

„Hier bleiben wir erst einmal für eine Weile und warten ab, bis sich der Sturm verzogen hat“, sagte der Bärtige, während er sein Pferd an einem Ast festmachte.

„Einen Sturm, den du offenbar ausgelöst hat und mit dem man mich jetzt wohl ebenfalls in Verbindung bringt“, gab Bornhart zurück. „Vielleicht könnte ich wenigstens erfahren, wessen Zorn du dir zugezogen hast und aus welchem Grund, damit ich wenigstens ahne, weswegen mir vielleicht einer dieser Waffenknechte den Kopf abschlägt und wem ich das zu verdanken habe!“

Der Bärtige legte seinen Zeigefinger auf die Lippen.

„Schlag nicht so einen Krach, du Narr! Mit etwas Glück reiten die Waffenknechte an uns vorbei und verlieren im Bach unsere Spur. Dann können wir unbehelligt weiterziehen!“ Seine Stimme war jetzt nicht mehr als ein heiseres Flüstern.

Leider musste Bornhart eingestehen, dass dieser Kerl in allem Recht hatte, was er sagte.

Der Bärtige lauschte angestrengt und Bornhart machte unterdessen ebenfalls sein Pferd fest. Eine ganze Weile sagte keiner von ihnen auch nur ein einziges Wort. Bornhart konnte keine verdächtigen Geräusche hören, die in irgendeiner Weise darauf hindeuteten, dass man ihnen weiterhin auf der Spur war.

Der Bärtige wirkte zunächst sehr angespannt, dann hieß er Bornhart, auf die Pferde aufzupassen und verschwand für einige Zeit im Unterholz. Hin und wieder hörte man noch einen Ast knacken und Bornhart dachte: Falls er nicht zurückkehrt, habe ich wenigstens ein zweites Pferd, das ich zu Geld machen könnte. Allerdings war auch davon vielleicht abzuraten. Schließlich war es gut möglich, dass dieses Pferd dem Bärtigen gar nicht gehört hatte und jemand, der es zu verkaufen versuchte, sich vielleicht erhebliche Schwierigkeiten einhandelte. Jedenfalls stand Bornhart nun wirklich nicht der Sinn danach, am Ende als Pferdedieb eingekerkert und abgeurteilt zu werden! So sollte seine dem edlen Zweck der Erkenntnis geweihte Reise nach Arakand nun wirklich nicht enden!

Eine Weile wartete Bornhart noch – unschlüssig darüber, was nun zu tun war. Währenddessen zerbrach er sich den Kopf darüber, was es mit dem bärtigen Mann wohl auf sich haben mochte. Seiner Sprache nach stammte er aus einer der weiter südlich gelegenen Regionen des Gürtels der Welt. Stromland vielleicht. Jedenfalls hatte er keinen havländischen Dialekt gesprochen, wie es Bornhart zu Hause in Havbeck gewohnt war und die Sprache des Bärtigen hatte auch nur wenig Ähnlichkeiten mit dem Idiom, das er während seiner Studienjahre auf den Straßen von Arafurt gehört hatte. Dort hatte Bornhart die Bekanntschaft von Schülern und Magistern gemacht, die aus sehr unterschiedlichen Gegenden stammten und auf diese Weise auch ihre Eigenheiten in der Sprache kennengelernt. Es kam ihm so vor, als hätte der Bärtige eine Mischung aus verschiedenen dieser Mundarten verwendet. Von ein paar Wörtern war Bornhart sogar überzeugt, dass man sie in Havbeck und vielleicht einem Umkreis von zwanzig Meilen zu verstehen vermochte.

Ein Mann, der viel herumgekommen ist in einem Leben!, ging es Bornhart durch den Kopf. Das musste des Rätsels Lösung sein, was diesen geheimnisvollen Flüchtling anging. Vielleicht war er ein Vagabund, der von Ort zu Ort zog und überall, wo er auftauchte, früher oder später mit den Gesetzen und der Obrigkeit in Konflikt geriet oder einem schändlichen Gewerbe nachging, das nirgends geduldet wurde.

