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1.2 Der Beginn der wissenschaftlichen Erforschung

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Die Erkundung und wissenschaftliche Erforschung des Olymps begannen bereits in der Antike. Die Vorstellung, die Homer von der Höhe des Berges hatte, dass man nämlich von ihm einen ganzen Tag herunterfalle,23 wurde später nüchterner gesehen. So berichtet Plutarch, ein Autor des 2. Jh. n. Chr., in seiner Biographie des römischen Feldherren Aemilius Paullus Folgendes:24

»Hier erhebt sich das Olymposgebirge zu einer Höhe von mehr als zehn Stadien. Das wird in einer Inschrift des Mannes bezeugt, der sie gemessen hat, folgendermaßen:

›Des Olympos Gipfel über dem Pythion Apollons

Hat eine heilige Höhe – sie ward nach dem Senkblei gemessen –

Von einer vollen Zehnheit von Stadien, darüber hinaus noch

Von hundert Fuß, vermindert um vier.

Des Eumelos Sohn hat diese Messung vollzogen,

Xeinagores. Du Herrscher, sei gnädig und verleihe ihm Gutes‹

Allerdings behaupten die Geographen, daß weder die Höhe eines Berges noch die Tiefe eines Meeres zehn Stadien übersteige; aber Xenagoras scheint seine Messung nicht nur oberflächlich, sondern kunstgerecht und mit Hilfe von Instrumenten gemacht zu haben.« (Übersetzung: Konrat Ziegler)

Soweit Plutarch. Leider wissen wir nicht genau, wann dieser ansonsten unbekannte Xenagoras die Messung vorgenommen hat; es wird angenommen, dass er im ersten Drittel des 2. Jh.s v. Chr. lebte.25 Das Ergebnis von seiner Messung ist erstaunlich: ein Stadion sind 600 Fuß. Insgesamt ist die gemessene Höhe also 6 096 Fuß. Legt man einen griechischen Fuß von 30,7 cm zu Grunde, so ergibt sich eine Höhe von 1 871,47 m. Da natürlich nicht die absolute Höhe gemessen wurde, sondern die relative, muss die Höhe des Standortes noch einbezogen werden. Das Heiligtum von Pythion wird bei dem Dorf Selos am westlichen Fuß des Olymps lokalisiert.26 Zu dieser Ortslage muss man die rund 900 Höhenmeter des Standortes hinzurechnen und käme so zu einer Höhe des Berges von 2 771 m, was den heute gemessenen 2 918 m des höchsten Gipfels erstaunlich nahe kommt. Das Ergebnis ist umso beachtlicher, wenn man bedenkt, dass Xenagoras möglicherweise gar nicht den höchsten Gipfel Mytikas gemessen hat, sondern jenen Gipfel, vor dem er in Pythion/Selos genau stand, nämlich den Agios Antonios, der auf 2 817 m liegt ( Abb. 37). Wahrscheinlich hat Xenagoras mit einem Winkelmessgerät, der sogenannten Dioptra, die Höhe bestimmt.27 Auch mit diesem Gerät bleibt es eine herausragende Leistung, da zur Bestimmung der Höhe die Kenntnis der genauen Entfernung zum Fußpunkt des Berges fehlte. In der Antike gab es immer wieder Versuche, Berghöhen zu messen, uns liegt jedoch keine weitere Überlieferung zum Olymp vor.28 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass in der Antike der Olymp nicht als der höchste bekannte Berg galt, sondern Kenntnis davon bestand, dass es höhere Berge gab.29

Plutarchs Bericht über Xenagoras ist das einzige Zeugnis für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in der Antike mit der Geographie des Olymps. Erwähnt wird der Olymp immerhin in dem Werk des alexandrinischen Geographen Klaudios Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.). Dort ist in seiner Geographie in Buch III Kapitel 12,16 der Breitengrad 39 Grad 20 Minuten für Olymp, Ossa und Pelion angegeben. Tatsächlich ist der Breitengrad aber 39 Grad 40 Minuten, eine Abweichung, die nicht gravierend und auf das Berechnungsverfahren von Ptolemaios zurückzuführen ist.30

