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Der himmlische Olymp
ОглавлениеNun müssen wir uns der Frage zuwenden, inwiefern Olymp und Himmel identisch sind. Diese Frage ist von Bedeutung, da in nachhomerischen Quellen die beiden Begriffe faktisch synonym verwendet werden und wir feststellen können, dass die Vorstellung eines himmlisch-überweltlichen Charakters des Olymps bereits bei Homer ausgeprägt ist. Es gibt also schon bei ihm diese Ambiguität: Der Olymp ist sowohl als Berg vorgestellt als auch als überweltlich-himmlischer Ort.19
Es gibt Zeugnisse, die Himmel und Olymp sehr eng miteinander verbinden.20 So heißt es über die Meeresgöttin Thetis in der Ilias, als sie Zeus (den Kroniden) aufsuchte:
»Und stieg in der Frühe hinauf zum großen Himmel und zum Olympos und fand den weitumblickenden Kroniden, wie er entfernt von den anderen saß auf der höchsten Kuppe des vielgipfligen Olympos«. (Hom. Il. 1,496–499)
Ähnlich klingt es auch anderenorts in der Ilias,21 und im Zusammenhang mit der Ankunft Heras im Olymp heißt es:
»Von selber dröhnten auf die Tore des Himmels, die die Horen hüten,
Denen anvertraut ist der große Himmel und der Olympos,
Bald zurückzuschieben die dichte Wolke, bald vorzulegen.« (Hom. Il. 5,749–751)
Dies ist eine bemerkenswerte Charakterisierung, die möglicherweise auf die tatsächliche Beobachtung und Anschauung der Wolken in den Gipfeln des Olymps zurückzuführen ist. Allerdings bedeutet das noch nicht zwingend eine Gleichsetzung von Himmel und Olymp, denn der Himmel scheint den Olymp zu umgeben, so auch in einer anderen Stelle der Ilias:
»wenn vom Olympos eine Wolke zieht in den Himmel
aus dem Äther, dem göttlichen, wenn Zeus einen Sturmwind ausspannt.« (Hom. Il. 16,364–365)
Eine Rede des Zeusbruders Poseidon kann als weiteres Zeugnis für eine solche Vorstellung herangezogen werden, wenn er sagt:
»Denn drei Brüder sind wir von Kronos her, die Rheia geboren:
Zeus und ich und als dritter Hades, der über die Unteren Herr ist.
Dreifach ist alles geteilt, und jeder erhielt seinen Teil an Ehre.
Ja, da erlangte ich, das graue Meer zu bewohnen immer,
als wir losten, und Hades erlangte das neblige Dunkel,
Zeus aber erlangte den Himmel, den breiten, in Äther und Wolken.
Die Erde aber ist noch allen gemeinsam und der große Olympos.« (Hom. Il. 15,187–193)
Auch bei der bereits besprochenen dramatischen Episode mit der Auftürmung der Berge Pelion, Ossa und Olymp durch Otos und Ephialtes, um den Himmel zu erstürmen, wird eine Unterscheidung zwischen Himmel und Olymp deutlich.22
Insbesondere in den letzten beiden zitierten Passagen der Ilias wird zwischen Olymp, einer Zwischenschicht »Äther« und dem Himmel unterschieden, wobei der Olymp, wie auch aus anderen Textzeugnissen Homers deutlich wird, in den »Äther« hereinragt und der »Äther« wiederum in den Himmel. Unterhalb von »Äther« und Olymp ist die Luft (aer).23
Dann wieder gibt es Texte, bei denen Olymp und Himmel mehr oder weniger gleichgesetzt erscheinen, so etwa in der Ilias:
»Und sie stiegen heraus auf das Ufer und schwangen sich in den Himmel
und fanden den weitumblickenden Kroniden, und um ihn saßen die anderen
alle versammelt, die seligen Götter, die immer seienden.
Und sie (Thetis) setzte sich neben Zeus, den Vater, und Platz machte ihr Athene.
Und Here legte ihr einen goldenen schönen Becher in die Hand
und erfreute sie mit Worten, und Thetis trank und reichte ihn zurück.
Und ihnen begann die Reden der Vater der Männer und der Götter:
›Gekommen bist du zum Olympos, Göttin Thetis (…)‹.« (Hom. Il. 24,97–104)
Hier scheint eine Gleichsetzung oder zumindest ein sehr enges Beieinander von Olymp und Himmel vorzuliegen.
Das Verhältnis zwischen Himmel und Olymp bleibt diffus, und auch eine andere Stelle zeigt dies. Am Beginn des achten Gesangs der Ilias fordert Zeus die anderen Götter zum Seilziehen heraus, um seine Autorität zu sichern. Derjenige, der sich gegen ihn stelle, habe keine Chance:24
»›Dann wird er erkennen, wieweit ich der Stärkste bin von den Göttern allen!
Wenn aber – auf! Versucht es, Götter! Daß ihr alle es wißt:
Hängt ein Seil, ein goldenes, auf, herab vom Himmel,
und alle faßt an, ihr Götter, und alle Göttinnen!
Doch werdet ihr nicht vom Himmel auf den Boden niederziehen
Zeus, den höchsten Ratgeber, auch nicht, wenn ihr noch so sehr euch mühtet.
Doch sobald auch ich dann im Ernste ziehen wollte:
Mitsamt der Erde zöge ich euch hinauf und mitsamt dem Meer;
und das Seil bände ich dann um die Spitze des Olympos,
und in der Schwebe hinge dann das alles.
Soweit bin ich überlegen den Göttern, überlegen den Menschen!‹
So sprach er, und die waren alle stumm in Schweigen,
von dem Wort betroffen, denn sehr gewaltig hatte er gesprochen.« (Hom. Il. 8, 17–29)
Diese Episode unterstreicht in eindrücklicher Weise die Zwischenstellung des Olymps zwischen Himmel und Erde. Wir sehen also, dass es in den homerischen Epen ein Nebeneinander von Vorstellungen gibt, die einerseits den thessalisch-makedonischen Berg Olymp als Sitz der Götter identifizieren. Andererseits gibt es auch ein universalistisches Verständnis, welches den Olymp in einen weit entfernten, überirdischen, himmlischen Raum versetzt. Diese Ambiguität des Olymps, die bereits bei Homer angelegt ist, ist prägend für die nachfolgenden Jahrhunderte griechisch-römischer Kulturgeschichte. Gerade weil Homer keine Klarheit herstellt, müssen wir davon ausgehen, dass die Ambiguität widerspruchsfrei ausgehalten wurde.25 Es ist wohl gerade diese Universalisierung des nordgriechischen Berges, die eine Integration des Göttersitzes in lokale griechische Götterwelten ermöglichte, und so den Olymp zu einem Bezugspunkt machte, der jenseits der Lokalität des nordgriechischen Berges lag.26 Nun wenden wir uns den Textstellen zu, die uns etwas mehr darüber mitteilen, wie man sich den Göttersitz bzw. die Göttersitze auf dem Olymp vorzustellen hat.