Wenn er ein Dieb war, so musste er immerhin ein Dieb mit Talent sein, denn wenn er erwischt worden wäre, hätte man ihn wohl kaum ohne eine Brandmarkung davonkommen lassen. Eine durchstochene Wange, ein geschlitztes Ohr – das waren die an vielen Orten üblichen Zeichen, an denen Diebe kenntlich gemacht wurden, sodass jeder gewarnt war, der mit ihnen Umgang hatte.

Aber Bornhart hatte solch eine Brandmarkung nicht an dem Bärtigen entdecken können. Obwohl es so gut wie unmöglich für ihn gewesen wäre, sie zu verbergen. Sein Haupthaar war dünn und außerdem der Haaransatz bereits so stark zurückgegangen, dass er seine Ohren nur mit einer Mütze hätte bedecken können. Und sein Bart war zwar dicht, aber keineswegs dicht genug, um eine durchstochene Wange zu verbergen. Wenn er also ein Dieb war, dann einer, der nie vor einem Gericht gestanden hatte.

Bornhart dachte an die Kanonenschläge, die er gehört hatte und fragte sich, ob sie in irgendeinem Zusammenhang mit der Flucht dieses Mannes zu tun hatten. Dass man von den Maraprager Mauer aus auf einen flüchtigen Reiter mit einem schweren Geschütz geschossen hatte, war wohl auszuschließen. Kein Kanonier und kein Kommandant einer Stadtwache konnte so dumm sein, zu glauben, auf diese Weise zum Erfolg zu kommen.

Bornhart hatte sich gerade dazu entschlossen, auf eigene Faust weiterzuziehen und das fremde Pferd loszubinden und freizulassen, damit es nicht verreckte, gerade da tauchte der Bärtige wieder auf.

Er hatte offensichtlich gute Laune, denn ein breites Lächeln stand in seinem Gesicht und er wirkte so entspannt und heiter, wie Bornhart ihn noch nie zuvor während ihrer kurzen Bekanntschaft erlebt hatte.

„Ich habe sie gesehen!“, meinte er mit einem triumphierenden Blick. „Die berittenen Waffenknechte! Fast zwei Dutzend sind es, aber sie sind in die falsche Richtung gezogen und offenbar auf meine Finte hereingefallen!“

Er sprach jetzt nicht mehr gedämpft oder gar flüsternd. Offenbar waren die Verfolger tatsächlich weit genug entfernt, um den Flüchtling glauben zu lassen, dass er zumindest fürs Erste nichts mehr von ihnen zu befürchten hatte.

„Ja, du scheinst ein Meister der Täuschung zu sein“, sagte Bornhart.

„Wir bleiben noch einige Zeit hier und machen uns dann auf den Weg“, sagte der Bärtige in einem Tonfall, als wäre das beschlossene Sache.

„Anscheinend kannst du nicht nur einen flüchtigen Vagabunden, sondern auch einen befehlsgewohnten Herrscher überzeugend darstellen, sodass man ihn dir fast glauben könnte!“

„Du hältst mich für einen Dieb?“

„Oder für einen Betrüger oder Falschwäger oder meinetwegen auch für jemanden, der Fleisch so lange würzt, bis man es nicht mehr schmeckt, dass es längst verdorben ist!“ Bornhart musterte sein Gegenüber kurz. „Nein, ich nehme an, dass du mit Gold überzogene Eisenringe angefertigt hast, um sie zu einem Preis zu verkaufen, den eigentlich nur reines Gold einbringen kann!“

„Wie kommst du denn auf so einen Unsinn!“

„Feuerflug, Schmiedehandwerk – irgendetwas mit Metall muss es sein. Die Statur für einen Schmied bringst du jedenfalls mit. Oder...“ Bornhart schüttelte den Kopf. Der Gedanke war zu fantastisch, aber angesichts der Kanonenschläge, die deutlich im ganze Umland zu hören gewesen waren, ergab das Sinn. „Bist du vielleicht jemand, der schlecht gemischtes Schwarzpulver verkauft hat, was dann zu einem verhängnisvollen Feuerwerk geführt hat! Na? Heraus damit!“

Der Bärtige lächelte in sich hinein.

In seinen Augen blitzte es.