Gibt es Hinweise darauf, dass der Olymp in der Antike bestiegen wurde? Auf einem Nebengipfel des Olymps, dem Agios Antonios, gab es in frühhellenistischer Zeit, im 3. Jh. v. Chr. ein Heiligtum des Zeus Olympios, welches in der Spätantike noch einmal für einige Zeit genutzt wurde.31 Dieses Heiligtum ist der einzige Hinweis für menschliche Präsenz auf dem Olymp in der Antike. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Bergsteigen aus ästhetischen Gründen erst ein Phänomen seit dem 17. Jh. ist, und es für Menschen der Antike eigentlich nur zwei Gründe gab, einen Berg zu besteigen. Und das waren entweder wirtschaftliche Gründe im Kontext von Weidewirtschaft32 oder religiöse, wie wir an Bergheiligtümern anderenorts feststellen können.33 Daher können wir davon ausgehen, dass nur für die kurze Zeit der Nutzung des Heiligtums auf dem Agios Antonios der Olymp von Menschen besucht wurde, denn für Weidewirtschaft war die karge Gipfelregion nicht geeignet. Insgesamt gilt es zu berücksichtigen, dass Berge in der Antike Orte waren, die eine Andersartigkeit (Alterität) gegenüber der Stadt und der Zivilisation aufwiesen, und entsprechend nicht bevorzugte Aufenthaltsorte von Menschen waren.34 In Krisenzeiten konnten Bergregionen daher auch Rückzugsgebiete sein.35

Nach dem 2. Jh. n. Chr. fehlen weitere Quellen, die uns über eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Olymp berichten. In der Spätantike und im Mittelalter gibt es zwar Berichte darüber, wie der Gipfel des Olymps ausgesehen haben soll und welche geheimnisvollen Handlungen dort stattgefunden haben sollen, doch sind diese Berichte stark legendarischer Natur und gehen nicht auf eine tatsächliche Inaugenscheinnahme oder aufklärerische Auseinandersetzung mit dem Berg zurück, wie sie etwa Xenagoras oder Ptolemaios beabsichtigten.36 So gerät der nordgriechische Olymp für mehrere Jahrhunderte aus dem Fokus des Interesses.

Als unzugänglicher Ort war der Olymp unter osmanischer Herrschaft ein Rückzugsgebiet für die Klephten, je nach Perspektive Räuber oder Freiheitskämpfer, und wegen der unsicheren Lage wagten sich nur wenige westliche Forschungsreisende in die Gegend.37 Einer der frühesten Berichte stammt von dem englischen Arzt Edward Brown, in dessen 1673 erschienenem Reisebericht, der allerdings den Olymp nur aus einiger Entfernung beschreibt.38 Er erwähnt aber den Schnee auf dem Olymp, der, wie wir heute wissen, nur im August und September fehlt.39 Der Bericht von Brown ist für den Göttinger Theologen Johann Karl Volborth 1776 eine wichtige Quelle für seine geographisch-philologische Schreibtischarbeit zum Olymp.40 Brown erwähnt, dass der türkische Sultan Mehmed IV. (1648–1687) 1669 auf einen der Gipfel geritten sei.41 Der erste westliche Reisende der Neuzeit, der 1780 den Versuch einer Besteigung des Olymps unternahm, war Charles Sigisbert Sonnini, den Aufstieg jedoch kurz vor einem der Gipfel (wir wissen nicht genau, welcher) abbrach. Den von ihm erreichten Gipfel beschreibt er folgendermaßen:

»So lange wir noch Bäume und Stauden hatten, um uns daran zu halten, so lange konnten wir immer aufwärts kommen; allein in einiger Entfernung von dem Gipfel des Berges ist alle Vegetation erstarrt und die Natur bringt durchaus nichts mehr hervor. Dieser Gipfel ist ganz nackend und stellt eine mit Schnee und Eis bedeckte runde Wölbung vor, auf der es unmöglich ist, sich aufrecht zu halten oder gar zu gehen. Man darf sich nicht verwundern, dass die Griechen eine Bergspitze, die nie ein menschlicher Fuß betreten kann, zum Wohnort der Götter gemacht haben.«42 (Übersetzung: Achim Lichtenberger)

Trotz aufklärerischer Perspektive ist nicht zu übersehen, dass Sonninis Bericht von Phantastik durchsetzt ist, und man fragt sich, ob er überhaupt jemals den Gipfel gesehen hat oder er durch literarische Texte inspiriert war.43 Bemerkenswert ist das Motiv, dass der Gipfel nicht von Menschen betreten werden könne – eine Distanzierung, die bereits bei Homer angelegt ist.