„Auf jeden Fall bist du ein aufmerksamer Beobachter – und mit deiner Vermutung gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt, auch wenn sie sich gänzlich anders darstellt, als du vermutest.“

„Ach, ja? Welche Lügenmär willst du mir denn jetzt auftischen?“, fragte Bornhart ziemlich ungehalten.

„Zunächst einmal muss ich mich in aller Form bei dir entschuldigen“, bekannte der Bärtige und deutete eine Verneigung an. „Mein Name ist Nabru. Nabru Kanonengießer und wenn du mich fragst, wo ich herkomme. Dann kann ich nur sagen: von überall und nirgendwo, denn ich bin überall gewesen und nirgendwo zu Hause. Daran, wie man mich nennt, kannst du schon ersehen, welches mein Handwerk ist. Früher mal nannte ich mich Nabru Schmied, aber das ist schon lange her. Mit Hufeisen und ähnlichen Kleinigkeiten gebe ich mich schon lange nicht mehr zufrieden - und dass ich dir etwas herrisch erscheine, liegt vermutlich daran, dass ich es gewohnt bin, über Heerscharen von Handwerkern zu gebieten!“

„Du klingst mir ein bisschen großspurig“, gab Bornhart zurück.

Nabru zuckte die Schultern. „Ich sage nur, wie es ist! Die höchsten Herren in den wichtigsten Städten haben sich bereits nach meinen Plänen Kanonen gießen lassen! Das ist ein ganz besonderes Handwerk, von dem nur wenige etwas verstehen und das darum gut bezahlt wird!“

„Offenbar legt man allerdings in Maraprag auf deine Dienste keinen Wert mehr – oder trügt der Anschein?“

„Nun...“ Der Kanonengießer druckste etwas herum. „Es kann schonmal vorkommen, dass eine Kanone ihre Ladung nicht nach vorne verschießt, sondern einfach auseinanderfliegt und zur Gefahr für diejenigen wird, die sie besitzen.“

„Du meinst, sie geht nach hinten los!“

„Man kann das ausdrücken, wie man will. Es ist ein gefährliches Gewerbe und niemandem, der meine Dienste in Anspruch nahm, habe ich das je verschwiegen. Aber ist der Krieg nicht immer ein gefährliches Handwerk gewesen? Haben sich nicht immer schon Landsknechte an ihren eigenen Klingen verletzt oder sind versehentlich von den Geschossen eigener Katapulte oder Armbrüste getroffen worden? Das schwarze Pulver, das die Explosionen hervorbringt, steigert die Gefahren des Krieges für Freund und Feind nur etwas. Und nicht immer kann die Schmiedekunst die entfesselten Kräfte in eine Bahn lenken!“

Bornhart musterte Nabru Kanonengießer einige Augenblicke lang und nickte dann langsam. „Jetzt kann ich mir vorstellen, was geschehen ist! Eine oder sogar mehrere Kanonen aus deiner Fertigung sind auseinandergeflogen!“

„Ich konnte nichts dafür!“, meinte Nabru. „Minderwertiger Stahl und falsch gemischtes Pulver waren dafür verantwortlich!“

„Das würde ich an deiner Stelle wahrscheinlich auch behaupten“, erwiderte Bornhart.

„Das ist die Wahrheit. Immer wieder wollen die hohen Herrschaften an der falschen Stelle sparen. Wenn es darum geht, eine Kanone von möglichst imposanten Ausmaßen an die Schießscharten zu stellen, dann kann es ihnen gar nicht groß genug sein! Aber wenn man ihnen dann auflistet, was man dazu braucht, um so ein Kunstwerk zu erschaffen, dann schlucken sie und versuchen an der Qualität des Materials zu sparen – was sich natürlich immer rächt!“

„Und was ist nun genau passiert?“, fragte Bornhart.

„Bei meiner Erprobung der neuen Geschütze sind zwei von ihnen auseinandergerissen worden und haben außerdem noch ein paar der Kanoniere zerfetzt. Du hast ja gesehen, dass ich mich gerade selber habe retten können! Nahezu meinen ganzen Besitz musste ich zurücklassen und auf absehbare Zeit werde ich wohl auch kam nach Maraprag zurückkehren können, um ihn mir zu holen!“

„Und was hast du nun vor?“, fragte Bornhart.