Der nächste, der über den Olymp berichtet, ist der Griechenlandreisende William Martin Leake, der 1806 die Küstenebene und das Vorgebirge des Olymps besuchte und eine Beschreibung hinterließ, ohne aber den Olymp selbst bestiegen zu haben.44

Eine ausführliche Beschreibung des Olymps verdanken wir dem schottischen Diplomaten David Urquhart, der 1830 den Olymp besuchte.45 Mit der Hilfe eines Räuberhauptmanns klettert er im Olympgebirge, und Urquhart scheint sogar zu Nebengipfeln gelangt zu sein. Leider ist unklar, welche Gipfel er erreicht hat, da er in seinem Reisebericht Namen für die Höhen überliefert, die nicht mit den späteren Bezeichnungen übereinstimmen.46

Zu ungefähr derselben Zeit findet die erste nachweisbare Höhenmessung seit Xenagoras statt. Das englische Militär nimmt 1831 eine trigonometrische Höhenmessung vor und bestimmt die Höhe des Hauptgipfels mit 2 974 oder 2 973 m.47

Einen anschaulichen Bericht der Besteigung des Olymps im Jahr 1840 liefert uns der Philosoph und Schriftsteller Gustav von Eckenbrecher.48 Von Eckenbrecher ist von Larissa, also von Süden, aus aufgestiegen und beschreibt die Topographie und Vegetation des Olympgebirges. Er scheint entweder den Gipfel Agios Antonios oder den Skolio erreicht zu haben und berichtet:49

»Auf dem Gipfel (…) fand ich einen antiken Fußboden von Fliesen aus rothgebranntem Thon, die etwa 1 ½ Fuß im Quadrat und 2 Zoll Dicke hatten.«50

Leider gibt es keine weiteren Berichte zu diesem Befund, und es muss unklar bleiben, was von Eckenbrecher gesehen hat und aus welcher Zeit es stammte. Sollte von Eckenbrecher Funde auf dem Agios Antonios beschreiben, dann könnte er der Entdecker des dortigen hellenistischen Heiligtums sein.51

Ein Meilenstein in der wissenschaftlichen Erforschung des Olymps und seiner Umgebung ist die Arbeit des französischen Archäologen Leon Heuzey, der Grundlagenarbeiten zur Topographie Nordgriechenlands geschrieben hat. Sein auf Französisch verfasstes Buch »Der Berg Olymp und Akarnanien« von 1860 geht auf Reisen im Jahr 1855 zurück.52 Heuzey selbst scheint auch nur einen Nebengipfel des Olymps bestiegen zu haben, und seine Beschreibungen der konkreten Topographie des Berges sind streckenweise unklar. Sein Verdienst besteht darin, die literarischen Quellen ausgewertet, eine topographische Analyse des Umlandes gemacht und Ortslagen, wie das bereits erwähnte Pythion, identifiziert zu haben. Seine Arbeit bleibt bis heute der Ausgangspunkt für jede landeskundliche Beschäftigung mit dem Olymp.

Auch der berühmte Afrikareisende Heinrich Barth war 1862 am Olymp und hat den Nebengipfel Agios Elias bestiegen. Dabei musste er feststellen, dass es in der Nähe höhere Gipfel gab.53

Bis zur Jahrhundertwende fanden verschiedene Vermessungsexpeditionen in der Region statt, insbesondere durch österreichische Unternehmungen.54 Dennoch wagte man sich kaum in das Olympgebiet, das weiterhin fest in der Hand der Klephten war, weshalb eine exakte topographische Vermessung und weitere Erforschung bzw. Besteigung der Gipfel unterblieb. Diese erfolgte erst, als das Olympgebiet nach dem Balkankrieg 1912 an Griechenland fiel und Sicherheit in der Region einkehrte.

Zuvor wurde noch der deutsche Bergsteiger und Reisende Edward Richter 1911 am Olympmassiv von Klephten gekidnappt und kam erst nach mehrmonatiger Gefangenschaft und Zahlung eines hohen Lösegelds wieder frei. Sein Bericht ist ein anschauliches Dokument einer Zeit, in der die Grenze zwischen dem Osmanischen Reich und Griechenland südlich des Olymps lag, und hier Räuber operierten. So beschreibt er die Situation:

»Obwohl die meisten nach Konstantinopel fahrenden Schiffe am Fuße des Olymps vorüberziehen und obwohl Salonik in der Luftlinie nur etwa achtzig Kilometer entfernt ist, bildet das Olympgebirge doch ein Gebiet, das ›unbekannter als die meisten Gegenden Zentralafrikas‹ ist. Eine sehr geringe Anzahl von ›Europäern‹ (die Orientalen zählen sich selbst nicht zu den Europäern) hat dieses Gebiet betreten. Nur ein Geograph und zwei oder drei Geologen haben je einen Teil des Gebirges beschrieben. Der Grund der Unbekanntheit dürften die Schwierigkeiten sein, welche der Reisende zu überwinden hat: Gasthäuser in unserem Sinne gibt es dort nicht, die Straßen sind sehr schlecht, Wege sind nicht gebahnt, sondern nur ausgetreten, ferner erteilt die türkische Regierung (…) sehr ungern die Erlaubnis zum Betreten der fern von Verkehr liegenden Gebiete. Auch an der Schwierigkeit einer Verständigung mit der Bevölkerung und den Lokalbehörden dürften manche Dinge scheitern. Am meisten verhindert aber die große Unsicherheit den Besuch. Ist doch das Olympgebirge das berüchtigtste Räubernest Europas. Man kann aus diesem Grunde dort auch nur unter dem Schutz einer Bedeckung reisen, die, wenn die Erlaubnis erteilt ist, von den türkischen Behörden bereitwillig von Station zu Station mitgegeben wird.«55

Richter reiste mit einer österreichischen Karte, die jedoch ungenau war, und an deren Korrektur er arbeitete, als er entführt wurde und seine beiden türkischen Begleitsoldaten erschossen wurden. Nach seiner Freilassung aus der Geiselhaft hat sich Richter weiter um die Erforschung des Olymps verdient gemacht.56

Die Erstbesteigung des höchsten Gipfels des Olymps, des Mytikas, erfolgte durch zwei Schweizer Bergsteiger und einen griechischen Führer: Daniel Baud-Bovy, Fred Boissonnas und Christos Kakalos. Sie erreichten den Gipfel am 2. August 1913.57 Ein Jahr später, ohne Kenntnis der Erstbesteigung, erklommen Francis Farquhar und Aristides Phoutrides den dritthöchsten Gipfel Skala und brachten erstmals eine umfangreiche Photodokumentation von ihrem Aufstieg mit.58

Im Jahr 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde schließlich der Schweizer Geograph Marcel Kurz vom griechischen Ackerbauministerium mit einer exakten topographischen Aufnahme des Olympmassivs betraut. Vier Jahre später publizierte er das Werk »Le Mont Olympe« (1923) mitsamt zwei hervorragenden Karten, die bis heute grundlegend sind ( Abb. 37).59 Das Buch bietet außerdem zahlreiche Photographien, die eine visuelle Vorstellung des Gebirges erlauben. Darüber hinaus ist die Forschungsgeschichte aufgearbeitet. Eines der Fotos zeigt den mittlerweile friedlich gewordenen Räuberhauptmann, der einst Richter entführt hatte.

Das Buch von Kurz aus dem Jahr 1923 und die Arbeit von Heuzey aus dem Jahr 1860 sind bis heute die einzigen wissenschaftlichen Monographien zum Olymp.60 Aus archäologischer Sicht sind nur wenige Studien zu dem Berg erfolgt, ein archäologischer Survey des Gebirges hat noch nicht stattgefunden, und bislang wurden nur wenige archäologische Stätten identifiziert.61 Auch ansonsten haben sich die klassischen Altertumswissenschaften kaum mit dem Berg beschäftigt.62 Eine Studie zur bildlichen Darstellung bzw. zu den Raumvorstellungen des Berges fehlt, obschon es Untersuchungen zu Einzelaspekten wie etwa dem Bild der Götterversammlung gibt.63 Auch die Klassische Philologie und die Alte Geschichte ignorieren den Berg weitgehend.64 In den letzten Jahren sind zwar im Zuge des sogenannten spatial turn, der sich übergreifend mit kulturellen Aspekten von »Räumen« befasst, Berge in der Antike verstärkt ins Interesse der Kulturwissenschaften getreten, doch bleibt der Olymp weiterhin faktisch unbeachtet.65

Der Olymp

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