Nabru Kanonengießer zuckte mit den Schultern. „Zunächst mal einfach nur möglichst weit weg! Wohin, spielt keine Rolle. Was ist denn dein Ziel?“

„Ich bin auf dem Weg nach Arakand!“

„Oh!“, entfuhr es Nabru. „Ich habe früher einmal in den Diensten des Königs von Boranien gestanden und und bin in seinem Reich etwas herumgekommen. Aber von Arakand habe ich nur gehört, dass man sie zwar immer noch die Stadt der Reichen nennt, sie aber längst nicht mehr so reich ist wie sie es früher war.“ Er zuckte mit den Schultern. „Andererseits, muss sich der Gottkaiser doch gegen die Etamiter verteidigen und wen braucht man da am nötigsten? Natürlich einen Kanonengießer.“

„Wer weiß, ob das jetzt noch immer zutrifft und wie wahr die Geschichten schon sein mögen, die du über die große Stadt gehört hast, Nabru!“

„Was hältst du davon, wenn wir uns zusammen auf den Weg machen? Dann können wir jedenfalls des Nachts gegenseitig auf unser Eigentum aufpassen und werde vielleicht nicht so leicht das Opfer von Strauchdieben!“

„Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Idee ist“, meinte Bornhart. „Schließlich wirst du gesucht und ich sollte mich vielleicht besser von dir fernhalten!“

„Kommt darauf an, wie gut du den Weg kennst und ob du weißt, wie man all den Fallen entgeht, die auf Reisende warten, die nach Arakand unterwegs sind. Darüber hinaus bin ich einiger Sprachen mächtig, die auf dem Weg, den wir vor uns haben, verbreitet sind. Aber es liegt bei dir! Wenn du lieber auf eigene Faust unterwegs bist, will ich dich nicht davon abhalten.“

„Da man mich inzwischen wohl ohnehin mit dir in Verbindung bringt, sollte ich vielleicht auch die Vorteile deiner Bekanntschaft in Anspruch nehmen“, meinte Bornhart.

„Recht gesprochen!“, gab Nabru zurück. „Sag mal, weshalb bist du eigentlich zur Stadt des Gottkaisers unterwegs?“

„Ich will bei dem größten Pest-Doktor unserer Zeit in die Lehre gehen, einem Magister und Magier namens Vaosdo Kallyari, der mehr über diese Geißel der Menschheit weiß, als jeder andere lebende Mensch!“

„So bist du auch ein heilkundiger Magier?“

„Ich würde eher sagen: Ich bin auf dem Weg, einer zu werden, auch wenn ich schon viel studieren konnte und von den besten Meistern der ärztlichen Kunst lernen durfte.“

Nabru unterzog sein Gegenüber einer erneuten und wie es schien vertieften Musterung. „Ich habe nicht gewusst, auf einen so klugen Mann mit so hohen Zielen gestoßen zu sein!“

„Du übertreibst!“

„So kannst du sicherlich auch lesen und schreiben!“

„Das kann ich.“

„So viel Bildung sieht man dir gar nicht an. Aber da kann man mal sehen, wie man sich in einem Menschen täuschen kann!“

Sie führten ihre Pferde am Zügel durch das dichte Unterholz. Zum Teil war es sehr schwierig, voranzukommen und die Pferde scheuten vor dem dichten Gesträuch. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie in weniger unwegsames Gelände kamen und wieder in die Sättel steigen konnten. Auf einem schmalen, halb zugewachsenen Waldweg ging es dann weiter.

An der Himmelsgrenze über ihnen konnte man sich jederzeit gut orientieren.

Folgte man ihrem Schatten, musste man irgendwann nach Arakand gelangen.

Das war so sicher wie sonst kaum etwas.

Ein Ring um die Welt, der jedem den Weg zeigte.

Allerdings erleichterte dies auch dem Diebesgesindel sein Geschäft, wie Bornhart sehr wohl wusste.

In den Bäumen kreischte ein Ouroungour. Der geflügelte Affe hatte offenbar etwas gegen die Nähe der beiden Reisenden.

Zwei Fantasy Sagas: Der Magier von Arakand/Die Schlangenmutter

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